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Nun gilt das Gleiche für das andere von mir angeführte Erlebnis, das Erlebnis der absoluten Sicherheit. Im gewöhnlichen Leben wissen wir alle, was es heißt, sicher zu sein. In meinem Zimmer bin ich sicher, wenn ich von einem Omnibus nicht überfahren werden kann. Ich bin sicher, wenn ich Keuchhusten hatte und ihn daher nicht wieder kriegen kann. Im Wesentlichen heißt »sicher sein«, dass es physikalisch unmöglich ist, dass mir bestimmte Dinge geschehen, und daher ist es Unsinn zu sagen, dass ich sicher bin, ''egal was'' geschieht. Wie das andere Beispiel ein Missbrauch des Worts »Existenz« bzw. »erstaunen« war, ist dies auch ein Missbrauch des Worts »sicher«. Nun möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich ein bestimmter charakteristischer Missbrauch unserer Sprache durch ''alle'' ethischen und religiösen Ausdrücke zieht. | Nun gilt das Gleiche für das andere von mir angeführte Erlebnis, das Erlebnis der absoluten Sicherheit. Im gewöhnlichen Leben wissen wir alle, was es heißt, sicher zu sein. In meinem Zimmer bin ich sicher, wenn ich von einem Omnibus nicht überfahren werden kann. Ich bin sicher, wenn ich Keuchhusten hatte und ihn daher nicht wieder kriegen kann. Im Wesentlichen heißt »sicher sein«, dass es physikalisch unmöglich ist, dass mir bestimmte Dinge geschehen, und daher ist es Unsinn zu sagen, dass ich sicher bin, ''egal was'' geschieht. Wie das andere Beispiel ein Missbrauch des Worts »Existenz« bzw. »erstaunen« war, ist dies auch ein Missbrauch des Worts »sicher«. Nun möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich ein bestimmter charakteristischer Missbrauch unserer Sprache durch ''alle'' ethischen und religiösen Ausdrücke zieht. | ||
All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unsere Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness (Hrsg.): ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967, S. 118.:< | All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unsere Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness (Hrsg.): ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967, S. 118.: | ||
<blockquote style="margin-left: 2em;">''{{small caps|Wittgenstein}}: Daß hier ein Zusammenhang besteht, haben die Menschen gefühlt und das so ausgedrückt: Gottvater hat die Welt erschaffen, Gott-Sohn (oder das Wort, das von Gott ausgeht) ist das Ethische''. […]</blockquote> | |||
Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl überein, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weitere Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_note-7|''Anm. d. Übers''. Nr. 7]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst wie ein Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein. | Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl überein, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weitere Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_note-7|''Anm. d. Übers''. Nr. 7]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst wie ein Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein. | ||