Bemerkungen über Frazers “The Golden Bough”: Difference between revisions

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Hier sieht etwas aus wie die Überreste eines Losens. Und durch diesen Aspekt gewinnt es plötzlich Tiefe. Würden wir erfahren, dass der Kuchen mit den Knöpfen in einem bestimmten Fall etwa »ursprünglich« zu Ehren eines Knopfmachers »zu seinem Geburtstag« gebacken worden sei und sich der Gebrauch dann in der Gegend erhalten habe, so würde dieser Gebrauch tatsächlich alles »Tiefe« verlieren, es sei denn, dass es in seiner gegenwärtigen Form {{Udashed|an sich}} liegt. Aber man sagt in so einem Fall oft: »dieser Gebrauch ist <u>offenbar</u> uralt«. Woher weiß man das? Ist es nur weil man historisches Zeugnis über derartige alte Gebräuche hat? Oder hat es noch einen andern Grund, einen den man durch Interpretation gewinnt? Aber auch, wenn die vorzeitliche Herkunft des Gebrauchs und die Abstammung von einem finstern Gebrauch historisch erwiesen ist, so ist es doch möglich, dass der Gebrauch heute <u>gar nichts</u> mehr Finsteres an sich hat, dass nichts von dem vorzeitlichen Grauen an ihm hängen geblieben ist. Vielleicht wird er heute nur mehr von Kindern geübt, die im Kuchenbacken und Verzieren mit Knöpfen wetteifern.
Hier sieht etwas aus wie die Überreste eines Losens. Und durch diesen Aspekt gewinnt es plötzlich Tiefe. Würden wir erfahren, dass der Kuchen mit den Knöpfen in einem bestimmten Fall etwa »ursprünglich« zu Ehren eines Knopfmachers »zu seinem Geburtstag« gebacken worden sei und sich der Gebrauch dann in der Gegend erhalten habe, so würde dieser Gebrauch tatsächlich alles »Tiefe« verlieren, es sei denn, dass es in seiner gegenwärtigen Form {{Udashed|an sich}} liegt. Aber man sagt in so einem Fall oft: »dieser Gebrauch ist <u>offenbar</u> uralt«. Woher weiß man das? Ist es nur weil man historisches Zeugnis über derartige alte Gebräuche hat? Oder hat es noch einen andern Grund, einen den man durch Interpretation gewinnt? Aber auch, wenn die vorzeitliche Herkunft des Gebrauchs und die Abstammung von einem finstern Gebrauch historisch erwiesen ist, so ist es doch möglich, dass der Gebrauch heute <u>gar nichts</u> mehr Finsteres an sich hat, dass nichts von dem vorzeitlichen Grauen an ihm hängen geblieben ist. Vielleicht wird er heute nur mehr von Kindern geübt, die im Kuchenbacken und Verzieren mit Knöpfen wetteifern.


{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=14}} Dann liegt das Tiefe also nur im Gedanken an jene Abstammung. Aber diese kann doch ganz unsicher sein und man möchte sagen: »wozu sich über eine so unsichere Sache Sorgen machen //sorgen//« (wie eine rückwärts schauende Kluge Else). Aber solche Sorgen sind es nicht. – Vor allem: woher die Sicherheit dass ein solcher Gebrauch uralt sein muss (was sind unsre Daten, was ist die Verifikation)? Aber haben wir denn eine Sicherheit, können wir uns nicht darin irren und des Irrtums historisch überführt werden? Gewiss, aber es bleibt dann noch immer etwas, dessen wir sicher sind. Wir würden dann sagen »Gut in diesem <u>einen</u> Fall mag die Herkunft anders sein, aber im allgemeinen ist sie sicher die vorzeitliche«. Was uns dafür <u>Evidenz</u> ist, das muss die Tiefe dieser Annahme enthalten. Und diese Evidenz ist wieder eine nicht-hypothetische psychologische. Wenn ich nämlich sage: das Tiefe in //<u>an</u>// diesem Gebrauch liegt in seiner Herkunft <u>wenn</u> es sich so zugetragen hat. So <s>muss</s> liegt also entweder das Tiefe in dem Gedanken an so eine Herkunft oder das Tiefe ist selbst nur hypothetisch und man kann nur sagen: <u>Wenn</u> es sich so zuge-{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=15}} tragen hat, so war das eine finstere tiefe Geschichte. Ich will sagen: Das Finstere, Tiefe liegt nicht darin, dass es sich mit der Geschichte <u>dieses</u> Gebrauches so verhalten hat, denn vielleicht hat es sich gar nicht so verhalten; auch nicht darin, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat, sondern in dem, was mir Grund gibt, das anzunehmen. – Ja woher überhaupt das Tiefe und Finstere im Menschenopfer. Denn sind es nur die Leiden des Opfers die uns den Eindruck machen? Krankheiten aller Art, die mit ebensoviel Leiden verbunden sind, rufen diesen Eindruck <u>doch</u> nicht hervor. Nein, dies Tiefe und Finstere versteht sich nicht von selbst, wenn wir nur die Geschichte der äußeren Handlung erfahren, sondern <u>wir</u> tragen es wieder hinein aus einer Erfahrung in unserm Innern.
{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=14}} Dann liegt das Tiefe also nur im Gedanken an jene Abstammung. Aber diese kann doch ganz unsicher sein und man möchte sagen: »wozu sich über eine so unsichere Sache Sorgen machen //sorgen//« (wie eine rückwärts schauende Kluge Else). Aber solche Sorgen sind es nicht. – Vor allem: woher die Sicherheit dass ein solcher Gebrauch uralt sein muss (was sind unsre Daten, was ist die Verifikation)? Aber haben wir denn eine Sicherheit, können wir uns nicht darin irren und des Irrtums historisch überführt werden? Gewiss, aber es bleibt dann noch immer etwas, dessen wir sicher sind. Wir würden dann sagen »Gut in diesem <u>einen</u> Fall mag die Herkunft anders sein, aber im allgemeinen ist sie sicher die vorzeitliche«. Was uns dafür <u>Evidenz</u> ist, das muss die Tiefe dieser Annahme enthalten. Und diese Evidenz ist wieder eine nicht-hypothetische psychologische. Wenn ich nämlich sage: das Tiefe in //<u>an</u>// diesem Gebrauch liegt in seiner Herkunft <u>wenn</u> es sich so zugetragen hat. So <s>muss</s> //liegt// also entweder das Tiefe in dem Gedanken an so eine Herkunft oder das Tiefe ist selbst nur hypothetisch und man kann nur sagen: <u>Wenn</u> es sich so zuge-{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=15}} tragen hat, so war das eine finstere tiefe Geschichte. Ich will sagen: Das Finstere, Tiefe liegt nicht darin, dass es sich mit der Geschichte <u>dieses</u> Gebrauches so verhalten hat, denn vielleicht hat es sich gar nicht so verhalten; auch nicht darin, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat, sondern in dem, was mir Grund gibt, das anzunehmen. – Ja woher überhaupt das Tiefe und Finstere im Menschenopfer. Denn sind es nur die Leiden des Opfers die uns den Eindruck machen? Krankheiten aller Art, die mit ebensoviel Leiden verbunden sind, rufen diesen Eindruck <u>doch</u> nicht hervor. Nein, dies Tiefe und Finstere versteht sich nicht von selbst, wenn wir nur die Geschichte der äußeren Handlung erfahren, sondern <u>wir</u> tragen es wieder hinein aus einer Erfahrung in unserm Innern.


Die Tatsache, dass das Los durch einen Kuchen gezogen wird, hat (auch) etwas besonders {{udashed|Schreckliches}} (beinahe wie der Verrat durch einen Kuss), und dass uns das besonders schrecklich anmutet, hat wieder eine wesentliche Bedeutung für die Untersuchung solcher Ge-{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=16}}bräuche [eines solchen Gebrauchs].
Die Tatsache, dass das Los durch einen Kuchen gezogen wird, hat (auch) etwas besonders {{udashed|Schreckliches}} (beinahe wie der Verrat durch einen Kuss), und dass uns das besonders schrecklich anmutet, hat wieder eine wesentliche Bedeutung für die Untersuchung solcher Ge-{{Frazer MS reference|Ms or Ts=Ms |number=143 |page=16}}bräuche [eines solchen Gebrauchs].