Tagebücher 1914-1916: Difference between revisions

no edit summary
No edit summary
No edit summary
Line 1,583: Line 1,583:
Schon lange war es mir bewußt, daß ich ein Buch schreiben könnte "Was für eine Welt ich vorfand". ''[Vgl.'' 5.631.]
Schon lange war es mir bewußt, daß ich ein Buch schreiben könnte "Was für eine Welt ich vorfand". ''[Vgl.'' 5.631.]


Haben wir nicht eben das Gefühl von der Einfachen Relation, welches uns immer als Hauptgrund für die Annahmen der Existenz<references />
Haben wir nicht eben das Gefühl von der Einfachen Relation, welches uns immer als Hauptgrund für die Annahmen der Existenz "einfacher Gegenstände" vorschwebt, haben wir nicht dieses selbe Gefühl, wenn wir an die Relation zwischen Namen und komplexem
 
Gegenstand denken?
 
Nehmen wir an der komplexe Gegenstand sei dies Buch; es heiße "A". Dann zeigt doch das Vorkommen  des "A"   Satz das Vorkommen des Buches in der Tatsache an. ''Er löst steh eben auch bei der Analyse nicht willkürlich auf, so daß etwa seine Auflösung in jedem Satzgefüge eine gänzlich verschiedene wäre. [S.'' 3.3442.]
 
Und so wie das Vorkommen eines Ding-Namens in verschiedenen Sätzen so zeigt das Vorkommen des Namens zusammengesetzter Gegenstände die Gemeinsamkeit einer Form und eines Inhalts.
 
Trotzdem scheint mir der ''unendlich'' komplexe Sachverhalt ein Unding zu sein!
 
Aber auch das scheint sicher, daß wir die Existenz einfacher Gegenstände nicht aus der Existenz bestimmter einfacher Gegenstände schließen, sondern ''sie'' vielmehr als Endresultat  einer  Analyse – sozusagen durch die Beschreibung – durch einen zu ihnen führenden Prozeß kennen.
 
Deswegen, weil eine Redewendung unsinnig ist,  kann  man sie noch immer gebrauchen-siehe die letzte Bemerkung.
 
In dem Buch "Die Welt, welche ich vorfand" wäre  auch  über meinen Leib zu berichten und zu sagen,  welche  Glieder meinem Willen unterstehen etc. Dies ist nämlich  eine Methode,  das Subjekt zu isolieren oder vielmehr zu zeigen, daß es in einem wichtigen Sinne kein Subjekt gibt. Von ihm allein nämlich könnte in diesem Buche ''nicht'' die Rede sein. – [''S''. 5.631.]
 
 
24. 5. 15
 
Wenn wir auch die einfachen Gegenstände nicht aus der Anschauung kennen; die komplexen Gegenstände ''kennen'' wir aus der Anschauung, wir wissen aus der Anschauung, daß sie komplex sind. – Und daß sie zuletzt aus einfachen Dingen bestehen müssen? Wir nehmen zum Beispiel aus unserem Gesichtsfeld eine Teil heraus, wir sehen, daß er noch immer komplex ist, daß ein Teil von ''ihm'' noch immer komplex aber schon einfacher ist, u.s.w. –
 
Ist es denkbar, daß wir – z. B.– ''sehen,'' daß ''alle Punkte einer Fläche gelb sind'', ohne irgend ''einen'' Punkt dieser Fläche zu sehen? Fast scheint es so.
 
Die Entstehung der Probleme: die drückende Spannung, die sich einmal in eine Frage zusammenballt und sich objektiviert.
 
Wie würden wir, z. B., eine gleichmäßig mit Blau bedeckte Fläche beschreiben?
 
 
25. 5. 15.
 
Erscheint uns das Gesichtsbild eines minimum visibile wirklich als unteilbar? Was Ausdehnung hat, ist teilbar. Gibt es Teile in unserem Gesichtsbild, die ''keine'' Ausdehnung haben? Etwa die der Fixsterne? –
 
Der Trieb zum Mystischen kommt von der Unbefriedigtheit unserer Wünsche durch die Wissenschaft. Wir ''fühlen,'' daß selbst wenn alle ''möglichen'' wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, ''unser Problem noch gar nicht berührt ist.'' Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. ''[Vgl.'' 6.52.]
 
Die Tautologie wird von ''jedem'' Satz bejaht; die Kontradiktion von jedem verneint. (Man könnte ja an jeden Satz, ohne seinen Sinn zu ändern, irgend eine Tautologie mit "und" anhängen und ebenso die Verneinung einer Kontradiktion.)              .
 
Und "ohne seinen Sinn zu ändern" heißt: ohne das ''Wesentltche'' am
 
Zeichen selbst zu ändern. Denn man kann das ''Zeichen'' nicht ändern, ohne seinen Sinn zu ändern. ''[Vgl.'' 4.465.]
 
"aRa" ''muß'' Sinn haben, wenn "aRb" Sinn hat.
 
 
26. 5. 15.
 
Wie aber soll ich jetzt das allgemeine ''Wesen'' des ''Satz.es'' erklären? Wir können wohl sagen: alles, was der Fall ist (oder nicht ist), kann durch einen Satz abgebildet werden. Aber hier haben wir den Aus­ druck ''"der Fall sein"!'' Er ist ebenso problematisch.
 
Das Gegenstück zum Satze bilden die Gegenstände.
 
Die Gegenstände kann ich nur ''nennen.'' Zeichen vertreten sie. ''[S.'' 3.221.]
 
 
27. 5. 15.
 
Ich kann nur ''von'' ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. ''[S.'' 3.221.]
 
"Aber könnte es nicht etwas geben, was durch einen ''Satz.'' sich nicht ausdrücken läßt (und auch kein Gegenstand ist)?" Das ließe sich eben dann durch die ''Sprache'' nicht ausdrücken; und wir können auch nicht darnach ''fragen.''
 
Wie, wenn es etwas außerhalb den ''Tatsachen'' gibt? Was unsere Sätze nicht auszudrücken vermögen? Aber da haben wir ja z. B. die ''Dinge, und wir fühlen gar kein Verlangen,'' sie in Sätzen auszudrücken.
 
Was sich nicht ausdrücken läßt, das drücken wir nicht aus –. Und wie wollen wir ''fragen,'' ob sich DAS ausdrücken läßt, was sich nicht AUSDRÜCKEN läßt?
 
''Gibt es kein Bereich außerhalb den Tatsachen?''
 
28. 5. 15.
 
"Zusammengesetztes Zeichen" und "Satz" sind ''gleichbedeutend.''
 
Ist es eine Tautologie zu sagen: die ''Sprache'' besteht aus ''Sätzen''?
 
Es scheint, ja.
 
 
29. 5. 15.
 
Aber ist die ''Sprache'' die ''einzige'' Sprache?
 
Warum soll es nicht eine Ausdrucksweise geben, mit der ich ''über '' die Sprache reden kann, so daß diese mir in Koordination mit etwas Anderem erscheinen kann?
 
Nehmen wir an, die Musik wäre eine solche Ausdrucksweise: Dann ''ist'' jedenfalls charakteristisch für die ''Wissenschaft,'' daß in ihr ''keine'' musikalischen Themen vorkommen.
 
Ich selbst schreibe hier nur Sätze hin. Und warum?
 
''Wie'' ist die Sprache unik?
 
 
30. 5. 15.
 
Die Worte sind wie die Haut auf einem tiefen Wasser.
 
Es ist klar, daß es auf dasselbe hinauskommt zu fragen, was ist ein Satz, wie zu fragen, was ist eine Tatsache – oder ein Komplex.
 
Und warum soll man nicht sagen: "Es  gibt Komplexe;  man kann sie mit Namen benennen oder durch Sätze abbilden"?
 
Der Name eines Komplexes fungiert ''im'' Satz wie der Name eines Gegenstandes, welchen ich nur durch eine ''Beschreibung'' kenne. – Als Beschreibung fungiert der ihn abbildende Satz.
 
Aber wenn es nun einfache Gegenstände gibt, ist es richtig, ihre Zeichen und jene anderen "Namen" zu nennen?
 
Oder ist Name sozusagen ein ''logischer'' Begriff?
 
"Er kennzeichnet die Gemeinsamkeit einer Form und eines Inhalts". –
 
Je nach der Verschiedenheit der Struktur des Komplexes bezeichnet sein Name in anderer Art und Weise und unterliegt anderen syntaktischen Gesetzen.
 
Der Fehler in dieser Auffassung muß darin liegen, daß sie einerseits komplexe und einfache Gegenstände einander entgegenstellt, andererseits aber sie als verwandt behandelt.
 
Und doch: ''Bestandteile'' und ''Komplex'' scheinen einander verwandt ''und'' entgegengesetzt zu sein!
 
(Wie der Plan einer Stadt und  die Karte eines Landes,  die vor uns  in gleicher Größe, und verschiedenen Maßstäben liegen.)
 
Woher dies Gefühl: "Allem, was ich sehe, dieser Landschaft, dem Fliegen der Samen in der Luft, all diesem kann ich einen Namen zuordnen; ja, was, wenn nicht dieses, sollten wir Namen benennen"?!
 
Namen kennzeichnen die Gemeinsamkeit ''einer'' Form und ''eines'' Inhalts. – Sie kennzeichnen erst ''mit'' ihrer syntaktischen Verwendung zusammen ''eine bestimmte'' logische Form. ''[Vgl.'' 3.327.]
 
 
31. 5. 15·
 
Mit der Weltbeschreibung durch Namen kann man nicht mehr  leisten als mit der allgemeinen Weltbeschreibung!
 
Könnte man also ohne  Namen auskommen??  Doch  wohl nicht. Die Namen sind notwendig zu einer Aussage, daß ''dieses'' Ding ''jene'' Eigenschaft besitzt u.s.f.
 
Sie verknüpfen die Satzform mit ganz bestimmten Gegenständen.
 
Und wenn die allgemeine Weltbeschreibung wie  eine  Schablone der Welt ist, so nageln sie die Namen so an die Welt, daß sie sich überall mit ihr deckt.
 
 
1. 6. 15.
 
Das große Problem, um welches sich alles dreht, was ich schreibe, ist: Ist, a priori, eine Ordnung in der Welt, und wenn ja, worin besteht sie?
 
Du siehst in die Nebelwolke und kannst  dir  dabei einreden,  das Ziel sei schon nahe. Aber der Nebel zerrinnt, und das Ziel ist noch nicht in Sicht!
 
 
2..6. 15.
 
Ich sagte: "Eine Tautologie wird von ''jedem'' Satze bejaht"; damit ist aber noch nicht gesagt, warum sie kein ''Satz'' ist. Ist denn damit schon gesagt, ''warum'' ein Satz nicht von p ''und'' von ~p bejaht werden kann?!
 
Meine Theorie bringt nämlich eigentlich nicht heraus, daß der Satz zwei Pole haben ''muß.''
 
Ich müßte nämlich jetzt in der Redeweise dieser Theorie einen Ausdruck dafür finden, WIEVIEL ''ein Satz sagt.'' Und es müßte sich dann eben ergeben, daß Tautologien NICHTS sagen.
 
Aber wie ist dies Maß Vielsagendheit zu finden?
 
Es ist jedenfalls vorhanden; und unsere Theorie ''muß'' es zum Aus­ druck bringen können.
 
 
3. 6. 15.
 
Man könnte wohl sagen: ''Der'' Satz sagt am meisten, aus welchem am meisten folgt.
 
Könnte man sagen: "aus welchem die meisten, von einander unabhängigen Sätze folgen"?
 
Aber geht es nicht so: Wenn p aus q folgt, aber nicht q aus p, dann sagt q mehr als p?
 
Nun aber folgt aus einer Tautologie gar nichts. – Sie aber folgt  aus jedem Satz. ''[Vgl.'' 5.142.]
 
Analoges gilt von ihrem Gegenteil.
 
Aber wie! Wäre da die Kontradiktion nicht der vielsagendste Satz? Aus "p.~p" folgt ja nicht nur "p" sondern auch "~p"! Aus ihnen folgt jeder Satz und sie folgen aus keinem!? Aber ich kann doch aus einer Kontradiktion nichts schließen, eben ''weil'' sie eine Kontradiktion ist!
 
Aber wenn die Kontradiktion die Klasse ''aller Sätze'' ist, so wird die Tautologie das Gemeinsame aller Klassen von Sätzen, welche nichts Gemeinsames haben, und verschwindet gänzlich. ''[Vgl.'' 5.143.]
 
"p ∨ ~p" wäre also nur scheinbar ein Zeichen.  In  Wirklichkeit aber die Auflösung des Satzes.
 
Die Tautologie verschwindet sozusagen innerhalb aller Sätze, die Kontradiktion außerhalb aller Sätze. ''[S.'' 5.143.]
 
Bei diesen Betrachtungen scheine ich übrigens immer unbewußt vom Elementarsatz auszugehen. –
 
Die Kontradiktion ist die äußere Grenze der Sätze; kein Satz bejaht sie. Die Tautologie ist ihr substanzloser Mittelpunkt. (Man kann den Mittelpunkt einer Kreisfläche als deren innere Begrenzung auffassen.) ''[Vgl.'' 5.143.]
 
(Das erlösende Wort ist übrigens hier noch nicht gesprochen.)
 
Es ist hier nämlich sehr leicht, die logische Addition und das logische Produkt miteinander zu verwechseln.
 
Wir kommen nämlich zu dem scheinbar merkwürdigen Resultat, daß zwei Sätze etwas gemeinsam haben müssen, um von einem Satz  bejaht werden zu können.
 
(Die Gehörigkeit zu ''einer'' Klasse ist aber auch etwas, was Sätze ''gemeinsam'' haben können!)
 
(Hier liegt noch eine  entschiedene und  entscheidende  Unklarheit in meiner Theorie. Daher ein gewisses Gefühl der Unbefriedigung!)
 
 
4. 6. 15.
 
"p.q" hat nur dann Sinn, wenn "p ∨ q" Sinn hat.
 
 
5. 6. 15.
 
"p.q" bejaht "p" und "q". Das heißt aber doch nicht,  daß "p.q"  der gemeinsame Bestandteil von "p" und "q" ist, sondern im Gegenteil, daß sowohl "p" als auch "q" in "p.q" enthalten sind.
 
Damit ein Satz wahr sein kann, muß er auch falsch sein können.
 
Warum sagt die Tautologie nichts? Weil  in  ihr von  vornherein jede Möglichkeit zugegeben wird; weil ...
 
Es muß sich ''im Satz selbst'' zeigen, daß er ''etwas'' sagt und an der Tautologie, daß sie nichts sagt.
 
p . ~p ist dasjenige – etwa ''das Nichts'' – welches p und ~p gemeinsam haben.
 
In dem ''eigentlichen'' Zeichen für p liegt wirklich schon das Zeichen "p ∨ q". (Denn es ist dann möglich, dies Zeichen OHNE WEITERES zu bilden.)
 
 
6. 6. 15.
 
(Diese Theorie behandelt die Sätze exklusiv, sozusagen als eine eigene Welt und nicht in Verbindung mit dem, was sie darstellen.)
 
Die Verbindung der Bild-Theorie mit der Klassen-Theorie<nowiki><ref> Die Theorie des Satzes als Klasse. (Herausg.)</ref></nowiki> wird erst später ganz einleuchtend werden!
 
Man kann von einer Tautologie nicht sagen, daß sie wahr ist, denn sie ist ''wahr gemacht.''<references />