Logisch-philosophische Abhandlung: Difference between revisions

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Diejenigen Wahrheitsmöglichkeiten seiner Wahrheitsargumente, welche den Satz bewahrheiten, will ich seine Wa h r h e i t s g r ü n d e nennen.<references />
Diejenigen Wahrheitsmöglichkeiten seiner Wahrheitsargumente, welche den Satz bewahrheiten, will ich seine Wa h r h e i t s g r ü n d e nennen.
 
5.11               Sind die Wahrheitsgründe, die einer Anzahl von Sätzen gemein- sam sind, sämtlich auch Wahrheitsgründe eines bestimmten Satzes, so sagen wir, die Wahrheit dieses Satzes folge aus der Wahr- heit jener Sätze.
 
5.12              Insbesondere folgt die Wahrheit eines Satzes „''p''“ aus der Wahr- heit eines anderen „''q''“, wenn alle Wahrheitsgründe des zweiten Wahrheitsgründe des ersten sind.
 
5.121           Die Wahrheitsgründe des einen sind in denen des anderen ent- halten; ''p'' folgt aus ''q''.
 
5.122          Folgt ''p'' aus ''q'', so ist der Sinn von „''p''“ im Sinne von „''q''“ enthalten.
 
5.123          Wenn ein Gott eine Welt erschafft, worin gewisse Sätze wahr sind, so schafft er damit auch schon eine Welt, in welcher alle ihre Folgesätze stimmen. Und ähnlich könnte er keine Welt schaffen, worin der Satz „''p''“ wahr ist, ohne seine sämtlichen Gegenstände zu schaffen.
 
5.124          Der Satz bejaht jeden Satz der aus ihm folgt.
 
5.1241 „''p . q''“ ist einer der Sätze, welche „''p''“ bejahen und zugleich einer der Sätze, welche „''q''“ bejahen.
 
Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn es keinen sinnvollen Satz gibt, der sie beide bejaht.
 
Jeder Satz der einem anderen widerspricht, verneint ihn.
 
5.13 Dass die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer Sätze folgt, ersehen wir aus der Struktur der Sätze.
 
5.131           Folgt die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer, so drückt sich dies durch Beziehungen aus, in welchen die Formen jener Sätze zu einander stehen; und zwar brauchen wir sie nicht erst in jene Beziehungen zu setzen, indem wir sie in einem Satze miteinander verbinden, sondern diese Beziehungen sind intern und bestehen, sobald, und dadurch dass, jene Sätze bestehen.
 
5.1311 Wenn wir von ''p'' ∨ ''q'' und ∼''p'' auf ''q'' schliessen, so ist hier durch die Bezeichnungsweise die Beziehung der Satzformen von „''p'' ∨ ''q''“ und „∼''p''“ verhüllt. Schreiben wir aber z. B. statt „''p'' ∨ ''q''“ „''p'' ''|'' ''q . | . p | q''“ und statt „∼''p''“ „''p | p''“ (''p | q'' = weder ''p'', noch ''q''), so wird der innere Zusammenhang offenbar.
 
(Dass man aus (''x'') ''. fx'' auf ''fa'' schliessen kann, das zeigt, dass die Allgemeinheit auch im Symbol „(''x'') ''. fx''“ vorhanden ist.)
 
5.131           Folgt ''p'' aus ''q'', so kann ich von ''q'' auf ''p'' schliessen; ''p'' aus ''q'' folgern.
 
Die Art des Schlusses ist allein aus den beiden Sätzen zu entnehmen.
 
Nur sie selbst können den Schluss rechtfertigen.
 
„Schlussgesetze“, welche—wie bei Frege und Russell—die Schlüsse rechtfertigen sollen, sind sinnlos, und wären überflüs- sig.
 
5.132          Alles Folgern geschieht a priori.
 
5.133          Aus einem Elementarsatz lässt sich kein anderer folgern.
 
5.134          Auf keine Weise kann aus dem Bestehen irgend einer Sachlage auf das Bestehen einer, von ihr gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.
 
5.135          Einen Kausalnexus, der einen solchen Schluss rechtfertigte, gibt es nicht.
 
5.1361 Die Ereignisse der Zukunft kö n n e n wir nicht aus den gegen- wärtigen erschliessen.
 
Der Glaube an den Kausalnexus ist der A b e r g l a u b e.
 
5.1362 Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können. Nur dann könnten wir sie wissen, wenn die Kausalität eine i n n e r e Notwendigkeit wäre, wie die des logischen Schlusses.—Der Zusammenhang von Wis- sen und Gewusstem, ist der der logischen Notwendigkeit.
 
(„A weiss, dass ''p'' der Fall ist“ ist sinnlos, wenn ''p'' eine Tauto- logie ist.)
 
5.1363 Wenn daraus, dass ein Satz uns einleuchtet, nicht f o l g t, dass er wahr ist, so ist das Einleuchten auch keine Rechtfertigung für unseren Glauben an seine Wahrheit.
 
5.14               Folgt ein Satz aus einem anderen, so sagt dieser mehr als jener, jener weniger als dieser.
 
5.141           Folgt ''p'' aus ''q'' und ''q'' aus ''p'', so sind sie ein und derselbe Satz.
 
5.142          Die Tautologie folgt aus allen Sätzen: sie sagt Nichts.
 
5.143          Die Kontradiktion ist das Gemeinsame der Sätze, was ke i n Satz mit einem anderen gemein hat. Die Tautologie ist das Gemein- same aller Sätze, welche nichts miteinander gemein haben.
 
Die Kontradiktion verschwindet sozusagen ausserhalb, die Tautologie innerhalb aller Sätze.
 
Die Kontradiktion ist die äussere Grenze der Sätze, die Tau- tologie ihr substanzloser Mittelpunkt.
 
5.15               Ist ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der Wahrheitsgründe des Satzes „''r''“, ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen Wahrheitsgründe des Satzes „''s''“, die zugleich Wahrheitsgründe von „''r''“ sind, dann nennen wir das Verhältnis: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>'' das Mass der Wa h r s ch e i n l i ch ke i t, welche der Satz „''r''“ dem Satz „''s''“ gibt.
 
5.151           Sei in einem Schema wie dem obigen in No. 5.101 ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der „''W'' “ im Satze ''r''; ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen „''W'' “ im Satze ''s'', die in gleichen Kolonnen mit „''W'' “ des Satzes ''r'' stehen. Der Satz ''r'' gibt dann dem Satze ''s'' die Wahrscheinlichkeit: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>''.
 
5.1511 Es gibt keinen besonderen Gegenstand, der den Wahrscheinlich- keitssätzen eigen wäre.
 
5.152          Sätze, welche keine Wahrheitsargumente mit einander gemein haben, nennen wir von einander unabhängig.
 
Von einander unabhängige Sätze (z. B. irgend zwei Elemen- tarsätze) geben einander die Wahrscheinlichkeit ½.
 
Folgt ''p'' aus ''q'', so gibt der Satz „''q''“ dem Satz „''p''“ die Wahrscheinlichkeit 1. Die Gewissheit des logischen Schlusses ist ein Grenzfall der Wahrscheinlichkeit.
 
(Anwendung auf Tautologie und Kontradiktion.)
 
5.153          Ein Satz ist an sich weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich. Ein Ereignis trifft ein, oder es trifft nicht ein, ein Mittelding gibt es nicht.
 
5.154          In einer Urne seien gleichviel weisse und schwarze Kugeln (und keine anderen). Ich ziehe eine Kugel nach der anderen und lege sie wieder in die Urne zurück. Dann kann ich durch den Versuch feststellen, dass sich die Zahlen der gezogenen schwarzen und weissen Kugeln bei fortgesetztem Ziehen einander nähern.
 
D a s ist also kein mathematisches Faktum.
 
Wenn ich nun sage: Es ist gleich wahrscheinlich, dass ich eine weisse Kugel wie eine schwarze ziehen werde, so heisst das: Alle mir bekannten Umstände (die hypothetisch angenommenen Naturgesetze mitinbegriffen) geben dem Eintreffen des einen Ereignisses nicht m e h r Wahrscheinlichkeit als dem Eintreffen des anderen. Das heisst, sie geben—wie aus den obigen Erklärungen leicht zu entnehmen ist—jedem die Wahrscheinlichkeit ½.
 
Was ich durch den Versuch bestätige ist, dass das Eintreffen der beiden Ereignisse von den Umständen, die ich nicht näher kenne, unabhängig ist.
 
5.155           Die Einheit des Wahrscheinlichkeitssatzes ist: Die Umstände— die ich sonst nicht weiter kenne—geben dem Eintreffen eines bestimmten Ereignisses den und den Grad der Wahrscheinlich- keit.
 
5.156          So ist die Wahrscheinlichkeit eine Verallgemeinerung.
 
Sie involviert eine allgemeine Beschreibung einer Satzform. Nur in Ermanglung der Gewissheit gebrauchen wir die Wahrscheinlichkeit.—Wenn wir zwar eine Tatsache  nicht vollkommen kennen, wohl aber e twa s über ihre Form wissen.
 
(Ein Satz kann zwar ein unvollständiges Bild einer gewissen Sachlage sein, aber er ist immer e i n vollständiges Bild.)
 
Der Wahrscheinlichkeitssatz ist gleichsam ein Auszug aus an- deren Sätzen.
 
5.2 Die Strukturen der Sätze stehen in internen Beziehungen zu ein- ander.
 
5.21               Wir können diese internen Beziehungen dadurch in unserer Aus- drucksweise hervorheben, dass wir einen Satz als Resultat einer Operation darstellen, die ihn aus anderen Sätzen (den Basen der Operation) hervorbringt.
 
5.22              Die Operation ist der Ausdruck einer Beziehung zwischen den Strukturen ihres Resultats und ihrer Basen.
 
5.23              Die Operation ist das, was mit dem einen Satz geschehen muss, um aus ihm den anderen zu machen.
 
5.231           Und das wird natürlich von ihren formalen Eigenschaften, von der internen Ähnlichkeit ihrer Formen abhängen.
 
5.232          Die interne Relation, die eine Reihe ordnet, ist äquivalent mit der Operation, durch welche ein Glied aus dem anderen entsteht.
 
5.233          Die Operation kann erst dort auftreten, wo ein Satz auf logisch bedeutungsvolle Weise aus einem anderen entsteht. Also dort, wo die logische Konstruktion des Satzes anfängt.
 
5.234          Die Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind Resultate von Operationen, die die Elementarsätze als Basen haben. (Ich nenne diese Operationen Wahrheitsoperationen.)
 
5.2341 Der Sinn einer Wahrheitsfunktion von ''p'' ist eine Funktion des Sinnes von ''p''.
 
Verneinung, logische Addition, logische Multiplikation, etc., etc. sind Operationen.
 
(Die Verneinung verkehrt den Sinn des Satzes.)
 
5.24 Die Operation zeigt sich in einer Variablen; sie zeigt, wie man von einer Form von Sätzen zu einer anderen gelangen kann.
 
Sie bringt den Unterschied der Formen zum Ausdruck. (Und das Gemeinsame zwischen den Basen und dem Resultat der Operation sind eben die Basen.)
 
5.241           Die Operation kennzeichnet keine Form, sondern nur den Un- terschied der Formen.
 
5.242          Dieselbe Operation, die „''q''“ aus „''p''“ macht, macht aus „''q''“ „''r''“ u. s. f. Dies kann nur darin ausgedrückt sein, dass „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. Variable sind, die gewisse formale Relationen allgemein zum Ausdruck bringen.
 
5.25 Das Vorkommen der Operation charakterisiert den Sinn des Satzes nicht.
 
Die Operation sagt ja nichts aus, nur ihr Resultat, und dies hängt von den Basen der Operation ab.
 
(Operation und Funktion dürfen nicht miteinander verwech- selt werden.)
 
5.251           Eine Funktion kann nicht ihr eigenes Argument sein, wohl aber kann das Resultat einer Operation ihre eigene Basis werden.
 
5.252          Nur so ist das Fortschreiten von Glied zu Glied in einer Formen- reihe (von Type zu Type in den Hierarchien Russells und White- heads) möglich. (Russell und Whitehead haben die Möglichkeit dieses Fortschreitens nicht zugegeben, aber immer wieder von ihr Gebrauch gemacht.)
 
5.2521 Die fortgesetzte Anwendung einer Operation auf ihr eigenes Re- sultat nenne ich ihre successive Anwendung („''O'O'O'a''“  ist das Resultat der dreimaligen successiven Anwendung von „''O'ξ''“  auf „''a''“).
 
In einem ähnlichen Sinne rede ich von der successiven Anwendung m e h r e r e r Operationen auf eine Anzahl von Sätzen.
 
5.2522    Das  allgemeine Glied  einer Formenreihe  ''a'',  ''O'a'',  ''O'O'a'',  ''. . . .'' schreibe ich daher so: „[''a, x, O'x'']“. Dieser Klammerausdruck ist eine Variable. Das erste Glied des Klammerausdruckes ist der Anfang der Formenreihe, das zweite die Form eines beliebigen Gliedes ''x'' der Reihe und das dritte die Form desjenigen Gliedes der Reihe, welches auf ''x'' unmittelbar folgt.
 
5.2523   Der Begriff der successiven Anwendung der Operation ist äqui- valent mit dem Begriff „und so weiter“.
 
5.253           Eine Operation kann die Wirkung einer anderen rückgängig ma- chen. Operationen können einander aufheben.
 
5.254          Die Operation kann verschwinden (z. B. die Verneinung in „∼∼''p''“, ∼∼''p'' = ''p'').
 
5.3          Alle Sätze sind Resultate von Wahrheitsoperationen mit den Elementarsätzen.
 
Die Wahrheitsoperation ist die Art und Weise, wie aus den Elementarsätzen die Wahrheitsfunktion entsteht.
 
Nach dem Wesen der Wahrheitsoperation wird auf die gleiche Weise, wie aus den Elementarsätzen ihre Wahrheitsfunktion, aus Wahrheitsfunktionen eine Neue. Jede Wahrheitsoperation erzeugt aus Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen wieder eine Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen, einen Satz. Das Resultat jeder Wahrheitsoperation mit den Resultaten von Wahrheitsoperationen mit Elementarsätzen ist wieder das Resultat E i n e r Wahrheitsoperation mit Elementarsätzen.
 
Jeder Satz ist das Resultat von Wahrheitsoperationen mit Elementarsätzen.
 
5.31               Die Schemata No. 4.31 haben auch dann eine Bedeutung, wenn „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. nicht Elementarsätze sind.
 
Und es ist leicht zu sehen, dass das Satzzeichen in No. [[Logisch-philosophische Abhandlung#4.442|4.442]], auch wenn „''p''“ und „''q''“ Wahrheitsfunktionen von Elemen- tarsätzen sind, Eine Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen ausdrückt.
 
5.32              Alle Wahrheitsfunktionen sind Resultate der successiven An- wendung einer endlichen Anzahl von Wahrheitsoperationen auf die Elementarsätze.
 
5.4 Hier zeigt es sich, dass es „logische Gegenstände“, „logische Konstante“ (im Sinne Freges und Russells) nicht gibt.
 
5.41               Denn: Alle Resultate von Wahrheitsoperationen mit Wahrheits- funktionen sind identisch, welche eine und dieselbe Wahrheits- funktion von Elementarsätzen sind.
 
5.42           Dass ∨, , etc. nicht Beziehungen im Sinne von  rechts und  links etc. sind, leuchtet ein.
 
Die Möglichkeit des kreuzweisen Definierens der logischen
 
„Urzeichen“ Freges und Russells zeigt schon, dass dies keine Urzeichen sind, und schon erst recht, dass sie keine Relationen bezeichnen.
 
Und es ist offenbar, dass das „⊃“, welches wir durch „∼“ und „∨“ definieren, identisch ist mit dem, durch welches wir „∨ “ mit „∼“ definieren und dass dieses „∨“ mit dem ersten identisch ist. U. s. w.
 
5.43              Dass aus einer Tatsache ''p'' unendlich viele a n d e r e folgen soll- ten, nämlich ∼∼''p'', ∼∼∼∼''p'', etc., ist doch von vornherein kaum zu glauben. Und nicht weniger merkwürdig ist, dass die unend-
 
liche Anzahl der Sätze der Logik (der Mathematik) aus einem halben Dutzend „Grundgesetzen“ folgen.
 
Alle Sätze der Logik sagen aber dasselbe. Nämlich Nichts.
 
5.44              Die Wahrheitsfunktionen sind keine materiellen Funktionen.
 
Wenn man z. B. eine Bejahung durch doppelte Verneinung erzeugen kann, ist dann die Verneinung—in irgend einem Sinn—in der Bejahung enthalten? Verneint „∼∼''p''“ ∼''p'', oder bejaht es ''p''; oder beides?
 
Der Satz „∼∼''p''“ handelt nicht von der Verneinung wie von einem Gegenstand; wohl aber ist die Möglichkeit der Vernei- nung in der Bejahung bereits präjudiziert.
 
Und gäbe es einen Gegenstand, der „∼“ hiesse, so müsste „∼∼''p''“ etwas anderes sagen als „''p''“. Denn der eine Satz würde dann eben von ∼ handeln, der andere nicht.
<span name="_bookmark858"></span>5.441 Dieses Verschwinden der scheinbaren logischen Konstanten tritt<references />