Logisch-philosophische Abhandlung: Difference between revisions

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6.1203 Um eine Tautologie  als  solche zu  erkennen,  kann  man  sich, in den Fällen, in welchen in der Tautologie keine Allgemeinheitsbezeichnung vorkommt, folgender anschaulichen Methode bedienen: Ich schreibe statt „''p''“, „''q''“, „''r''“ etc. „W''p''F“, „W''q''F“, „W''r''F“ etc. Die Wahrheitskombinationen drücke ich durch Klammern aus. z. B.:
6.1203 Um eine Tautologie  als  solche zu  erkennen,  kann  man  sich, in den Fällen, in welchen in der Tautologie keine Allgemeinheitsbezeichnung vorkommt, folgender anschaulichen Methode bedienen: Ich schreibe statt „''p''“, „''q''“, „''r''“ etc. „W''p''F“, „W''q''F“, „W''r''F“ etc. Die Wahrheitskombinationen drücke ich durch Klammern aus. z. B.:


[[File:TLP 6.1203a.png|250px|center|link=]]
[[File:TLP 6.1203a.png|250px|center|link=]]und die Zuordnung der Wahr- oder Falschheit des ganzen Satzes und der Wahrheitskombinationen der Wahrheitsargumente durch Striche auf folgende Weise:[[File:TLP 6.1203b.png|250px|center|link=]]Dies Zeichen würde also z. B. den Satz ''p'' ⊃ ''q'' darstellen. Nun will ich z. B. den Satz ∼(''p .'' ∼''p'') (Gesetz des Widerspruchs) daraufhin untersuchen, ob er eine Tautologie ist. Die Form „∼''ξ''“ wird in unserer Notation[[File:TLP 6.1203c.png|120px|center|link=]]geschrieben; die Form „''ξ . η''“ so:[[File:TLP 6.1203d.png|250px|center|link=]]Daher lautet der Satz ∼(''p .'' ∼''q'') so:[[File:TLP 6.1203e.png|200px|center|link=]]Setzen wir hier statt „''q''“ „''p''“ ein und untersuchen die Verbin- dung der äussersten W und F mit den innersten, so ergibt sich, dass die Wahrheit des ganzen Satzes a l l e n Wahrheits- kombinationen seines Argumentes, seine Falschheit keiner der Wahrheitskombinationen zugeordnet ist.


[[File:TLP 6.1203b.png|250px|center|link=]]
6.121           Die Sätze der Logik demonstrieren die logischen Eigenschaften der Sätze, indem sie sie zu nichtssagenden Sätzen verbinden.


[[File:TLP 6.1203c.png|150px|center|link=]]
Diese Methode könnte man auch eine Nullmethode nennen. Im logischen Satz werden Sätze miteinander ins Gleichgewicht gebracht und der Zustand des Gleichgewichts zeigt dann an, wie diese Sätze logisch beschaffen sein müssen.


[[File:TLP 6.1203d.png|250px|center|link=]]
6.122          Daraus ergibt sich, dass wir auch ohne die logischen Sätze auskommen können, da wir ja in einer entsprechenden Notation die formalen Eigenschaften der Sätze durch das blosse Ansehen dieser Sätze erkennen können.


[[File:TLP 6.1203e.png|200px|center|link=]]
6.1221 Ergeben z. B. zwei Sätze „''p''“ und „''q''“ in der Verbindung „''p'' ⊃ ''q''“ eine Tautologie, so ist klar, dass ''q'' aus ''p'' folgt.


<references />
Dass z. B. „''q''“ aus „''p'' ⊃ ''q . p''“ folgt, ersehen wir aus diesen beiden Sätzen selbst, aber wir können es auch s o zeigen, indem wir sie zu „''p'' ⊃ ''q . p'' : ⊃ : ''q''“ verbinden und nun zeigen, dass dies eine Tautologie ist.
 
6.1222 Dies wirft ein Licht  auf die Frage,  warum die logischen Sät-  ze nicht durch die Erfahrung bestätigt werden können, ebenso wenig, wie sie durch die Erfahrung widerlegt werden können. Nicht nur muss ein Satz der Logik durch keine mögliche Er- fahrung widerlegt werden können, sondern er darf auch nicht durch eine solche bestätigt werden können.
 
6.1223 Nun wird klar, warum man oft fühlte, als wären die „logischen Wahrheiten“ von uns zu „f o r d e r n“: Wir können sie nämlich insofern fordern, als wir eine genügende Notation fordern kön- nen.
 
6.1224 Es wird jetzt auch klar, warum die Logik die Lehre von den Formen und vom Schliessen genannt wurde.
 
6.123          Es ist klar: Die logischen Gesetze dürfen nicht selbst wieder logischen Gesetzen unterstehen.
 
(Es gibt nicht, wie Russell meinte, für jede „Type“ ein eigenes Gesetz des Widerspruches, sondern Eines genügt, da es auf sich selbst nicht angewendet wird.)
 
6.1231 Das Anzeichen des logischen Satzes ist n i cht die Allgemeingültigkeit.
 
Allgemein sein, heisst ja nur: Zufälligerweise für alle Dinge gelten. Ein unverallgemeinerter Satz kann ja ebensowohl tau- tologisch sein, als ein verallgemeinerter.
 
6.1232 Die logische Allgemeingültigkeit könnte man wesentlich nen- nen, im Gegensatz zu jener zufälligen, etwa des Satzes „alle Menschen sind sterblich“. Sätze, wie Russells „Axiom of redu- cibility“ sind nicht logische Sätze, und dies erklärt unser Ge- fühl: Dass sie, wenn wahr, so doch nur durch einen günstigen Zufall wahr sein könnten.
 
6.1233 Es lässt sich eine Welt denken, in der das Axiom of reducibility nicht gilt. Es ist aber klar, dass die Logik nichts mit der Frage zu schaffen hat, ob unsere Welt wirklich so ist oder nicht.
 
6.124           Die logischen Sätze beschreiben das Gerüst der Welt, oder viel- mehr, sie stellen es dar. Sie „handeln“ von nichts. Sie setzen voraus, dass Namen Bedeutung, und Elementarsätze Sinn ha- ben: Und dies ist ihre Verbindung mit der Welt. Es ist klar, dass es etwas über die Welt anzeigen muss, dass gewisse Ver- bindungen von Symbolen—welche wesentlich einen bestimmten Charakter haben—Tautologien sind. Hierin liegt das Entschei- dende. Wir sagten, manches an den Symbolen, die wir gebrau- chen, wäre willkürlich, manches nicht. In der Logik drückt nur dieses aus: Dass heisst aber, in der Logik drücken nicht w i r mit Hilfe der Zeichen aus, was wir wollen, sondern in der Logik sagt die Natur der naturnotwendigen Zeichen selbst aus: Wenn wir die logische Syntax irgend einer Zeichensprache kennen, dann sind bereits alle Sätze der Logik gegeben.
 
6.125          Es ist möglich, und zwar auch nach der alten Auffassung der Logik, von vornherein eine Beschreibung aller „wahren“ logi- schen Sätze zu geben.
 
6.1251 Darum kann es in der Logik auch n i e Überraschungen geben.
 
6.126          Ob ein Satz der Logik angehört, kann man berechnen, indem man die logischen Eigenschaften des S y mb o l s berechnet.
Und dies tun wir, wenn wir einen logischen Satz „beweisen“. Denn, ohne uns um einen Sinn und eine Bedeutung zu küm- mern, bilden wir den logischen Satz aus anderen nach blossen Z e i ch e n r e g e l n.
Der Beweis der logischen Sätze besteht darin, dass wir sie aus anderen logischen Sätzen durch successive Anwendung ge- wisser Operationen entstehen lassen, die aus den ersten immer wieder Tautologien erzeugen. (Und zwar f o l g e n aus einer Tautologie nur Tautologien.)
 
Natürlich ist diese Art zu zeigen, dass ihre Sätze Tautolo- gien sind, der Logik durchaus unwesentlich. Schon darum, weil die Sätze, von welchen der Beweis ausgeht, ja ohne Beweis zeigen müssen, dass sie Tautologien sind.
 
6.1261 In der Logik sind Prozess und Resultat äquivalent. (Darum keine Überraschung.)
 
6.1262 Der Beweis in der Logik ist nur ein mechanisches Hilfsmittel zum leichteren Erkennen der Tautologie, wo sie kompliziert ist.
 
6.1263 Es wäre ja auch zu merkwürdig, wenn man einen sinnvollen Satz l o g i s ch aus anderen beweisen könnte, und einen logi- schen Satz a u c h. Es ist von vornherein klar, dass der logische Beweis eines sinnvollen Satzes und der Beweis i n der Logik zwei ganz verschiedene Dinge sein müssen.
 
6.1264 Der sinnvolle Satz sagt etwas aus, und sein Beweis zeigt, dass es so ist; in der Logik ist jeder Satz die Form eines Beweises.
 
Jeder Satz der Logik ist ein in Zeichen dargestellter modus ponens. (Und den modus ponens kann man nicht durch einen Satz ausdrücken.)
 
6.1265 Immer kann man die Logik so auffassen, dass jeder Satz sein eigener Beweis ist.
 
6.127          Alle Sätze der Logik sind gleichberechtigt, es gibt unter ihnen nicht wesentlich Grundgesetze und abgeleitete Sätze.
 
Jede Tautologie zeigt selbst, dass sie eine Tautologie ist.
<span name="_bookmark984"></span>6.1271 Es ist klar, dass die Anzahl der „logischen Grundgesetze“ will- kürlich ist, denn man könnte die Logik ja aus Einem Grundge- setz ableiten, indem man einfach z. B. aus Freges Grundgesetzen das logische Produkt bildet. (Frege würde vielleicht sagen, dass dieses Grundgesetz nun nicht mehr unmittelbar einleuch- te. Aber es ist merkwürdig, dass ein so exakter Denker wie Frege sich auf den Grad des Einleuchtens als Kriterium des logischen Satzes berufen hat.)
6.13 Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. Die Logik ist transcendental.
 
6.2 Die Mathematik ist eine logische Methode.
 
Die Sätze der Mathematik sind Gleichungen also Scheinsätze.
 
6.21 Der Satz der Mathematik drückt keinen Gedanken aus.
 
6.211 Im Leben ist es ja nie der mathematische Satz, den wir brau- chen, sondern wir benützen den mathematischen Satz nu r, um aus Sätzen, welche nicht der Mathematik angehören, auf andere zu schliessen, welche gleichfalls nicht der Mathematik angehören.
 
(In der Philosophie führt die Frage „wozu gebrauchen wir eigentlich jenes Wort, jenen Satz“ immer wieder zu wertvollen Einsichten.)
 
6.22               Die Logik der Welt, die die Sätze der Logik in den Tautologien zeigen, zeigt die Mathematik in den Gleichungen.
 
6.23               Wenn zwei Ausdrücke durch das Gleichheitszeichen verbunden werden, so heisst das, sie sind durch einander ersetzbar. Ob dies aber der Fall ist muss sich an den beiden Ausdrücken selbst zeigen.
 
Es charakterisiert die logische Form zweier Ausdrücke, dass sie durch einander ersetzbar sind.
 
6.231           Es ist eine Eigenschaft der Bejahung, dass man sie als doppelte Verneinung auffassen kann.
 
Es ist eine Eigenschaft von „1 + 1 + 1 + 1“, dass man es als „(1 + 1) + (1 + 1)“ auffassen kann.
 
6.232          Frege sagt, die beiden Ausdrücke haben dieselbe Bedeutung, aber verschiedenen Sinn.
 
Das Wesentliche an der Gleichung ist aber, dass sie nicht notwendig ist, um zu zeigen, dass die beiden Ausdrücke, die das Gleichheitszeichen verbindet, dieselbe Bedeutung haben, da sich dies aus den beiden Ausdrücken selbst ersehen lässt.
 
6.2321 Und, dass die Sätze der Mathematik bewiesen werden können, heisst ja nichts anderes, als dass ihre Richtigkeit einzusehen ist, ohne dass das, was sie ausdrücken, selbst mit den Tatsachen auf seine Richtigkeit hin verglichen werden muss.
 
6.2322 Die Identität der Bedeutung zweier Ausdrücke lässt sich nicht b e h a u p t e n. Denn um etwas von ihrer Bedeutung behaupten zu können, muss ich ihre Bedeutung kennen: und indem ich ihre Bedeutung kenne, weiss ich, ob sie dasselbe oder verschie- denes bedeuten.
 
6.2323 Die Gleichung kennzeichnet nur den Standpunkt, von welchem ich die beiden Ausdrücke betrachte, nämlich vom Standpunkte ihrer Bedeutungsgleichheit.
 
6.233          Die Frage, ob man zur Lösung der mathematischen Probleme die Anschauung brauche, muss dahin beantwortet werden, dass eben die Sprache hier die nötige Anschauung liefert.
 
6.2331 Der Vorgang des R e ch n e n s vermittelt eben diese Anschau- ung.
 
Die Rechnung ist kein Experiment.
 
6.234          Die Mathematik ist eine Methode der Logik.
 
6.2341 Das Wesentliche der mathematischen Methode ist es, mit Glei- chungen zu arbeiten. Auf dieser Methode beruht es nämlich, dass jeder Satz der Mathematik sich von selbst verstehen muss.
 
6.24 Die Methode der Mathematik, zu ihren Gleichungen zu kom- men, ist die Substitutionsmethode.
 
Denn die Gleichungen drücken die Ersetzbarkeit zweier Ausdrücke aus und wir schreiten von einer Anzahl von Gleichungen zu neuen Gleichungen vor, indem wir, den Gleichungen entsprechend, Ausdrücke durch andere ersetzen.
 
6.241    So lautet der Beweis des Satzes 2 × 2 = 4:<references />