Vermischte Bemerkungen 


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Ludwig Wittgenstein

Vermischte Bemerkungen

 

Originaltext: Ludwig Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen. Herausgegeben von G. H. Von Wright. Ludwig Wittgenstein Werkausgabe, Band 8. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2006. Wittgensteins Bemerkungen, aus denen dieses Werk besteht, sind gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für das Herkunftsland des Werks und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers.

Das Ludwig Wittgenstein Project ist dankbar an die Erben G.H. von Wrights, für die Gewährung (ob und wenn diese Benötigt ist), für die Veröffentlichung dieses Textes als Webausgabe, und für die Freilassung dieses Textes unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike license, sollten die Urheberrechte noch mit den Erben G.H. von Wright liegen. Es ist weiterhin unklar, ob die Urheberrechte dieses Textes mit G.H. von Wright bleiben, aufgrund seiner Leistung diese Bemerkungen von Wittgensteins Manuskripten auszuwählen.

Der musikalische Auszug von dem “Leidenschaftlich” Motiv in der Bemerkung von 1931 in dieser Ausgabe stammt nicht von der Suhrkamp Werkausgabe, auf die der Rest von diesem Text basiert. Der musikalische Auszug ist eine Abbildung von der Zeichnung, die als Teil des 2022-2024 “Wittgenstein Nachlass Graphics” Project von Michele Lavazza, mit Beratung von Daphne Bielefeld, und unter der Leitung von Alois Pichler von der Wittgenstein Archives and der Universität Bergen produziert worden ist. Diese Abbildung ist unter dem Creative Commons Attribution license genehmigt. Aus diesem Grund wurde die Fußnote von G.H. von Wright über die originale Zeichnung hier ausgelassen. Für mehr Infos, klicken Sie bitte diesen Link.


Vorwort

Im handschriftlichen Nachlaß von Wittgenstein kommen häufig Aufzeichnungen vor, die nicht unmittelbar zu den philosophischen Werken gehören, obgleich sie unter den philosophischen Texten zerstreut sind. Diese Aufzeichnungen sind teils autobiographisch, teils betreffen sie die Natur der philosophischen Tätigkeit, teils handeln sie von Gegenständen allgemeiner Art wie z. B. von Fragen der Kunst oder der Religion. Sie vom philosophischen Text scharf zu trennen ist nicht immer möglich; in vielen Fällen hat Wittgenstein jedoch selbst eine solche Trennung angedeutet – durch den Gebrauch von Parenthesen oder auf andere Weise.

Einige dieser Aufzeichnungen sind ephemär, andere jedoch – die Mehrzahl – von großem Interesse. Manchmal sind sie von augenfälliger Schönheit und Tiefe. Es war den Nachlaßverwaltern klar, daß eine Anzahl dieser Aufzeichnungen veröffentlicht werden müßte. G. H. von Wright wurde beauftragt, eine Auslese vorzunehmen und zusammenzustellen.

Die Aufgabe war recht schwierig; zu verschiedenen Zeiten machte ich mir verschiedene Vorstellungen davon, wie sie am besten zu bewältigen wäre. So z. B. stellte ich mir anfangs vor, man könne die Bemerkungen nach den behandelten Gegenständen gruppieren – etwa »Musik«, »Architektur«, »Shakespeare«, »Aphorismen zur Lebensweisheit«, »Philosophie«, u. dgl. Manchmal sind die Bemerkungen ohne Zwang in solche Gruppen einreihbar, aber im Ganzen würde eine derartige Aufspaltung des Materials wohl künstlich wirken. Ich hatte ferner einmal gedacht, auch bereits Gedrucktes mitaufzunehmen. Viele der eindrucksvollsten »Aphorismen« Wittgensteins findet man ja in den philosophischen Werken – in den Tagebüchern aus dem ersten Weltkrieg, im Tractatus, und auch in den Untersuchungen. Ich möchte sagen: inmitten dieser Kontexte üben die Aphorismen Wittgensteins tatsächlich ihre stärkste Wirkung aus. Aber eben darum schien es mir nicht richtig, sie aus ihrem Zusammenhang zu reißen.

Auch hatte mir einmal vorgeschwebt, die Auswahl nicht allzu umfangreich zu machen, sondern nur die »besten« Bemerkungen aufzunehmen. Eine große Materialmenge würde, wie ich meinte, den Eindruck der guten Bemerkungen nur schwächen. Das ist wohl richtig – aber meine Aufgabe war nicht die eines Geschmacksrichters. Auch habe ich mir im allgemeinen nicht zugetraut, zwischen wiederholten Formulierungen desselben oder fast desselben Gedankens eine Wahl zu treffen. Selbst die Wiederholungen kamen mir oft als zur Sache gehörig vor.

Am Ende habe ich mich für dasjenige Ausleseprinzip entschieden, das mir als einziges unbedingt richtig vorkam. Ich ließ die Aufzeichnungen rein »persönlicher« Art aus der Sammlung weg – d. h. Aufzeichnungen, in denen Wittgenstein über seine äußeren Lebensumstände, seine Gemütsverfassung und Beziehungen zu anderen, zum Teil noch lebenden Personen berichtet. Diese Aufzeichnungen waren von den übrigen im allgemeinen leicht zu trennen und ihr Interesse liegt auf einer anderen Ebene als das der hier gedruckten. Nur in einigen wenigen Fällen, wo diese beiden Bedingungen nicht erfüllt erschienen, habe ich auch solche Notizen autobiographischer Art aufgenommen.

Die Bemerkungen erscheinen hier in chronologischer Ordnung mit Angabe des Jahres, dem sie entstammen. Es muß auffallen, daß beinahe die Hälfte der Bemerkungen aus der Zeit nach dem Abschluß (1945) des ersten Teils der Philosophischen Untersuchungen stammt.

Einem Leser, der nicht mit den Lebensumständen oder mit der Lektüre Wittgensteins vertraut ist, werden manche der Bemerkungen ohne eine nähere Erklärung dunkel oder rätselhaft vorkommen. In vielen Fällen wäre es denn auch möglich gewesen, Erklärungen durch kommentierende Fußnoten zu geben. Mit ganz wenigen Ausnahmen jedoch habe ich auf Kommentare verzichtet. Sei es nebenbei bemerkt, daß alle Fußnoten vom Herausgeber herrühren.

Es ist unvermeidlich, daß ein Buch wie dieses auch in die Hände von Lesern gerät, denen das philosophische Werk Wittgensteins sonst unbekannt ist und auch bleiben wird. Das muß nicht unbedingt schädlich oder nutzlos sein. Es ist indessen meine Überzeugung, daß man diese Aufzeichnungen nur gegen den Hintergrund von Wittgensteins Philosophie richtig verstehen und schätzen kann und darüber hinaus, daß sie zum Verständnis dieser Philosophie beitragen.

Die Auswahl der Bemerkungen aus den Handschriften wurde in den Jahren 1965-1966 vorgenommen. Dann habe ich die Arbeit bis zum Jahre 1974 liegenlassen. Bei der schließlichen Auslese und Zusammenstellung der Sammlung hat mir Herr Heikki Nyman geholfen. Er hat auch die genaue Übereinstimmung der Textstellen mit den Handschriften kontrolliert und manche Fehler und Lücken meines Typoskripts beseitigt. Ich bin ihm für seine mit großer Sorgfalt und gutem Geschmack ausgeführte Arbeit sehr dankbar; ohne diese Hilfe hätte ich mich wahrscheinlich nie entschließen können, die Sammlung für den Druck fertigzustellen. Auch Herrn Rush Rhees schulde ich tiefen Dank für Korrekturen in dem hergestellten Text und für wertvolle Ratschläge bei der Auswahl.

Helsinki, im Januar 1977

Georg Henrik von Wright

Vorwort zur zweiten Ausgabe

Diese Neuausgabe der »Vermischten Bemerkungen« enthält zusätzliches Material, zum größten Teil aus einem Notizbuch, das wahrscheinlich aus dem Jahr 1944 stammt.

Helsinki, im Juni 1978

G. H. v. W.


Ludwig Wittgenstein

Vermischte Bemerkungen


Wenn wir einen Chinesen hören, so sind wir geneigt, sein Sprechen für ein unartikuliertes Gurgeln zu halten. Einer, der chinesisch versteht, wird darin die Sprache erkennen. So kann ich oft nicht den Menschen im Menschen erkennen.

1914


Meine Art des Philosophierens ist mir selbst immer noch, und immer wieder, neu, und daher muß ich mich so oft wiederholen. Einer anderen Generation wird sie in Fleisch und Blut übergegangen sein, und sie wird die Wiederholungen langweilig finden. Für mich sind sie notwendig.

1929


Es ist gut, daß ich mich nicht beeinflussen lasse!

1929


Ein gutes Gleichnis erfrischt den Verstand.

1929


Es ist schwer einem Kurzsichtigen einen Weg zu beschreiben. Weil man ihm nicht sagen kann: »schau auf den Kirchturm dort 10 Meilen von uns und geh’ in dieser Richtung.«

1929


In keiner religiösen Konfession ist soviel durch den Mißbrauch metaphysischer Ausdrücke gesündigt worden, wie in der Mathematik.

1929


Der menschliche Blick hat es an sich, daß er die Dinge kostbar machen kann, allerdings werden sie dann auch teurer.

1929


Laß nur die Natur sprechen und über der Natur kenne nur ein höheres, aber nicht das, was die anderen denken könnten.

1929


Die Tragödie besteht darin, daß sich der Baum nicht biegt, sondern bricht. Die Tragödie ist etwas unjüdisches. Mendelssohn ist wohl der untragischste Komponist.

1929


Jeden Morgen muß man wieder durch das tote Gerölle dringen, um zum lebendigen, warmen Kern zu kommen.

1929


Ein neues Wort ist wie ein frischer Same, der in den Boden der Diskussion geworfen wird.

1929


Mit dem vollen philosophischen Rucksack kann ich nur langsam den Berg der Mathematik steigen.

1929


Mendelssohn ist nicht eine Spitze, sondern eine Hochebene. Das englische an ihm.

1929


Niemand kann einen Gedanken für mich denken, wie mir niemand als ich den Hut aufsetzen kann.

1929


Wer ein Kind mit Verständnis schreien hört, der wird wissen, daß andere seelische Kräfte, furchtbare, darin schlummern, als man gewöhnlich annimmt. Tiefe Wut und Schmerz und Zerstörungsucht.[1]

1929


Mendelssohn ist wie ein Mensch, der nur lustig ist, wenn alles ohnehin lustig ist, oder gut, wenn alle um ihn gut sind, und nicht eigentlich wie ein Baum, der fest steht, wie er steht, was immer um ihn vorgehen mag. Ich selber bin auch so ähnlich und neige dazu, es zu sein.

1929


Mein Ideal ist eine gewisse Kühle. Ein Tempel, der den Leidenschaften als Umgebung dient, ohne in sie hineinzureden.

1929


Ich denke oft darüber, ob mein Kulturideal ein neues, d. h. ein zeitgemäßes oder eines aus der Zeit Schumanns ist. Zum mindesten scheint es mir eine Fortsetzung dieses Ideals zu sein, und zwar nicht die Fortsetzung, die es damals tatsächlich erhalten hat. Also unter Ausschluß der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich muß sagen, daß das rein instinktmäßig so geworden ist, und nicht als Resultat einer Überlegung.

1929


Wenn wir an die Zukunft der Welt denken, so meinen wir immer den Ort, wo sie sein wird, wenn sie so weiter läuft, wie wir sie jetzt laufen sehen, und denken nicht, daß sie nicht gerade läuft, sondern in einer Kurve, und ihre Richtung sich konstant ändert.

1929


Ich glaube, das gute Österreichische (Grillparzer, Lenau, Bruckner, Labor) ist besonders schwer zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit.

1929


Wenn etwas gut ist, so ist es auch göttlich. Damit ist seltsamerweise meine Ethik zusammengefaßt.

Nur das übernatürliche kann das Übernatürliche ausdrücken.

1929


Man kann die Menschen nicht zum Guten führen; man kann sie nur irgendwohin führen. Das Gute liegt außerhalb des Tatsachenraums.

1929


Ich sagte neulich zu Arvid[2], mit dem ich im Kino einen uralten Film gesehen hatte: Ein jetziger Film verhielte sich zum alten, wie ein heutiges Automobil zu einem von vor 25 Jahren. Er wirkt ebenso lächerlich und ungeschickt, wie dieses und die Verbesserung des Films entspricht einer technischen Verbesserung, wie der des Automobils. Sie entspricht nicht der Verbesserung – wenn man das so nennen darf – eines Kunststils. Ganz ähnlich müßte es auch in der modernen Tanzmusik gehen. Ein Jazztanz müßte sich verbessern lassen, wie ein Film. Das, was alle diese Entwicklungen von dem Werden eines Stils unterscheidet, ist die Unbeteiligung des Geistes.

1930


Ich habe einmal, und vielleicht mit Recht, gesagt: Aus der früheren Kultur wird ein Trümmerhaufen und am Schluß ein Aschenhaufen werden, aber es werden Geister über der Asche schweben.

1930


Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Architekten besteht heute darin, daß dieser jeder Versuchung erliegt, während der rechte ihr standhält.

1930


Die Lücke, die der Organismus des Kunstwerks aufweist, will man mit Stroh ausstopfen, um aber das Gewissen zu beruhigen, nimmt man das beste Stroh.

1930


Wenn Einer die Lösung des Problems des Lebens gefunden zu haben glaubt, und sich sagen wollte, jetzt ist alles ganz leicht, so brauchte er sich zu seiner Widerlegung nur erinnern, daß es eine Zeit gegeben hat, wo diese »Lösung« nicht gefunden war; aber auch zu der Zeit mußte man leben können, und im Hinblick auf sie erscheint die gefundene Lösung wie ein Zufall. Und so geht es uns in der Logik. Wenn es eine »Lösung« der logischen (philosophischen) Probleme gäbe, so müßten wir uns nur vorhalten, daß sie ja einmal nicht gelöst waren (und auch da mußte man leben und denken können).

1930


Engelmann sagte mir, wenn er zu Hause in seiner Lade voll von seinen Manuskripten krame, so kämen sie ihm so wunderschön vor, daß er denke, sie wären es wert, den anderen Menschen gegeben zu werden. (Das sei auch der Fall, wenn er Briefe seiner verstorbenen Verwandten durchsehe.) Wenn er sich aber eine Auswahl davon herausgegeben denkt, so verliere die Sache jeden Reiz und Wert und werde unmöglich. Ich sagte, wir hatten hier einen Fall ähnlich folgendem: Es könnte nichts merkwürdiger sein, als einen Menschen bei irgend einer ganz einfachen alltäglichen Tätigkeit, wenn er sich unbeobachtet glaubt, zu sehen. Denken wir uns ein Theater, der Vorhang ginge auf und wir sähen einen Menschen allein in seinem Zimmer auf und ab gehen, sich eine Zigarette anzünden, sich niedersetzen, u. s. f., so, daß wir plötzlich von außen einen Menschen sähen, wie man sich sonst nie sehen kann; wenn wir quasi ein Kapitel einer Biographie mit eigenen Augen sähen, – das müßte unheimlich und wunderbar zugleich sein. Wunderbarer als irgend etwas, was ein Dichter auf der Bühne spielen oder sprechen lassen könnte, wir würden das Leben selbst sehen. – Aber das sehen wir ja alle Tage, und es macht uns nicht den mindesten Eindruck! Ja, aber wir sehen es nicht in der Perspektive. – So, wenn E. seine Schriften ansieht und sie wunderbar findet (die er doch einzeln nicht veröffentlichen möchte), so sieht er sein Leben als ein Kunstwerk Gottes, und als das ist es allerdings betrachtenswert, jedes Leben und Alles. Doch kann nur der Künstler das Einzelne so darstellen, daß es uns als Kunstwerk erscheint; jene Manuskripte verlieren mit Recht ihren Wert, wenn man sie einzeln, und überhaupt, wenn man sie unvoreingenommen, das heißt, ohne schon vorher begeistert zu sein, betrachtet. Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand ein Stück Natur, wie jedes andre, und daß wir es durch die Begeisterung erheben können, das berechtigt niemand es uns vorzusetzen. (Ich muß immer an eine jener faden Naturaufnahme[n] denken, die der, der sie aufgenommen interessant findet, weil er dort selbst war, etwas erlebt hat; der Dritte aber mit berechtigter Kälte betrachtet, wenn es überhaupt gerechtfertigt ist, ein Ding mit Kälte zu betrachten.)

Nun scheint mir aber, gibt es außer der Arbeit des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie aeterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens, der gleichsam über die Welt hinfliege und sie so läßt, wie sie ist – sie von oben vom Fluge betrachtend.

1930


Ich lese in Renans ›Peuple d’Israël‹: »La naissance, la maladie, la mort, le délire, la catalepsie, le sommeil, les rêves frappaient infiniment, et, même aujourd’hui, il n’est donné qu’à un petit nombre de voir clairement que ces phénomènes ont leurs causes dans notre organisation.«[3] Im Gegenteil, es besteht gar kein Grund, sich über diese Dinge zu wundern, weil sie so alltäglich sind. Wenn sich der primitive Mensch über sie wundern muß, wieviel mehr der Hund und der Affe. Oder nimmt man an, daß die Menschen quasi plötzlich aufgewacht sind, und diese Dinge, die schon immer da waren, nun plötzlich bemerken und begreiflicherweise erstaunt waren? – Ja, etwas Ähnliches könnte man sogar annehmen; aber nicht, daß sie diese Dinge zum erstenmal wahrnehmen, sondern, daß sie plötzlich anfangen, sich über sie zu wundern. Das aber hat wieder nichts mit ihrer Primitivität zu tun. Es sei denn, daß man es primitiv nennt, sich nicht über die Dinge zu wundern, dann aber sind gerade die heutigen Menschen und Renan selbst primitiv, wenn er glaubt, die Erklärung der Wissenschaft könne das Staunen heben.

Als ob der Blitz heute alltäglicher oder weniger staunenswert wäre als vor 2000 Jahren.

Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel um ihn wieder einzuschläfern.

D. h., es ist einfach falsch zu sagen: Natürlich, diese primitiven Völker mußten alle Phänomene anstaunen. Vielleicht aber richtig, diese Völker haben alle Dinge ihrer Umgebung angestaunt. – Daß sie sie anstaunen mußten, ist ein primitiver Aberglaube. (Wie der, daß sie sich vor allen Naturkräften fürchten mußten, und wir uns natürlich nicht fürchten brauchen. Aber die Erfahrung mag lehren, daß gewisse primitive Stämme sehr zur Furcht vor den Naturphänomenen neigen. – Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß hochzivilisierte Völker wieder zu eben dieser Furcht neigen werden, und ihre Zivilisation und die wissenschaftliche Kenntnis kann sie nicht davor schützen. Freilich ist es wahr, daß der Geist, in dem die Wissenschaft heute betrieben wird, mit einer solchen Furcht nicht vereinbar ist.)

1930


Wenn Renan vom ›bon sens précoce‹ der semitischen Rassen spricht (eine Idee, die mir vor langer Zeit schon vorgeschwebt ist), so ist das das Undichterische, unmittelbar auf’s Konkrete gehende. Das, was meine Philosophie bezeichnet.

Die Dinge liegen unmittelbar da vor unsern Augen, kein Schleier über ihnen. – Hier trennen sich Religion und Kunst.

1930


ZU EINEM VORWORT:[4]

Dieses Buch ist für diejenigen geschrieben, die dem Geist, in dem es geschrieben ist, freundlich gegenüberstehen. Dieser Geist ist, glaube ich, ein anderer als der des großen Stromes der europäischen und amerikanischen Zivilisation. Der Geist dieser Zivilisation, dessen Ausdruck die Industrie, Architektur, Musik, der Faschismus und Sozialismus unserer Zeit ist, ist dem Verfasser fremd und unsympathisch. Dies ist kein Werturteil. Nicht, als ob er glaubte, daß was sich heute als Architektur ausgibt, Architektur wäre, und nicht, als ob er dem, was moderne Musik heißt, nicht das größte Mißtrauen entgegenbrächte (ohne ihre Sprache zu verstehen), aber das Verschwinden der Künste rechtfertigt kein absprechendes Urteil über eine Menschheit. Denn echte und starke Naturen wenden sich eben in dieser Zeit von dem Gebiet der Künste ab, und anderen Dingen zu, und der Wert des Einzelnen kommt irgendwie zum Ausdruck. Freilich nicht wie zur Zeit einer großen Kultur. Die Kultur ist gleichsam eine große Organisation, die jedem, der zu ihr gehört, seinen Platz anweist, an dem er im Geist des Ganzen arbeiten kann, und seine Kraft kann mit großem Recht an seinem Erfolg im Sinne des Ganzen gemessen werden. Zur Zeit der Unkultur aber zersplittern sich die Kräfte und die Kraft des Einzelnen wird durch entgegengesetzte Kräfte und Reibungswiderstände verbraucht, und kommt nicht in der Länge des durchlaufenen Weges zum Ausdruck, sondern vielleicht nur in der Wärme, die er beim Überwinden der Reibungswiderstände erzeugt hat. Aber Energie bleibt Energie, und wenn so das Schauspiel, das dieses Zeitalter bietet, auch nicht das des Werdens eines großen Kulturwerkes ist, in dem die Besten dem gleichen großen Zweck zuarbeiten, sondern das wenig imposante Schauspiel einer Menge, deren Beste nur privaten Zielen nachstreben, so dürfen wir nicht vergessen, daß es auf das Schauspiel nicht ankommt.

Ist es mir so klar, daß das Verschwinden einer Kultur nicht das Verschwinden menschlichen Wertes bedeutet, sondern bloß gewisser Ausdrucksmittel dieses Werts, so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß ich dem Strom der europäischen Zivilisation ohne Sympathie zusehe, ohne Verständnis für die Ziele, wenn sie welche hat. Ich schreibe also eigentlich für Freunde, welche in Winkeln der Welt verstreut sind.


Ob ich von dem typischen westlichen Wissenschaftler verstanden oder geschätzt werde, ist mir gleichgültig, weil er den Geist, in dem ich schreibe, doch nicht versteht. Unsere Zivilisation ist durch das Wort ›Fortschritt‹ charakterisiert. Der Fortschritt ist ihre Form, nicht eine ihrer Eigenschaften, daß sie fortschreitet. Sie ist typisch aufbauend. Ihre Tätigkeit ist es, ein immer komplizierteres Gebilde zu konstruieren. Und auch die Klarheit dient doch nur wieder diesem Zweck und ist nicht Selbstzweck. Mir dagegen ist die Klarheit, die Durchsichtigkeit, Selbstzweck.

Es interessiert mich nicht, ein Gebäude aufzuführen, sondern die Grundlagen der möglichen Gebäude durchsichtig vor mir zu haben.

Mein Ziel ist also ein anderes als das der Wissenschaftler, und meine Denkbewegung von der ihrigen verschieden.


Jeder Satz, den ich schreibe, meint immer schon das Ganze, also immer wieder dasselbe und es sind gleichsam nur Ansichten eines Gegenstandes unter verschiedenen Winkeln betrachtet.


Ich könnte sagen: Wenn der Ort, zu dem ich gelangen will, nur auf einer Leiter zu ersteigen wäre, gäbe ich es auf, dahin zu gelangen. Denn dort, wo ich wirklich hin muß, dort muß ich eigentlich schon sein.

Was auf einer Leiter erreichbar ist, interessiert mich nicht.


Die erste Bewegung reiht einen Gedanken an den anderen, die andere zielt immer wieder nach demselben Ort.

Die eine Bewegung baut und nimmt Stein auf Stein in die Hand, die andere greift immer wieder nach demselben.

1930


Die Gefahr eines langen Vorworts[5] ist die, daß der Geist eines Buchs sich in diesem zeigen muß, und nicht beschrieben werden kann. Denn ist ein Buch nur für wenige geschrieben, so wird sich das eben dadurch zeigen, daß nur wenige es verstehen. Das Buch muß automatisch die Scheidung derer bewirken, die es verstehen, und die es nicht verstehen. Auch das Vorwort ist eben für die geschrieben, die das Buch verstehen.

Es hat keinen Sinn jemandem etwas zu sagen, was er nicht versteht, auch wenn man hinzusetzt, daß er es nicht verstehen kann. (Das geschieht so oft mit einem Menschen, den man liebt.)

Willst Du nicht, daß gewisse Menschen in ein Zimmer gehen, so hänge ein Schloß vor, wozu sie keinen Schlüssel haben. Aber es ist sinnlos, darüber mit ihnen zu reden, außer Du willst doch, daß sie das Zimmer von außen bewundern!

Anständigerweise, hänge ein Schloß vor die Türe, das nur denen auffällt die es öffnen können, und den andern nicht.

Aber es ist richtig zu sagen, daß das Buch, meiner Meinung nach, mit der fortschreitenden europäischen und amerikanischen Zivilisation nichts zu tun hat.

Daß diese Zivilisation vielleicht die notwendige Umgebung dieses Geistes ist, aber daß sie verschiedene Ziele haben.

Alles rituelle (quasi Hohepriesterische) ist streng zu vermeiden, weil es unmittelbar in Fäulnis übergeht.

Ein Kuß ist freilich auch ein Ritus und er fault nicht, aber eben nur soviel Ritus ist erlaubt, als so echt ist, wie ein Kuß.

Es ist eine große Versuchung den Geist explizit machen zu wollen.

1930


Wo man an die Grenze seiner eigenen Anständigkeit stößt, dort entsteht quasi ein Wirbel der Gedanken, ein endloser Regreß: Man mag sagen, was man will, es führt einen nicht weiter.

1930


Ich lese in Lessing (über die Bibel)[6]: »Setzt hierzu noch die Einkleidung und den Stil ..., durchaus voll Tautologien, aber solchen, die den Scharfsinn üben, indem sie bald etwas anderes zu sagen scheinen, und doch das nämliche sagen, bald das nämliche zu sagen scheinen, und im Grunde etwas anderes bedeuten oder bedeuten können.«

1930


Wenn ich nicht recht weiß, wie ein Buch anfangen, so kommt das daher, daß noch etwas unklar ist. Denn ich möchte mit dem der Philosophie gegebenen, den geschriebenen und gesprochenen Sätzen, quasi den Büchern, anfangen.

Und hier begegnet man der Schwierigkeit des »Alles fließt«. Und mit ihr ist vielleicht überhaupt anzufangen.

1930


Wer seiner Zeit nur voraus ist, den holt sie einmal ein.

1930


Die Musik scheint manchem eine primitive Kunst zu sein, mit ihren wenigen Tönen und Rhythmen. Aber einfach ist nur ihre Oberfläche, während der Körper, der die Deutung dieses manifesten Inhalts ermöglicht, die ganze unendliche Komplexität besitzt, die wir in dem Äußeren der anderen Künste angedeutet finden, und die die Musik verschweigt. Sie ist in gewissem Sinne die raffinierteste aller Künste.

1931


Es gibt Probleme, an die ich nie herankomme, die nicht in meiner Linie oder in meiner Welt liegen. Probleme der abendländischen Gedankenwelt, an die Beethoven (und vielleicht teilweise Goethe) herangekommen ist, und mit denen er gerungen hat, die aber kein Philosoph je angegangen hat (vielleicht ist Nietzsche an ihnen vorbeigekommen). Und vielleicht sind sie für die abendländische Philosophie verloren, d. h., es wird niemand da sein, der den Fortgang dieser Kultur als Epos empfindet, also beschreiben kann. Oder richtiger, sie ist eben kein Epos mehr, oder doch nur für den, der sie von außen betrachtet, und vielleicht hat dies Beethoven vorschauend getan (wie Spengler einmal andeutet). Man könnte sagen, die Zivilisation muß ihren Epiker voraushaben. Wie man den eigenen Tod nur voraussehen und vorausschauend beschreiben, nicht als Gleichzeitiger von ihm berichten kann. Man könnte also sagen: Wenn Du das Epos einer ganzen Kultur beschrieben sehen willst, so mußt Du es unter den Werken der größten dieser Kultur, also zu einer Zeit, suchen, in der das Ende dieser Kultur nur hat vorausgesehen werden können, denn später ist niemand mehr da es zu beschreiben. Und so ist es also kein Wunder, wenn es nur in der dunklen Sprache der Vorausahnung geschrieben ist und für die Wenigsten verständlich.

1931


Ich aber komme zu diesen Problemen überhaupt nicht. Wenn ich »have done with the world«, so habe ich eine amorphe (durchsichtige) Masse geschaffen, und die Welt mit ihrer ganzen Vielfältigkeit bleibt, wie eine uninteressante Gerümpelkammer, links liegen.

Oder vielleicht richtiger: das ganze Resultat der ganzen Arbeit ist das Linksliegenlassen der Welt. (Das In-die-Rumpelkammer-werfen der ganzen Welt.)

1931


Eine Tragik gibt es in dieser Welt (der meinen) nicht, und damit all das Unendliche nicht, was eben die Tragik (als Ergebnis) hervorbringt.

Es ist sozusagen alles in dem Weltäther löslich; es gibt keine Härten.

Das heißt, die Härte und der Konflikt wird nicht zu etwas Herrlichem, sondern zu einem Fehler.

1931


Der Konflikt löst sich etwa, wie die Spannung einer Feder in einem Mechanismus, den man schmilzt (oder in Salpetersäure auflöst). In dieser Lösung gibt es keine Spannungen mehr.

1931


Wenn ich sage, daß mein Buch nur für einen kleinen Kreis von Menschen bestimmt ist (wenn man das einen Kreis nennen kann), so will ich damit nicht sagen, daß dieser Kreis, meiner Auffassung nach, die Elite der Menschheit ist, aber es sind die Menschen, an die ich mich wende (nicht weil sie besser oder schlechter sind als die andern, sondern), weil sie mein Kulturkreis sind, gleichsam die Menschen meines Vaterlandes, im Gegensatz zu den anderen, die mir fremd sind.

1931


Die Grenze der Sprache zeigt sich in der Unmöglichkeit, die Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht (seine Übersetzung ist), ohne eben den Satz zu wiederholen.

(Wir haben es hier mit der Kantischen Lösung des Problems der Philosophie zu tun.)

1931


Kann ich sagen, das Drama hat seine eigene Zeit, die nicht ein Abschnitt der historischen Zeit ist? D. h., ich kann in ihm von früher und später reden, aber die Frage hat keinen Sinn, ob die Ereignisse etwa vor oder nach Cäsars Tod geschehen sind.

1931


Beiläufig gesprochen, hat es nach der alten Auffassung – etwa der der (großen) westlichen Philosophen – zwei Arten von Problemen im wissenschaftlichen Sinne gegeben: wesentliche, große, universelle, und unwesentliche, quasi accidentelle Probleme. Und dagegen ist unsere Auffassung, daß es kein großes, wesentliches Problem im Sinne der Wissenschaft gibt.

1931


Struktur und Gefühl in der Musik. Die Gefühle begleiten das Auffassen eines Musikstücks, wie sie die Vorgänge des Lebens begleiten.

1931


Der Ernst Labors ist ein sehr später Ernst.

1931


Das Talent ist ein Quell, woraus immer wieder neues Wasser fließt. Aber diese Quelle wird wertlos, wenn sie nicht in rechter Weise benutzt wird.

1931


»Was der Gescheite weiß, ist schwer zu wissen.« Hat die Verachtung Goethes für das Experiment im Laboratorium und die Aufforderung in die freie Natur zu gehen und dort zu lernen, hat dies mit dem Gedanken zu tun, daß die Hypothese (unrichtig aufgefaßt) schon eine Fälschung der Wahrheit ist? Und mit dem Anfang, den ich mir jetzt für mein Buch denke, der in einer Naturbeschreibung bestehen könnte?

1931


Wenn Menschen eine Blume oder ein Tier häßlich finden, so stehen sie immer unter dem Eindruck, es seien Kunstprodukte. »Es schaut so aus, wie ...«, heißt es dann. Das wirft ein Licht auf die Bedeutung der Worte »häßlich« und »schön«.

1931


Die liebliche Temperaturdifferenz der Teile eines menschlichen Körpers.

1931


Es ist beschämend, sich als leerer Schlauch zeigen zu müssen, der nur vom Geist aufgeblasen wird.

1931


Niemand will den Andern gerne verletzt haben; darum tut es jedem so gut, wenn der Andere sich nicht verletzt zeigt. Niemand will gerne eine beleidigte Leberwurst vor sich haben. Das merke Dir. Es ist viel leichter, dem Beleidigten geduldig – und duldend – aus dem Weg gehen, als ihm freundlich entgegengehen. Dazu gehört auch Mut.

1931


Zu dem, der Dich nicht mag, gut zu sein, erfordert nicht nur viel Gutmütigkeit, sondern auch viel Takt.

1931


Wir kämpfen mit der Sprache.

Wir stehen im Kampf mit der Sprache.

1931


Die Lösung philosophischer Probleme verglichen mit dem Geschenk im Märchen, das im Zauberschloß zauberisch erscheint und wenn man es draußen beim Tag betrachtet, nichts ist, als ein gewöhnliches Stück Eisen (oder dergleichen).

1931


Der Denker gleicht sehr dem Zeichner, der alle Zusammenhänge nachzeichnen will.

1931


Kompositionen, die am Klavier, auf dem Klavier, komponiert sind, solche, die mit der Feder denkend und solche, die mit dem inneren Ohr allein komponiert sind, müssen einen ganz verschiedenen Charakter tragen und einen Eindruck ganz verschiedener Art machen.

Ich glaube bestimmt, daß Bruckner nur mit dem inneren Ohr und einer Vorstellung vom spielenden Orchester, Brahms mit der Feder, komponiert hat. Das ist natürlich einfacher dargestellt, als es ist. Eine Charakteristik aber ist damit getroffen.

1931


Eine Tragödie könnte doch immer anfangen mit den Worten: »Es wäre gar nichts geschehen, wenn nicht ...«

(Wenn er nicht mit einem Zipfel seines Kleides in die Maschine geraten wäre?)

Aber ist das nicht eine einseitige Betrachtung der Tragödie, die sie nur zeigen läßt, daß eine Begegnung unser ganzes Leben entscheiden kann.

1931


Ich glaube, daß es heute ein Theater geben könnte, wo mit Masken gespielt würde. Die Figuren wären eben stylisierte Menschen-Typen. In den Schriften Kraus’ ist das deutlich zu sehen. Seine Stücke könnten, oder müßten, in Masken aufgeführt werden. Dies entspricht natürlich einer gewissen Abstraktheit dieser Produkte. Und das Maskentheater ist, wie ich es meine, überhaupt der Ausdruck eines spiritualistischen Charakters. Es werden daher auch vielleicht nur die Juden zu diesem Theater neigen.

1931


Frida Schanz:

Nebeltag. Der graue Herbst geht um.
Das Lachen scheint verdorben;
die Welt liegt heut so stumm,
als sei sie nachts gestorben.
Im golden roten Hag brauen die Nebeldrachen;
und schlummernd liegt der Tag.
Der Tag will nicht erwachen.

Das Gedicht habe ich aus einem »Rösselsprung« entnommen, wo natürlich die Interpunktion fehlte. Ich weiß daher z. B. nicht, ob das Wort »Nebeltag« der Titel ist, oder ob es zur ersten Zeile gehört, wie ich es geschrieben habe. Und es ist merkwürdig, wie trivial das Gedicht klingt, wenn es nicht mit dem Wort »Nebeltag«, sondern mit »Der graue« beginnt. Der Rhythmus des ganzen Gedichts ändert sich dadurch.[7]

1931


Was Du geleistet hast, kann Andern nicht mehr bedeuten als Dir selbst.

Soviel als es Dich gekostet hat, soviel werden sie zahlen.

1931


Der Jude ist eine wüste Gegend, unter deren dünner Gesteinschicht aber die feurig-flüssigen Massen des Geistigen liegen.

1931


Grillparzer: »Wie leicht bewegt man sich im Großen und im Fernen, wie schwer faßt sich, was nah und einzeln an ...«

1931


Welches Gefühl hätten wir, wenn wir nicht von Christus gehört hätten?

Hätten wir das Gefühl der Dunkelheit und Verlassenheit?

Haben wir es nur insofern nicht als es ein Kind nicht hat, wenn es weiß, daß jemand mit ihm im Zimmer ist?

1931


Religion als Wahnsinn ist Wahnsinn aus Irreligiosität.

1931


Sehe die Photographie von Korsischen Briganten und denke mir: die Gesichter sind zu hart und meines zu weich, als daß das Christentum darauf schreiben könnte. Die Gesichter der Briganten sind schrecklich anzusehen und doch sind sie gewiß nicht weiter von einem guten Leben entfernt und nur auf einer andren Seite desselben selig als ich.

1931


Labor ist, wo er gute Musik schreibt, absolut unromantisch. Das ist ein sehr merkwürdiges und bedeutsames Zeichen.

1931


Wenn man die sokratischen Dialoge liest, so hat man das Gefühl: welche fürchterliche Zeitvergeudung! Wozu diese Argumente, die nichts beweisen und nichts klären?

1931


Die Geschichte des Peter Schlemihls[8] sollte, wie mir scheint, so lauten: Er verschreibt seine Seele um Geld dem Teufel. Dann reut es ihn und nun verlangt der Teufel den Schatten als Lösegeld. Peter Schlemihl aber bleibt die Wahl seine Seele dem Teufel zu schenken, oder mit dem Schatten auf das Gemeinschaftsleben der Menschen zu verzichten.

1931


Im Christentum sagt der liebe Gott gleichsam zu den Menschen: Spielt nicht Tragödie, das heißt Himmel und Hölle auf Erden. Himmel und Hölle habe ich mir vorbehalten.

1931


So könnte Spengler besser verstanden werden, wenn er sagte: ich vergleiche verschiedene Kulturperioden dem Leben von Familien; innerhalb der Familie gibt es eine Familienähnlichkeit, während es auch zwischen Mitgliedern verschiedener Familien eine Ähnlichkeit gibt; die Familienähnlichkeit unterscheidet sich von der andern Ähnlichkeit so und so etc. Ich meine: Das Vergleichsobjekt, der Gegenstand, von welchem diese Betrachtungsweise abgezogen ist, muß uns angegeben werden, damit nicht in die Diskussion immer Ungerechtigkeiten einfließen. Denn da wird dann alles, was für das Urbild der Betrachtung stimmt, nolens volens auch von dem Objekt, worauf wir die Betrachtung anwenden behauptet; und behauptet »es müsse immer ...«.

Das kommt nun daher, daß man den Merkmalen des Urbilds einen Halt in der Betrachtung geben will. Da man aber Urbild und Objekt vermischt, dem Objekt dogmatisch beilegen muß, was nur das Urbild charakterisieren muß. Anderseits glaubt man, die Betrachtung habe nicht die Allgemeinheit, die man ihr geben will, wenn sie nur für den einen Fall wirklich stimmt. Aber das Urbild soll ja eben als solches hingestellt werden; daß es die ganze Betrachtung charakterisiert, ihre Form bestimmt. Es steht also an der Spitze und ist dadurch allgemein gültig, daß es die Form der Betrachtung bestimmt, nicht dadurch, daß alles, was nur von ihm gilt, von allen Objekten der Betrachtung ausgesagt wird.

Man möchte so bei allen übertriebenen, dogmatisierenden Behauptungen immer fragen: Was ist denn nun daran wirklich wahr? Oder auch: In welchem Fall stimmt denn das nun wirklich?

1931


Aus dem Simplicissimus: Rätsel der Technik. (Bild: Zwei Professoren vor einer im Bau befindlichen Brücke.) Stimme von oben: »Laß abi – hüah – laß abi sag’ i – nacha drah’n mer’n anders um!« – – »Es ist doch unfaßlich, Herr Kollega, daß eine so komplizierte und exakte Arbeit in dieser Sprache zustande kommen kann.«

1931


Man hört immer wieder die Bemerkung, daß die Philosophie eigentlich keinen Fortschritt mache, daß die gleichen philosophischen Probleme, die schon die Griechen beschäftigten, uns noch beschäftigen. Die das aber sagen, verstehen nicht den Grund, warum es so sein muß. Der ist aber, daß unsere Sprache sich gleich geblieben ist und uns immer wieder zu denselben Fragen verführt. Solange es ein Verbum ›sein‹ geben wird, das zu funktionieren scheint wie ›essen‹ und ›trinken‹, solange es Adjektive ›identisch‹, ›wahr‹, ›falsch‹, ›möglich‹ geben wird, solange von einem Fluß der Zeit und von einer Ausdehnung des Raumes die Rede sein wird, usw., usw., solange werden die Menschen immer wieder an die gleichen rätselhaften Schwierigkeiten stoßen, und auf etwas starren, was keine Erklärung scheint wegheben zu können.

Und dies befriedigt im Übrigen ein Verlangen nach dem Transcendenten, denn, indem sie die »Grenze des menschlichen Verstandes« zu sehen glauben, glauben sie natürlich, über ihn hinaus sehen zu können.

1931


Ich lese: »... philosophers are no nearer to the meaning of ›Reality‹ than Plato got, ...«. Welche seltsame Sachlage. Wie sonderbar, daß Platon dann überhaupt so weit kommen konnte! Oder, daß wir dann nicht weiter kommen konnten! War es, weil Platon so gescheit war?

1931


Kleist schrieb einmal,[9] es wäre dem Dichter am liebsten, er könnte die Gedanken selbst ohne Worte übertragen. (Welch seltsames Eingeständnis.)

1931


Es wird oft gesagt, daß die neue Religion die Götter der alten zu Teufeln stempelt. Aber in Wirklichkeit sind diese dann wohl schon zu Teufeln geworden.

1931


Die Werke der großen Meister sind Sonnen, die um uns her auf- und untergehen. So wird die Zeit für jedes große Werk wiederkommen, das jetzt untergegangen ist.

1931


Mendelssohns Musik, wo sie vollkommen ist, sind musikalische Arabesken. Daher empfinden wir bei ihm jeden Mangel an Strenge peinlich.

1931


Der Jude wird in der westlichen Zivilisation immer mit Maßen gemessen, die auf ihn nicht passen. Daß die griechischen Denker weder im westlichen Sinn Philosophen, noch im westlichen Sinn Wissenschaftler waren, daß die Teilnehmer der Olympischen Spiele nicht Sportler waren und in kein westliches Fach passen, ist vielen klar. Aber so geht es auch den Juden. Und indem uns die Wörter unserer Sprache als die Maße schlechthin erscheinen, tun wir ihnen immer Unrecht. Und sie werden bald überschätzt, bald unterschätzt. Richtig reiht dabei Spengler Weininger nicht unter die westlichen Philosophen [Denker].

1931


Nichts, was man tut, läßt sich endgültig verteidigen. Sondern nur in Bezug auf etwas anderes Festgesetztes. D. h., es läßt sich kein Grund angeben, warum man so handeln soll (oder hat handeln sollen), als der sagt, daß dadurch dieser Sachverhalt hervorgerufen werde, den man wieder als Ziel hinnehmen muß.

1931


Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint und ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte, Bedeutung bekommt.

1931


Die Arbeit an der Philosophie ist – wie vielfach die Arbeit in der Architektur – eigentlich mehr die Arbeit an Einem selbst. An der eignen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.)

1931


Der Philosoph kommt leicht in die Lage eines ungeschickten Direktors, der, statt seine Arbeit zu tun und nur darauf zu schauen, daß seine Angestellten ihre Arbeit richtig machen, ihnen ihre Arbeit abnimmt und sich so eines Tages mit fremder Arbeit überladen sieht, während die Angestellten zuschauen und ihn kritisieren.

1931


Der Gedanke ist schon vermüdelt und läßt sich nicht mehr gebrauchen. (Eine ähnliche Bemerkung hörte ich einmal von Labor, musikalische Gedanken betreffend.) Wie Silberpapier, das einmal verknittert ist, sich nie mehr ganz glätten läßt. Fast alle meine Gedanken sind etwas verknittert.

1931


Ich denke tatsächlich mit der Feder, denn mein Kopf weiß oft nichts von dem, was meine Hand schreibt.

1931


Die Philosophen sind oft wie kleine Kinder, die zuerst mit ihrem Bleistift beliebige Striche auf ein Papier kritzeln und dann den Erwachsenen fragen »was ist das?« – Das ging so zu: Der Erwachsene hatte dem Kind öfters etwas vorgezeichnet und gesagt: »das ist ein Mann«, »das ist ein Haus«, usw. Und nun macht das Kind auch Striche und fragt: was ist nun das?

1931


Ramsey war ein bürgerlicher Denker. D. h., seine Gedanken hatten den Zweck, die Dinge in einer gegebenen Gemeinde zu ordnen. Er dachte nicht über das Wesen des Staates nach – oder doch nicht gerne – sondern darüber, wie man diesen Staat vernünftig einrichten könne. Der Gedanke, daß dieser Staat nicht der einzig mögliche sei, beunruhigte ihn teils, teils langweilte er ihn. Er wollte so geschwind als möglich dahin kommen, über die Grundlagen – dieses Staates – nachzudenken. Hier lag seine Fähigkeit und sein eigentliches Interesse; während die eigentlich philosophische Überlegung ihn beunruhigte, bis er ihr Resultat (wenn sie eins hatte) als trivial zur Seite schob.

1931


Es könnte sich eine seltsame Analogie daraus ergeben, daß das Okular auch des riesigsten Fernrohrs nicht größer sein darf,[10] als unser Auge.

1931


Tolstoi: die Bedeutung (Bedeutsamkeit) eines Gegenstandes liegt in seiner allgemeinen Verständlichkeit. – Das ist wahr und falsch. Das, was den Gegenstand schwer verständlich macht, ist – wenn er bedeutend, wichtig, ist – nicht, daß irgendeine besondere Instruktion über abstruse Dinge zu seinem Verständnis erforderlich wäre, sondern der Gegensatz zwischen dem Verstehen des Gegenstandes und dem, was die meisten Menschen sehen wollen. Dadurch kann gerade das Naheliegendste am allerschwersten verständlich werden. Nicht eine Schwierigkeit des Verstandes, sondern des Willens, ist zu überwinden.

1931


Wer heute Philosophie lehrt, gibt dem Andern Speisen, nicht, weil sie ihm schmecken, sondern um seinen Geschmack zu ändern.

1931


Ich soll nur der Spiegel sein, in welchem mein Leser sein eigenes Denken mit allen seinen Unförmigkeiten sieht, und mit dieser Hilfe zurecht richten kann.

1931


Die Sprache hat für Alle die gleichen Fallen bereit; das ungeheure Netz gut gangbarer Irrwege. Und so sehen wir also Einen nach dem Andern die gleichen Wege gehn, und wissen schon, wo er jetzt abbiegen wird, wo er geradeaus fortgehen wird, ohne die Abzweigung zu bemerken, etc. etc. Ich sollte also an allen Stellen, wo falsche Wege abzweigen, Tafeln aufstellen, die über die gefährlichen Punkte hinweghelfen.

1931


Was Eddington über ›die Richtung der Zeit‹ und den Entropiesatz sagt, läuft darauf hinaus, daß die Zeit ihre Richtung umkehren würde, wenn die Menschen eines Tages anfingen, rückwärts zu gehen. Wenn man will, kann man das freilich so nennen; man muß dann nur darüber klar sein, daß man damit nichts anders sagt als, daß die Menschen ihre Gehrichtung geändert haben.

1931


Einer teilt die Menschen ein, in Käufer und Verkäufer, und vergißt, daß Käufer auch Verkäufer sind. Wenn ich ihn daran erinnere, wird seine Grammatik geändert??

1931


Das eigentliche Verdienst eines Kopernikus oder Darwin war nicht die Entdeckung einer wahren Theorie, sondern eines fruchtbaren neuen Aspekts.

1931


Ich glaube, was Goethe eigentlich hat finden wollen, war keine physiologische, sondern eine psychologische Theorie der Farben.

1931


Eine Beichte muß ein Teil des neuen Lebens sein.

1931


Ich drücke, was ich ausdrücken will, doch immer nur »mit halbem Gelingen« aus. Ja, auch das nicht, sondern vielleicht nur mit einem Zehntel. Das will doch etwas besagen. Mein Schreiben ist oft nur ein »Stammeln«.

1931


Das jüdische »Genie« ist nur ein Heiliger. Der größte jüdische Denker ist nur ein Talent. (Ich z. B.)

Es ist, glaube ich, eine Wahrheit darin, wenn ich denke, daß ich eigentlich in meinem Denken nur reproduktiv bin. Ich glaube, ich habe nie eine Gedankenbewegung erfunden, sondern sie wurde mir immer von jemand anderem gegeben. Ich habe sie nur sogleich leidenschaftlich zu meinem Klärungswerk aufgegriffen. So haben mich Boltzmann, Hertz, Schopenhauer, Frege, Russell, Kraus, Loos, Weininger, Spengler, Sraffa beeinflußt. Kann man als ein Beispiel jüdischer Reproduktivität Breuer und Freud heranziehen? – Was ich erfinde, sind neue Gleichnisse.

Als ich seinerzeit den Kopf für Drobil modellierte, so war auch die Anregung wesentlich ein Werk Drobils und meine Arbeit war eigentlich wieder die des Klärens. Ich glaube, das Wesentliche ist, daß die Tätigkeit des Klärens mit MUT betrieben werden muß: fehlt der, so wird sie ein bloßes gescheites Spiel.

Der Jude muß im eigentlichen Sinn »sein Sach’ auf nichts stellen«. Aber das fällt gerade ihm besonders schwer, weil er, sozusagen, nichts hat. Es ist viel schwerer freiwillig arm zu sein, wenn man arm sein muß, als, wenn man auch reich sein könnte.

Man könnte sagen (ob es nun stimmt oder nicht), daß der jüdische Geist nicht im Stande ist, auch nur ein Gräschen oder Blümchen hervorzubringen, daß es aber seine Art ist, das Gräschen oder die Blume, die im andern Geist gewachsen ist, abzuzeichnen und damit ein umfassendes Bild zu entwerfen. Das ist nun nicht die Angabe eines Lasters und es ist alles in Ordnung, solange das nur völlig klar bleibt. Gefährlich wird es erst, wenn man die Art des Jüdischen mit der des Nicht-Jüdischen Werks verwechselt, und besonders, wenn das der Schöpfer des ersteren selbst tut, was so nahe liegt. (Sieht er nicht so stolz aus, als ob er selber gemolken wäre.[11])

Es ist dem jüdischen Geiste typisch, das Werk eines Anderen besser zu verstehen, als der es selbst versteht.

1931


Ich habe mich oft dabei ertappt, wenn ich ein Bild entweder richtig hätte rahmen lassen oder in die richtige Umgebung gehangen hatte, so stolz zu sein, als hätte ich das Bild gemalt. Das ist eigentlich nicht richtig: nicht »so stolz, als hätte ich es gemalt«, sondern so stolz, als hätte ich es malen geholfen, als hätte ich sozusagen einen kleinen Teil davon gemalt. Es ist so, als würde der außerordentliche Arrangeur von Gräsern am Schluß denken, daß er doch, wenigstens ein ganz winziges Gräschen, selbst erzeugt habe. Während er sich klar sein muß, daß seine Arbeit auf einem gänzlich andern Gebiet liegt. Der Vorgang der Entstehung auch des winzigsten und schäbigsten Gräschens ist ihm gänzlich fremd und unbekannt.

1931


Das genaueste Bild eines ganzen Apfelbaumes hat in gewissem Sinne unendlich viel weniger Ähnlichkeit mit ihm, als das kleinste Maßliebchen mit dem Baum hat. Und in diesem Sinne ist eine Brucknersche Symphonie mit einer Symphonie der heroischen Zeit unendlich näher verwandt, als eine Mahlerische. Wenn diese ein Kunstwerk ist, dann eines gänzlich andrer Art. (Diese Betrachtung aber selbst ist eigentlich Spenglerisch.)

1931


Als ich übrigens in Norwegen war, im Jahre 1913-14, hatte ich eigene Gedanken, so scheint es mir jetzt wenigstens. Ich meine, es kommt mir so vor, als hätte ich damals in mir neue Denkbewegungen geboren (aber vielleicht irre ich mich). Während ich jetzt nur mehr alte anzuwenden scheine.

1931


Rousseau hat etwas Jüdisches in seiner Natur.

1931


Wenn manchmal gesagt wird, die Philosophie eines Menschen sei Temperamentssache, so ist auch darin eine Wahrheit. Die Bevorzugung gewisser Gleichnisse ist das, was könnte man Temperamentssache nennen und auf ihr beruht ein viel größerer Teil der Gegensätze, als es scheinen möchte.

1931


»Betrachte diese Beule als ein regelrechtes Glied deines Körpers!« Kann man das, auf Befehl? Ist es in meiner Macht, willkürlich ein Ideal von meinem Körper zu haben oder nicht?

Die Geschichte der Juden wird darum in der Geschichte der europäischen Völker nicht mit der Ausführlichkeit behandelt, wie es ihr Eingriff in die europäischen Ereignisse eigentlich verdiente, weil sie als eine Art Krankheit, und Anomalie, in dieser Geschichte empfunden werden und niemand gern eine Krankheit mit dem normalen Leben gleichsam auf eine Stufe stellt [und niemand gern von einer Krankheit als etwas Gleichberechtigtem mit den gesunden Vorgängen (auch schmerzhafte) im Körper spricht.]

Man kann sagen: diese Beule kann nur dann als ein Glied des Körpers betrachtet werden, wenn sich das ganze Gefühl für den Körper ändert (wenn sich das ganze Nationalgefühl für den Körper ändert). Sonst kann man sie höchstens dulden.

Vom einzelnen Menschen kann man so eine Duldung erwarten, oder auch, daß er sich über diese Dinge hinwegsetzt; nicht aber von der Nation, die ja nur dadurch Nation ist, daß sie sich darüber nicht hinwegsetzt. D. h., es ist ein Widerspruch zu erwarten, daß Einer das alte aesthetische Gefühl für seinen Körper behalten und die Beule willkommen heißen wird.

Macht und Besitz sind nicht dasselbe. Obwohl uns der Besitz auch Macht gibt. Wenn man sagt, die Juden hätten keinen Sinn für den Besitz, so ist das wohl vereinbar damit, daß sie gerne reich sind, denn das Geld ist für sie eine bestimmte Art von Macht, nicht Besitz. (Ich möchte z. B. nicht, daß meine Leute arm werden, denn ich wünsche ihnen eine gewisse Macht. Freilich auch, daß sie diese Macht recht gebrauchen möchten.)

1931


Zwischen Brahms und Mendelssohn herrscht entschieden eine gewisse Verwandtschaft; und zwar meine ich nicht die, welche sich in einzelnen Stellen in Brahmschen Werken zeigt, die an Mendelssohnsche Stellen erinnern, sondern man könnte die Verwandtschaft, von der ich rede, dadurch ausdrücken, daß man sagt, Brahms tue das mit ganzer Strenge, was Mendelssohn mit halber getan hat. Oder: Brahms ist oft fehlerfreier Mendelssohn.

1931

Leidenschaftlich

Das wäre das Ende eines Themas, das ich nicht weiß. Es fiel mir heute ein, als ich über meine Arbeit in der Philosophie nachdachte und mir vorsagte: »I destroy, I destroy, I destroy –«.

1931


Man hat manchmal gesagt, daß die Heimlichkeit und Verstecktheit der Juden durch die lange Verfolgung hervorgebracht worden sei. Das ist gewiß unwahr; dagegen ist es gewiß, daß sie, trotz dieser Verfolgung, nur darum noch existieren, weil sie die Neigung zu dieser Heimlichkeit haben. Wie man sagen könnte, daß das und das Tier nur darum noch nicht ausgerottet sei, weil es die Möglichkeit oder Fähigkeit hat, sich zu verstecken. Ich meine natürlich nicht, daß man darum diese Möglichkeit preisen soll, durchaus nicht.

1931


Die Musik Bruckners hat nichts mehr von dem langen und schmalen (nordischen?) Gesicht Nestroys, Grillparzers, Haydns etc., sondern hat ganz und gar ein rundes, volles (alpenländisches?) Gesicht, von noch ungemischterem Typus als das Schuberts war.

1931


Die alles gleich machende Gewalt der Sprache, die sich am krassesten im Wörterbuch zeigt, und die es möglich macht, daß die Zeit personifiziert werden konnte, was nicht weniger merkwürdig ist, als es wäre, wenn wir Gottheiten der logischen Konstanten hätten.

1931


Ein schönes Kleid, das sich in Würmer und Schlangen verwandelt (gleichsam koaguliert), wenn der, welcher es trägt, sich darin selbstgefällig in den Spiegel schaut.

1931


Die Freude an meinen Gedanken ist die Freude an meinem eigenen seltsamen Leben. Ist das Lebensfreude?

1931


Die Philosophen, welche sagen: »nach dem Tod wird ein zeitloser Zustand eintreten«, oder: »mit dem Tod tritt ein zeitloser Zustand ein«, und nicht merken, daß sie im zeitlichen Sinne »nach« und »mit« und »tritt ein« gesagt haben, und, daß die Zeitlichkeit in ihrer Grammatik liegt.

1932


Erinnere Dich an den Eindruck guter Architektur, daß sie einen Gedanken ausdrückt. Man möchte auch ihr mit einer Geste folgen.

Circa 1932-1934


Spiele nicht mit den Tiefen des Andern!

Circa 1932-1934


Das Gesicht ist die Seele des Körpers.

Circa 1932-1934


Man kann den eigenen Charakter so wenig von Außen betrachten, wie die eigene Schrift. Ich habe zu meiner Schrift eine einseitige Stellung, die mich verhindert, sie auf gleichem Fuß mit anderen Schriften zu sehen und zu vergleichen.

Circa 1932-1934


In der Kunst ist es schwer etwas zu sagen, was so gut ist wie: nichts zu sagen.

Circa 1932-1934


An meinem Denken, wie an dem jedes Menschen, hängen die verdorrten Reste meiner früheren (abgestorbenen) Gedanken.

Circa 1932-1934


Die musikalische Gedankenstärke bei Brahms.

Circa 1932-1934


Die verschiedenen Pflanzen und ihr menschlicher Charakter: Rose, Epheu, Gras, Eiche, Apfelbaum, Getreide, Palme. Verglichen mit dem verschiedenen Charakter der Wörter.

Circa 1932-1934


Wenn man das Wesen der Mendelssohnschen Musik charakterisieren wollte, so könnte man es dadurch tun, daß man sagte, es gäbe vielleicht keine schwer verständliche Mendelssohnsche Musik.

Circa 1932-1934


Jeder Künstler ist von Andern beeinflußt worden und zeigt die Spuren dieser Beeinflussung in seinen Werken; aber was er uns bedeutet, ist doch nur seine Persönlichkeit. Was vom Andern stammt, können nur Eierschalen sein. Daß sie da sind, mögen wir mit Nachsicht behandeln, aber unsere geistige Nahrung werden sie nicht sein.

Circa 1932-1934


Es kommt mir manchmal vor, als philosophierte ich bereits mit einem zahnlosen Mund und als schiene mir das Sprechen mit einem zahnlosen Mund als das eigentliche, wertvollere. Bei Kraus sehe ich etwas Ähnliches. Statt, daß ich es als Verfall erkennte.

Circa 1932-1934


Wenn etwa jemand sagt »A’s Augen haben einen schöneren Ausdruck als B’s«, so will ich sagen, daß er mit dem Wort »schön« gewiß nicht dasjenige meint, was allem, was wir schön nennen, gemeinsam ist. Vielmehr spielt er ein Spiel von ganz geringem Umfang mit diesem Wort. Aber worin drückt sich das aus? Schwebte mir denn eine bestimmte enge Erklärung des Wortes »schön« vor? Gewiß nicht. – Aber ich werde vielleicht nicht einmal die Schönheit des Ausdrucks der Augen mit der Schönheit der Form der Nase vergleichen wollen.

Ja, man könnte etwa sagen: Wenn es in einer Sprache zwei Worte gäbe und also das Gemeinsame in diesem Falle nicht bezeichnet wäre, so würde ich für meinen Fall ruhig eines der beiden spezielleren Worte nehmen und es wäre mir nichts vom Sinn verloren gegangen.

1933


Wenn ich sage, A. habe schöne Augen, so kann man mich fragen: was findest Du an seinen Augen schön, und ich werde etwa antworten: die Mandelform, die langen Wimpern, die zarten Lider. Was ist das Gemeinsame dieser Augen mit einer gothischen Kirche, die ich auch schön finde? Soll ich sagen, sie machen mir einen ähnlichen Eindruck? Wie, wenn ich sagte: das Gemeinsame ist, daß meine Hand versucht ist, sie beide nachzuzeichnen? Das wäre jedenfalls eine enge Definition des Schönen.

Man wird oft sagen können: frage nach den Gründen, warum Du etwas gut oder schön nennst, und die besondere Grammatik des Wortes ›gut‹ in diesem Fall wird sich zeigen.

1933


Ich glaube meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefaßt zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten. Daraus muß sich, scheint mir, ergeben, wie weit mein Denken der Gegenwart, Zukunft, oder der Vergangenheit angehört. Denn ich habe mich damit auch als einen bekannt, der nicht ganz kann, was er zu können wünscht.

1933-1934


Wenn man in der Logik einen Trick anwendet, wen kann man tricken, außer sich selbst?

1933-1934


Namen der Komponisten. Manchmal ist es die Projektionsmethode, die wir als gegeben betrachten. Wenn wir uns etwa fragen: Welcher Name würde den Charakter dieses Menschen treffen? Manchmal aber projizieren wir den Charakter in den Namen und sehen diesen als das Gegebene an. So scheint es uns, daß die uns wohl bekannten großen Meister gerade die Namen haben, die zu ihrem Werk passen.

1933-1934


Wenn Einer prophezeit, die künftige Generation werde sich mit diesen Problemen befassen und sie lösen, so ist das meist nur eine Art Wunschtraum, in welchem er sich für das entschuldigt, was er hätte leisten sollen, und nicht geleistet hat. Der Vater möchte, daß der Sohn das erreicht, was er nicht erreicht hat, damit die Aufgabe, die er ungelöst ließ, doch eine Lösung fände. Aber der Sohn kriegt eine neue Aufgabe. Ich meine: der Wunsch, die Aufgabe möge nicht unfertig bleiben, hüllt sich in die Voraussicht, sie werde von der nächsten Generation weitergeführt werden.

1934


Das überwältigende Können bei Brahms.

1934


Wer Eile hat, wird in einem Wagen sitzend unwillkürlich anschieben, obwohl er sich sagen kann, daß er den Wagen gar nicht schiebt.

1934


Ich habe auch, in meinen künstlerischen Tätigkeiten, nur gute Manieren.

1934


Die seltsame Ähnlichkeit einer philosophischen Untersuchung (vielleicht besonders in der Mathematik) mit einer ästhetischen. (Z. B., was an diesem Kleid schlecht ist, wie es gehörte, etc.)

1936


In den Zeiten der stummen Filme hat man alle Klassiker zu den Filmen gespielt, aber nicht Brahms und Wagner.

Brahms nicht, weil er zu abstrakt ist. Ich kann mir eine aufregende Stelle in einem Film mit Beethovenscher oder Schubertscher Musik begleitet denken und könnte eine Art Verständnis für die Musik durch den Film bekommen. Aber nicht ein Verständnis Brahmsscher Musik. Dagegen geht Bruckner zu einem Film.

1934 oder 1937


Wenn du ein Opfer bringst und dann darauf eitel bist, so wirst du mit samt deinem Opfer verdammt.

1937


Das Gebäude Deines Stolzes ist abzutragen. Und das gibt furchtbare Arbeit.

1937


In einem Tag kann man die Schrecken der Hölle erleben; es ist reichlich genug Zeit dazu.

1937


Es ist ein großer Unterschied zwischen den Wirkungen einer Schrift, die man leicht fließend lesen kann und einer, die man schreiben, aber nicht leicht entziffern kann. Man schließt in ihr die Gedanken ein, wie in einer Schatulle.

1937


Die größere ›Reinheit‹ der nicht auf die Sinne wirkenden Gegenstände, z. B., der Zahlen.

1937


Das Licht der Arbeit ist ein schönes Licht, das aber nur dann wirklich schön leuchtet, wenn es von noch einem andern Licht erleuchtet wird.

1937


»Ja, so ist es«, sagst Du, »denn so muß es sein!«

(Schopenhauer: der Mensch lebt eigentlich 100 Jahre lang.)

»Natürlich, so muß es sein!« Es ist da, als habe man die Absicht eines Schöpfers verstanden. Man hat das System verstanden.

Man fragt sich nicht ›Wie lange leben denn Menschen wirklich?‹, das erscheint jetzt als etwas Oberflächliches; sondern man hat etwas tiefer Liegendes verstanden.

1937


Nur[12] so nämlich können wir unsere Behauptungen der Ungerechtigkeit – oder Leere unserer Behauptungen entgehen, indem wir das Ideal als das, was es ist, nämlich als Vergleichsobjekt – sozusagen als Maßstab – in unsrer Betrachtung ansehen statt als das Vorurteil, dem Alles konformieren muß. Hierin nämlich liegt der Dogmatismus, in den die Philosophie so leicht verfallen kann.

Was ist denn aber das Verhältnis einer Betrachtung wie der Spenglers und der meinen? Die Ungerechtigkeit bei Spengler: Das Ideal verliert nichts von seiner Würde, wenn es als Prinzip der Betrachtungsform hingestellt wird. Eine gute Meßbarkeit. –

1937


In Macaulays Essays ist vieles ausgezeichnet; nur seine Werturteile über Menschen sind lästig und überflüssig. Man möchte ihm sagen: laß die Gestikulation! und sag nur, was Du zu sagen hast.

1937


Beinahe ähnlich, wie man sagt, daß die alten Physiker plötzlich gefunden haben, daß sie zu wenig Mathematik verstehen, um die Physik bewältigen zu können, kann man sagen, daß die jungen Menschen heutzutage plötzlich in der Lage sind, daß der normale, gute Verstand für die seltsamen Ansprüche des Lebens nicht mehr ausreicht. Es ist alles so verzwickt geworden, daß, es zu bewältigen, ein ausnahmsweiser Verstand gehörte. Denn es genügt nicht mehr, das Spiel gut spielen zu können; sondern immer wieder ist die Frage: ist dieses Spiel jetzt überhaupt zu spielen und welches ist das rechte Spiel?

1937


Die Lösung des Problems, das Du im Leben siehst, ist eine Art zu leben, die das Problemhafte zum Verschwinden bringt.

Daß das Leben problematisch ist, heißt, daß Dein Leben nicht in die Form des Lebens paßt. Du mußt dann Dein Leben verändern, und paßt es in die Form, dann verschwindet das Problematische.

Aber haben wir nicht das Gefühl, daß der, welcher nicht darin ein Problem sieht, für etwas Wichtiges, ja das Wichtigste, blind ist? Möchte ich nicht sagen, der lebe so dahin – eben blind, gleichsam wie ein Maulwurf, und wenn er bloß sehen könnte, so sähe er das Problem?

Oder soll ich nicht sagen: daß, wer richtig lebt, das Problem nicht als Traurigkeit, also doch nicht problematisch, empfindet, sondern vielmehr als eine Freude; also gleichsam als einen lichten Äther um sein Leben, nicht als einen fraglichen Hintergrund.

1937


Auch Gedanken fallen manchmal unreif vom Baum.

1937


Es ist für mich wichtig, beim Philosophieren immer meine Lage zu verändern, nicht zu lange auf einem Bein zu stehen, um nicht steif zu werden.

Wie, wer lange bergauf geht, ein Stückchen rückwärts geht, sich zu erfrischen, andere Muskeln anzuspannen.

Das Christentum ist keine Lehre, ich meine, keine Theorie darüber, was mit der Seele des Menschen geschehen ist und geschehen wird, sondern eine Beschreibung eines tatsächlichen Vorgangs im Leben des Menschen. Denn die ›Erkenntnis der Sünde‹ ist ein tatsächlicher Vorgang, und die Verzweiflung desgleichen und die Erlösung durch den Glauben desgleichen. Die, die davon sagen (wie Bunyan), beschreiben einfach, was ihnen geschehen ist, was immer einer dazu sagen will.

1937


Wenn ich mir Musik vorstelle, was ich ja täglich und oft tue, so reibe ich dabei – ich glaube immer – meine oberen und unteren Vorderzähne rhythmisch an einander. Es ist mir schon früher aufgefallen, geschieht aber für gewöhnlich ganz unbewußt. Und zwar ist es, als würden die Töne meiner Vorstellung durch diese Bewegung erzeugt. Ich glaube, daß diese Art, im Innern Musik zu hören, vielleicht sehr allgemein ist. Ich kann mir natürlich auch ohne die Bewegung meiner Zähne Musik vorstellen, die Töne sind aber dann viel schemenhafter, viel undeutlicher, weniger prägnant.

1937


Auch im Denken gibt es eine Zeit des Pflügens und eine Zeit der Ernte.

1937


Wenn man z. B. gewisse bildhafte Sätze als Dogmen des Denkens für die Menschen festlegt, so zwar, daß man damit nicht Meinungen bestimmt, aber den Ausdruck aller Meinungen völlig beherrscht, so wird dies eine sehr eigentümliche Wirkung haben. Die Menschen werden unter einer unbedingten, fühlbaren Tyrannei leben, ohne doch sagen zu können, sie seien nicht frei. Ich meine, daß die katholische Kirche es irgendwie ähnlich macht. Denn das Dogma hat die Form des Ausdrucks einer Behauptung, und es ist an ihm nicht zu rütteln, und dabei kann man jede praktische Meinung mit ihm in Einklang bringen; freilich manche leichter, manche schwerer. Es ist keine Wand die Meinung zu beschränken, sondern wie eine Bremse, die aber praktisch den gleichen Dienst tut; etwa als hängte man, um Deine Bewegungsfreiheit zu beschränken, ein Gewicht an Deinen Fuß. Dadurch nämlich wird das Dogma unwiderlegbar und dem Angriff entzogen.

1937


Wenn ich für mich denke, ohne ein Buch schreiben zu wollen, so springe ich um das Thema herum; das ist die einzige mir natürliche Denkweise. In einer Reihe gezwungen, fortzudenken, ist mir eine Qual. Soll ich es nun überhaupt probieren??

Ich verschwende unsägliche Mühe auf ein Anordnen der Gedanken, das vielleicht gar keinen Wert hat.

1937


Leute sagen gelegentlich, sie könnten das und das nicht beurteilen, sie hätten nicht Philosophie gelernt. Dies ist ein irritierender Unsinn; denn es wird vorgegeben, die Philosophie sei irgendeine Wissenschaft. Und man redet von ihr etwa wie von der Medizin. – Das aber kann man sagen, daß Leute, die nie eine Untersuchung philosophischer Art angestellt haben, wie die meisten Mathematiker z. B., nicht mit den richtigen Sehwerkzeugen für derlei Untersuchung oder Prüfung ausgerüstet sind. Beinahe, wie Einer, der nicht gewohnt ist, im Wald nach Blumen, Beeren oder Kräutern zu suchen, keine findet, weil sein Auge für sie nicht geschärft ist, und er nicht weiß, wo insbesondere man nach ihnen ausschauen muß. So geht der in der Philosophie Ungeübte an allen Stellen vorbei, wo Schwierigkeiten unter dem Gras verborgen liegen, während der Geübte dort stehenbleibt und fühlt, hier sei eine Schwierigkeit, obgleich er sie noch nicht sieht. – Und kein Wunder, wenn man weiß, wie lange auch der Geübte, der wohl merkt, hier liege eine Schwierigkeit, suchen muß, um sie zu finden.

Wenn etwas gut versteckt ist, ist es schwer zu finden.

1937


Man kann von religiösen Gleichnissen sagen, sie bewegen sich am Rande des Abgrundes. Z. B., von der Allegorie B⟨unyan⟩’s. Denn wie, wenn wir bloß dazusetzen: »und alle diese Fallen, Sümpfe, Abwege, sind vom Herrn des Weges angelegt, die Ungeheuer, Diebe, Räuber von ihm geschaffen worden«? Gewiß, das ist nicht der Sinn des Gleichnisses! aber diese Fortsetzung liegt zu nahe! Sie nimmt dem Gleichnis, für Viele und für mich, seine Kraft.

Dann aber besonders, wenn dies – sozusagen – verschwiegen wird. Anders wäre es, wenn auf Schritt und Tritt offen gesagt würde: ›Ich brauche dies als Gleichnis, aber schau: hier stimmt es nicht‹. Dann hätte man nicht das Gefühl, daß man hintergangen wird, daß jemand versucht mich auf Schleichwegen zu überzeugen. Man kann Einem z. B. sagen: »Danke Gott für das Gute, was Du empfängst, aber beklage Dich nicht über das Übel: wie Du es natürlich tätest, wenn ein Mensch Dir abwechselnd Gutes und Übles widerfahren ließe.« Es werden Lebensregeln in Bilder gekleidet. Und diese Bilder können nur dienen, zu beschreiben, was wir tun sollen, aber nicht dazu, es zu begründen. Denn um begründen zu können, dazu müßten sie auch weiter stimmen. Ich kann sagen: »Danke diesen Bienen für ihren Honig, als wären sie gute Menschen, die ihn für Dich bereitet haben«; das ist verständlich und beschreibt, wie ich wünsche, Du sollest Dich benehmen. Aber nicht: »Danke ihnen, denn sieh’, wie gut sie sind!« – denn sie können Dich im nächsten Augenblick stechen.

Die Religion sagt: Tu dies!Denk so! – aber sie kann es nicht begründen, und versucht sie es auch nur, so stößt sie ab; denn zu jedem Grund, den sie gibt, gibt es einen stichhaltigen Gegengrund. Überzeugender ist es, zu sagen: »Denke so! – so seltsam dies scheinen mag.« Oder: »Möchtest Du das nicht tun? – so abstoßend es ist.«

1937


Gnadenwahl: So darf man nur schreiben unter den fürchterlichsten Leiden – und dann heißt es etwas ganz anderes. Aber darum darf dies auch niemand als Wahrheit zitieren, es sei denn, er selbst sage es unter Qualen. – Es ist eben keine Theorie. – Oder auch: Ist dies Wahrheit, so ist es nicht die, die damit auf den ersten Blick ausgesprochen zu sein scheint. Eher als eine Theorie, ist es ein Seufzer, oder ein Schrei.

1937


Russell tat im Laufe unserer Gespräche oft den Ausspruch: »Logic’s hell!« – Und dies drückt ganz aus, was wir beim Nachdenken über die logischen Probleme empfanden; nämlich ihre ungeheure Schwierigkeit, ihre Härte und Glätte.

Der Hauptgrund dieser Empfindung war, glaube ich, das Faktum: daß jede neue Erscheinung der Sprache, an die man nachträglich denken mochte, die frühere Erklärung als unbrauchbar erweisen könnte. (Die Empfindung war, daß die Sprache immer neue, und unmögliche, Forderungen heranbringen konnte; und so jede Erklärung vereitelt wurde.)

Das aber ist die Schwierigkeit, in die Sokrates verwickelt wird, wenn er die Definition eines Begriffes zu geben versucht. Immer wieder taucht eine Anwendung des Wortes auf, die mit dem Begriff nicht vereinbar erscheint, zu dem uns andere Anwendungen geleitet haben. Man sagt: es ist doch nicht so! – aber es ist doch so! – und kann nichts tun, als sich diese Gegenstände beständig zu wiederholen.

1937


Die Quelle, die in den Evangelien ruhig und durchsichtig fließt, scheint in den Briefen des Paulus zu schäumen. Oder, so scheint es mir. Vielleicht ist es eben bloß meine eigene Unreinheit, die hier die Trübung hineinsieht; denn warum sollte diese Unreinheit nicht das Klare verunreinigen können? Aber mir ist es, als sähe ich hier menschliche Leidenschaft, etwas wie Stolz oder Zorn, was sich nicht mit der Demut der Evangelien reimt. Als wäre hier doch ein Betonen der eigenen Person, und zwar als religiöser Akt, was dem Evangelium fremd ist. Ich möchte fragen – und möge dies keine Blasphemie sein –: »Was hätte wohl Christus zu Paulus gesagt?« Aber man könnte mit Recht darauf antworten: Was geht Dich das an? Schau, daß Du anständiger wirst! Wie Du bist, kannst Du überhaupt nicht verstehen, was hier die Wahrheit sein mag!

In den Evangelien – so scheint mir – ist alles schlichter, demütiger, einfacher. Dort sind Hütten; bei Paulus eine Kirche. Dort sind alle Menschen gleich und Gott selbst ein Mensch; bei Paulus gibt es schon etwas wie eine Hierarchie; Würden und Ämter. – so sagt quasi mein GERUCHSINN.

1937


Laß uns menschlich sein. –

1937


⟨Ich⟩ nahm soeben Äpfel aus einem Papiersack, wo sie lange gelegen hatten; viele mußte ich zur Hälfte wegschneiden und wegwerfen. Als ich dann einen Satz von mir abschrieb, dessen letzte Hälfte schlecht war, sah ich ihn gleich als zur Hälfte faulen Apfel. Und so geht es mir überhaupt. Alles, was mir in den Weg kommt, wird in mir zum Bild dessen, worüber ich noch denke. (Ist dies eine gewisse Weiblichkeit der Einstellung?)

1937


Mir geht es bei dieser Arbeit so, wie es Einem geht, wenn man sich vergebens anstrengt, einen Namen in die Erinnerung zu rufen; man sagt da: »denk an etwas Anderes, dann wird es Dir einfallen« – und so mußte ich immer wieder an Anderes denken, damit mir das einfallen konnte, wonach ich lange gesucht hatte.

1937


Der Ursprung und die primitive Form des Sprachspiels ist eine Reaktion; erst auf dieser können die komplizierteren Formen wachsen.

Die Sprache – will ich sagen – ist eine Verfeinerung, ›im Anfang war die Tat‹.[13]

1937


Kierkegaard schreibt: Wenn das Christentum so leicht und gemütlich wäre, wozu hätte Gott in seiner Schrift Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, mit ewigen Strafen gedroht? – Frage: Warum aber ist dann diese Schrift so undeutlich? Wenn man jemand vor furchtbarer Gefahr warnen will, tut man es, indem man ihm ein Rätsel zu raten gibt, dessen Lösung etwa die Warnung ist? – Aber wer sagt, daß die Schrift wirklich undeutlich ist: ist es nicht möglich, daß es hier wesentlich war, ›ein Rätsel aufzugeben‹? Daß eine direktere Warnung dennoch die falsche Wirkung hätte haben müssen? Gott läßt das Leben des Gottmenschen von vier Menschen berichten, von jedem anders, und widersprechend – aber kann man nicht sagen: Es ist wichtig, daß dieser Bericht nicht mehr als sehr gewöhnliche historische Wahrscheinlichkeit habe, damit diese nicht für das Wesentliche, Ausschlaggebende gehalten werde. Damit der Buchstabe nicht mehr Glaube fände, als ihm gebührt und der Geist sein Recht behalte. D. h.: Was Du sehen sollst, läßt sich auch durch den besten, genauesten Geschichtsschreiber nicht vermitteln; darum genügt, ja ist vorzuziehen, eine mittelmäßige Darstellung. Denn, was Dir mitgeteilt werden soll, kann die auch mitteilen. (Ähnlich etwa, wie eine mittelmäßige Theaterdekoration besser sein kann, als eine raffinierte, gemalte Bäume besser als wirkliche, – die die Aufmerksamkeit von dem ablenken, worauf es ankommt.)

Das Wesentliche, für Dein Leben Wesentliche, aber legt der Geist in diese Worte. Du SOLLST gerade nur das deutlich sehen, was auch diese Darstellung deutlich zeigt. (Ich weiß nicht sicher, wie weit dies alles genau im Geiste Kierkegaards ist.)

1937


In der Religion müßte es so sein, daß jeder Stufe der Religiosität eine Art des Ausdrucks entspräche, die auf einer niedrigeren Stufe keinen Sinn hat. Für den jetzt auf der niedrigern Stufe Stehenden ist diese Lehre, die auf der höheren Bedeutung hat, null und nichtig; sie kann nur falsch verstanden werden, und dabei gelten diese Worte für diesen Menschen nicht.

Die Lehre, z. B., von der Gnadenwahl bei Paulus ist auf meiner Stufe Irreligiosität, ein häßlicher Unsinn. Daher gehört sie nicht für mich, da ich das mir gebotene Bild nur falsch anwenden kann. Ist es ein frommes und gutes Bild, dann für eine ganz andere Stufe, auf der es gänzlich anders im Leben muß angewandt werden, als ich es anwenden könnte.

1937


Das Christentum gründet sich nicht auf eine historische Wahrheit, sondern es gibt uns eine (historische) Nachricht und sagt: jetzt glaube! Aber nicht, glaube diese Nachricht mit dem Glauben, der zu einer geschichtlichen Nachricht gehört, – sondern: glaube, durch dick und dünn und das kannst Du nur als Resultat eines Lebens. Hier hast Du eine Nachricht, – verhalte Dich zu ihr nicht, wie zu einer anderen historischen Nachricht! Laß sie eine ganz andere Stelle in Deinem Leben einnehmen. – Daran ist nichts Paradoxes!

1937


Niemand kann mit Wahrheit von sich selbst sagen, daß er Dreck ist. Denn wenn ich es sage, so kann es in einem Sinne wahr sein, aber ich kann nicht selbst von dieser Wahrheit durchdrungen sein: sonst müßte ich wahnsinnig werden, oder mich ändern.

1937


So sonderbar es klingt: Die historischen Berichte der Evangelien könnten, im historischen Sinn, erweislich falsch sein, und der Glaube verlöre doch nichts dadurch: aber nicht, weil er sich etwa auf ›allgemeine Vernunftwahrheiten‹ bezöge!, sondern, weil der historische Beweis (das historische Beweis-Spiel) den Glauben gar nichts angeht. Diese Nachricht (die Evangelien) wird glaubend (d. h. liebend) vom Menschen ergriffen. Das ist die Sicherheit dieses Für-wahr-haltens, nicht Anderes.

Der Glaubende hat zu diesen Nachrichten weder das Verhältnis zur historischen Wahrheit (Wahrscheinlichkeit), noch das zu einer Lehre von ›Vernunftwahrheiten‹. Das gibt’s. – (Man hat ja sogar zu verschiedenen Arten dessen, was man Dichtung nennt, ganz verschiedene Einstellungen!).

1937


Ich lese: »Und niemand kann Jesum einen Herrn heißen, außer durch den heiligen Geist.« – Und es ist wahr: ich kann ihn keinen Herrn heißen; weil mir das gar nichts sagt. Ich könnte ihn ›das Vorbild‹, ja ›Gott‹ nennen – oder eigentlich: ich kann verstehen, wenn er so genannt wird; aber das Wort »Herr« kann ich nicht mit Sinn aussprechen. Weil ich nicht glaube, daß er kommen wird, mich zu richten; weil mir das nichts sagt. Und das könnte mir nur etwas sagen, wenn ich ganz anders lebte.

Was neigt auch mich zu dem Glauben an die Auferstehung Christi hin? Ich spiele gleichsam mit dem Gedanken. – Ist er nicht auferstanden, so ist er im Grab verwest, wie jeder Mensch. Er ist tot und verwest. Dann ist er ein Lehrer, wie jeder andere und kann nicht mehr helfen; und wir sind wieder verwaist und allein. Und können uns mit der Weisheit und Spekulation begnügen. Wir sind gleichsam in einer Hölle, wo wir nur träumen können, und vom Himmel, durch eine Decke gleichsam, abgeschlossen. Wenn ich aber WIRKLICH erlöst werden soll, – so brauche ich Gewißheit – nicht Weisheit, Träume, Spekulation – und diese Gewißheit ist der Glaube. Und der Glaube ist Glaube an das, was mein Herz, meine Seele braucht, nicht mein spekulierender Verstand. Denn meine Seele, mit ihren Leidenschaften, gleichsam mit ihrem Fleisch und Blut, muß erlöst werden, nicht mein abstrakter Geist. Man kann vielleicht sagen: Nur die Liebe kann die Auferstehung glauben. Oder: Es ist die Liebe, was die Auferstehung glaubt. Man könnte sagen: Die erlösende Liebe glaubt auch an die Auferstehung; hält auch an der Auferstehung fest. Was den Zweifel bekämpft, ist gleichsam die Erlösung. Das Festhalten an ihr muß das Festhalten an diesem Glauben sein. Das heißt also: sei erst erlöst und halte an Deiner Erlösung (halte Deine Erlösung) fest – dann wirst Du sehen, daß Du an diesem Glauben festhältst. Das kann also nur geschehen, wenn Du dich nicht mehr auf die Erde stützst, sondern am Himmel hängst. Dann ist alles anders und es ist ›kein Wunder‹, wenn Du dann kannst, was Du jetzt nicht kannst. (Anzusehen ist freilich der Hängende wie der Stehende, aber das Kräftespiel in ihm ist ja ein ganz anderes und er kann daher ganz anderes tun, als der Stehende.)

1937


Es ist unmöglich wahrer über sich selbst zu schreiben, als man ist. Das ist der Unterschied zwischen dem Schreiben über sich und über äußere Gegenstände. Über sich schreibt man, so hoch man ist. Da steht man nicht auf Stelzen oder auf einer Leiter, sondern auf den bloßen Füßen.

1937


Freuds Idee: Das Schloß ist im Wahnsinn nicht zerstört, nur verändert; der alte Schlüssel kann es nicht mehr aufsperren, aber ein anders gebildeter Schlüssel könnte es.

1938


Von einer Brucknerschen Symphonie kann man sagen, sie habe zwei Anfänge: den Anfang des ersten und den Anfang des zweiten Gedankens. Diese beiden Gedanken verhalten sich nicht wie Blutsverwandte zu einander, sondern wie Mann und Weib.

1938


Die Brucknersche Neunte ist gleichsam ein Protest gegen die Beethovensche und dadurch wird sie erträglich, was sie als eine Art Nachahmung nicht wäre. Sie verhält sich zur Beethovenschen sehr ähnlich, wie der Lenausche Faust zum Goetheschen, nämlich der katholische Faust zum aufgeklärten, etc. etc.

1938


Nichts ist so schwer, als sich nicht betrügen.

1938


Longfellow:

In the elder days of art,
Builders wrought with greatest care
Each minute and unseen part,
For the gods are everywhere.

(Könnte mir als ein Motto dienen.)

1938


Erscheinungen mit sprachähnlichem Charakter in der Musik oder Architektur. Die sinnvolle Unregelmäßigkeit – in der Gotik z. B. (mir schweben auch die Türme der Basiliuskathedrale vor). Die Musik Bachs ist sprachähnlicher als die Mozarts und Haydns. Die Rezitative der Bässe im vierten Satz der neunten Symphonie von Beethoven. (Vergleiche auch Schopenhauers Bemerkung über die allgemeine Musik zu einem besonderen Text.)[14]

1938


Im Rennen der Philosophie gewinnt, wer am langsamsten laufen kann. Oder: der, der das Ziel zuletzt erreicht.

1938


Sich psychoanalysieren lassen ist irgendwie ähnlich vom Baum der Erkenntnis essen. Die Erkenntnis, die man dabei erhält, stellt uns (neue) ethische Probleme; trägt aber nichts zu ihrer Lösung bei.

1939


Was fehlt der Mendelssohnschen Musik? Eine ›mutige‹ Melodie?

1939-1940


Das alte Testament gesehen als der Körper ohne Kopf; das neue Testament: der Kopf; die Briefe der Apostel: die Krone auf dem Haupt.

Wenn ich an die Judenbibel denke, das alte Testament allein, möchte ich sagen: diesem Körper fehlt (noch) der Kopf. Diesen Problemen fehlt die Lösung. Diesen Hoffnungen die Erfüllung. Aber ich denke mir nicht notwendigerweise einen Kopf mit einer Krone.

1939-1940


Der Neid ist etwas Oberflächliches – d. h.: die typische Farbe des Neides reicht nicht tief – weiter unten hat die Leidenschaft eine andere Färbung. (Das macht den Neid, natürlich, nicht weniger real.)

1939-1940


Das Maß des Genies ist der Charakter, – wenn auch der Charakter an sich nicht das Genie ausmacht. Genie ist nicht ›Talent und Charakter‹, sondern Charakter, der sich in der Form eines speziellen Talents kundgibt. Wie ein Mensch aus Mut einem ins Wasser nachspringt, so schreibt ein anderer aus Mut eine Symphonie. (Dies ist ein schwaches Beispiel.)

1939-1940


Das Genie hat nicht mehr Licht als ein andrer, rechtschaffener Mensch – aber es sammelt dies Licht durch eine bestimmte Art von Linse in einen Brennpunkt.

1939-1940


Warum wird die Seele von eiteln Gedanken bewegt, – wenn sie doch eitel sind? Nun, sie wird von ihnen bewegt.

(Wie kann der Wind den Baum bewegen, wo er doch nur Luft ist? Nun, er bewegt ihn; und vergiß es nicht.)

1939-1940


Man kann nicht die Wahrheit sagen; wenn man sich noch nicht selbst bezwungen hat. Man kann sie nicht sagen; – aber nicht, weil man noch nicht gescheit genug ist.

Nur der kann sie sagen, der schon in ihr ruht; nicht der, der noch in der Unwahrheit ruht, und nur einmal aus der Unwahrheit heraus nach ihr langt.

1939-1940


Auf seinen Lorbeeren auszuruhen ist so gefährlich, wie auf einer Schneewanderung ausruhen. Du nickst ein, und stirbst im Schlaf.

1939-1940


Die ungeheure Eitelkeit der Wünsche zeigt sich dadurch, daß ich z. B. den Wunsch habe, ein schönes Schreibebuch sobald wie möglich vollzuschreiben. Ich habe nichts davon; ich wünsche es nicht etwa, weil es nur meine Produktivität anzeigt; es ist bloß das Verlangen, etwas schon Gewohntes recht bald los zu werden; obwohl ich ja, sobald ich es los geworden bin, ein neues anfangen werde und sich dasselbe wiederholen muß.

1939-1940


Schopenhauer, könnte man sagen, ist ein ganz roher Geist. D. h.: Er hat Verfeinerung, aber in einer gewissen Tiefe hört diese plötzlich auf, und er ist so roh, wie der Roheste. Dort, wo eigentliche Tiefe anfängt, hört die seine auf.

Man könnte von Schopenhauer sagen: er geht nie in sich.

1939-1940


Ich sitze auf dem Leben, wie der schlechte Reiter auf dem Roß. Ich verdanke es nur der Gutmütigkeit des Pferdes, daß ich jetzt gerade nicht abgeworfen werde.

1939-1940


Wenn die Kunst dazu dient, ›Gefühle zu erzeugen‹, ist, am Ende, ihre sinnliche Wahrnehmung auch unter diesen Gefühlen?

1939-1940


Meine Originalität (wenn das das richtige Wort ist) ist, glaube ich, eine Originalität des Bodens, nicht des Samens. (Ich habe vielleicht keinen eigenen Samen.) Wirf einen Samen in meinen Boden, und er wird anders wachsen, als in irgend einem andern Boden.

Auch die Originalität Freuds war, glaube ich, von dieser Art. Ich habe immer geglaubt – ohne daß ich weiß, warum – daß der eigentliche Same der Psychoanalyse von Breuer, nicht von Freud, herrührt. Das Samenkorn Breuers kann natürlich nur ganz winzig gewesen sein. Mut ist immer originell.

1939-1940


Die Menschen heute glauben, die Wissenschaftler seien da, sie zu belehren, die Dichter und Musiker etc., sie zu erfreuen. Daß diese sie etwas zu lehren haben; kommt ihnen nicht in den Sinn.

1939-1940


Das Klavierspielen, ein Tanz der menschlichen Finger.

1939-1940


Shakespeare, könnte man sagen, zeigt den Tanz der menschlichen Leidenschaften. Er muß daher objektiv sein, sonst würde er ja nicht den Tanz der menschlichen Leidenschaften zeigen – sondern etwa über ihn reden. Aber er zeigt sie uns im Tanz, nicht naturalistisch. (Diese Idee habe ich von Paul Engelmann.)

1939-1940


Auch im höchsten Kunstwerk ist noch etwas, was man ›Stil‹, ja auch, was man ›Manier‹ nennen kann. Die Gleichnisse des N. T. lassen jede beliebige Tiefe des Verstandes zu. Sie sind ohne einen Boden. Sie haben weniger Stil, als das erste Sprechen eines Kindes.

1939-1940


Das Verführerische der kausalen Betrachtungsweise ist, daß sie einen dazu führt, zu sagen: »Natürlich, – so mußte es geschehen.« Während man denken sollte: so und auf viele andere Weise, kann es geschehen sein.

1940


Wenn wir die ethnologische Betrachtungsweise verwenden, heißt das, daß wir die Philosophie für Ethnologie erklären? Nein, es heißt nur, daß wir unsern Standpunkt weit draußen einnehmen, um die Dinge objektiver sehen zu können.

1940


Dasjenige, wogegen ich mich wehre, ist der Begriff einer idealen Exaktheit, der uns sozusagen a priori gegeben wäre. Zu verschiedenen Zeiten sind unsere Ideale der Exaktheit verschieden; und keines ist das höchste.

1940


Eine meiner wichtigsten Methoden ist es, mir den historischen Gang der Entwicklung unsrer Gedanken anders vorzustellen, als er in Wirklichkeit war. Tut man das, so zeigt uns das Problem eine ganz neue Seite.

1940


Es ist oft nur sehr wenig unangenehmer die Wahrheit zu sagen, als eine Lüge; etwa nur so schwer wie bittern Kaffee zu trinken als süßen; und doch neige ich auch dann stark dazu, die Lüge zu sagen.

1940


In aller großen Kunst ist ein WILDES Tier: gezähmt. Bei Mendelssohn, z. B., nicht. Alle große Kunst hat als ihren Grundbaß die primitiven Triebe des Menschen. Sie sind nicht die Melodie (wie, vielleicht, bei Wagner), aber das, was der Melodie ihre Tiefe und Gewalt gibt.

In diesem Sinne kann man Mendelssohn einen ›reproduktiven‹ Künstler nennen. –

Im gleichen Sinn: mein Haus für Gretl[15] ist das Produkt entschiedener Feinhörigkeit, guter Manieren, der Ausdruck eines großen Verständnisses (für eine Kultur, etc.). Aber das ursprüngliche Leben, das wilde Leben, welches sich austoben möchte – fehlt. Man könnte also auch sagen, es fehlt ihm die Gesundheit (Kierkegaard). (Treibhauspflanze.)

1940


Ein Lehrer, der während des Unterrichts gute, oder sogar erstaunliche Resultate aufweisen kann, ist darum noch kein guter Lehrer, denn es ist möglich, daß er seine Schüler, während sie unter seinem unmittelbaren Einfluß stehen, zu einer ihnen unnatürlichen Höhe emporzieht, ohne sie doch zu dieser Höhe zu entwickeln, so daß sie sofort zusammensinken, wenn der Lehrer die Schulstube verläßt. Dies gilt vielleicht von mir; ich habe daran gedacht. (Mahlers Lehranführungen waren ausgezeichnet, wenn er sie leitete; das Orchester schien sofort zusammenzusinken, wenn er es nicht selbst leitete.)

1940


›Zweck der Musik: Gefühle zu vermitteln.‹

Damit verbunden: Wir mögen mit Recht sagen »er hat jetzt das gleiche Gesicht wie früher« – obwohl die Messung in beiden Fällen Verschiedenes ergab.

Wie werden die Worte »der gleiche Gesichtsausdruck« gebraucht? – Wie weiß man, daß Einer diese Worte richtig gebraucht? Aber weiß ich, daß ich sie richtig gebrauche?

1940


Man könnte sagen: »Genie ist Mut im Talent

1940


Trachte geliebt und nicht-bewundert zu werden.

1940


Not funk but funk conquered is what is worthy of admiration and makes life worth having been lived. Der Mut, nicht die Geschicklichkeit; nicht einmal die Inspiration, ist das Senfkorn, was zum großen Baum emporwächst. Soviel Mut, soviel Zusammenhang mit Leben und Tod. (Ich dachte an Labors und Mendelssohns Orgelmusik.) Aber dadurch, daß man den Mangel an Mut in einem Andern einsieht, erhält man selbst nicht Mut.

1940


Man muß manchmal einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben, – und kann ihn dann wieder in den Verkehr einführen.

1940


Wie schwer fällt mir zu sehen, was vor meinen Augen liegt!

1940


Du kannst nicht die Lüge nicht aufgeben wollen, und die Wahrheit sagen.

1940


Den richtigen Stil schreiben heißt, den Wagen genau aufs Geleise setzen.

1940


Wenn dieser Stein sich jetzt nicht bewegen will, wenn er eingekeilt ist, beweg’ erst andre Steine, um ihn herum. –

Wir wollen Dich nur richtig auf die Bahn setzen, wenn Dein Wagen schief auf den Schienen steht. Fahren lassen wir Dich dann allein.

1940


Mörtel abkratzen ist viel leichter, als einen Stein zu bewegen. Nun, man muß das Erste tun, bis man einmal das Andre tun kann.

1940


Mein Stil gleicht schlechtem musikalischen Satz.

1941


Entschuldige nichts, verwische nichts, sieh und sag, wie es wirklich ist – aber Du mußt das sehen, was ein neues Licht auf die Tatsachen wirft.

1941


Unsere größten Dummheiten können sehr weise sein.

1941


Es ist unglaublich, wie eine neue Lade, an geeignetem Ort in unserem filing-cabinet, hilft.

1941


Du mußt Neues sagen und doch lauter Altes.

Du mußt allerdings nur Altes sagen – aber doch etwas Neues!

Die verschiedenen ›Auffassungen‹ müssen verschiedenen Anwendungen entsprechen.

Auch der Dichter muß sich immer fragen: ›ist denn, was ich schreibe, wirklich wahr?‹ – was nicht heißen muß: ›geschieht es so in Wirklichkeit?‹

Du mußt freilich Altes herbeitragen. Aber zu einem Bau. –

1941


Im Alter entschlüpfen uns wieder die Probleme, so wie in der Jugend. Wir können sie nicht nur nicht aufknacken, wir können sie auch nicht halten.

1941


Welche seltsame Stellungnahme der Wissenschaftler –: »Das wissen wir noch nicht; aber es läßt sich wissen, und es ist nur eine Frage der Zeit, so wird man es wissen«! Als ob es sich von selbst verstünde. –

1941


Ich könnte mir denken, daß Einer meinte, die Namen »Fortnum« und »Mason« paßten zusammen.

1941


Fordere nicht zuviel, und fürchte nicht, daß Deine gerechte Forderung ins Nichts zerrinnen wird.

1941


Die Menschen, die immerfort ›warum‹ fragen, sind wie die Touristen, die, im Baedeker lesend, vor einem Gebäude stehen und durch das Lesen der Entstehungsgeschichte etc. etc. daran gehindert werden, das Gebäude zu sehen.

1941


Der Kontrapunkt könnte für einen Komponisten ein außerordentlich schwieriges Problem darstellen; das Problem nämlich: in welches Verhältnis soll ich mit meinen Neigungen mich zum Kontrapunkt stellen? Er mochte ein konventionelles Verhältnis gefunden haben, aber wohl fühlen, daß es nicht das seine sei. Daß die Bedeutung nicht klar sei, welche der Kontrapunkt für ihn haben solle. (Ich dachte dabei an Schubert; daran, daß er am Ende seines Lebens noch Unterricht im Kontrapunkt zu nehmen wünschte. Ich meine, sein Ziel sei vielleicht nicht gewesen, einfach mehr Kontrapunkt zu lernen, als vielmehr sein Verhältnis zum Kontrapunkt zu finden.)

1941


Wagners Motive könnte man musikalische Prosasätze nennen. Und so, wie es ›gereimte Prosa‹ gibt, kann man diese Motive allerdings zur melodischen Form zusammenfügen, aber sie ergeben nicht eine Melodie.

Und so ist auch das Wagnersche Drama kein Drama, sondern eine Aneinanderreihung von Situationen, die wie auf einem Faden aufgefädelt sind, der selbst nur klug gesponnen, aber nicht, wie die Motive und Situationen, inspiriert ist.

1941


Laß Dich nicht von dem Beispiel Anderer führen, sondern von der Natur!

1941


Die Sprache der Philosophen ist schon eine gleichsam durch zu enge Schuhe deformierte.

1941


Die Personen eines Dramas erregen unsere Teilnahme, sie sind uns wie Bekannte, oft wie Menschen, die wir lieben oder hassen: Die Personen im zweiten Teil des ›Fausts‹ erregen unsere Teilnahme gar nicht! Wir haben nie die Empfindung, als kennten wir sie. Sie ziehen an uns vorüber, wie Gedanken, nicht wie Menschen.

1941


Der Mathematiker (Pascal), der die Schönheit eines Theorems der Zahlentheorie bewundert; er bewundert gleichsam eine Naturschönheit. Es ist wunderbar, sagt er, welch herrliche Eigenschaften die Zahlen haben. Es ist, als bewunderte er die Regelmäßigkeiten einer Art von Krystall.

1942


Man könnte sagen: welch herrliche Gesetze hat der Schöpfer in die Zahlen gelegt!

1942


Wolken kann man nicht bauen. Und darum wird die erträumte Zukunft nie wahr.

1942


Ehe man ein Flugzeug hatte, hat man Flugzeuge erträumt und wie die Welt mit ihnen aussehen würde. Aber, wie die Wirklichkeit nichts weniger als diesem Traume glich, so hat man überhaupt keinen Grund zu glauben, die Wirklichkeit werde sich zu dem entwickeln, was man träumt. Denn unsre Träume sind voll Tand, gleichsam Papiermützen und Kostüme.

1942


Die populär-wissenschaftlichen Schriften unsrer Wissenschaftler sind nicht der Ausdruck der harten Arbeit, sondern der Ruhe auf ihren Lorbeeren.

1942


Wenn Du die Liebe eines Menschen hast, so kannst Du sie mit keinem Opfer überzahlen; aber jedes Opfer ist zu groß, um Dir sie zu erkaufen.

1942


Förmlich wie es einen tiefen und einen seichten Schlaf gibt, so gibt es Gedanken, die tief im Innern vor sich gehen, und Gedanken, die sich an der Oberfläche herumtummeln.

1942


Du kannst den Keim nicht aus dem Boden ziehen. Du kannst ihm nur Wärme und Feuchtigkeit und Licht geben und dann muß er wachsen. (Nur mit Vorsicht darfst Du ihn selbst berühren.)

1942


Was hübsch ist, kann nicht schön sein. –

1942


Ein Mensch ist in einem Zimmer gefangen, wenn die Tür unversperrt ist, sich nach innen öffnet; er aber nicht auf die Idee kommt zu ziehen, statt gegen sie zu drücken.

1942


Bring den Menschen in die unrichtige Atmosphäre und nichts wird funktionieren, wie es soll. Er wird an allen Teilen ungesund erscheinen. Bring ihn wieder in das richtige Element, und alles wird sich entfalten und gesund erscheinen. Wenn er nun aber im unrechten Element ist? Dann muß er sich also damit abfinden, als Krüppel zu erscheinen.

1942


Wenn Weiß zu Schwarz wird, sagen manche Menschen »Es ist im Wesentlichen noch immer dasselbe«. Und andere, wenn die Farbe um einen Grad dunkler wird, sagen »Es hat sich ganz verändert«.

1942


Architektur ist eine Geste. Nicht jede zweckmäßige Bewegung des menschlichen Körpers ist eine Geste. Sowenig, wie jedes zweckmäßige Gebäude Architektur.

1942


Wir kämpfen jetzt gegen eine Richtung. Aber diese Richtung wird sterben, durch andere Richtungen verdrängt, dann wird man unsere Argumentation gegen sie nicht mehr verstehen; nicht begreifen, warum man all das hat sagen müssen.

1942


Den Fehler in einem schiefen Raisonnement suchen und Fingerhut-Verstecken.

1942


Denk’ Dir, jemand hätte vor 2000 Jahren die Form

Schematic visual representation of a locomotive

erfunden und gesagt, sie werde einmal die Form eines Instruments der Fortbewegung sein.

Oder vielleicht: es hätte jemand den vollständigen Mechanismus der Dampfmaschine konstruiert, ohne irgendwelche Ahnung, daß, und wie, er als Motor zu benützen wäre.

1943


Was Du für ein Geschenk hältst, ist ein Problem, das Du lösen sollst.

1943


Genie ist das, was uns das Talent des Meisters vergessen macht.


Genie ist das, was uns das Geschick vergessen macht.


Wo das Genie dünn ist, kann das Geschick durchschauen. (Meistersinger Vorspiel.)


Genie ist das, was macht, daß wir das Talent des Meisters nicht sehen können.


Nur wo das Genie dünn ist, kann man das Talent sehen.

1943


Friede in den Gedanken. Das ist das ersehnte Ziel dessen, der philosophiert.

1944


Warum soll ich nicht Ausdrücke entgegen ihren ursprünglichen Gebrauch verwenden? Tut das z. B. nicht Freud, wenn er auch einen Angsttraum einen Wunschtraum nennt? Wo ist der Unterschied? In der wissenschaftlichen Betrachtung ist der neue Gebrauch durch eine Theorie gerechtfertigt. Und ist diese Theorie falsch, dann ist auch der neue, ausgedehnte Gebrauch aufzugeben. In der Philosophie aber sind es nicht wahre oder falsche Meinungen über Naturvorgänge, auf die sich der ausgedehnte Gebrauch stützt. Keine Tatsache rechtfertigt ihn, keine kann ihn stützen.


Man sagt uns: »Du verstehst doch diesen Ausdruck? Nun also, in der Bedeutung, die Du kennst, gebrauche auch ich ihn.« [Nicht: »... in der Bedeutung –«.] Also wäre die Bedeutung eine Aura, die das Wort mitbringt und in jederlei Verwendung herübernimmt.

1944


Der Philosoph ist der, der in sich viele Krankheiten des Verstandes heilen muß, ehe er zu den Notionen des gesunden Menschenverstandes kommen kann.

1944


Wenn wir im Leben vom Tod umgeben sind, so auch in der Gesundheit des Verstands vom Wahnsinn.[16]

1944


Denken wollen ist eins; Talent zum Denken haben, ein Anderes.

1944


Wenn etwas an der Freudschen Lehre von der Traumdeutung ist; so zeigt sie, in wie komplizierter Weise der menschliche Geist Bilder der Tatsachen macht.

So kompliziert, so unregelmäßig ist die Art der Abbildung, daß man sie kaum mehr eine Abbildung nennen kann.

1944


Es wird schwierig sein, meiner Darstellung zu folgen: denn sie sagt Neues, dem doch die Eierschalen des Alten ankleben.

1944 oder später


Ob es eine unerfüllte Sehnsucht ist, die einen Menschen wahnsinnig macht? (Ich dachte an Schumann, aber auch an mich.)

Circa 1941-1944


Revolutionär wird der sein, der sich selbst revolutionieren kann.

Circa 1944


What’s ragged should be left ragged.

Circa 1944


A miracle is, as it were, a gesture which God makes. As a man sits quietly and then makes an impressive gesture, God lets the world run on smoothly and then accompanies the words of a saint by a symbolic occurrence, a gesture of nature. It would be an instance if, when a saint has spoken, the trees around him bowed, as if in reverence. – Now, do I believe that this happens? I don’t.

The only way for me to believe in a miracle in this sense would be to be impressed by an occurrence in this particular way. So that I should say e.g.: »It was impossible to see these trees and not to feel that they were responding to the words.« Just as I might say »It is impossible to see the face of this dog and not to see that he is alert and full of attention to what his master is doing«. And I can imagine that the mere report of the words and life of a saint can make someone believe the reports that the trees bowed. But I am not so impressed.

Circa 1944


When I came home I expected a surprise and there was no surprise for me, so, of course, I was surprised.

Circa 1944


Menschen sind in dem Maße religiös, als sie sich nicht so sehr unvollkommen, als krank glauben.

Jeder halbwegs anständige Mensch glaubt sich höchst unvollkommen, aber der religiöse glaubt sich elend.

Circa 1944


Glaube Du! Es schadet nicht.

Circa 1944


Glauben heißt, sich einer Autorität unterwerfen. Hat man sich ihr unterworfen, so kann man sie nun nicht, ohne sich gegen sie auflehnen, wieder in Frage ziehen und auf’s neue glaubwürdig finden.

Circa 1944


Ein Notschrei kann nicht größer sein, als der eines Menschen.

Oder auch keine Not kann größer sein, als die, in der ein einzelner Mensch sein kann.

Ein Mensch kann daher in unendlicher Not sein und also unendliche Hilfe brauchen.

Die christliche Religion ist nur für den, der unendliche Hilfe braucht, also nur für den, der unendliche Not fühlt.

Der ganze Erdball kann nicht in größerer Not sein als eine Seele.

Der christliche Glaube – so meine ich – ist die Zuflucht in dieser höchsten Not.

Wem es in dieser Not gegeben ist, sein Herz zu öffnen, statt es zusammenzuziehen, der nimmt das Heilmittel ins Herz auf.

Wer das Herz so öffnet im reuigen Bekenntnis zu Gott, öffnet es auch für die Anderen. Er verliert damit seine Würde als ausgezeichneter Mensch und wird daher wie ein Kind. Nämlich ohne Amt, Würde und Abstand von den Andern. Sich vor den Andern öffnen kann man nur aus einer besonderen Art von Liebe. Die gleichsam anerkennt, daß wir alle böse Kinder sind.

Man könnte auch sagen: Der Haß zwischen den Menschen kommt davon her, daß wir uns von einander absondern. Weil wir nicht wollen, daß der Andere in uns hineinschaut, weil es darin nicht schön ausschaut.

Man soll nun zwar fortfahren, sich seines Innern zu schämen, aber nicht sich seines vor den Mitmenschen zu schämen.

Größere Not kann nicht empfunden werden, als von Einem Menschen. Denn wenn sich ein Mensch verloren fühlt, so ist das die höchste Not.

Circa 1944


Worte sind Taten.[17]

Circa 1945


Nur ein sehr unglücklicher Mensch hat das Recht einen Andern zu bedauern.

Circa 1945


Man kann vernünftigerweise nicht einmal auf Hitler eine Wut haben; wieviel weniger auf Gott.

Circa 1945


Wenn Leute gestorben sind, so sehen wir ihr Leben in einem versöhnlichen Licht. Sein Leben scheint uns durch einen Dunst abgerundet. Aber für ihn war’s nicht abgerundet, sondern zackig und unvollständig. Für ihn gab es keine Versöhnung; sein Leben ist nackt und elend.

Circa 1945


Es ist als hätte ich mich verirrt und fragte ich jemand nun den Weg nach Hause. Er sagt, er wird mich ihn führen und geht mit mir einen schönen ebenen Weg. Der kommt plötzlich zu einem Ende. Und nun sagt mein Freund: »Alles, was Du zu tun hast, ist jetzt noch von hier an den Weg nach Hause finden.«

Circa 1945


Je weniger sich Einer selbst kennt und versteht um so weniger groß ist er, wie groß auch sein Talent sein mag. Darum sind unsre Wissenschaftler nicht groß. Darum sind Freud, Spengler, Kraus, Einstein nicht groß.

1946


Sind alle Leute große Menschen? Nein. – Nun, wie kannst Du dann hoffen, ein großer Mensch zu sein! Warum soll Dir etwas zuteil werden, was Deinen Nachbarn nicht zuteil wird? Wofür?! – Wenn es nicht der Wunsch ist, reich zu sein, der Dich glauben macht, Du seist reich, so muß es doch eine Beobachtung, eine Erfahrung, sein, die Dir das zeigt! Und welche Erfahrung hast Du (außer der der Eitelkeit)? Nur die eines Talents. Und meine Einbildung, ich sei ein außerordentlicher Mensch, ist ja viel älter, als meine Erfahrung meines besonderen Talents.

1946


Schubert ist irreligiös und schwermütig.

1946


Von den Melodien Schuberts kann man sagen, sie seien voller Pointen, und das kann man von den Mozarts nicht sagen; Schubert ist barock. Man kann auf gewisse Stellen einer Schubertschen Melodie zeigen und sagen: siehst Du, das ist der Witz dieser Melodie, hier spitzt sich der Gedanke zu.

Auf die Melodien der verschiedenen Komponisten kann man jenes Prinzip der Betrachtung anwenden: jede Baumart sei in anderem Sinne ›Baum‹. D. h.: Laß Dich nicht irreführen dadurch, daß man sagt, alles dies seien Melodien. Es sind Stufen auf einem Weg, der von etwas, was Du keine Melodie nennen würdest, zu etwas führt, was Du auch keine nennen würdest. Wenn man bloß die Tonfolgen und den Wechsel der Tonarten ansieht, so erscheinen alle diese Gebilde allerdings in Koordination. Siehst Du aber das Feld an, in dem sie stehen (also ihre Bedeutung), so wird man geneigt sein, zu sagen: Hier ist die Melodie etwas ganz anderes als dort (sie hat hier einen andern Ursprung, spielt eine andere Rolle, u. a.).

1946


Der Gedanke, der sich an’s Licht arbeitet.

1946


Die Bemerkung des Jukundus im ›Verlornen Lachen‹,[18] seine Religion bestünde darin: er wisse, – wenn es ihm jetzt gut geht, – sein Schicksal könne sich zum Schlechten wenden. Dies drückt eigentlich die gleiche Religion aus, wie das Wort »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«.

1946


Es ist schwer, sich recht zu verstehen, denn dasselbe, was man aus Größe und Güte tun könnte, kann man aus Feigheit oder Gleichgültigkeit tun. Man kann sich freilich so und so aus wahrer Liebe benehmen, aber auch aus Hinterlist und auch aus Kälte des Herzens. Sowie nicht alle Milde Güte ist. Und nur wenn ich in Religion untergehen könnte, könnten diese Zweifel schweigen. Denn nur Religion könnte die Eitelkeit zerstören und in alle Spalten dringen.

1946


Wenn man vorliest und gut vorlesen will, begleitet man die Worte mit stärkeren Vorstellungen. Wenigstens ist es oft so. Manchmal aber [»Nach Korinthus von Athen ...«][19] ist es die Interpunktion, d. h., die genaue Intonation und die Länge der Pausen, auf die uns alles ankommt.

1946


Es ist merkwürdig, wie schwer es fällt, zu glauben, was wir nicht selbst einsehen. Wenn ich z. B. bewundernde Äußerungen der bedeutenden Männer mehrerer Jahrhunderte über Shakespeare höre, so kann ich mich eines Mißtrauens nie erwehren, es sei eine Konvention gewesen, ihn zu preisen; obwohl ich mir doch sagen muß, daß es so nicht ist. Ich brauche die Autorität eines Milton, um wirklich überzeugt zu sein. Bei diesem nehme ich an, daß er unbestechlich war. – Damit meine ich aber natürlich nicht, daß nicht eine ungeheure Menge Lobes ohne Verständnis und aus falschen Gründen Shakespeare gespendet worden ist und wird, von tausend Professoren der Literatur.

1946


Die Schwierigkeit tief fassen, ist das Schwere.

Denn seicht gefaßt, bleibt sie eben die Schwierigkeit. Sie ist mit der Wurzel auszureißen; und das heißt, man muß auf neue Art anfangen, über diese Dinge zu denken. Die Änderung ist z. B. eine so entschiedene, wie die von der alchemistischen zur chemischen Denkungsweise. – Es ist die neue Denkweise, die so schwer festzulegen ist.

Ist die neue Denkweise festgelegt, so verschwinden die alten Probleme; ja, es wird schwer, sie wieder zu erfassen. Denn sie sitzen in der Ausdrucksweise; und wird eine neue angezogen, so streift man die alten Probleme mit dem alten Gewand ab.

1946


Die hysterische Angst, die die Öffentlichkeit jetzt vor der Atom-Bombe hat, oder doch ausdrückt, ist beinahe ein Zeichen, daß hier einmal wirklich eine heilsame Erfindung gemacht worden ist. Wenigstens macht die Furcht den Eindruck einer wirklich wirksamen bittern Medizin. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren: wenn hier nicht etwas Gutes vorläge, würden die Philister kein Geschrei anheben. Aber vielleicht ist auch das ein kindischer Gedanke. Denn alles, was ich meinen kann, ist doch nur, daß die Bombe das Ende, die Zerstörung, eines gräßlichen Übels, der ekelhaften, seifenwäßrigen Wissenschaft, in Aussicht stellt. Und das ist freilich kein unangenehmer Gedanke; aber wer sagt, was auf eine solche Zerstörung folgen würde? Die Leute, die heute gegen die Erzeugung der Bombe reden, sind freilich der Auswurf der Intelligenz, aber auch das beweist nicht unbedingt, daß das zu preisen ist, was sie verabscheuen.

1946


Der Mensch ist das beste Bild der menschlichen Seele.[20]

1946


Menschen sind in vorigen Zeiten ins Kloster gegangen. Waren das etwa dumme, oder stumpfe Menschen? – Nun, wenn solche Leute solche Mittel ergriffen haben, um weiter leben zu können, kann das Problem nicht leicht sein!

1946


Die Gleichnisse Shakespeares sind, im gewöhnlichen Sinne, schlecht. Sind sie also dennoch gut – und ob sie es sind, weiß ich nicht – so müssen sie ihr eigenes Gesetz sein. Ihr Klang könnte sie z. B. wahrscheinlich, und zur Wahrheit, machen.

Es könnte sein, daß bei Shakespeare die Leichtigkeit, die Selbstherrlichkeit das Wesentliche ist, daß man ihn also hinnehmen müßte, um ihn wirklich bewundern zu können, wie man die Natur, eine Landschaft z. B., hinnimmt.

Wenn ich darin Recht habe, so würde das heißen, daß der Stil des ganzen Werkes, ich meine, seiner gesamten Arbeit, hier das Wesentliche, und Rechtfertigende, ist.

Daß ich ihn nicht verstehe, wäre dann damit zu erklären, daß ich ihn nicht mit Leichtigkeit lesen kann. Nicht so, also, wie man eine herrliche Landschaft besieht.

1946


Der Mensch sieht wohl, was er hat, aber nicht, was er ist. Was er ist, ist gleichsam wie seine Höhe über dem Meeresspiegel, die man meistens nicht ohne weiteres beurteilen kann. Und die Größe, oder Kleinheit, eines Werks hängt davon ab, wo der steht, der es gemacht hat.

Man kann aber auch sagen: Der ist nie groß, der sich selbst verkennt: der sich einen blauen Dunst vormacht.

1946


Welch ein kleiner Gedanke doch ein ganzes Leben füllen kann!

Wie man doch sein ganzes Leben lang dasselbe kleine Ländchen bereisen kann, und meinen, es gäbe nichts außer ihm!

Man sieht alles in einer merkwürdigen Perspektive (oder Projektion): das Land, was man unaufhörlich bereist, kommt einem ungeheuer groß vor; alle umgebenden Länder sieht man wie schmale Randgebiete.

Um in die Tiefe zu steigen, braucht man nicht weit reisen; ja, Du brauchst dazu nicht Deine nächste und gewöhnliche Umgebung verlassen.

1946


Es ist sehr merkwürdig, daß man zu meinen geneigt ist, die Zivilisation – die Häuser, Straßen, Wagen, etc. – entfernten den Menschen von seinem Ursprung, vom Hohen, Unendlichen, u. s. f. Es scheint dann, als wäre die zivilisierte Umgebung, auch die Bäume und Pflanzen in ihr, billig eingeschlagen in Zellophan, und isoliert von allem Großen und sozusagen von Gott. Es ist ein merkwürdiges Bild, was sich einem da aufdrängt.

1946


Meine ›Errungenschaft‹ ist sehr ähnlich der eines Mathematikers, der einen Kalkül erfindet.

1946


Wenn die Menschen nicht manchmal Dummheiten machten, geschähe überhaupt nichts Gescheites.

1946


Das rein Körperliche kann unheimlich sein. Vergleiche die Art und Weise, wie man Engel und Teufel darstellt. Was man »Wunder« nennt, muß damit zusammenhängen. Es muß sozusagen eine heilige Gebärde sein.

1946


Wie Du das Wort »Gott« verwendest, zeigt nicht, wen Du meinst – sondern, was Du meinst.

1946


Beim Stierkampf ist der Stier der Held einer Tragödie. Zuerst durch Schmerzen tollgemacht, stirbt er einen langen und furchtbaren Tod.

1946


Ein Held sieht dem Tod in’s Angesicht, dem wirklichen Tod, nicht bloß dem Bild des Todes. Sich in einer Krise anständig zu benehmen, heißt nicht einen Helden, gleichsam wie auf dem Theater, gut darstellen können, sondern es heißt dem Tod selbst in’s Auge schauen können.

Denn der Schauspieler kann eine Menge Rollen spielen, aber am Ende muß er doch selbst als Mensch sterben.

1946


Worin besteht es: einer musikalischen Phrase mit Verständnis folgen? Ein Gesicht mit dem Gefühl für seinen Ausdruck betrachten? Den Ausdruck des Gesichts eintrinken?

Denk an das Benehmen Eines, der das Gesicht mit Verständnis für seinen Ausdruck zeichnet. An das Gesicht, an die Bewegungen des Zeichnenden; – wie drückt es sich aus, daß jeder Strich, den er macht, von dem Gesicht diktiert wird, daß nichts an seiner Zeichnung willkürlich ist, daß er ein feines Instrument ist?

Ist denn das wirklich ein Erlebnis? Ich meine: kann man sagen, daß dies ein Erlebnis ausdrückt?

1946


Noch einmal: Worin besteht es, einer musikalischen Phrase mit Verständnis folgen, oder, sie mit Verständnis spielen? Sieh nicht in Dich selbst. Frag Dich lieber, was Dich sagen macht, der Andre tue dies. Und was veranlaßt Dich, zu sagen, er habe ein bestimmtes Erlebnis? Ja, sagt man das überhaupt? Würde ich nicht eher vom Andern sagen, er habe eine Menge von Erlebnissen?

Ich würde wohl sagen, »Er erlebt das Thema intensiv«; aber bedenke, was davon der Ausdruck ist.

1946


Da könnte man nur wieder meinen, das intensive Erleben des Themas ›bestünde‹ in den Empfindungen der Bewegungen etc., womit wir es begleiten. Und das scheint (wieder) eine beruhigende Erklärung. Aber hast Du irgendeinen Grund, zu glauben, es sei so? Ich meine, z. B., eine Erinnerung an diese Erfahrung? Ist diese Theorie nicht wieder bloß ein Bild? Nein, es ist nicht so: Die Theorie ist nur ein Versuch, die Ausdrucksbewegungen mit einer ›Empfindung‹ zu kuppeln.

1946


Fragst Du: wie ich das Thema empfunden habe, – so werde ich vielleicht sagen »Als Frage« oder dergleichen, oder ich werde es mit Ausdruck pfeifen etc.

1946


»Er erlebt das Thema intensiv. Es geht etwas in ihm vor, während er es hört?« Und was?

Weist das Thema auf nichts außer sich? Oh ja! Das heißt aber: – der Eindruck, den es mir macht, hängt mit Dingen in seiner Umgebung zusammen – z. B. mit der Existenz der deutschen Sprache und ihrer Intonation, das heißt aber mit dem ganzen Feld unsrer Sprachspiele.[21]

Wenn ich z. B. sage: Es ist, als ob hier ein Schluß gezogen würde, als ob hier etwas bekräftigt würde, oder, als ob dies eine Antwort auf das Frühere wäre, – so setzt mein Verständnis eben die Vertrautheit mit Schlüssen, Bekräftigungen, Antworten, voraus.

Ein Thema hat nicht weniger einen Gesichtsausdruck, als ein Gesicht.

»Die Wiederholung ist notwendig.« Inwiefern ist sie notwendig? Nun singe es, so wirst Du sehen, daß ihm erst die Wiederholung seine ungeheure Kraft gibt. – Ist es uns denn nicht, als müsse hier eine Vorlage für das Thema in der Wirklichkeit existieren, und das Thema käme ihr nur dann nahe, entspräche ihr nur, wenn dieser Teil wiederholt würde? Oder soll ich die Dummheit sagen: »Es klingt eben schöner mit der Wiederholung«? (Da sieht man übrigens, welche dumme Rolle das Wort »schön« in der Aesthetik spielt). Und doch ist da eben kein Paradigma außerhalb des Themas. Und doch ist auch wieder ein Paradigma außerhalb des Themas: nämlich der Rhythmus unsrer Sprache, unseres Denkens und Empfindens. Und das Thema ist auch wieder ein neuer Teil unsrer Sprache, es wird in sie einverleibt; wir lernen eine neue Gebärde.

Das Thema ist in Wechselwirkung mit der Sprache.

Eines ist, in Gedanken säen, eines, in Gedanken ernten.

Die beiden letzten Takte des »Tod und Mädchen« Themas, das ; man kann zuerst verstehen, daß diese Figur konventionell, gewöhnlich, ist, bis man ihren tiefern Ausdruck versteht. D. h., bis man versteht, daß hier das Gewöhnliche sinnerfüllt ist.

1946


»Lebt wohl!«

1946


»Eine ganze Welt des Schmerzes liegt in diesen Worten.« Wie kann sie in ihnen liegen? – Sie hängt mit ihnen zusammen. Die Worte sind wie die Eichel, aus der ein Eichbaum wachsen kann.

1946


Esperanto. Das Gefühl des Ekels, wenn wir ein erfundenes Wort mit erfundenen Ableitungssilben aussprechen. Das Wort ist kalt, hat keine Assoziationen und spielt doch ›Sprache‹. Ein bloß geschriebenes Zeichensystem würde uns nicht so anekeln.

1946


Man könnte Gedanken Preise anheften. Manche kosten viel, manche wenig. Und womit zahlt man für Gedanken? Ich glaube: mit Mut.

1946


Wenn das Leben schwer erträglich wird, denkt man an eine Veränderung der Lage. Aber die wichtigste und wirksamste Veränderung, die des eigenen Verhaltens, kommt uns kaum in den Sinn, und zu ihr können wir uns schwer entschließen.

1946


Man kann einen Stil schreiben, der in der Form unoriginell ist – wie der meine – aber mit gut gewählten Wörtern; oder aber einen, dessen Form originell, aus dem Innern neu gewachsen, ist. (Und natürlich auch einen, der nur irgendwie aus alten Stücken zusammengestoppelt ist.)

1946


Das Christentum sagt unter anderm, glaube ich, daß alle guten Lehren nichts nützen. Man müsse das Leben ändern. (Oder die Richtung des Lebens.)


Daß alle Weisheit kalt ist; und daß man mit ihr das Leben so wenig in Ordnung bringen kann, wie man Eisen kalt schmieden kann.


Eine gute Lehre nämlich muß einen nicht ergreifen; man kann ihr folgen, wie einer Vorschrift des Arztes. – Aber hier muß man von etwas ergriffen und umgedreht werden. – (D. h., so verstehe ich’s.) Ist man umgedreht, dann muß man umgedreht bleiben.

Weisheit ist leidenschaftslos. Dagegen nennt Kierkegaard den Glauben eine Leidenschaft.

1946


Die Religion ist sozusagen der tiefste ruhige Meeresgrund, der ruhig bleibt, wie hoch auch die Wellen oben gehen. –

1946


»Ich habe nie früher an Gott geglaubt« – das versteh’ ich. Aber nicht: »Ich habe nie früher wirklich an Ihn geglaubt.«

1946


Ich fürchte mich oft vor dem Wahnsinn. Hab ich irgend einen Grund anzunehmen, daß diese Furcht nicht sozusagen einer optischen Täuschung entspringt: ich halte irgend etwas für einen nahen Abgrund, was keiner ist? Die einzige Erfahrung, von der ich weiß, die dafür spricht, daß diese keine Täuschung ist, ist der Fall Lenaus. In seinem »Faust« nämlich finden sich Gedanken der Art, wie ich sie auch kenne. Lenau legt sie in den Mund Fausts, aber es sind gewiß seine eigenen über sich selbst. Das Wichtige ist, was Faust über seine Einsamkeit, oder Vereinsamung sagt.

Auch sein Talent kommt mir dem meinen ähnlich vor: Viel Spreu – aber einige schöne Gedanken. Die Erzählungen im »Faust« sind alle schlecht, aber die Betrachtungen oft wahr und groß.

1946


Lenaus »Faust« ist in sofern merkwürdig, als es der Mensch hier nur mit dem Teufel zu tun hat. Gott rührt sich nicht.

1946


Ich glaube, Bacon war kein scharfer Denker. Er hatte große, sozusagen breite, Visionen. Aber wer nur diese hat, der muß im Versprechen großartig, im Erfüllen ungenügend, sein.

Jemand könnte eine Flugmaschine erdichten, ohne es mit ihren Einzelheiten genau zu nehmen. Ihr Äußeres mag er sich sehr ähnlich dem eines richtigen Aeroplanes vorstellen, und ihre Wirkungen malerisch beschreiben. Es ist auch nicht klar, daß so eine Erdichtung wertlos sein muß. Vielleicht spornt sie Andere zu einer anderen Art von Arbeit an. – Ja, während diese, sozusagen von fern her, die Vorbereitungen treffen, zum Bauen eines Aeroplanes, der wirklich fliegt, beschäftigt Jener sich damit, zu träumen, wie dieses Aeroplan aussehen muß, und was er leisten wird. Über den Wert dieser Tätigkeiten ist damit noch nichts gesagt. Die des Träumers mag wertlos sein – und auch die andere.

1946


Den Wahnsinn muß man nicht als Krankheit ansehen. Warum nicht als eine plötzliche – mehr oder weniger plötzliche – Charakteränderung?

1946


Jeder Mensch ist (oder die Meisten sind) mißtrauisch, und vielleicht gegen die Verwandten mehr, als gegen Andere. Hat das Mißtrauen einen Grund? Ja und nein. Man kann dafür Gründe angeben, aber sie sind nicht zwingend. Warum soll ein Mensch nicht plötzlich gegen die Menschen viel mißtrauischer werden? Warum nicht viel verschlossener? Oder liebeleer? Werden Menschen dies nicht auch im gewöhnlichen Verlauf? – Wo ist hier die Grenze zwischen Wollen und Können? Will ich mich niemandem mehr mitteilen, oder kann ich’s nicht? Wenn so vieles seinen Reiz verlieren kann, warum nicht Alles? Wenn der Mensch auch im gewöhnlichen Leben verschlagen ist, warum soll er nicht – und vielleicht plötzlich – noch viel verschlagener werden? Und viel unzugänglicher.

1946


Eine Pointe im Gedicht ist überspitzt, wenn die Verstandesspitzen nackt zu Tage treten, nicht überkleidet vom Herzen.

1946


So, es kann ein Schlüssel für ewig da liegen, wohin ihn der Meister gelegt hat, und nie verwendet werden, das Schloß aufzusperren, dafür der Meister ihn geschmiedet hat.

1946


»Es ist höchste Zeit, daß wir diese Erscheinungen mit etwas anderem vergleichen« – kann man sagen. – Ich denke da, z. B., an Geisteskrankheiten.

1946


Freud hat durch seine phantastischen pseudo-Erklärungen (gerade weil sie geistreich sind) einen schlimmen Dienst erwiesen.

(Jeder Esel hat diese Bilder nun zur Hand, mit ihrer Hilfe Krankheitserscheinungen zu ›erklären‹.)

1946


Die Ironie in der Musik. Bei Wagner z. B. in den »Meistersingern«. Unvergleichlich tiefer im ersten Satz der IX. im Fugato. Hier ist etwas, was in der Rede dem Ausdruck grimmiger Ironie entspricht.

1946


Ich hätte auch sagen können: das Verzerrte in der Musik. In dem Sinne, in dem man von gramverzerrten Zügen spricht. Wenn Grillparzer sagt, Mozart habe in der Musik nur das »Schöne« zugelassen, so heißt das, glaube ich, daß er nicht das Verzerrte, Gräßliche zugelassen habe, daß in seiner Musik sich nichts findet, was diesem entspricht. Ob das ganz wahr ist, will ich nicht sagen; aber angenommen, es ist so, so ist es ein Vorurteil Grillparzers, daß es von Rechts wegen nicht anders sein dürfe. Daß die Musik nach Mozart (besonders natürlich durch Beethoven) ihr Sprachgebiet erweitert hat, ist weder zu preisen, noch beklagen; sondern: so hat sie sich gewandelt. In Grillparzers Verhalten ist eine Art von Undankbarkeit. Wollte er noch einen Mozart haben? Konnte er sich etwas vorstellen, was so einer nun komponieren würde? Hätte er sich Mozart vorstellen können, wenn er ihn nicht gekannt hätte?

Hier hat auch der Begriff »das Schöne« manchen Unfug angestellt.

1946


Begriffe können einen Unfug erleichtern oder erschweren; begünstigen oder hemmen.

1946


Die grinsenden Gesichter der Dummen können uns allerdings glauben machen, sie hätten kein wirkliches Leid; aber sie haben es, nur woanders als der Gescheitere. Sie haben, sozusagen, keinen Kopfschmerz, aber soviel anderes Elend, wie jeder Andere. Es muß ja nicht alles Elend, den gleichen Gesichtsausdruck hervorrufen. Ein edlerer Mensch in seinen Leiden wird anders ausschaun als ich.

1946


Ich kann nicht niederknien, zu beten, weil gleichsam meine Knie steif sind. Ich fürchte mich vor der Auflösung (vor meiner Auflösung), wenn ich weich würde.

1946


Ich zeige meinen Schülern Ausschnitte aus einer ungeheuern Landschaft, in der sie sich unmöglich auskennen können.

1946


Die apokalyptische Ansicht der Welt ist eigentlich die, daß sich die Dinge nicht wiederholen. Es ist z. B. nicht unsinnig, zu glauben, daß das wissenschaftliche und technische Zeitalter der Anfang vom Ende der Menschheit ist; daß die Idee vom großen Fortschritt eine Verblendung ist, wie auch von der endlichen Erkenntnis der Wahrheit; daß an der wissenschaftlichen Erkenntnis nichts Gutes oder Wünschenswertes ist und daß die Menschheit, die nach ihr strebt, in eine Falle läuft. Es ist durchaus nicht klar, daß dies nicht so ist.

1947


Was ein Mann träumt, das erfüllt sich so gut wie nie.

1947


Sokrates, der den Sophisten immer zum Schweigen bringt – bringt er ihn mit Recht zum Schweigen? – Ja, der Sophist weiß nicht, was er zu wissen glaubte; aber das ist kein Triumph für Sokrates. Weder kann es heißen »Sieh da! Du weißt es nicht!« – noch, triumphierend, »Also wissen wir Alle nichts!«

1947


Die Weisheit ist etwas Kaltes, und insofern Dummes. (Der Glaube dagegen, eine Leidenschaft.) Man könnte auch sagen: Die Weisheit verhehlt Dir nur das Leben. (Die Weisheit ist wie kalte, graue Asche, die die Glut verdeckt.)

1947


Scheue Dich ja nicht davor, Unsinn zu reden! Nur mußt Du auf Deinen Unsinn lauschen.

1947


Die Wunder der Natur.

Man könnte sagen: die Kunst zeige uns die Wunder der Natur. Sie basiert auf dem Begriff der Wunder der Natur. (Die sich öffnende Blüte. Was ist an ihr herrlich?) Man sagt: »Sieh, wie sie sich öffnet!«

1947


Durch einen Zufall nur könnten die Träume eines Menschen von der Zukunft der Philosophie, der Kunst, der Wissenschaft, sich bewahrheiten. Was er sieht, ist eine Fortsetzung seiner Welt im Traum, also VIELLEICHT sein Wunsch (vielleicht auch nicht), aber nicht die Wirklichkeit.

1947


Auch der Mathematiker kann natürlich die Wunder (das Krystall) der Natur anstaunen; aber kann er es, wenn es einmal problematisch geworden ist, was er denn anschaut? Ist es wirklich möglich, solange eine philosophische Trübe das verschleiert, was das Staunenswerte oder Angestaunte ist?

Ich könnte mir denken, daß Einer Bäume bewundert, und auch die Schatten, oder Spiegelungen von Bäumen, die er für Bäume hält. Sagt er sich aber einmal, daß es doch keine Bäume sind und wird es für ihn problematisch, was sie sind, oder was ihre Beziehung zu Bäumen ist, dann hat die Bewunderung einen Riß, der erst zu heilen ist.

1947


Manchmal kann ein Satz nur verstanden werden, wenn man ihn im richtigen Tempo liest. Meine Sätze sind alle langsam zu lesen.

1947


Die ›Notwendigkeit‹, mit der der zweite Gedanke auf den ersten folgt. (Figaro Ouvertüre.) Nichts dümmer, als zu sagen, es sei ›angenehm‹ den einen nach dem andern zu hören. – Aber das Paradigma, wonach das alles richtig ist, ist freilich dunkel. ›Es ist die natürliche Entwicklung.‹ Man macht eine Handbewegung, möchte sagen: »natürlich!« – Man könnte den Übergang auch einem Übergang, dem Eintritt einer neuen Figur in einer Geschichte, z. B., oder einem Gedichte, vergleichen. So paßt dies Stück in die Welt unsrer Gedanken und Gefühle hinein.

1947


Die Falten meines Herzens wollen immer zusammenkleben, und um es zu öffnen müßte ich sie immer wieder auseinanderreißen.

1947


Der amerikanische dumme und naive Film kann in aller seiner Dummheit und durch sie belehren. Der trottelhafte, nicht-naive englische Film kann nicht belehren. Ich habe oft aus einem dummen amerikanischen Film eine Lehre gezogen.

1947


Ist, was ich tue, überhaupt der Mühe wert? Doch nur, wenn es von oben her ein Licht empfängt. Und ist es so, – warum sollte ich mich sorgen, daß mir die Früchte meiner Arbeit nicht gestohlen werden? Wenn, was ich schreibe, wirklich wertvoll ist, wie sollte man mir das Wertvolle stehlen? Ist das Licht von oben nicht da, so kann ich ja doch nur geschickt sein.

1947


Ich verstehe es vollkommen, wie Einer es hassen kann, wenn ihm die Priorität seiner Erfindung, oder Entdeckung, streitig gemacht wird, daß er diese Priorität ›with tooth and claw‹ verteidigen möchte. Und doch ist sie nur eine Chimäre. Es scheint mir freilich zu billig, allzuleicht, wenn Claudius über die Prioritätsstreitigkeiten zwischen Newton und Leibniz spottet; aber es ist, glaube ich, doch wahr, daß dieser Streit nur üblen Schwächen entspringt und von ÜBLEN Menschen genährt wird. Was hätte Newton verloren, wenn er die Originalität Leibnizs anerkannt hätte? Gar nichts! Er hätte viel gewonnen. Und doch, wie schwer ist dieses Anerkennen, das Einem, der es versucht, wie ein Eingeständnis des eigenen Unvermögens erscheint. Nur Menschen, die Dich schätzen und zugleich lieben, können Dir dieses Verhalten leicht machen.

Es handelt sich natürlich um Neid. Und wer ihn fühlt, müßte sich immer sagen: »Es ist ein Irrtum! Es ist ein Irrtum! –«

1947


Im Gefolge jeder Idee, die viel kostet, kommen eine Menge billiger; darunter auch einige, die nützlich sind.

1947


Manchmal sieht man Ideen, wie der Astronom von uns aus weit entlegenen Sternenwelten. (Oder es scheint doch so.)

1947


Wenn ich einen guten Satz geschrieben hätte, und durch Zufall wären es zwei reimende Zeilen, so wäre dies ein Fehler.

1947


Aus Tolstois schlechtem Theorisieren, das Kunstwerk übertrage ›ein Gefühl‹, könnte man viel lernen. – Und doch könnte man es, wenn nicht den Ausdruck eines Gefühls, einen Gefühlsausdruck nennen, oder einen gefühlten Ausdruck. Und man könnte auch sagen, daß die Menschen, die ihn verstehen, gleichermaßen zu ihm ›schwingen‹, auf ihn antworten. Man könnte sagen: Das Kunstwerk will nicht etwas anderes übertragen, sondern sich selbst. Wie, wenn ich Einen besuche, ich nicht bloß die und die Gefühle in ihm zu erzeugen wünsche, sondern vor allem ihn besuchen, und freilich auch gut aufgenommen werden will.

Und schon erst recht unsinnig ist es, zu sagen, der Künstler wünsche, daß, was er beim Schreiben, der Andre beim Lesen fühlen solle. Ich kann wohl glauben, ein Gedicht (z. B.) zu verstehen, es so zu verstehen, wie sein Erzeuger es sich wünschen würde, – aber was er beim Schreiben gefühlt haben mag, das kümmert mich gar nicht.

1947


So wie ich keine Verse schreiben kann, so kann ich auch Prosa nur soweit, und nicht weiter, schreiben. Meiner Prosa ist eine ganz bestimmte Grenze gesetzt, und ich kann ebenso wenig über sie hinaus, als ich es vermöchte, ein Gedicht zu schreiben. Mein Apparat ist so beschaffen; nur dieser Apparat steht mir zur Verfügung. Es ist, wie wenn Einer sagte: Ich kann in diesem Spiel nur diesen Grad der Vollkommenheit erreichen; und nicht jenen.

1947


Es ist möglich, daß Jeder, der eine bedeutende Arbeit leistet, eine Fortsetzung, eine Folge, seiner Arbeit im Geiste vor sich sieht, – träumt; aber es wäre doch merkwürdig, wenn es nun wirklich so käme, wie er es geträumt hat. Heute nicht an die eigenen Träume zu glauben, ist freilich leicht.

1947


Nietzsche schreibt einmal,[22] daß auch die besten Dichter und Denker Mittelmäßiges und Schlechtes geschrieben, nur eben das Gute davon geschieden haben. Aber ganz so ist es nicht. Ein Gärtner hat in seinem Garten freilich neben den Rosen auch den Dünger und Kehricht und Stroh, aber sie unterscheiden sich nicht nur in der Güte, sondern vor allem in ihrer Funktion im Garten.

Was wie ein schlechter Satz ausschaut, kann der Keim zu einem guten sein.

1947


Die Fähigkeit des ›Geschmacks‹ kann keinen Organismus schaffen, nur einen schon vorhandenen regulieren. Der Geschmack lockert Schrauben und zieht Schrauben an, er schafft nicht ein neues Uhrwerk.


Der Geschmack reguliert. Das Gebären ist nicht seine Sache.


Der Geschmack macht ANNEHMBAR.


(Darum braucht, glaube ich, der große Schöpfer keinen Geschmack; das Kind kommt wohlgeschaffen zur Welt.)


Feilen ist manchmal Tätigkeit des Geschmacks, manchmal nicht. Ich habe Geschmack.


Auch der feinste Geschmack hat mit Schöpferkraft nichts zu tun.


Geschmack ist Feinheit der Empfindung; Empfindung aber tut nicht, sie nimmt nur auf.

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob ich nur Geschmack, oder auch Originalität habe. Jenen sehe ich klar, diese nicht, oder ganz undeutlich. Und vielleicht muß es so sein, und man sieht nur, was man hat, nicht was man ist. Wenn Einer nicht lügt, ist er originell genug. Denn die Originalität, die wünschenswert wäre, kann doch nicht eine Art Kunststück sein, oder eine Eigenheit, wie immer ausgeprägt.


Ja schon das ist ein Anfang guter Originalität, nicht sein zu wollen, was man nicht ist. Und alles das ist von Andern schon viel besser gesagt worden.


Geschmack kann entzücken, aber nicht ergreifen.

1947


Man kann einen alten Stil gleichsam in einer neueren Sprache wiedergeben; ihn sozusagen neu aufführen in einem Tempo, das unsrer Zeit gemäß ist. Man ist dann eigentlich nur reproduktiv. Das habe ich beim Bauen getan.

Was ich meine, ist aber nicht ein neues Zurechtstutzen eines alten Stils. Man nimmt nicht die alten Formen und richtet sie dem neuen Geschmack entsprechend her. Sondern man spricht, vielleicht unbewußt, in Wirklichkeit die alte Sprache, spricht sie aber in einer Art und Weise, die der neuern Welt, darum aber nicht notwendigerweise ihrem Geschmacke, angehört.

1947


Der Mensch reagiert so: er sagt »Nicht das!« – und kämpft es an. Daraus entstehen vielleicht Zustände, die ebenso unerträglich sind; und vielleicht ist dann die Kraft zu weiterer Revolte verausgabt. Man sagt »Hätte der nicht das getan, so wäre das Übel nicht gekommen«. Aber mit welchem Recht? Wer kennt die Gesetze, nach denen die Gesellschaft sich entwickelt? Ich bin überzeugt, daß auch der Gescheiteste keine Ahnung hat. Kämpfst Du, so kämpfst Du. Hoffst Du, so hoffst Du.

Man kann kämpfen, hoffen und auch glauben, ohne wissenschaftlich zu glauben.

1947


Die Wissenschaft: Bereicherung und Verarmung. Die eine Methode drängt alle andern beiseite. Mit dieser verglichen scheinen sie alle ärmlich, höchstens Vorstufen. Du mußt zu den Quellen niedersteigen, um sie alle nebeneinander zu sehen, die vernachlässigten und die bevorzugten.

1947


Kann ich nur keine Schule gründen, oder kann es ein Philosoph nie? Ich kann keine Schule gründen, weil ich eigentlich nicht nachgeahmt werden will. Jedenfalls nicht von denen, die Artikel in philosophischen Zeitschriften veröffentlichen.

1947


Der Gebrauch des Wortes »Schicksal«. Unser Verhalten zur Zukunft und Vergangenheit. Wieweit halten wir uns für die Zukunft verantwortlich? Wieviel spekulieren wir über die Zukunft? Wie denken wir über Vergangenheit und Zukunft? Wenn etwas Unangenehmes geschieht: – fragen wir »Wer ist schuld?«, sagen wir »Jemand muß dran schuld sein«, – oder sagen wir »Es war Gottes Wille«, »Es war Schicksal«?

Wie, eine Frage stellen, auf ihre Antwort dringen, oder sie nicht stellen, ein anderes Verhalten, eine andere Art des Lebens ausdrückt, so, in diesem Sinne, auch ein Ausspruch wie »Es ist Gottes Wille« oder »Wir sind nicht Herren über unser Schicksal«. Was dieser Satz tut, oder doch Ähnliches, könnte auch ein Gebot tun! Auch eins, was man sich selbst gibt. Und umgekehrt kann ein Gebot, z. B. »Murre nicht!« als Feststellung einer Wahrheit ausgesprochen werden.

1947


Das Schicksal steht im Gegensatz zum Naturgesetz. Das Naturgesetz will man ergründen, und verwenden, das Schicksal nicht.

1947


Es ist mir durchaus nicht klar, daß ich eine Fortsetzung meiner Arbeit durch Andre mehr wünsche, als eine Veränderung der Lebensweise, die alle diese Fragen überflüssig macht. (Darum könnte ich nie eine Schule gründen.)

1947


Der Philosoph sagt »Sieh’ die Dinge so an!« – aber damit ist erstens nicht gesagt, daß die Leute sie so ansehen werden, zweitens mag er überhaupt mit seiner Mahnung zu spät kommen, und es ist auch möglich, daß so eine Mahnung überhaupt nichts ausrichten kann und der Impuls zu dieser Änderung der Anschauung von anders wo kommen muß. So ist es ganz unklar, ob Bacon irgend etwas bewegt hat, außer die Oberfläche der Gemüter seiner Leser.

1947


Nichts kommt mir weniger wahrscheinlich vor, als daß ein Wissenschaftler, oder Mathematiker, der mich liest, dadurch in seiner Arbeitsweise ernstlich beeinflußt werden sollte. (In sofern sind meine Betrachtungen wie die Plakate an den Kartenschaltern der englischen Bahnhöfe[23] »Is your journey really necessary?« Als ob Einer, der das liest, sich sagen würde »On second thoughts, no«.) Hier muß man mit ganz anderen Geschützen kommen, als ich im Stande bin, in’s Feld zu führen. Am ehesten könnte ich noch dadurch eine Wirkung erzielen, daß, vor allem, durch meine Anregung eine große Menge Dreck geschrieben wird, und daß vielleicht dieser die Anregung zu etwas Gutem wird. Ich dürfte immer nur auf die aller indirekteste Wirkung hoffen.

1947


Z. B. nichts dümmer, als das Geschwätz über Ursache und Wirkung in Büchern über Geschichte; nichts verkehrter, weniger durchdacht. – Aber wer könnte dem Einhalt tun, dadurch, daß er das sagte? (Es wäre, als wollte ich durch reden die Kleidung der Frauen und der Männer ändern.)

1947


Denke dran, wie man von Labors Spiel gesagt hat »Er spricht«. Wie eigentümlich! Was war es, was einen in diesem Spiel so an ein Sprechen gemahnt hat? Und wie merkwürdig, daß die Ähnlichkeit mit dem Sprechen nicht etwas uns Nebensächliches, sondern etwas Wichtiges und Großes ist! – Die Musik, und gewiß manche Musik, möchten wir eine Sprache nennen; manche Musik aber gewiß nicht. (Nicht, daß damit ein Werturteil gefällt sein muß!)

1947


Das Buch ist voller Leben – nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Ameishaufen.

1947


Man vergißt immer wieder, auf den Grund zu gehen. Man setzt die Fragezeichen nicht tief genug.

1947


Die Wehen bei der Geburt neuer Begriffe.

1947


»Die Weisheit ist grau.« Das Leben aber und die Religion sind farbenreich.

1947


Es könnte sein, daß die Wissenschaft und Industrie, und ihr Fortschritt, das Bleibendste der heutigen Welt ist. Daß jede Mutmaßung eines Zusammenbruchs der Wissenschaft und Industrie einstweilen, und auf lange Zeit, ein bloßer Traum sei, und daß Wissenschaft und Industrie nach und mit unendlichem Jammer die Welt einigen werden, ich meine, sie zu einem zusammenfassen werden, in welchem dann freilich alles eher als der Friede wohnen wird.

Denn die Wissenschaft und die Industrie entscheiden doch die Kriege, oder so scheint es.

1947


Interessiere Dich nicht für das, was, vermeintlich, Du allein faßt!

1947


Der Kreis meiner Gedanken ist wahrscheinlich viel enger, als ich ahne.

1947


Die Gedanken steigen, langsam, wie Blasen an die Oberfläche. (Manchmal ist es, als sähe man einen Gedanken, eine Idee, als undeutlicher Punkt fern am Horizont; und dann kommt er oft mit überraschender Geschwindigkeit näher.)

1947


Wo schlechte Wirtschaft im Staat ist, wird, glaube ich, auch schlechte Wirtschaft in den Familien begünstigt. Der jederzeit zum Streike bereite Arbeiter wird auch seine Kinder nicht zur Ordnung erziehen.

1947


Möge Gott dem Philosophen Einsicht geben in das, was vor allen Augen liegt.

1947


Das Leben ist wie ein Weg auf einer Bergschneide; rechts und links glitscherige Abhänge, auf denen Du in dieser, oder jener Richtung unaufhaltsam hinunterrutschst. Immer wieder sehe ich Menschen so rutschen und sage »Wie könnte sich ein Mensch da helfen!« Und das heißt: »den freien Willen leugnen«. Das ist die Stellungnahme, die sich in diesem ›Glauben‹ ausdrückt. Er ist aber kein wissenschaftlicher Glaube, hat nichts mit wissenschaftlichen Überzeugungen zu tun.

1947


Die Verantwortung leugnen, heißt, den Menschen nicht zur Verantwortung ziehen.

1947


Manche Menschen haben einen Geschmack, der sich zu einem ausgebildeten verhält, wie der Gesichtseindruck eines halb blinden Auges zu dem eines normalen. Wo das normale Auge klare Artikulation sieht, sieht das schwache verwaschene Farbflecke.

1947


Wer zu viel weiß, für den ist es schwer nicht zu lügen.

1947


Ich habe eine solche Angst davor, daß jemand im Hause Klavier spielt, daß ich, wenn es geschehen ist und das Klimpern aufgehört hat, noch eine Art Halluzination habe, als ginge es weiter. Ich kann es dann ganz deutlich hören, obwohl ich weiß, daß es nur in meiner Einbildung ist.

1947


Es kommt mir vor, als könne ein religiöser Glaube nur etwas wie das leidenschaftliche Sich-entscheiden für ein Bezugssystem sein. Also obgleich es Glaube ist, doch eine Art des Lebens, oder eine Art das Leben zu beurteilen. Ein leidenschaftliches Ergreifen dieser Auffassung. Und die Instruktion in einem religiösen Glauben müßte also die Darstellung, Beschreibung jenes Bezugssystems sein und zugleich ein in’s-Gewissen-reden. Und diese beiden müßten am Schluß bewirken, daß der Instruierte selber, aus eigenem, jenes Bezugssystem leidenschaftlich erfaßt. Es wäre, als ließe mich jemand auf der einen Seite meine hoffnungslose Lage sehen, auf der andern stellte er mir das Rettungswerkzeug dar, bis ich, aus eigenem, oder doch jedenfalls nicht von dem Instruktor an der Hand geführt, auf das zustürzte und es ergriffe.

1947


Einmal wird vielleicht aus dieser Zivilisation eine Kultur entspringen.

Dann wird es eine wirkliche Geschichte der Erfindungen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts geben, die voll von tiefem Interesse sein wird.

1947


Wir sagen in einer wissenschaftlichen Untersuchung alles mögliche; machen viele Aussagen, deren Rolle in der Untersuchung wir nicht verstehen. Denn wir sagen ja nicht etwa alles mit einem bewußten Zweck, sondern unser Mund geht eben. Wir gehen durch herkömmliche Gedankenbewegungen, machen, automatisch, Gedankenübergänge gemäß den Techniken, die wir gelernt haben. Und nun müssen wir erst, was wir gesagt haben, sichten. Wir haben eine ganze Menge unnütze, ja zweckwidrige Bewegungen gemacht, müssen nun unsre Gedankenbewegungen philosophisch klären.

1947


Mir scheint, ich bin noch weit von dem Verständnis dieser Dinge, nämlich von dem Punkt, wo ich weiß, worüber ich sprechen muß, und worüber ich nicht zu sprechen brauche. Ich verwickle mich immer noch in Einzelheiten, ohne zu wissen, ob ich über diese Dinge überhaupt reden sollte; und es kommt mir vor, daß ich vielleicht ein großes Gebiet begehe, nur um es einmal aus der Betrachtung auszuschließen. Auch in diesem Falle aber wären diese Betrachtungen nicht wertlos; wenn sie sich nämlich nicht etwa nur im Kreise herumbewegen.

1947


Beim Philosophieren muß man in’s alte Chaos hinabsteigen, und sich dort wohlfühlen.

1948


Genie ist das Talent, worin der Charakter sich ausspricht. Darum, möchte ich sagen, hatte Kraus Talent, ein außerordentliches Talent, aber nicht Genie. Es gibt freilich Genieblitze, bei denen man dann, trotz des großen Talenteinsatzes, das Talent nicht merkt. Beispiel: »Denn tun können auch die Ochsen und die Esel ...«.[24] Es ist merkwürdig, daß das z. B. so viel größer ist, als irgend etwas, was Kraus je geschrieben hat. Es ist hier eben nicht ein Verstandesskelett, sondern ein ganzer Mensch.

Das ist auch der Grund, warum die Größe dessen, was Einer schreibt, von allem Übrigen abhängt, was er schreibt und tut.

1948


Im Traum, und auch lange nach dem Erwachen, können uns Traumworte die höchste Bedeutung zu haben scheinen. Ist nicht die gleiche Illusion auch im Wachen möglich? Es kommt mir so vor, als unterläge ich ihr jetzt manchmal. Bei Verrückten scheint es oft so.

1948


Was ich hier schreibe, mag schwächliches Zeug sein; nun dann bin ich nicht im Stande, das Große, Wichtige herauszubringen. Aber es liegen in diesen schwächlichen Bemerkungen große Ausblicke verborgen.

1948


Schiller schreibt in einem Brief (ich glaube an Goethe)[25] von einer »poetischen Stimmung«. Ich glaube, ich weiß, was er meint, ich glaube sie selbst zu kennen. Es ist die Stimmung, in welcher man für die Natur empfänglich ist und in welcher die Gedanken so lebhaft erscheinen, wie die Natur. Merkwürdig ist aber, daß Schiller nicht besseres hervorgebracht hat (oder so scheint es mir) und ich bin daher auch gar nicht sicher überzeugt, daß, was ich in solcher Stimmung hervorbringe, wirklich etwas wert ist. Es ist wohl möglich, daß meine Gedanken ihren Glanz dann nur von einem Licht, das hinter ihnen steht, empfangen. Daß sie nicht selbst leuchten.

1948


Wo Andre weitergehn, dort bleib ich stehn.

1948


[Zum Vorwort.][26] Nicht ohne Widerstreben übergebe ich das Buch zur Öffentlichkeit. Die Hände, in die es geraten wird, sind zumeist nicht diejenigen, in denen ich es mir gerne vorstelle. Möge es – das wünsche ich ihm – bald gänzlich von den philosophischen Journalisten vergessen werden, und so vielleicht einer bessern Art von Lesern aufbewahrt bleiben.

Von den Sätzen, die ich hier niederschreibe, macht immer nur jeder so und so vielte einen Fortschritt; die andern sind wie das Klappen der Schere des Haarschneiders, der sie in Bewegung erhalten muß, um mit ihr im rechten Moment einen Schnitt zu machen.

1948


Sowie ich auf entlegeneren Gebieten fortwährend Fragen antreffe, die ich nicht beantworten kann, wird es verständlich, warum ich mich in weniger entlegenen noch nicht auskenne. Denn wie weiß ich, daß, was hier die Antwort aufhält, nicht eben das ist, was dort mich hindert, den Nebel zu zerstreuen?

1948


Rosinen mögen das Beste an einem Kuchen sein; aber ein Sack Rosinen ist nicht besser als ein Kuchen; und wer im Stande ist, uns einen Sack voll Rosinen zu geben, kann damit noch keinen Kuchen backen, geschweige, daß er etwas besseres kann. Ich denke an Kraus und seine Aphorismen, aber auch an mich selbst und meine philosophischen Bemerkungen.

Ein Kuchen, das ist nicht gleichsam: verdünnte Rosinen.

1948


Farben regen zum Philosophieren an. Vielleicht erklärt das die Leidenschaft Goethes für die Farbenlehre.

Die Farben scheinen uns ein Rätsel aufzugeben, ein Rätsel, das uns anregt – nicht aufregt.

1948


Der Mensch kann alles Schlechte in sich als Verblendung ansehen.

1948


Wenn es wahr ist, wie ich glaube, daß Mahlers Musik nichts wert ist, dann ist die Frage, was er, meines Erachtens, mit seinem Talent hätte tun sollen. Denn ganz offenbar gehörten doch eine Reihe sehr seltener Talente dazu, diese schlechte Musik zu machen. Hätte er z. B. seine Symphonien schreiben und verbrennen sollen? Oder hätte er sich Gewalt antun, und sie nicht schreiben sollen? Hätte er sie schreiben, und einsehen sollen, daß sie nichts wert seien? Aber wie hätte er das einsehen können? Ich sehe es, weil ich seine Musik mit der der großen Komponisten vergleichen kann. Aber er konnte das nicht; denn, wem das eingefallen ist, der mag wohl gegen den Wert des Produkts mißtrauisch sein, weil er ja wohl sieht, daß er nicht, sozusagen, die Natur der andern großen Komponisten habe, – aber die Wertlosigkeit wird er deswegen nicht einsehen; denn er kann sich immer sagen, daß er zwar anders ist, als die übrigen (die er aber bewundert), aber in einer andern Art wertvoll. Man könnte vielleicht sagen: Wenn Keiner, den Du bewunderst, so ist wie Du, dann glaubst Du wohl nur darum an Deinen Wert, weil Du’s bist. – Sogar wer gegen die Eitelkeit kämpft, aber darin nicht ganz erfolgreich ist, wird sich immer über den Wert seines Produkts täuschen.

Am gefährlichsten aber scheint es zu sein, wenn man seine Arbeit irgendwie in die Stellung bringt, wo sie, zuerst von einem selbst und dann von Andern mit den alten großen Werken verglichen wird. An solchen Vergleich sollte man gar nicht denken. Denn wenn die Umstände heute wirklich so anders sind, als die frühern, daß man sein Werk der Art nach nicht mit den früheren Werken vergleichen kann, dann kann man auch den Wert nicht mit dem eines andern vergleichen. Ich selbst mache immer wieder den Fehler, von dem hier die Rede ist.

1948


Konglomerat: Nationalgefühl, z. B.

1948


Tiere kommen auf den Zuruf ihres Namens. Ganz wie Menschen.

1948


Ich frage unzählige irrelevante Fragen. Möge ich durch diesen Wald mich durchschlagen können!

1948


Ich möchte eigentlich durch meine häufigen Interpunktionszeichen das Tempo des Lesens verzögern. Denn ich möchte langsam gelesen werden. (Wie ich selbst lese.)

1948


Ich glaube, Bacon ist in seiner Philosophie stecken geblieben, und diese Gefahr droht auch mir. Er hatte eine lebhafte Vorstellung eines riesigen Gebäudes, sie entschwand ihm aber doch, wenn er wirklich in’s Einzelne gehen wollte. Es war, als hätten Menschen seiner Zeit begonnen, ein großes Gebäude von den Fundamenten aufzuführen; und als hätte er in der Phantasie so etwas Ähnliches, die Erscheinung solches Gebäudes, gesehen, sie noch stolzer gesehen, als die vielleicht, die am Bau arbeiteten. Dazu war eine Ahnung der Methode nötig, aber durchaus nicht Talent zum Bauen. Das Schlimme aber war, daß er polemisch gegen die eigentlichen Bauleute vorging und seine Grenzen entweder nicht kannte, oder nicht erkennen wollte.

Anderseits ist es aber ungeheuer schwierig diese Grenzen zu sehen, und d. h., klar darzustellen. Also, sozusagen, eine Malweise aufzufinden, dieses Unklare darzustellen. Denn ich möchte mir immer sagen: »Mal wirklich nur, was Du siehst!«

1948


Der Traum wird bei der Freudschen Analyse sozusagen zersetzt. Er verliert seinen ersten Sinn völlig. Man könnte sich denken, daß er auf dem Theater gespielt würde, daß die Handlung des Stücks manchmal etwas unverständlich, aber zum Teil auch ganz verständlich wäre, oder doch uns schiene, und als würde nun diese Handlung in kleine Teile zerrissen und jedem Teil ein gänzlich andrer Sinn gegeben. Man könnte es sich auch so denken: Es wird auf ein großes Blatt Papier ein Bild gezeichnet und das Blatt nun solcher Art gefältelt, daß im ersten Bild ganz unzusammenhörige Stücke fürs Auge aneinander stoßen und ein neues, sinnvolles oder sinnloses, Bild entsteht (dies wäre der geträumte Traum, das erste Bild der ›latente Traumgedanke‹).

Ich könnte mir nun denken, daß Einer, der das entfaltete Bild sieht, ausriefe »Ja, das ist die Lösung, das ist, was ich geträumt habe, aber ohne Lücken und Entstellungen«. Es wäre dann eben diese Anerkennung, die die Lösung zur Lösung machte. Sowie, wenn Du beim Schreiben ein Wort suchst und nun sagst: »Das ist es, das sagt, was ich wollte!« – Deine Anerkennung das Wort zum gefundenen, also gesuchten stempelt. (Hier könnte man wirklich sagen: erst wenn man gefunden hat, wisse man, was man gesucht hat – ähnlich wie Russell über das Wünschen redet.)

Was am Traum intrigiert, ist nicht sein kausaler Zusammenhang mit Geschehnissen meines Lebens, etc., sondern eher dies, daß er wie ein Teil einer Geschichte wirkt, und zwar ein sehr lebendiger, wovon der Rest im Dunkeln liegt. (Man möchte fragen: »Woher kam diese Gestalt nun, und was ist aus ihr geworden?«) Ja, auch wenn mir Einer nun zeigt, daß diese Geschichte gar keine richtige Geschichte war; daß in Wirklichkeit eine ganz andere ihr zugrunde lag, so daß ich enttäuscht ausrufen möchte »Ach, so war es?«, so ist hier doch scheinbar etwas gestohlen worden. Freilich, die erste Geschichte zerfällt nun, wie sich das Papier auseinanderfaltet; der Mann, den ich sah, war von da genommen, seine Worte von dort, die Umgebung im Traume wieder von wo anders; aber die Traumgeschichte hat dennoch ihren eigenen Reiz, wie ein Gemälde, das uns anzieht und inspiriert.

Man kann nun freilich sagen, daß wir das Traumbild inspiriert betrachten, daß wir eben inspiriert sind. Denn, wenn wir einem Andern unsern Traum erzählen, so inspiriert ihn das Bild meistens nicht. Der Traum berührt uns wie eine entwicklungsschwangere Idee.

1948


Architektur verewigt und verherrlicht etwas. Darum kann es Architektur nicht geben, wo nichts zu verherrlichen ist.[27]

Circa 1947-1948


Schlage Geld aus jedem Fehler.

1948


Das Verstehen und die Erklärung einer musikalischen Phrase. – Die einfachste Erklärung ist manchmal eine Geste; eine andere wäre etwa ein Tanzschritt, oder Worte, die einen Tanz beschreiben. – Aber ist denn nicht das Verstehen der Phrase ein Erlebnis, während wir sie hören? Und was tut nun die Erklärung? Sollen wir an sie denken, während wir die Musik hören? Sollen wir uns den Tanz, oder was immer es ist, dabei vorstellen? Und wenn wir’s tun, – warum soll man das ein verständnisvolles Hören der Musik nennen?? Kommt’s auf’s Sehen des Tanzes an, so wäre es ja besser, er würde vorgeführt, statt der Musik. Alles das aber ist ein Mißverständnis.

Ich gebe Einem eine Erklärung, sage ihm »Es ist wie wenn ...«; nun sagt er »Ja, jetzt verstehe ich’s« oder »Ja, jetzt weiß ich, wie es zu spielen ist«. Vor allem mußte er ja die Erklärung nicht annehmen; es ist ja nicht, als hätte ich ihm sozusagen überzeugende Gründe dafür gegeben, daß diese Stelle vergleichbar ist dem und dem. Ich erkläre ihm ja, z. B., nicht ⟨aus⟩[28] Äußerungen des Komponisten, diese Stelle habe das und das darzustellen.

Wenn ich nun frage »Was erlebe ich denn eigentlich, wenn ich dies Thema höre und mit Verständnis höre?« – so kommen mir nichts als Plattheiten in den Kopf zur Antwort. So etwas wie Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, Erinnerungen u. dergl.

Ich sage freilich »Ich gehe mit« – aber was heißt das? Es könnte so etwas heißen wie: ich begleite die Musik mit Gebärden. Und wenn man darauf hinweist, daß das doch meistens nur in sehr rudimentärem Maße vor sich geht, erhält man etwa die Antwort, die rudimentären Bewegungen werden durch Vorstellungen ergänzt. Aber nehmen wir doch an, es begleite Einer die Musik in vollem Maße durch Bewegungen, – inwiefern ist das ihr Verständnis? Und will ich sagen, die Bewegungen seien das Verstehen; oder seine Bewegungsempfindungen? (Was weiß ich von denen?) – Wahr ist, daß ich seine Bewegungen, unter Umständen, als Zeichen seines Verständnisses ansehen werde.

Soll ich aber (wenn ich Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, etc. als Erklärung zurückweise) sagen, es sei eben das Verstehen ein spezifisches, nicht weiter analysierbares Erlebnis? Nun, das ginge an, wenn es nicht heißen soll: es sei ein spezifischer Erlebnisinhalt. Denn bei diesen Worten denkt man eigentlich an Unterschiede wie die zwischen Sehen, Hören und Riechen.

Wie erklärt man denn Einem, was es heißt »Musik verstehen«? Indem man ihm die Vorstellungen, Bewegungsempfindungen, etc. nennt, die der Verstehende hat? Eher noch, indem man ihm die Ausdrucksbewegungen des Verstehenden zeigt. – Ja, die Frage ist auch, welche Funktion hat das Erklären hier? Und was heißt es: verstehen, was es heißt, Musik zu verstehen? Mancher würde ja sagen: das zu verstehen heiße: selbst Musik zu verstehen. Und die Frage wäre also »Kann man Einen denn lehren, Musik zu verstehen?«, denn nur so ein Unterricht wäre eine Erklärung der Musik zu nennen.

Das Verständnis der Musik hat einen gewissen Ausdruck, sowohl während des Hörens und Spielens, als auch zu andern Zeiten. Zu diesem Ausdruck gehören manchmal Bewegungen, manchmal aber nur, wie der Verstehende das Stück spielt, oder summt, auch hier und da Vergleiche, die er zieht, und Vorstellungen, die die Musik gleichsam illustrieren. Wer Musik versteht, wird anders (mit anderem Gesichtsausdruck, z. B.) zuhören, reden, als der es nicht versteht. Sein Verständnis eines Themas wird sich aber nicht nur in Phänomenen zeigen, die das Hören oder Spielen dieses Themas begleiten, sondern in einem Verständnis für Musik im allgemeinen.

Das Verständnis der Musik ist eine Lebensäußerung des Menschen. Wie wäre sie Einem zu beschreiben? Nun, vor allem müßte man wohl die Musik beschreiben. Dann könnte man beschreiben, wie sich Menschen zu ihr verhalten. Aber ist das alles, was dazu nötig ist, oder gehört dazu, daß wir ihm selbst Verständnis beibringen? Nun, ihm Verständnis beibringen wird ihm in anderem Sinne lehren, was Verständnis ist, als eine Erklärung, die dies nicht tut. Ja auch, ihm Verständnis für Gedichte oder Malerei beibringen, kann zur Erklärung dessen gehören, was Verständnis für Musik sei.

1948


Unsre Kinder lernen schon in der Schule, Wasser bestehe aus den Gasen Wasserstoff und Sauerstoff, oder Zucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Wer es nicht versteht ist dumm. Die wichtigsten Fragen werden zugedeckt.

1948


Die Schönheit einer Sternfigur – eines Sechseck-Sterns etwa – wird beeinträchtigt, wenn man sie symmetrisch bezüglich einer bestimmten Achse sieht.

1948


Bach hat gesagt, er habe alles nur durch Fleiß geleistet. Aber ein solcher Fleiß setzt eben Demut und eine ungeheure Leidensfähigkeit, also Kraft, voraus. Und wer sich dann vollkommen ausdrücken kann, spricht eben zu uns die Sprache eines großen Menschen.

1948


Ich glaube, daß die Erziehung der Menschen heute dahingeht, die Leidensfähigkeit zu verringern. Eine Schule gilt heute für gut, ›if the children have a good time‹. Und das war früher nicht der Maßstab. Und die Eltern möchten, daß die Kinder werden, wie sie selbst sind (only more so) und doch lassen sie sie durch eine Erziehung gehen, die von der ihren ganz verschieden ist. – Auf die Leidensfähigkeit gibt man nichts, denn Leiden soll es nicht geben, sie sind eigentlich veraltet.

1948


»Die Tücke des Objekts.« – Ein unnötiger Anthropomorphismus. Man könnte von einer Tücke der Welt reden; sich leicht vorstellen, der Teufel habe die Welt geschaffen, oder einen Teil von ihr. Und es ist nicht nötig, ein Eingreifen des Dämons von Fall zu Fall sich vorzustellen; es kann alles ›den Naturgesetzen entsprechend‹ vor sich gehen; es ist dann eben der ganze Plan von vornherein auf’s Schlimme angelegt. Der Mensch aber befindet sich in dieser Welt, in der die Dinge zerbrechen, rutschen, alles mögliche Unheil anstiften. Und er ist natürlich eins von den Dingen. – Die ›Tücke‹ des Objekts ist ein dummer Anthropomorphismus. Denn die Wahrheit ist viel ernster als diese Fiktion.

1948


Ein stilistischer Behelf mag praktisch sein, und mir doch verboten. Das Schopenhauer’sche »als welcher« z. B. Es würde den Ausdruck manchmal bequemer, deutlicher, machen, kann aber nicht von dem gebraucht werden, der es als altväterisch empfindet; und er darf sich nicht über diese Empfindung hinwegsetzen.

1948


Religiöser Glaube und Aberglaube sind ganz verschieden. Der eine entspringt aus Furcht und ist eine Art falscher Wissenschaft. Der andre ist ein Vertraun.

1948


Es wäre beinahe seltsam, wenn es nicht Tiere mit dem Seelenleben von Pflanzen gäbe. D. h., mit dem mangelnden Seelenleben.

1948


Als ein Grundgesetz der Naturgeschichte könnte man es, glaube ich, betrachten, daß, wo immer etwas in der Natur ›eine Funktion hat‹, ›einen Zweck erfüllt‹, dieses selbe auch vorkommt, wo es keinen erfüllt, ja ›unzweckdienlich‹ ist.

Erhalten die Träume manchmal den Schlaf, so kannst Du darauf rechnen, daß sie ihn manchmal stören; erfüllt die Traumhalluzination manchmal einen plausiblen Zweck (der eingebildeten Wunscherfüllung), so rechne darauf, daß sie auch das Gegenteil tut. Eine ›dynamische Theorie der Träume‹[29] gibt es nicht.

1948


Worin liegt die Wichtigkeit des genauen Ausmalens von Anomalien? Kann man es nicht, so zeigt das, daß man sich in den Begriffen nicht auskennt.

1948


Ich bin zu weich, zu schwach, und darum zu faul, um Bedeutendes zu leisten. Der Fleiß der Großen ist, unter andrem, ein Zeichen ihrer Kraft, abgesehen auch von ihrem inneren Reichtum.

1948


Wenn Gott wirklich die zu errettenden Menschen wählt, dann ist kein Grund, warum er sie nicht nach Nationen, Rassen, oder Temperamenten wählen soll. Warum die Wahl nicht in den Naturgesetzen ihren Ausdruck haben soll. (Er konnte ja auch so wählen, daß die Wahl einem Gesetz folgt.)

Ich habe Auszüge aus den Schriften von St. John of the Cross[30] gelesen, Leute seien zu Grunde gegangen, weil sie nicht das Glück hatten, im richtigen Moment einen weisen geistlichen Führer zu finden.

Und wie kann man dann sagen, Gott versuche den Menschen nicht über seine Kräfte?

Ich bin hier zwar geneigt, zu sagen, daß schiefe Begriffe viel Unheil angerichtet haben, aber die Wahrheit ist, daß ich gar nicht weiß, was Heil und was Unheil anstiftet.

1948


Wir dürfen nicht vergessen: auch unsere feineren, mehr philosophischen Bedenken haben eine instinktive Grundlage. Z. B. das ›Man kann nie wissen ...‹. Das Zugänglichbleiben für weitere Argumente. Leute, denen man das nicht beibringen könnte, kämen uns geistig minderwertig vor. Noch unfähig einen gewissen Begriff zu bilden.

1948


Wenn Nachtträume eine ähnliche Funktion haben, wie Tagträume, so dienen sie zum Teil dazu, den Menschen auf jede Möglichkeit (auch die schlimmste) vorbereiten.

1948


Wenn Einer mit voller Sicherheit an Gott glauben kann, warum dann nicht an der Andern Seele?

1948


Diese musikalische Phrase ist für mich eine Gebärde. Sie schleicht sich in mein Leben ein. Ich mache sie mir zu eigen.

Die unendlichen Variationen des Lebens sind unserm Leben wesentlich. Und also eben der Gepflogenheit des Lebens. Ausdruck besteht für uns ⟨in⟩[31] Unberechenbarkeit. Wüßte ich genau, wie er sein Gesicht verziehen, sich bewegen wird, so wäre kein Gesichtsausdruck, keine Gebärde vorhanden. – Stimmt das aber? – Ich kann mir doch ein Musikstück, das ich (ganz) auswendig weiß, immer wieder anhören; und es könnte auch von einer Spieluhr gespielt werden. Seine Gebärden blieben für mich immer Gebärden, obgleich ich immer weiß, was kommen wird. Ja, ich kann sogar immer wieder überrascht sein. (In einem bestimmten Sinne.)

1948


Der ehrliche religiöse Denker ist wie ein Seiltänzer. Er geht, dem Anscheine nach, beinahe nur auf der Luft.

Sein Boden ist der schmalste, der sich denken läßt. Und doch läßt sich auf ihm wirklich gehen.

1948


Der feste Glaube. (An eine Verheißung z. B.) Ist er weniger sicher als die Überzeugung von einer mathematischen Wahrheit? – Aber werden dadurch die Sprachspiele ähnlicher!

1948


Es ist für unsre Betrachtung wichtig, daß es Menschen gibt, von denen jemand fühlt, er werde nie wissen, was in ihnen vorgeht. Er werde sie nie verstehen. (Engländerinnen für Europäer.)

1948


Ich glaube, es ist eine wichtige und merkwürdige Tatsache, daß ein musikalisches Thema, wenn es in (sehr) verschiedenen Tempi gespielt wird, seinen Charakter ändert. Übergang von der Quantität zur Qualität.

1948


Die Probleme des Lebens sind an der Oberfläche unlösbar, und nur in der Tiefe zu lösen. In den Dimensionen der Oberfläche sind sie unlösbar.

1948


In einer Konversation: Einer wirft einen Ball; der Andre weiß nicht: soll er ihn zurückwerfen, oder einem Dritten zuwerfen, oder liegenlassen, oder aufheben und in die Tasche stecken, etc.

1948


Der große Architekt in einer schlechten Periode (Van der Nüll) hat eine ganz andere Aufgabe als der große Architekt in einer guten Periode. Man darf sich wieder nicht durch das allgemeine Begriffswort verführen lassen. Nimm nicht die Vergleichbarkeit, sondern die Unvergleichbarkeit als selbstverständlich hin.

1948


Nichts ist doch wichtiger, als die Bildung von fiktiven Begriffen, die uns die unseren erst verstehen lehren.

1948


»Denken ist schwer« (Ward). Was heißt das eigentlich? Warum ist es schwer? – Es ist beinahe ähnlich, als sagte man »Schauen ist schwer«. Denn angestrengtes Schauen ist schwer. Und man kann angestrengt schauen und doch nichts sehen, oder immer wieder etwas zu sehen glauben, und doch nicht deutlich sehen können. Man kann müde werden vom Schauen, auch wenn man nichts sieht.

1948


Wenn Du einen Knäuel nicht entwirren kannst, so ist das Gescheiteste, was Du tun kannst, das einzusehen; und das Anständigste, es zuzugestehen. [Antisemitismus.]

Was man tun soll, das Übel zu heilen, ist nicht klar. Was man nicht tun darf, ist von Fall zu Fall klar.

1948


Es ist merkwürdig, daß man die Zeichnungen von Busch oft ›metaphysisch‹ nennen kann. So gibt es also eine Zeichenweise, die metaphysisch ist? – »Gesehen mit dem Ewigen als Hintergrund«[32] könnte man sagen. Aber doch bedeuten diese Striche das nur in einer ganzen Sprache. Und es ist eine Sprache ohne Grammatik, man könnte ihre Regeln nicht angeben.

1948


Karl der Große hat im Alter vergebens versucht, schreiben zu lernen: und so kann Einer auch vergebens trachten, eine Gedankenbewegung zu erlernen. Sie wird ihm nie geläufig.

1948


Eine Sprache, in der im Takt geredet wird, so daß man auch nach dem Metronom reden kann. Es ist nicht selbstverständlich, daß Musik sich, wie die unsere, wenigstens beiläufig, metronomieren läßt. (Das Thema aus der 8. Symphonie[33] genau nach dem Metronom zu spielen.)

1948


Schon in Menschen, die sämtlich die gleichen Gesichtszüge hätten, könnten wir uns nicht finden.

1948


Ist ein falscher Gedanke nur einmal kühn und klar ausgedrückt, so ist damit schon viel gewonnen.

1948


Nur wenn man noch viel verrückter denkt, als die Philosophen, kann man ihre Probleme lösen.

1948


Denk, jemand sähe ein Pendel an und dächte dabei: So läßt Gott es gehen. Hat denn Gott nicht die Freiheit, auch einmal in Übereinstimmung mit einer Rechnung zu handeln?

1948


Ein weit talentierterer Schriftsteller als ich hätte noch immer geringes Talent.

1948


Es ist ein körperliches Bedürfnis des Menschen, sich bei der Arbeit zu sagen »Jetzt lassen wir’s schon einmal«, und daß man immer wieder gegen dieses Bedürfnis beim Philosophieren denken muß, macht diese Arbeit so anstrengend.

1948


Du mußt die Fehler Deines eigenen Stiles hinnehmen. Beinahe wie die Unschönheiten des eigenen Gesichts.

1948


Steige immer von den kahlen Höhen der Gescheitheit in die grünenden Täler der Dummheit.

1948


Ich habe eines von diesen Talenten, das immer wieder aus der Not eine Tugend machen muß.

1948


Tradition ist nichts, was Einer lernen kann, ist nicht ein Faden, den Einer aufnehmen kann, wenn es ihm gefällt; so wenig, wie es möglich ist, sich die eigenen Ahnen auszusuchen.

Wer eine Tradition nicht hat und sie haben möchte, der ist wie ein unglücklich Verliebter.

1948


Der glücklich Verliebte und der unglücklich Verliebte haben Jeder sein eigenes Pathos.

Aber es ist schwerer gut unglücklich verliebt sein, als gut glücklich verliebt.

1948


Moore hat mit seinem Paradox in ein philosophisches Wespennest gestochen; und wenn die Wespen nicht gehörig aufgeflogen sind, so ist es nur, weil sie zu träg waren.

1948


Im Geistigen läßt sich ein Unternehmen meistens nicht fortsetzen, soll auch gar nicht fortgesetzt werden. Diese Gedanken düngen den Boden für eine neue Saat.

1948


So bist Du also ein schlechter Philosoph, wenn, was Du schreibst, schwer verständlich ist? Wärest Du besser, so würdest Du das Schwere leicht verständlich machen. – Aber wer sagt, daß das möglich ist?! [Tolstoi.]

1948


Das größte Glück des Menschen ist die Liebe. Angenommen, Du sagst vom Schizophrenischen: er liebt nicht, er kann nicht lieben, er will nicht lieben – wo ist der Unterschied?!

1948


»Er will nicht ...« heißt: es ist in seiner Macht. Und wer will das sagen?!

Wovon sagt man denn »es ist in meiner Macht«? – Man sagt es, wo man einen Unterschied machen will. Dies Gewicht kann ich heben, will’s aber nicht heben; jenes kann ich nicht heben.

1948


»Gott hat es befohlen, also muß man’s tun können.« Das heißt gar nichts. Hier ist kein ›also‹. Die beiden Ausdrücke könnten höchstens das gleiche bedeuten.

»Er hat es befohlen« heißt hier ungefähr: Er wird strafen, wer es nicht tut. Und daraus folgt nichts über das Können. Und das ist der Sinn der ›Gnadenwahl‹.

Das heißt aber nicht, daß es richtig ist, zu sagen: »Er straft, obgleich man nicht anders kann.« – Wohl aber könnte man sagen: Hier wird gestraft, wo der Mensch nicht strafen dürfte. Und der Begriff der ›Strafe‹ überhaupt ändert sich hier. Denn die alten Illustrationen lassen sich hier nicht mehr anwenden, oder müssen nun ganz anders angewendet werden. Sieh Dir nur eine Allegorie an, wie »The Pilgrim’s Progress«, und wie hier alles – im menschlichen Sinne – nicht stimmt. – Aber stimmt sie nicht doch? D. h.: läßt sie sich nicht anwenden? Sie ist ja angewendet worden. (Auf den Bahnhöfen gibt es Zifferblätter mit zwei Zeigern; sie zeigen an, wann der nächste Zug abfährt. Sie schauen aus wie Uhren und sind keine; haben aber ihre Verwendung.) (Es gäbe hier ein besseres Gleichnis.)

Dem Menschen, der bei dieser Allegorie unwillig wird, könnte man sagen: Verwende sie anders oder kümmere Dich nicht um sie! (Aber manchen wird sie weit mehr verwirren, als sie ihm helfen kann.)

1948


Was der Leser auch kann, das überlaß dem Leser.

1948


Ich schreibe beinahe immer Selbstgespräche mit mir selbst. Sachen, die ich mir unter vier Augen sage.

1948


Ehrgeiz ist der Tod des Denkens.

1948


Humor ist keine Stimmung, sondern eine Weltanschauung. Und darum, wenn es richtig ist, zu sagen, im Nazi-Deutschland sei der Humor vertilgt worden, so heißt das nicht so etwas wie, man sei nicht guter Laune gewesen, sondern etwas viel Tieferes und Wichtigeres.

1948


Zwei Menschen, die zusammen, über einen Witz etwa, lachen. Einer hat gewisse etwas ungewöhnliche Worte gebraucht und nun brechen sie beide in eine Art von Meckern aus. Das könnte Einem, der aus anderer Umgebung zu uns kommt, sehr sonderbar vorkommen. Während wir es ganz vernünftig finden.

(Ich beobachtete diese Szene neulich in einem Omnibus und konnte mich in Einen hineindenken, der das nicht gewohnt ist. Es kam mir dann ganz irrational vor und wie die Reaktionen eines uns fremden Tiers.)

1948


Der Begriff des ›Festes‹. Für uns mit Lustbarkeit verbunden; zu einer andern Zeit möglicherweise nur mit Furcht und Grauen. Was wir »Witz« und was wir »Humor« nennen, hat es gewiß in andern Zeiten nicht gegeben. Und diese beiden ändern sich beständig.

1949


»Le style c’est l’homme«, »Le style c’est l’homme même«. Der erste Ausdruck hat eine billige epigrammatische Kürze. Der zweite, richtige, eröffnet eine ganz andere Perspektive. Er sagt, daß der Stil das Bild des Menschen sei.

1949


Es gibt Bemerkungen, die säen, und Bemerkungen, die ernten.

1949


Die Landschaft dieser Begriffsverhältnisse aus ihren unzähligen Stücken, wie sie die Sprache uns zeigt, zusammenstellen, ist zu schwer für mich. Ich kann es nur sehr unvollkommen tun.

1949


Wenn ich mich für eine Eventualität vorbereite, kannst Du ziemlich sicher sein, daß sie nicht eintreten wird. u. U.

1949


Es ist schwer etwas zu wissen, und zu handeln, als wüßte man’s nicht.

1949


Es gibt wirklich die Fälle, in denen Einem der Sinn dessen, was er sagen will, viel klarer vorschwebt, als er ihn in Worten auszudrücken vermag. (Mir geschieht dies sehr oft.) Es ist dann, als sähe man deutlich ein Traumbild vor sich, könnte es aber nicht so beschreiben, daß der Andre es auch sieht. Ja, das Bild steht für den Schreiber (mich) oft bleibend hinter den Worten, so daß sie es für mich zu beschreiben scheinen.

1949


Ein mittelmäßiger Schriftsteller muß sich hüten, einen rohen, inkorrekten Ausdruck zu schnell durch einen korrekten zu ersetzen. Dadurch tötet er den ersten Einfall, der doch noch ein lebendes Pflänzchen war. Und nun ist er dürr und gar nichts mehr wert. Man kann ihn nun auf den Mist werfen. Während das armselige Pflänzchen noch immer einen gewissen Nutzen hatte.

1949


Das Veralten von Schriftstellern, die schließlich etwas waren, hängt damit zusammen, daß ihre Schriften von der ganzen Umgebung ihrer Zeit ergänzt, stark zu den Menschen sprechen, daß sie aber ohne diese Ergänzung sterben, gleichsam der Beleuchtung beraubt, die ihnen Farbe gab.

Und damit, glaube ich, hängt die Schönheit mathematischer Demonstrationen zusammen, wie sie selbst von Pascal empfunden wurde. In dieser Anschauung der Welt hatten diese Demonstrationen Schönheit – nicht das, was oberflächliche Menschen Schönheit nennen. Auch, ein Krystall ist nicht in jeder ›Umgebung‹ schön – obwohl vielleicht in jeder reizvoll. –

Wie sich ganze Zeiten nicht aus den Zangen gewisser Begriffe befreien können – des Begriffes ›schön‹ und ›Schönheit‹ z. B.

1949


Mein eigenes Denken über Kunst und Werte ist weit desillusionierter, als es das der Menschen vor 100 Jahren sein konnte. Und doch heißt das nicht, daß es deswegen richtiger ist. Es heißt nur, daß im Vordergrund meines Geistes Untergänge sind, die nicht im Vordergrund jener waren.

1949


Sorgen sind wie Krankheiten; man muß sie hinnehmen: das Schlimmste, was man tun kann, ist, sich gegen sie auflehnen.

Sie kommen auch in Anfällen, durch innere, oder äußere Anlässe ausgelöst. Und man muß sich dann sagen: »Wieder ein Anfall.«

1949


Wissenschaftliche Fragen können mich interessieren, aber nie wirklich fesseln. Das tun für mich nur begriffliche und ästhetische Fragen. Die Lösung wissenschaftlicher Probleme ist mir, im Grunde, gleichgültig; jener andern Fragen aber nicht.

1949


Auch wenn man nicht in Kreisen denkt, so geht man doch, manchmal geradenwegs durch’s Walddickicht der Fragen in’s Freie hinaus, manchmal auf verschlungenen, oder Zickzackwegen, die uns nicht in’s Freie führen.

1949


Der Sabbath ist nicht einfach die Zeit der Ruhe, der Erholung. Wir sollten unsre Arbeit von außen betrachten, nicht nur von innen.

1949


Der Gruß der Philosophen unter einander sollte sein: »Laß Dir Zeit!«

1949


Für den Menschen ist das Ewige, Wichtige, oft durch einen undurchdringlichen Schleier verdeckt. Er weiß: da drunten ist etwas, aber er sieht es nicht. Der Schleier reflektiert das Tageslicht.

1949


Warum soll der Mensch nicht todunglücklich werden? Es ist eine seiner Möglichkeiten. Wie im ›Corinthian Bagatel‹ dieser Weg der Kugel einer der möglichen Wege. Und vielleicht nicht einmal einer der seltenen.

1949


In den Tälern der Dummheit wächst für den Philosophen noch immer mehr Gras, als auf den kahlen Höhen der Gescheitheit.

1949


Die Zeitlichkeit der Uhr und die Zeitlichkeit in der Musik. Sie sind durchaus nicht gleiche Begriffe.

Streng im Takt gespielt, heißt nicht genau nach dem Metronom gespielt. Es wäre aber möglich, daß eine gewisse Art von Musik nach dem Metronom zu spielen wäre. (Ist das Anfangsthema ⟨des zweiten Satzes⟩[34] der 8. Symphonie von dieser Art?)

1949


Könnte man den Begriff der Höllenstrafen auch anders, als durch den Begriff der Strafe erklären? Oder den Begriff der Güte Gottes auch anders, als durch den Begriff der Güte?

Wenn Du mit Deinen Worten die rechte Wirkung erzielen willst, gewiß nicht.

Denke, es würde Einem gelehrt: Es gibt ein Wesen, welches Dich, wenn Du das und das tust, so und so lebst, nach Deinem Tod an einen Ort der ewigen Qual bringen wird; die meisten Menschen kommen dorthin, eine geringe Anzahl an einen Ort der ewigen Freude. – Jenes Wesen hat von vornherein die ausgewählt, die an den guten Ort kommen sollen, und, da nur die an den Ort der Qual kommen, die eine bestimmte Art des Lebens geführt haben, die andern auch, von vornherein, zu dieser Art des Lebens bestimmt.

Wie so eine Lehre wohl wirken würde?

Es ist hier also von Strafe keine Rede, sondern eher von einer Art Naturgesetzlichkeit. Und, wem man es in diesem Lichte darstellt, der könnte nur Verzweiflung oder Unglauben aus dieser Lehre ziehen.

Diese Lehre könnte keine ethische Erziehung sein. Und wen man ethisch erziehen und dennoch so lehren wollte, dem müßte man die Lehre, nach der ethischen Erziehung, als eine Art unbegreiflichen Geheimnisses darstellen.

1949


»Er hat sie, in seiner Güte, erwählt und er wird Dich strafen« hat ja keinen Sinn. Die beiden Hälften gehören zu verschiedenen Betrachtungsarten. Die zweite Hälfte ist ethisch und die erste ist es nicht. Und mit der ersten zusammen ist die zweite absurd.

1949


Der Reim von ›Rast‹ mit ›Hast‹ ist ein Zufall. Aber ein glücklicher Zufall, und Du kannst diesen glücklichen Zufall entdecken.

1949


In Beethovens Musik findet sich zum ersten Mal, was man den Ausdruck der Ironie nennen kann. Z. B. im ersten Satz der Neunten. Und zwar ist es bei ihm eine fürchterliche Ironie, etwa die des Schicksals. – Bei Wagner kommt die Ironie wieder, aber in’s Bürgerliche gewendet.

Man könnte wohl sagen, daß Wagner und Brahms, jeder in andrer Art, Beethoven nachgeahmt haben; aber was bei ihm kosmisch war, wird bei ihnen irdisch.

Es kommen bei ihm die gleichen Ausdrücke vor, aber sie folgen andern Gesetzen.

Das Schicksal spielt ja auch in Mozarts oder Haydns Musik keinerlei Rolle. Damit beschäftigt sich diese Musik nicht.

Tovey, dieser Esel, sagt einmal dies, oder etwas Ähnliches, habe damit zu tun, daß Mozart Lektüre einer gewissen Art gar nicht zugänglich gewesen sei. Als ob es ausgemacht wäre, daß nur die Bücher die Musik der Meister bestimmt hätten. Freilich hängen Musik und Bücher zusammen. Aber wenn Mozart in seiner Lektüre nicht große Tragik fand, fand er sie darum nicht im Leben? Und sehen Komponisten immer nur durch die Brillen der Dichter?

1949


Einen dreifachen Kontrapunkt gibt es nur in einer ganz bestimmten musikalischen Umgebung.

1949


Der seelenvolle Ausdruck in der Musik. Er ist nicht nach Graden der Stärke und des Tempos zu beschreiben. Sowenig wie der seelenvolle Gesichtsausdruck durch räumliche Maße. Ja er ist auch nicht durch ein Paradigma zu erklären, denn das gleiche Stück kann auf unzählige Arten mit echtem Ausdruck gespielt werden.

1949


Das Wesen Gottes verbürge seine Existenz – d. h. eigentlich, daß es sich hier um eine Existenz nicht handelt.

Könnte man denn nicht auch sagen, das Wesen der Farbe verbürge ihre Existenz? Im Gegensatz etwa zum weißen Elephanten. Denn es heißt ja nur: Ich kann nicht erklären, was ›Farbe‹ ist, was das Wort »Farbe« bedeutet, außer an der Hand des Farbmusters. Es gibt also hier nicht ein Erklären, ›wie es wäre, wenn es Farben gäbe‹.

Und man könnte nun sagen: Es läßt sich beschreiben, wie es wäre, wenn es Götter auf dem Olymp gäbe – aber nicht: ›wie es wäre, wenn es Gott gäbe‹. Und damit wird der Begriff ›Gott‹ näher bestimmt.

Wie wird uns das Wort »Gott« beigebracht (d. h. sein Gebrauch)? Ich kann davon keine ausführliche grammatische Beschreibung geben. Aber ich kann sozusagen Beiträge zu der Beschreibung machen; ich kann darüber manches sagen und vielleicht mit der Zeit eine Art Beispielsammlung anlegen.

Bedenke hier, daß man in einem Wörterbuch vielleicht gern solche Gebrauchsbeschreibungen gäbe, in Wirklichkeit aber nur einige wenige Beispiele und Erklärungen gibt. Ferner aber, daß mehr auch nicht nötig ist. Was könnten wir mit einer ungeheuer langen Beschreibung anfangen? – Nun, wir könnten nichts mit ihr anfangen, wenn es sich um den Gebrauch von Wörtern uns geläufiger Sprachen handelte. Aber wie, wenn wir so eine Beschreibung des Gebrauchs eines assyrischen Worts vorfänden? Und in welcher Sprache? Nun, in einer andern uns bekannten. – In der Beschreibung wird oft das Wort »manchmal« vorkommen, oder »öfters«, oder »für gewöhnlich«, oder »fast immer«, oder »fast nie«.

Es ist schwer, sich ein gutes Bild einer solchen Beschreibung zu machen.

Und ich bin im Grunde doch ein Maler, und oft ein sehr schlechter Maler.

1949


Wie ist es denn, wenn Leute nicht den gleichen Sinn für Humor haben? Sie reagieren nicht richtig auf einander. Es ist, als wäre es unter gewissen Menschen Sitte einem Andern einen Ball zuzuwerfen, welcher ihn auffangen und zurückwerfen soll; aber gewisse Leute würfen ihn nicht zurück, sondern steckten ihn in die Tasche.

Oder wie ist es, wenn Einer den Geschmack des Andern gar nicht zu erraten versteht?

1949


Ein in uns festes Bild kann man freilich dem Aberglauben vergleichen, aber doch auch sagen, daß man immer auf irgend einen festen Grund kommen muß, sei er nun ein Bild, oder nicht, und also sei ein Bild am Grunde alles Denkens zu respektieren und nicht als ein Aberglaube zu behandeln.

1949


Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie darüber falsch.

1949


Kultur ist eine Ordensregel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus.

1949


Die Traumerzählung, ein Gemenge von Erinnerungen. Oft zu einem sinnvollen und rätselhaften Ganzen. Gleichsam zu einem Fragment, das uns stark beeindruckt (manchmal nämlich), so daß wir nach einer Erklärung, nach Zusammenhängen suchen.

Aber warum kamen jetzt diese Erinnerungen? Wer will’s sagen? – Es kann mit unserm gegenwärtigen Leben, also auch mit unsern Wünschen, Befürchtungen, etc., zusammenhängen. – »Aber willst Du sagen, daß diese Erscheinung im bestimmten ursächlichen Zusammenhang stehen müsse?« – Ich will sagen, daß es nicht notwendigerweise Sinn haben muß, von einem Auffinden ihrer Ursache zu reden.

1949


Shakespeare und der Traum. Ein Traum ist ganz unrichtig, absurd, zusammengesetzt, und doch ganz richtig: er macht in dieser seltsamen Zusammensetzung einen Eindruck. Warum? Ich weiß es nicht. Und wenn Shakespeare groß ist, wie von ihm ausgesagt wird, dann muß man von ihm sagen können: Es ist alles falsch, stimmt nicht – und ist doch ganz richtig nach einem eigenen Gesetz.

Man könnte das auch so sagen: Wenn Shakespeare groß ist, kann er es nur in der Masse seiner Dramen sein, die sich ihre eigene Sprache und Welt schaffen. Er ist also ganz unrealistisch. (Wie der Traum.)

1949


Es ist nichts Unerhörtes darin, daß der Charakter des Menschen von der Außenwelt beeinflußt werden kann (Weininger). Denn das heißt ja nur, daß erfahrungsgemäß die Menschen sich mit den Umständen ändern. Fragt man: Wie könnte die Umgebung den Menschen, das Ethische in ihm, zwingen? – so ist die Antwort, daß er zwar sagen mag »Kein Mensch muß müssen«, aber doch unter solchen Umständen so und so handeln wird.

›Du MUSST nicht, ich kann Dir einen (andern) Ausweg sagen, – aber Du wirst ihn nicht ergreifen.‹

1950


Ich glaube nicht, daß man Shakespeare mit einem andern Dichter zusammenhalten kann. War er vielleicht eher ein Sprachschöpfer als ein Dichter?

Ich könnte Shakespeare nur anstaunen; nie etwas mit ihm anfangen.


Ich habe ein tiefes Mißtrauen gegen die allermeisten Bewunderer Shakespeares. Ich glaube, das Unglück ist, daß er, in der westlichen Kultur zum mindesten, einzig dasteht, und man ihn daher, um ihn einzureihen, falsch einreihen muß.


Es ist nicht, als ob Shakespeare Typen von Menschen gut portraitierte und insofern wahr wäre. Er ist nicht naturwahr. Aber er hat eine so gelenke Hand und einen so eigenartigen Strich, daß jede seiner Figuren bedeutend, sehenswert ausschaut.


»Das große Herz Beethovens« – niemand könnte sagen »das große Herz Shakespeares«. ›Die gelenke Hand, die neue Naturformen der Sprache geschaffen hat‹, schiene mir richtiger.


Der Dichter kann eigentlich nicht von sich sagen »Ich singe wie der Vogel singt« – aber Shakespeare hätte es vielleicht von sich sagen können.

1950


Ein und dasselbe Thema hat in Moll einen andern Charakter als in Dur, aber von einem Charakter des Moll im allgemeinen zu sprechen, ist ganz falsch. (Bei Schubert klingt das Dur oft trauriger als das Moll.) Und so ist es, glaube ich, müßig und ohne Nutzen für das Verständnis der Malerei von den Charakteren der einzelnen Farben zu reden. Man denkt eigentlich dabei nur an spezielle Verwendungen. Daß Grün als Farbe einer Tischdecke die, Rot jene Wirkung hat, läßt auf ihre Wirkung in einem Bild keinen Schluß zu.

1950


Ich glaube nicht, daß Shakespeare über das ›Dichterlos‹ hätte nachdenken können.


Er konnte sich auch nicht selbst als Prophet oder Lehrer der Menschheit betrachten.

Die Menschen staunen ihn an, beinahe wie ein Naturschauspiel. Sie fühlen nicht, daß sie dadurch mit einem großen Menschen in Berührung kommen. Sondern mit einem Phänomen.


Ich glaube, um einen Dichter zu genießen, dazu muß man auch die Kultur, zu der er gehört, gern haben. Ist die einem gleichgültig oder zuwider, so erkaltet die Bewunderung.

1950


Wenn der an Gott Glaubende um sich sieht und fragt »Woher ist alles, was ich sehe?«, »Woher das alles?«, verlangt er keine (kausale) Erklärung; und der Witz seiner Frage ist, daß sie der Ausdruck dieses Verlangens ist. Er drückt also eine Einstellung zu allen Erklärungen aus. – Aber wie zeigt sich die in seinem Leben?

Es ist die Einstellung, die eine bestimmte Sache ernst nimmt, sie aber dann an einem bestimmten Punkt doch nicht ernst nimmt, und erklärt, etwas anderes sei noch ernster.

So kann Einer sagen, es ist sehr ernst, daß der und der gestorben ist, ehe er ein bestimmtes Werk vollenden konnte; und in anderem Sinne kommt’s darauf gar nicht an. Hier gebraucht man die Worte »in einem tiefern Sinne«.

Eigentlich möchte ich sagen, daß es auch hier nicht auf die Worte ankommt, die man ausspricht, oder auf das, was man dabei denkt, sondern auf den Unterschied, den sie an verschiedenen Stellen im Leben machen. Wie weiß ich, daß zwei Menschen das gleiche meinen, wenn jeder sagt, er glaube an Gott? Und ganz dasselbe kann man bezüglich der 3 Personen sagen. Die Theologie, die auf den Gebrauch gewisser Worte und Phrasen dringt und andere verbannt, macht nichts klarer (Karl Barth). Sie fuchtelt sozusagen mit Worten, weil sie etwas sagen will und es nicht auszudrücken weiß. Die Praxis gibt den Worten ihren Sinn.

1950


Ein Gottesbeweis sollte eigentlich etwas sein, wodurch man sich von der Existenz Gottes überzeugen kann. Aber ich denke mir, daß die Gläubigen, die solche Beweise lieferten, ihren ›Glauben‹ mit ihrem Verstand analysieren und begründen wollten, obgleich sie selbst durch solche Beweise nie zum Glauben gekommen wären. Einen von der ›Existenz Gottes überzeugen‹ könnte man vielleicht durch eine Art Erziehung, dadurch, daß man sein Leben so und so gestaltet.

Das Leben kann zum Glauben an Gott erziehen. Und es sind auch Erfahrungen, die dies tun; aber nicht Visionen, oder sonstige Sinneserfahrungen, die uns die ›Existenz dieses Wesens‹ zeigen, sondern z. B. Leiden verschiedener Art. Und sie zeigen uns Gott nicht wie ein Sinneseindruck einen Gegenstand, noch lassen sie ihn vermuten. Erfahrungen, Gedanken, – das Leben kann uns diesen Begriff aufzwingen.

Er ist dann etwa ähnlich dem Begriff ›Gegenstand‹.

1950


Ich kann Shakespeare darum nicht verstehen, weil ich in der gänzlichen Asymmetrie die Symmetrie finden will.

Mir kommt vor, seine Stücke seien, gleichsam, enorme Skizzen, nicht Gemälde; sie seien hingeworfen, von einem, der sich sozusagen alles erlauben kann. Und ich verstehe, wie man das bewundern und es die höchste Kunst nennen kann, aber ich mag es nicht. – Wer daher vor diesen Stücken sprachlos steht, den kann ich verstehen; wer sie aber bewundert, so wie man Beethoven etwa bewundert, der scheint mir Shakespeare mißzuverstehen.

1950


Eine Zeit mißversteht die andere; und eine kleine Zeit mißversteht alle andern in ihrer eigenen häßlichen Weise.

1950


Wie Gott den Menschen beurteilt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn er dabei wirklich die Stärke der Versuchung und die Schwäche der Natur in Anschlag bringt, wen kann er dann verurteilen? Wenn aber nicht, so ergibt eben die Resultierende dieser beiden Kräfte das Ziel, zu dem er prädestiniert wurde. Er wurde also geschaffen, um entweder durch das Zusammenspiel der Kräfte zu siegen, oder unterzugehen. Und das ist überhaupt kein religiöser Gedanke, sondern eher eine wissenschaftliche Hypothese.

Wenn Du also im Religiösen bleiben willst, mußt Du kämpfen.

1950


Sieh Dir die Menschen an: Der eine ist Gift für den andern. Die Mutter für den Sohn, und umgekehrt, etc. etc. Aber die Mutter ist blind und der Sohn ist es auch. Vielleicht haben sie schlechtes Gewissen, aber was hilft ihnen das? Das Kind ist böse, aber niemand lehrt es anders sein, und die Eltern verderben es nur durch ihre dumme Zuneigung; und wie sollen sie es verstehen, und wie soll das Kind es verstehen? Sie sind sozusagen alle böse und alle unschuldig.

1950


Die Philosophie hat keinen Fortschritt gemacht? – Wenn Einer kratzt, wo es ihn juckt, muß ein Fortschritt zu sehen sein? Ist es sonst kein echtes Kratzen oder kein echtes Jucken? Und kann nicht diese Reaktion auf die Reizung lange Zeit so weitergehen, ehe ein Mittel gegen das Jucken gefunden wird?

1950


Gott kann mir sagen: »Ich richte Dich aus Deinem eigenen Munde. Du hast Dich vor Ekel vor Deinen eigenen Handlungen geschüttelt, wenn Du sie an Andern gesehen hast.«

1951


Ist der Sinn des Glaubens an den Teufel der, daß nicht alles, was als eine Eingebung zu uns kommt, von gutem ist?

1951


Man kann sich nicht beurteilen, wenn man sich in den Kategorien nicht auskennt. (Freges Schreibart ist manchmal groß; Freud schreibt ausgezeichnet, und es ist ein Vergnügen, ihn zu lesen, aber er ist nie groß in seinem Schreiben.)[35]

1951




  1. Satz unvollständig im Manuskript.
  2. Arvid Sjögren, ein Freund und Verwandter von L. W.
  3. Ernest Renan: Histoire du Peuple d'Israël, Tome Premier, Chapitre III.
  4. Eine frühere Fassung des gedruckten Vorworts zu Philosophische Bemerkungen. Herausgegeben von Rush Rhees. Werkausgabe, Band 2.
  5. S. die vorangehende Bemerkung.
  6. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. § 48-49.
  7. Var. im Manuskript: »Der ganze Rhythmus des Gedichts ...«
  8. Adelbert von Chamisso, »Peter Schlemihls wundersame Geschichte«.
  9. »Brief eines Dichters an einen anderen«, 5. Januar 1811.
  10. Var. im Manuskript: »nicht größer ist«.
  11. Der Satz zwischen Parenthesen stammt aus Wilhelm Buschs Prosadichtung »Eduards Traum«. Der Herausgeber ist Herrn Robert Löffler für diese Auskunft zu Dank verpflichtet.
  12. Vgl. Philosophische Untersuchungen § 131.
  13. Goethe: Faust I.
  14. Schopenhauer: Zur Metaphysik der Musik, Die Welt als Wille und Vorstellung, Kapitel 39.
  15. Wittgensteins Schwester, für die er das Haus Kundmanngasse 19, Wien gebaut hat.
  16. Vgl. Anm. d. Hrsg. zur S. 302 in Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik. (Suhrkamp Ausgabe.)
  17. Vgl. Philosophische Untersuchungen, § 546.
  18. Gottfried Keller: Das verlorne Lachen.
  19. Goethe, Die Braut von Korinth.
  20. Vgl. Philosophische Untersuchungen, Teil II, Abschn. IV.
  21. Vgl. Zettel, § 175.
  22. Menschliches, Allzumenschliches, I, § 155.
  23. Während des zweiten Weltkriegs und unmittelbar nachher.
  24. Lichtenberg, Timorus, Vorrede. Vollständig lautet der Satz: »Denn tun können auch die Ochsen und die Esel, aber versichern kann noch zur Zeit der Mensch nur allein.«
  25. Brief an Goethe, 17. December 1795.
  26. Zu Philosophische Untersuchungen.
  27. Mehrere Varianten im Manuskript.
  28. Textstelle unklar.
  29. Freud.
  30. Des hl. Johannes vom Kreuz.
  31. Vermutung d. Herausgebers.
  32. Vgl. Tagebücher, 7. 10. 1916.
  33. Achte Symphonie Beethovens.
  34. Zusatz des Herausgebers.
  35. Vgl. Zettel, § 712.