Bemerkungen über Frazers “The Golden Bough”: Difference between revisions

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Von der Magie müsste die Tiefe beibehalten werden. — Ja das Ausschalten <s>jeder</s> der Magie hat hier den Charakter der Magie selbst. {{MS reference|(MS 110, p. 177)}}
Von der Magie müsste die Tiefe beibehalten werden. — Ja das {{udashed|Ausschalten}} <s>jeder</s> der Magie hat hier den Charakter der Magie selbst. {{MS reference|(MS 110, p. 177)}}


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Denn wenn ich damit anfing von der »Welt« zu reden (und nicht von diesem Baum oder Tisch) was wollte ich anderes als etwas Höheres in meine Worte bannen.] {{MS reference|(MS 110, p. 178)}}
Denn wenn ich damit anfing von der »<u>Welt</u>« zu reden (und nicht von diesem Baum oder Tisch) was wollte ich anderes als etwas Höheres in meine Worte bannen.] {{MS reference|(MS 110, p. 178)}}


Man muss beim Irrtum ansetzen und ihn in die Wahrheit überführen.
Man muss beim Irrtum ansetzen und ihn in die Wahrheit überführen.
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Ich muss immer wieder im Wasser des Zweifels untertauchen.
Ich muss immer wieder im Wasser des Zweifels untertauchen.


Frazers Darstellung der magischen und religiösen Anschauungen der Menschen ist unbefriedigend: sie lässt diese Anschauungen als ''Irrtümer'' erscheinen.
Frazers Darstellung der magischen und religiösen Anschauungen der Menschen ist {{udashed|unbefriedigend}}: sie lässt diese Anschauungen als ''Irrtümer'' erscheinen.


So war also Augustinus im Irrtum, wenn er Gott auf jeder Seite der ''Confessiones'' anruft?
So war also Augustinus im Irrtum, wenn er Gott auf jeder Seite der ''Confessiones'' anruft?
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Ich glaube, dass das Unternehmen einer Erklärung schon darum verfehlt ist, weil man nur richtig zusammenstellen muss, was man ''weiß'', und nichts dazusetzen, und die Befriedigung, die durch die Erklärung angestrebt wird, ergibt sich von selbst.
Ich glaube, dass das Unternehmen einer Erklärung schon darum verfehlt ist, weil man nur richtig zusammenstellen muss, was man ''weiß'', und nichts dazusetzen, und die Befriedigung, die durch die Erklärung angestrebt wird, ergibt sich von selbst.


Und die Erklärung ist es hier gar nicht, die befriedigt. Wenn Frazer anfängt und uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt, so tut er dies in einem Ton, der zeigt, dass er fühlt und uns fühlen lassen will, dass hier etwas Merkwürdiges und Furchtbares geschieht. Die Frage aber »warum geschieht dies?« wird eigentlich dadurch beantwortet: Weil es furchtbar ist. Das heißt, dasselbe, was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig, tragisch, etc., nichts weniger als trivial und bedeutungslos vorkommt, ''das'' hat diesen Vorgang ins Leben gerufen. {{MS reference|(TS 211, p. 314)}}
Und die Erklärung ist es hier gar nicht, die befriedigt. Wenn Frazer anfängt und uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt, so tut er dies in einem Ton, der zeigt, dass er fühlt und uns fühlen lassen will, dass hier etwas Merkwürdiges und Furchtbares geschieht. Die Frage aber »warum geschieht dies?« wird eigentlich dadurch beantwortet: Weil es furchtbar ist. Das heißt, dasselbe, was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig, tragisch, etc., nichts weniger als trivial und bedeutungslos vorkommt, ''das'' hat diesen {{udashed|Vorgang}} ins Leben gerufen. {{MS reference|(TS 211, p. 314)}}


Nur ''beschreiben'' kann man hier und sagen: so ist das menschliche Leben.
Nur ''beschreiben'' kann man hier und sagen: so ist das menschliche Leben.
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Man möchte sagen: Dieser und dieser Vorgang hat stattgefunden; lach', wenn Du kannst. {{MS reference|(TS 211, p. 315)}}
Man möchte sagen: Dieser und dieser Vorgang hat stattgefunden; lach', wenn Du kannst. {{MS reference|(TS 211, p. 315)}}


Die religiösen Handlungen, oder das religiöse Leben des Priesterkönigs ist von keiner andern Art, als jede echt religiöse Handlung heute, etwa ein Geständnis der Sünden. Auch dieses lässt sich »''erklären''« und lässt sich nicht erklären.
Die religiösen Handlungen, oder das religiöse Leben des Priesterkönigs ist von keiner andern Art, als jede echt religiöse Handlung {{udashed|heute}}, etwa ein Geständnis der Sünden. Auch dieses lässt sich »''erklären''« und lässt sich nicht erklären.


In effigie verbrennen. Das Bild der Geliebten küssen. Das basiert ''natürlich nicht'' auf einem Glauben an eine bestimmte Wirkung auf den Gegenstand, den das Bild darstellt. Es bezweckt eine Befriedigung und erreicht sie auch. Oder vielmehr, es ''bezweckt'' gar nichts; wir handeln eben so und fühlen uns dann befriedigt.
In effigie verbrennen. Das Bild der Geliebten küssen. Das basiert ''natürlich nicht'' auf einem Glauben an eine bestimmte Wirkung auf den Gegenstand, den das Bild darstellt. Es bezweckt eine Befriedigung und erreicht sie auch. Oder vielmehr, es ''bezweckt'' gar nichts; wir handeln eben so und fühlen uns dann befriedigt.
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Wie irreführend die Erklärungen Frazers sind, sieht man — glaube ich — daraus, dass man primitive Gebräuche sehr wohl selbst erdichten könnte und es müsste ein Zufall sein, wenn sie nicht irgendwo wirklich gefunden würden. Das heißt, das Prinzip, nach welchem diese Gebräuche geordnet sind, ist ein viel allgemeineres als Frazer es erklärt und in unserer eigenen Seele vorhanden, so dass wir uns alle Möglichkeiten selbst ausdenken könnten. — Dass etwa der König eines Stammes für niemanden sichtbar bewahrt wird, können wir uns wohl vorstellen, aber auch, dass jeder {{MS reference|(TS 211, p. 317)}} Mann des Stammes ihn sehen soll. Das letztere wird dann gewiss nicht in irgendeiner mehr oder weniger zufälligen Weise geschehen dürfen, sondern er wird den Leuten ''gezeigt'' werden. Vielleicht wird ihn niemand berühren dürfen, vielleicht aber jeder berühren ''müssen''. Denken wir daran, dass nach Schuberts Tod sein Bruder Partituren Schuberts in kleine Stücke zerschnitt und seinen Lieblingsschülern solche Stücke von einigen Takten gab. Diese Handlung, als Zeichen der Pietät, ist uns ''ebenso'' verständlich, wie die andere, die Partituren unberührt, niemandem zugänglich, aufzubewahren. Und hätte Schuberts Bruder die Partituren verbrannt, so wäre auch das als Zeichen der Pietät verständlich.
Wie irreführend die Erklärungen Frazers sind, sieht man — glaube ich — daraus, dass man primitive Gebräuche sehr wohl selbst erdichten könnte und es müsste ein Zufall sein, wenn sie nicht irgendwo wirklich gefunden würden. Das heißt, das Prinzip, nach welchem diese Gebräuche geordnet sind, ist ein viel allgemeineres als Frazer es erklärt und in unserer eigenen Seele vorhanden, so dass wir uns alle Möglichkeiten selbst ausdenken könnten. — Dass etwa der König eines Stammes für niemanden sichtbar bewahrt wird, können wir uns wohl vorstellen, aber auch, dass jeder {{MS reference|(TS 211, p. 317)}} Mann des Stammes ihn sehen soll. Das letztere wird dann gewiss nicht in irgendeiner mehr oder weniger zufälligen Weise geschehen dürfen, sondern er wird den Leuten ''gezeigt'' werden. Vielleicht wird ihn niemand berühren dürfen, vielleicht aber jeder berühren ''müssen''. Denken wir daran, dass nach Schuberts Tod sein Bruder Partituren Schuberts in kleine Stücke zerschnitt und seinen Lieblingsschülern solche Stücke von einigen Takten gab. Diese Handlung, als Zeichen der Pietät, ist uns ''ebenso'' verständlich, wie die andere, die Partituren unberührt, niemandem zugänglich, aufzubewahren. Und hätte Schuberts Bruder die Partituren verbrannt, so wäre auch das als Zeichen der Pietät verständlich.


Das Zeremonielle (heiße oder kalte) im Gegensatz zum Zufälligen (lauen) charakterisiert die Pietät.
Das Zeremonielle (heiße oder kalte) im Gegensatz zum {{udashed|Zufälligen}} (lauen) charakterisiert die Pietät.


Ja, Frazers Erklärungen wären überhaupt keine Erklärungen, wenn sie nicht letzten Endes an eine Neigung in uns selbst appellierten.
Ja, Frazers Erklärungen wären überhaupt keine Erklärungen, wenn sie nicht letzten Endes an eine Neigung in uns selbst appellierten.


Das Essen und Trinken ist mit Gefahren verbunden, nicht nur für den Wilden, sondern auch für uns; nichts natürlicher, als dass man sich vor diesen schützen will; und nun könnten wir uns selbst solche Schutzmaßnahmen ausdenken. — Aber nach welchem Prinzip denken wir sie uns aus //nach welchem Prinzip erdichten wir sie//? Offenbar danach, dass alle Gefahren der Form nach auf einige sehr einfache reduziert werden, die dem Menschen ohne weiteres sichtbar sind. Also nach dem selben Prinzip, nach dem die ungebildeten Leute unter uns sagen, die Krankheit ziehe sich vom Kopf in die Brust etc., etc.. In diesen einfachen Bildern wird natürlich die Personifikation eine große Rolle spielen, denn, dass Menschen (also Geister) dem Menschen gefährlich werden können, ist uns //jedem// bekannt.
Das Essen und Trinken ist mit Gefahren verbunden, nicht nur für den Wilden, sondern auch für uns; nichts natürlicher, als dass man sich vor {{udashed|diesen}} schützen will; und nun könnten wir uns selbst solche Schutzmaßnahmen ausdenken. — Aber nach welchem Prinzip denken wir sie uns aus //nach welchem Prinzip erdichten wir sie//? Offenbar danach, dass alle Gefahren der Form nach auf einige sehr einfache reduziert werden, die dem Menschen ohne weiteres sichtbar sind. Also nach dem selben Prinzip, nach dem die ungebildeten Leute unter uns sagen, die Krankheit ziehe sich vom Kopf in die Brust etc., etc.. In diesen einfachen Bildern wird natürlich die Personifikation eine große Rolle spielen, denn, dass Menschen (also Geister) dem Menschen gefährlich werden können, ist uns //jedem// bekannt.


Dass der Schatten des Menschen, der wie ein Mensch ausschaut, oder sein Spiegelbild, dass Regen, Gewitter, die Mondphasen, der Jahreszeitwechsel, die Ähnlichkeit uns Verschiedenheit der Tiere unter einander und zum Menschen, die Erscheinungen des Todes, der Geburt und der Geschlechts-{{MS reference|(TS 211, p. 318)}}lebens, kurz alles, was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, in mannigfaltigster Weise mit einander verknüpft, in seinem Denken (seiner Philosophie) und seinen Gebräuchen auftreten //eine Rolle spielen// wird, ist selbstverständlich, oder ist eben das, was wir wirklich wissen und interessant ist.
Dass der Schatten des Menschen, der wie ein Mensch ausschaut, oder sein Spiegelbild, dass Regen, Gewitter, die Mondphasen, der Jahreszeitwechsel, die Ähnlichkeit uns Verschiedenheit der Tiere unter einander und zum Menschen, die Erscheinungen des Todes, der Geburt und der Geschlechts-{{MS reference|(TS 211, p. 318)}}lebens, kurz alles, was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, in mannigfaltigster Weise mit einander verknüpft, in seinem Denken (seiner Philosophie) und seinen Gebräuchen auftreten //eine Rolle spielen// wird, ist selbstverständlich, oder ist eben das, was wir wirklich wissen und interessant ist.
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Wir müssen die ganze Sprache durchpflügen.
Wir müssen die ganze Sprache durchpflügen.


Frazer: »... That these observances are dictated by fear of the ghost of the slain seems certain; ...« Aber warum gebraucht Frazer denn das Wort »ghost«? Er versteht also sehr wohl diesen Aberglauben, da er ihn uns mit einem ihm geläufigen abergläubischen Wort erklärt. Oder vielmehr, er hätte daraus sehen können, dass auch in uns etwas für jene Handlungsweisen der Wilden spricht. — Wenn ich, der ich nicht glaube, dass es irgendwo menschlich-übermenschliche Wesen gibt, die man Götter nennen kann — wenn ich sage: »ich fürchte die Rache der Götter«, so zeigt das, dass ich damit etwas meinen (kann), oder einer Empfindung Ausdruck geben kann, die nicht notwendig {{MS reference|(TS 211, p. 320)}} mit jenem Glauben verbunden ist.
Frazer: »... That these observances are dictated by fear of the ghost of the slain seems certain; ...« Aber warum gebraucht Frazer denn das Wort »ghost«? Er versteht also sehr wohl diesen Aberglauben, da er ihn uns mit einem ihm geläufigen abergläubischen Wort erklärt. Oder vielmehr, er hätte daraus sehen können, dass auch in uns etwas für jene Handlungsweisen der Wilden spricht. — Wenn ich, der ich nicht glaube, dass es irgendwo menschlich-übermenschliche Wesen gibt, die man Götter nennen kann — wenn ich sage: »ich fürchte die Rache der Götter«, so zeigt das, dass ich damit etwas meinen ({{udashed|kann}}), oder einer Empfindung Ausdruck geben kann, die nicht notwendig {{MS reference|(TS 211, p. 320)}} mit jenem Glauben verbunden ist.


Frazer wäre im Stande zu glauben, dass ein Wilder aus Irrtum stirbt. In Volksschullesebüchern steht, dass Attila seine großen Kriegszüge unternommen hat, weil er glaubte, das Schwert des Donnergottes zu besitzen.
Frazer wäre im Stande zu glauben, dass ein Wilder aus Irrtum stirbt. In Volksschullesebüchern steht, dass Attila seine großen Kriegszüge unternommen hat, weil er glaubte, das Schwert des Donnergottes zu besitzen.
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Ich könnte mir denken, dass ich die Wahl gehabt hätte, ein Wesen der Erde als die Wohnung für meine Seele zu wählen und dass mein Geist dieses unansehnliche (nicht-anziehende) Geschöpf als seinen Sitz und Aussichtspunkt gewählt hätte. Etwa, weil ihm {{MS reference|(MS 110 p. 253)}} die Ausnahme eines schönen Sitzes zuwider wäre. Dazu müsste freilich der Geist seiner selbst sehr sicher sein.
Ich könnte mir denken, dass ich die Wahl gehabt hätte, ein Wesen der Erde als die Wohnung für meine Seele zu wählen und dass mein Geist dieses unansehnliche ({{udashed|nicht-anziehende}}) Geschöpf als seinen Sitz und Aussichtspunkt gewählt hätte. Etwa, weil ihm {{MS reference|(MS 110 p. 253)}} die Ausnahme eines schönen Sitzes zuwider wäre. Dazu müsste freilich der Geist seiner selbst sehr sicher sein.


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[Wenn ich über etwas wütend bin, so schlage ich manchmal mit meinem Stock auf die Erde oder an einen Baum, etc. Aber ich glaube doch nicht, dass die Erde schuld ist, oder das Schlagen etwas helfen kann. »Ich lasse meinen Zorn aus«. Und dieser Art sind alle Riten. Solche Handlungen kann man Instinkt-{{MS reference|(MS 110, p. 297)}}Handlungen nennen. — Und eine historische Erklärung, etwa dass ich früher oder meine Vorfahren früher geglaubt haben, das Schlagen der Erde helfe etwas, sind Spiegelfechtereien, denn sie sind überflüssige Annahmen, die ''nichts'' erklären. Wichtig ist die Ähnlichkeit des Aktes mit einem Akt der Züchtigung, aber mehr als diese Ähnlichkeit ist nichts zu konstatieren.
[Wenn ich über etwas wütend bin, so schlage ich manchmal mit meinem Stock auf die Erde oder an einen Baum, etc. Aber ich glaube doch nicht, dass die Erde schuld ist, oder das Schlagen etwas helfen kann. »Ich lasse meinen Zorn aus«. Und dieser Art sind alle Riten. Solche Handlungen kann man Instinkt-{{MS reference|(MS 110, p. 297)}}Handlungen nennen. — Und eine historische Erklärung, etwa dass ich früher oder meine Vorfahren früher geglaubt haben, das Schlagen der Erde helfe etwas, sind Spiegelfechtereien, denn sie sind überflüssige Annahmen, die ''nichts'' erklären. Wichtig ist die Ähnlichkeit des Aktes mit einem Akt der Züchtigung, aber mehr als diese Ähnlichkeit ist nichts zu konstatieren.


Ist ein solches Phänomen einmal mit einem Instinkt, den ich selber besitze, in Verbindung gebracht, so ist eben dies die gewünschte »ersehnte« Erklärung; d.h. die welche das besondere puzzlement »diese besondere Schwierigkeit« löst. Und eine Betrachtung »weitere Forschung« über die Geschichte meines Instinkts bewegt sich nun auf andern Bahnen.
Ist ein solches Phänomen einmal mit einem Instinkt, den ich selber besitze, in Verbindung gebracht, so ist eben dies die {{udashed|gewünschte »ersehnte«}} Erklärung; d.h. die welche das besondere puzzlement »diese besondere {{udashed|Schwierigkeit}}« löst. Und eine Betrachtung »weitere Forschung« über die Geschichte meines Instinkts bewegt sich nun auf andern Bahnen.


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Man könnte sagen, nicht ihre Vereinigung (von Eiche und Mensch) hat zu diesen Riten die Veranlassung gegeben, sondern vielleicht ihre Trennung. {sondern, in gewissem Sinne, ihre Trennung}.
Man könnte sagen, nicht ihre Vereinigung (von Eiche und Mensch) hat zu diesen Riten die {{udashed|Veranlassung}} gegeben, sondern vielleicht ihre Trennung. {sondern, in gewissem Sinne, ihre Trennung}.


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Hier scheint die Hypothese erst der Sache Tiefe zu geben. Und man kann sich an die Erklärung des seltsamen Verhältnisses von Siegfried und Brunhild im neueren Nibelungenlied erinnern. Nämlich dass Siegfried Brunhilde schon früher einmal gesehen zu haben scheint. Es ist nun klar, dass, was diesem Gebrauch Tiefe gibt, sein ''Zusammenhang'' mit dem Verbrennen eines Menschen ist. Wenn es bei irgendeinem Fest Sitte wäre, dass Menschen (wie beim Roß-und- Reiter-Spiel) auf einander reiten, so würden wir darin nichts sehen als eine Form des Tragens, die an das Reiten des Menschen auf einem Pferd erinnert; — wüssten wir aber, dass es unter vielen Völkern Sitte gewesen wäre «↓ etwa» Sklaven als Reittiere zu benützen und so beritten gewisse Feste zu feiern, so würden wir jetzt in dem harmlosen Gebrauch unserer Zeit etwas Tieferes und weniger Harmloses entdecken. »sehen«. »finden«. Die Frage ist: haftet dieses — sagen wir — Finstere dem Gebrauch des Beltane Feuers wie er vor 100 Jahren geübt wurde (an sich) an, oder nur dann, wenn die Hypothese seiner Entstehung sich bewahrheiten sollte. Ich glaube, es ist offenbar die innere {{MS reference|(MS 143, p. 11)}} Natur des »neuzeitlichen« Gebrauchs selbst, die uns finster anmutet, und die uns bekannten Tatsachen von Menschenopfern weisen nur die Richtung, in der wir den Gebrauch ansehen sollen. Wenn ich von der inneren Natur des Gebrauchs rede, meine ich alle Umstände, in denen er geübt wird, und die in dem Bericht von so einem Fest nicht enthalten sind, da sie nicht sowohl in bestimmten Handlungen bestehen, die das Fest charakterisieren, als in dem was man den Geist des Festes nennen könnte, welcher beschrieben würde, indem man z.B. die Art von Leuten beschriebe, die daran teilnehmen, ihre übrige Handlungsweise, d.h. ihren Charakter; die Art der Spiele, die sie sonst spielen. Und man würde dann sehen, dass das Finstere im Charakter dieser Menschen selbst liegt. {{MS reference|(MS 143, p. 12)}}
Hier scheint die Hypothese erst der Sache Tiefe zu geben. Und man kann sich an die Erklärung des seltsamen Verhältnisses von Siegfried und Brunhild im neueren Nibelungenlied erinnern. Nämlich dass Siegfried Brunhilde schon früher einmal gesehen zu haben scheint. Es ist nun klar, dass, was diesem Gebrauch Tiefe gibt, sein ''Zusammenhang'' mit dem Verbrennen eines Menschen ist. Wenn es bei irgendeinem Fest Sitte wäre, dass Menschen (wie beim Roß-und- Reiter-Spiel) auf einander reiten, so würden wir darin nichts sehen als eine Form des Tragens, die an das Reiten des Menschen auf einem Pferd erinnert; — wüssten wir aber, dass es unter vielen Völkern Sitte gewesen wäre «↓ etwa» Sklaven als Reittiere zu benützen und so beritten gewisse Feste zu feiern, so würden wir jetzt in dem harmlosen Gebrauch unserer Zeit etwas Tieferes und weniger Harmloses {{udashed|entdecken. »sehen«. »finden«.}} Die Frage ist: haftet dieses — sagen wir — Finstere dem Gebrauch des Beltane Feuers wie er vor 100 Jahren geübt wurde (an sich) an, oder nur dann, wenn die Hypothese seiner Entstehung sich bewahrheiten sollte. Ich glaube, es ist offenbar die innere {{MS reference|(MS 143, p. 11)}} Natur des »neuzeitlichen« Gebrauchs selbst, die uns finster anmutet, und die uns bekannten Tatsachen von Menschenopfern weisen nur die Richtung, in der wir den Gebrauch ansehen sollen. Wenn ich von der inneren Natur des Gebrauchs rede, meine ich alle Umstände, in denen er geübt wird, und die in dem Bericht von so einem Fest nicht enthalten sind, da sie nicht sowohl in bestimmten Handlungen bestehen, die das Fest charakterisieren, als in dem was man den Geist des Festes nennen könnte, welcher beschrieben würde, indem man z.B. die Art von Leuten beschriebe, die daran teilnehmen, ihre übrige Handlungsweise, d.h. ihren Charakter; die Art der Spiele, die sie sonst spielen. Und man würde dann sehen, dass das Finstere im Charakter dieser Menschen selbst liegt. {{MS reference|(MS 143, p. 12)}}


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Dann liegt das Tiefe also nur im Gedanken an jene Abstammung. Aber diese kann doch ganz unsicher sein und man möchte sagen: »wozu sich über eine so unsichere Sache Sorgen machen ›sorgen‹« (wie eine rückwärts schauende Kluge Else). Aber solche Sorgen sind es nicht. — Vor allem: woher die Sicherheit dass ein solcher Gebrauch uralt sein muss (was sind unsre Daten, was ist die Verifikation)? Aber haben wir denn eine Sicherheit, können wir uns nicht darin irren und des Irrtums «↓ historisch» überführt werden? Gewiss, aber es bleibt dann noch immer etwas, dessen wir sicher sind. Wir würden «↓ dann» sagen »Gut in diesem einen Fall mag die Herkunft anders sein, aber im allgemeinen ist sie sicher die vorzeitliche«. Was uns dafür ''Evidenz'' ist, das muss die Tiefe dieser Annahme enthalten. Und diese Evidenz ist wieder eine «↓ nicht- hypothetische» psychologische. Wenn ich nämlich sage: das Tiefe an diesem Gebrauch liegt in seiner Herkunft, ''wenn'' es sich so zugetragen hat. So <s>muss</s> liegt also entweder das Tiefe in dem Gedanken an so eine Herkunft oder das Tiefe ist «↓ selbst» nur hypothetisch und man kann nur sagen: ''Wenn'' es sich so zugetragen {{MS reference|(MS 143, p. 14)}} hat, so war das eine finstere tiefe Geschichte. Ich will sagen: Das Finstere, Tiefe liegt nicht darin, dass es sich mit der Geschichte dieses Gebrauches so verhalten hat, denn vielleicht hat es sich gar nicht so verhalten; auch nicht darin, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat, sondern in dem, was mir Grund gibt, das anzunehmen. Ja woher überhaupt das Tiefe und Finstere im Menschenopfer. Denn sind es nur die Leiden des Opfers die uns den Eindruck machen? Krankheiten aller Art, die mit ebensoviel Leiden verbunden sind, rufen diesen Eindruck ''doch'' nicht hervor. Nein, dies Tiefe und Finstere versteht sich nicht von selbst, wenn wir nur die Geschichte der äußeren Handlung erfahren, sondern ''wir'' tragen es wieder hinein aus einer Erfahrung in unserm Innern.
Dann liegt das Tiefe also nur im Gedanken an jene Abstammung. Aber diese kann doch ganz unsicher sein und man möchte sagen: »wozu sich über eine so unsichere Sache Sorgen machen ›sorgen‹« (wie eine rückwärts schauende Kluge Else). Aber solche Sorgen sind es nicht. — Vor allem: woher die Sicherheit dass ein solcher Gebrauch uralt sein muss (was sind unsre Daten, was ist die Verifikation)? Aber haben wir denn eine Sicherheit, können wir uns nicht darin irren und des Irrtums «↓ historisch» überführt werden? Gewiss, aber es bleibt dann noch immer etwas, dessen wir sicher sind. Wir würden «↓ dann» sagen »Gut in diesem einen Fall mag die Herkunft anders sein, aber im allgemeinen ist sie sicher die vorzeitliche«. Was uns dafür ''Evidenz'' ist, das muss die Tiefe dieser Annahme enthalten. Und diese Evidenz ist wieder eine «↓ nicht- hypothetische» psychologische. Wenn ich nämlich sage: das Tiefe an diesem Gebrauch liegt in seiner Herkunft, ''wenn'' es sich so zugetragen hat. So <s>muss</s> liegt also entweder das Tiefe in dem Gedanken an so eine Herkunft oder das Tiefe ist «↓ selbst» nur hypothetisch und man kann nur sagen: ''Wenn'' es sich so zugetragen {{MS reference|(MS 143, p. 14)}} hat, so war das eine finstere tiefe Geschichte. Ich will sagen: Das Finstere, Tiefe liegt nicht darin, dass es sich mit der Geschichte dieses Gebrauches so verhalten hat, denn vielleicht hat es sich gar nicht so verhalten; auch nicht darin, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat, sondern in dem, was mir Grund gibt, das anzunehmen. Ja woher überhaupt das Tiefe und Finstere im Menschenopfer. Denn sind es nur die Leiden des Opfers die uns den Eindruck machen? Krankheiten aller Art, die mit ebensoviel Leiden verbunden sind, rufen diesen Eindruck ''doch'' nicht hervor. Nein, dies Tiefe und Finstere versteht sich nicht von selbst, wenn wir nur die Geschichte der äußeren Handlung erfahren, sondern ''wir'' tragen es wieder hinein aus einer Erfahrung in unserm Innern.


Die Tatsache, dass das Los durch einen Kuchen gezogen wird, hat (auch) etwas besonders Schreckliches (beinahe wie der Verrat durch einen Kuss), und dass uns das besonders schrecklich anmutet, hat wieder eine wesentliche Bedeutung für die Untersuchung solcher {{MS reference|(MS 143, p. 15)}} Gebräuche {eines solchen Gebrauchs}.
Die Tatsache, dass das Los durch einen Kuchen gezogen wird, hat (auch) etwas besonders {{udashed|Schreckliches}} (beinahe wie der Verrat durch einen Kuss), und dass uns das besonders schrecklich anmutet, hat wieder eine wesentliche Bedeutung für die Untersuchung solcher {{MS reference|(MS 143, p. 15)}} Gebräuche {eines solchen Gebrauchs}.


Es ist, wenn ich so einen Gebrauch sehe, von ihm höre, wie wenn ich einen Mann sehe, wie er bei »Gelegenheit« geringfügigem Anlass streng mit einem andern spricht, und aus dem Ton «↓ der Stimme» und dem Gesicht merke, dass dieser Mann bei gegebenem Anlass furchtbar sein kann. Der Eindruck, den ich hier erhalte, kann ein sehr tiefer und außerordentlich ernster sein.
Es ist, wenn ich so einen Gebrauch sehe, von ihm höre, wie wenn ich einen Mann sehe, wie er bei »Gelegenheit« geringfügigem Anlass streng mit einem andern spricht, und aus dem Ton «↓ der Stimme» und dem Gesicht merke, dass dieser Mann bei gegebenem Anlass furchtbar sein kann. Der Eindruck, den ich hier erhalte, kann ein sehr tiefer und außerordentlich ernster sein.
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Die ''Umgebung'' einer Handlungsweise.
Die ''Umgebung'' einer Handlungsweise.


Eine <s>Annahme</s> Überzeugung liegt jedenfalls den Annahmen über den Ursprung des Beltanefestes — z.B. — zu Grunde; die ist, dass solche Feste nicht von einem Menschen, sozusagen aufs Geratewohl, erfunden werden, sondern eine unendlich viel breitere Basis brauchen, um sich zu erhalten. Wollte ich ein Fest erfinden, so würde es baldigst aussterben oder aber auf solcher Weise modifiziert werden, dass es einem allgemeinen Hang der Leute entspricht.
Eine {{udashed|<s>Annahme</s>}} Überzeugung liegt jedenfalls den Annahmen über den Ursprung des Beltanefestes — z.B. — zu Grunde; die ist, dass solche Feste nicht von einem Menschen, sozusagen aufs Geratewohl, erfunden werden, sondern eine unendlich viel breitere Basis brauchen, um sich zu erhalten. Wollte ich ein Fest erfinden, so würde es baldigst aussterben oder aber auf solcher Weise modifiziert werden, dass es einem allgemeinen Hang der Leute entspricht.


Was aber wehrt sich dagegen anzunehmen, das Beltanefest sei immer in der gegenwärtigen (oder jüngstvergangenen) Form gefeiert worden? Man möchte sagen: Es ist zu sinnlos, um so erfunden worden {{MS reference|(MS 143, p. 16)}} zu sein. Ist es nicht, wie wenn ich eine Ruine sehe und sage: das muss einmal ein Haus gewesen sein, denn niemand würde einen so beschaffenen Haufen behauener und unregelmäßiger Steine errichten? Und wenn gefragt würde: Woher weißt du das, so könnte ich nur sagen: Meine Erfahrung mit den Menschen lehrt es mich. Ja selbst da, wo sie wirklich Ruinen bauen, nehmen sie die Formen von eingestürzten Häusern her.
Was aber wehrt sich dagegen anzunehmen, das Beltanefest sei immer in der gegenwärtigen (oder jüngstvergangenen) Form gefeiert worden? Man möchte sagen: Es ist zu sinnlos, um so erfunden worden {{MS reference|(MS 143, p. 16)}} zu sein. Ist es nicht, wie wenn ich eine Ruine sehe und sage: das muss einmal ein Haus gewesen sein, denn niemand würde einen so beschaffenen Haufen behauener und unregelmäßiger Steine errichten? Und wenn gefragt würde: Woher weißt du das, so könnte ich nur sagen: Meine Erfahrung mit den Menschen lehrt es mich. Ja selbst da, wo sie wirklich Ruinen bauen, nehmen sie die Formen von eingestürzten Häusern her.
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Das kann man sich sehr gut denken — und als Grund wäre etwa angegeben worden, dass die Schutzheiligen sonst gegeneinander ziehen würden und dass nur einer die Sache dirigieren könne. Aber auch das wohl nur eine (nachträgliche) Ausdeutung des Instinkts.
Das kann man sich sehr gut denken — und als Grund wäre etwa angegeben worden, dass die Schutzheiligen sonst gegeneinander ziehen würden und dass nur einer die Sache dirigieren könne. Aber auch das wohl nur eine ({{udashed|nachträgliche}}) Ausdeutung des Instinkts.


Alle diese ''verschiedenen'' Gebräuche zeigen, dass es sich hier nicht um die Abstammung des einen vom andern handelt, {{MS reference|(MS 143, p. 21)}} sondern um einen gemeinsamen Geist. Und man könnte alle diese Zeremonien selber erfinden (erdichten). Und der Geist, aus dem man sie erfände, wäre eben ihr gemeinsamer Geist.
Alle diese ''verschiedenen'' Gebräuche zeigen, dass es sich hier nicht um die Abstammung des einen vom andern handelt, {{MS reference|(MS 143, p. 21)}} sondern um einen gemeinsamen Geist. Und man könnte alle diese Zeremonien selber erfinden (erdichten). Und der Geist, aus dem man sie erfände, wäre eben ihr gemeinsamer Geist.