Philosophische Untersuchungen: Difference between revisions

no edit summary
No edit summary
No edit summary
Line 1,439: Line 1,439:
'''200'''. Es ist natürlich denkbar, daß in einem Volke, das Spiele nicht kennt, zwei Leute sich an ein Schachbrett setzen und die Züge einer Schachpartie ausführen; ja auch mit allen seelischen Begleiterscheinungen. Und sähen ''wir'' dies, so würden wir sagen, sie spielten Schach. Aber nun denk dir eine Schachpartie nach gewissen Regeln in eine Reihe von Handlungen übersetzt, die wir nicht gewöhnt sind, mit einem ''Spiel'' zu assoziieren, – etwa ein Ausstoßen von Schreien und Stampfen mit den Füßen. Und jene Beiden sollen nun, statt die uns geläufige Form des Schach zu spielen, schreien und stampfen; und zwar so, daß diese Vorgänge sich nach geeigneten Regeln in eine Schachpartie übersetzen ließen. Wären wir nun noch geneigt, zu sagen, sie spielten ein Spiel; und mit welchem Recht könnte man das sagen?  
'''200'''. Es ist natürlich denkbar, daß in einem Volke, das Spiele nicht kennt, zwei Leute sich an ein Schachbrett setzen und die Züge einer Schachpartie ausführen; ja auch mit allen seelischen Begleiterscheinungen. Und sähen ''wir'' dies, so würden wir sagen, sie spielten Schach. Aber nun denk dir eine Schachpartie nach gewissen Regeln in eine Reihe von Handlungen übersetzt, die wir nicht gewöhnt sind, mit einem ''Spiel'' zu assoziieren, – etwa ein Ausstoßen von Schreien und Stampfen mit den Füßen. Und jene Beiden sollen nun, statt die uns geläufige Form des Schach zu spielen, schreien und stampfen; und zwar so, daß diese Vorgänge sich nach geeigneten Regeln in eine Schachpartie übersetzen ließen. Wären wir nun noch geneigt, zu sagen, sie spielten ein Spiel; und mit welchem Recht könnte man das sagen?  
----[1] “Nah” sarebbe una lezione più verosimile?###
----[1] “Nah” sarebbe una lezione più verosimile?###
'''201'''. Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei. Die Antwort war: Ist jede mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen, dann auch zum Widerspruch. Daher gäbe es hier weder Übereinstimmung noch Widerspruch.
Daß da ein Mißverständnis ist, zeigt sich schon darin, daß wir in diesem Gedankengang Deutung hinter Deutung setzen; als beruhige uns eine jede wenigstens für einen Augenblick, bis wir an eine Deutung denken, die wieder hinter dieser liegt. Dadurch zeigen wir nämlich, daß es eine Auffassung einer Regel gibt, die ''nicht'' eine ''Deutung'' ist; sondern sich, von Fall zu Fall der Anwendung, in dem äußert, was wir »der Regel folgen«, und was wir »ihr entgegenhandeln« nennen.
Darum besteht eine Neigung, zu sagen: jedes Handeln nach der Regel sei ein Deuten. »Deuten« aber sollte man nur nennen: einen Ausdruck der Regel durch einen anderen ersetzen.
'''202'''. Darum ist ›der Regel folgen‹ eine Praxis. Und der Regel zu folgen ''glauben'' ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel ›privatim‹ folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen.
'''203'''. Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von ''einer'' Seite und kennst dich aus; du kommst von einer andern zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus.
'''204'''. Ich kann etwa, wie die Sachen stehen, ein Spiel erfinden, das nie von jemandem gespielt wird. – Wäre aber auch dies möglich: Die Menschheit habe nie Spiele gespielt; einmal aber hat Einer ein Spiel erfunden, – das dann allerdings nie gespielt wurde?
'''205'''. »Das ist ja das Merkwürdige an der ''Intention'', am seelischen Vorgang, daß für ihn das Bestehen der Gepflogenheit, der Technik, nicht nötig ist. Daß es z.B. denkbar ist, zwei Leute spielten in einer Welt, in der sonst nicht gespielt wird, eine Schachpartie, ja auch nur den Anfang einer Schachpartie, – und würden dann gestört.«
Ist aber das Schachspiel nicht durch seine Regeln definiert? Und wie sind diese Regeln im Geist dessen gegenwärtig, der beabsichtigt, Schach zu spielen?
'''206'''. Einer Regel folgen, das ist analog dem: einen Befehl befolgen. Man wird dazu abgerichtet und man reagiert auf ihn in bestimmter Weise. Aber wie, wenn nun der Eine ''so'', der Andere ''anders'' auf Befehl und Abrichtung reagiert? Wer hat dann Recht?
Denke, du kämst als Forscher in ein unbekanntes Land mit einer dir gänzlich fremden Sprache. Unter welchen Umständen würdest du sagen, daß die Leute dort Befehle geben, Befehle verstehen, befolgen, sich gegen Befehle auflehnen, usw.?
Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels dessen wir uns eine fremde Sprache deuten.
'''207'''. Denken wir uns, die Leute in jenem Land verrichteten gewöhnliche menschliche Tätigkeiten und bedienen sich dabei, wie es scheint, einer artikulierten Sprache. Sieht man ihrem Treiben zu, so ist es verständlich, erscheint uns ›logisch‹. Versuchen wir aber, ihre Sprache zu erlernen, so finden wir, daß es unmöglich ist. Es besteht nämlich bei ihnen kein regelmäßiger Zusammenhang des Gesprochenen, der Laute, mit den Handlungen; dennoch aber sind diese Laute nicht überflüssig; denn knebeln wir z.B. einen dieser Leute, so hat dies die gleichen Folgen, wie bei uns: ohne jene Laute geraten ihre Handlungen in Verwirrung – wie ich mich ausdrücken will.
Sollen wir sagen, diese Leute hätten eine Sprache; Befehle, Mitteilungen, usw.?
Zu dem, was wir »Sprache« nennen, fehlt die Regelmäßigkeit.
'''208'''. So erkläre ich also, was »Befehl« und was »Regel« heißt, durch »Regelmäßigkeit«? – Wie erkläre ich jemandem die Bedeutung von »regelmäßig«, »gleichförmig«, »gleich«? – Einem der, sagen wir, nur Französisch spricht, werde ich diese Wörter durch die entsprechenden französischen erklären. Wer aber diese ''Begriffe'' noch nicht besitzt, den werde ich die Worte durch ''Beispiele'' und durch ''Übung'' gebrauchen lehren. – Und dabei teile ich ihm nicht weniger mit, als ich selber weiß.
Ich werde ihm also in diesem Unterricht gleiche Farben, gleiche Längen, gleiche Figuren zeigen, ihn sie finden und herstellen lassen, usw. Ich werde ihn etwa dazu anleiten, Reihenornamente auf einen Befehl hin ›gleichmäßig‹ fortzusetzen. – Und auch dazu, Progressionen fortzusetzen. Also etwa auf . .. ... so fortzufahren: .... ..... .......###
Ich mach’s ihm vor, er macht es mir nach; und ich beeinflusse ihn durch Äußerungen der Zustimmung, der Ablehnung, der Erwartung, der Aufmunterung. Ich lasse ihn gewähren, oder halte ihn zurück; usw.
Denke, du wärest Zeuge eines solchen Unterrichts. Es würde darin kein Wort durch sich selbst erklärt, kein logischer Zirkel gemacht.
Auch die Ausdrücke »und so weiter« und »und so weiter ad infinitum« werden in diesem Unterricht erklärt werden. Es kann dazu unter anderem auch eine Gebärde dienen. Die Gebärde, die bedeutet »fahr so fort!«, oder »und so weiter« hat eine Funktion, vergleichbar der des Zeigens auf einen Gegenstand, oder auf einen Ort.
Es ist zu unterscheiden: das »usw.«, das eine Abkürzung der Schreibweise ist, von demjenigen, welches dies ''nicht'' ist. Das »usw. ad inf.« ist ''keine'' Abkürzung der Schreibweise. Daß wir nicht alle Stellen von π anschreiben können, ist nicht eine menschliche Unzulänglichkeit, wie Mathematiker manchmal glauben.
Ein Unterricht, der bei den vorgeführten Beispielen stehen bleiben will, unterscheidet sich von einem, der über sie ›''hinausweist''‹.
'''209'''. »Aber reicht denn nicht das Verständnis weiter als alle Beispiele?« – Ein sehr merkwürdiger Ausdruck, und ganz natürlich! –
Aber ist das ''alles?'' Gibt es nicht eine noch tiefere Erklärung; oder muß nicht doch das ''Verständnis'' der Erklärung tiefer sein? – Ja, habe ich denn selbst ein tieferes Verständnis? ''Habe'' ich mehr, als ich in der Erklärung gebe? – Woher aber dann das Gefühl, ich hätte mehr?
Ist es, wie wenn ich das nicht Begrenzte als Länge deute, die über jede Länge hinausreicht?
'''210'''. »Aber erklärst du ihm wirklich, was du selber verstehst? Läßt du ihn das Wesentliche nicht ''erraten''? Du gibst ihm Beispiele, – er aber muß ihre Tendenz erraten, also deine Absicht.« – Jede Erklärung, die ich mir selbst geben kann, gebe ich auch ihm. – »Er errät, was ich meine« würde heißen: ihm schweben verschiedene Deutungen meiner Erklärung vor, und errät auf eine von ihnen. Er könnte also in diesem Falle fragen; und ich könnte, und würde, ihm antworten.
'''211'''. »Wie immer du ihn im Fortführen des Reihenornaments unterrichtest, – wie kann er ''wissen'', wie er selbständig fortzusetzen hat?« – Nun, wie weiß ''ich’s''? –– Wenn das heißt »Habe ich Gründe?«, so ist die Antwort: die Gründe werden mir bald ausgehen. Und ich werde dann, ohne Gründe, handeln.
'''212'''. Wenn jemand, den ich fürchte, mir den Befehl gibt, die Reihe fortzusetzen, so werde ich schleunig, mit völliger Sicherheit, handeln, und das Fehlen der Gründe stört mich nicht.
'''213'''. »Aber dieser Reihenanfang konnte offenbar verschieden gedeutet werden (z.B. durch algebraische Ausdrücke) und du mußtest also erst ''eine'' solche Deutung wählen.« – Durchaus nicht! Es war, unter Umständen, ein Zweifel möglich. Aber das sagt nicht, daß ich gezweifelt habe, oder auch nur zweifeln konnte. (Damit steht im Zusammenhang, was über die psychologische ›Atmosphäre‹ eines Vorgangs zu sagen ist.)
Nur Intuition konnte diesen Zweifel heben? – Wenn sie eine innere Stimme ist, – wie weiß ich, ''wie'' ich ihr folgen soll? Und wie weiß ich, daß sie mich nicht irreleitet? Denn, kann sie mich richtig leiten, dann kann sie mich auch irreleiten.
((Die Intuition eine unnötige Ausrede.))
'''214'''. Ist eine Intuition zum Entwickeln der Reihe 1 2 3 4 … nötig, dann auch zum Entwickeln der Reihe 2 2 2 2 …
'''215'''. Aber ist nicht wenigstens gleich: ''gleich''?
Für die Gleichheit scheinen wir ein unfehlbares Paradigma zu haben in der Gleichheit eines Dinges mit sich selbst. Ich will sagen: »Hier kann es doch nicht verschiedene Deutungen geben. Wenn er ein Ding vor sich sieht, so sieht er auch Gleichheit.«
Also sind zwei Dinge gleich, wenn sie so sind, wie ''ein'' Ding? Und wie soll ich nun das, was mir das ''eine'' Ding zeigt, auf den Fall der zwei anwenden?
'''216'''. »Ein Ding ist mit sich selbst identisch.« – Es gibt kein schöneres Beispiel eines nutzlosen Satzes, der aber doch mit einem Spiel der Vorstellung verbunden ist. Es ist, als legten wir das Ding, in der Vorstellung, in seine eigene Form hinein, und sähen, daß es paßt.
Wir könnten auch sagen: »Jedes Ding paßt in sich selbst.« – Oder anders: »Jedes Ding paßt in seine eigene Form hinein.« Man schaut dabei ein Ding an und stellt sich vor, daß der Raum dafür ausgespart war und es nun genau hineinpaßt.
›''Paßt''‹ dieser Flecke [[File:Par. 216.png|23px|link=]] in seine weiße Umgebung? – ''Aber genau so würde es aussehen'', wenn statt seiner erst ein Loch gewesen wäre, und er nun hineinpaßte. Mit dem Ausdruck »er paßt« wird eben nicht einfach dies Bild beschrieben. Nicht einfach diese ''Situation''.
»Jeder Farbfleck paßt genau in seine Umgebung« ist ein etwas spezialisierter Satz der Identität.
'''217'''. »Wie kann ich einer Regel folgen?« – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich ''so'' nach ihr handle.
Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück. Ich bin dann geneigt zu sagen: »So handle ich eben.«
(Erinnere dich, daß wir manchmal Erklärungen fordern nicht ihres Inhalts wegen, sondern der Form der Erklärung wegen. Unsere Forderung ist eine architektonische; die Erklärung eine Art Scheingesims, das nichts trägt.)
'''218'''. Woher die Idee, es wäre die angefangene Reihe ein sichtbares Stück unsichtbar bis ins Unendliche gelegter Geleise? Nun, statt der Regel könnten wir uns Geleise denken. Und der nicht begrenzten Anwendung der Regel entsprechen unendlich lange Geleise.
'''219'''. »Die Übergänge sind eigentlich alle schon gemacht« heißt: ich habe keine Wahl mehr. Die Regel, einmal mit einer bestimmten Bedeutung gestempelt, zieht die Linien ihrer Befolgung durch den ganzen Raum. –– Aber wenn so etwas wirklich der Fall wäre, was hülfe es mir?
Nein; meine Beschreibung hatte nur Sinn, wenn sie symbolisch zu verstehen war. – ''So kommt es mir vor'' – sollte ich sagen.
Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht.
Ich folge der Regel ''blind''.
'''220'''. Welchen Zweck hat aber jener symbolische Satz? Er sollte einen Unterschied hervorheben zwischen kausaler Bedingtheit und logischer Bedingtheit.
'''221'''. Mein symbolischer Ausdruck war eigentlich eine mythologische Beschreibung des Gebrauchs einer Regel.
'''222'''. »Die Linie gibt’s mir ein, wie ich gehen soll.« – Aber das ist natürlich nur ein Bild. Und urteile ich, sie gebe mir, gleichsam verantwortungslos, dies oder das ein, so würde ich nicht sagen, ich folgte ihr als einer Regel.
'''223'''. Man fühlt nicht, daß man immer des Winkes (der Einflüsterung) der Regel gewärtig sein muß. Im Gegenteil. Wir sind nicht gespannt darauf, was sie uns wohl jetzt sagen wird, sondern sie sagt uns immer dasselbe, und wir tun, was sie uns sagt.
Man könnte dem, den man abrichtet, sagen: »Sieh, ich tue immer das Gleiche: ich …«
'''224'''. Das Wort »Übereinstimmung« und das Wort »Regel« sind miteinander ''verwandt'', sie sind Vettern. Lehre ich Einen den Gebrauch des einen Wortes, so lernt er damit auch den Gebrauch des andern.
'''225'''. Die Verwendung des Wortes »Regel« ist mit der Verwendung des Wortes »gleich« verwoben. (Wie die Verwendung von »Satz« mit der Verwendung von »wahr«.)
'''226'''. Nimm an, Einer folgt der Reihe 1, 3, 5, 7, … indem er die Reihe der 2x + 1 hinschreibt. Und er fragte sich: »aber tue ich auch immer das Gleiche, oder jedesmal etwas anderes?«
Wer von einem Tag auf den andern verspricht »Morgen will ich dich besuchen« – sagt der jeden Tag das Gleiche; oder jeden Tag etwas anderes?
'''227'''. Hätte es einen Sinn zu sagen: »Wenn er jedesmal etwas ''anderes'' täte, würden wir nicht sagen: er folge einer Regel«? Das hat ''keinen'' Sinn.
'''228'''. »Eine Reihe hat für uns ''ein'' Gesicht!« – Wohl; aber welches? Nun doch das algebraische, und das eines Stücks der Entwicklung. Oder hat sie sonst noch eins? – »Aber in dem liegt doch schon alles!« – Aber das ist keine Feststellung über das Reihenstück, oder über etwas, was wir darin erblicken; sondern der Ausdruck dafür, daß wir nur auf den Mund der Regel schauen und ''tun'', und an keine weitere Anleitung appellieren.
'''229'''. Ich glaube, im Reihenstück ganz fein eine Zeichnung wahrzunehmen, einen charakteristischen Zug, der nur noch des »usw.« bedarf, um in die Unendlichkeit zu reichen.
'''230'''. »Die Linie gibt’s mir ein, wie ich gehen soll«: das paraphrasiert nur: sie sei meine ''letzte'' Instanz dafür, wie ich gehen soll.
'''231'''. »Aber du siehst doch…!« Nun, das ist eben die charakteristische Äußerung Eines, der von der Regel gezwungen ist.
'''232'''. Nimm an, eine Regel gebe mir ein, wie ich ihr folgen soll; d.h., wenn ich der Linie mit den Augen nachgehe, so sagt mir nun eine innere Stimme: »Zieh ''so''!« – Was ist der Unterschied zwischen diesem Vorgang, einer Art Inspiration zu folgen, und dem, einer Regel zu folgen? Denn sie sind doch nicht das Gleiche. In dem Fall der Inspiration ''warte'' ich auf die Anweisung. Ich werde einen Andern nicht meine ›Technik‹ lehren können, der Linie zu folgen. Es sei denn, ich lehrte ihn eine Art des Hinhorchens, der Rezeptivität. Aber dann kann ich natürlich nicht verlangen, daß er der Linie so folge wie ich.
Dies sind nicht meine Erfahrungen vom Handeln nach einer Inspiration und nach einer Regel; sondern grammatische Anmerkungen.
'''233'''. Man könnte sich auch so einen Unterricht in einer Art von Arithmetik denken. Die Kinder können dann, ein jedes auf seine Weise, rechnen, – solange sie nur auf die innere Stimme horchen und ihr folgen. Dieses Rechnen wäre wie ein Komponieren.
'''234'''. Aber könnten wir nicht auch rechnen, wie wir rechnen (Alle übereinstimmend, etc.), und doch bei jedem Schritt das Gefühl haben, von den Regeln wie von einem Zauber geleitet zu werden; erstaunt darüber vielleicht, daß wir übereinstimmen? (Der Gottheit etwa für diese Übereinstimmung dankend.)
'''235'''. Daraus siehst du nur, was alles zu der Physiognomie desjenigen gehört, was wir im alltäglichen Leben »einer Regel folgen« nennen.
'''236'''. Die Kunstrechner, die zum richtigen Resultat gelangen, aber nicht sagen können, wie. Sollen wir sagen, sie rechnen nicht? (Eine Familie von Fällen.)
'''237'''. Denke dir, Einer folgte einer Linie als Regel auf diese Weise: Er hält einen Zirkel, dessen eine Spitze er der Regel-Linie entlang führt, während die andre Spitze die Linie zieht, welche der Regel folgt. Und während er so der Regel entlang fährt, verändert er die Öffnung des Zirkels, wie es scheint mit großer Genauigkeit, wobei er immer auf die Regel schaut, als bestimme sie sein Tun. Wir nun, die ihm zusehen, sehen keinerlei Regelmäßigkeit in diesem Öffnen und Schließen des Zirkels. Wir können seine Art, der Linie zu folgen, von ihm nicht lernen. Wir würden hier vielleicht wirklich sagen: »Die Vorlage scheint ihm ''einzugeben'', wie er zu gehen hat. Aber sie ist keine Regel.«
'''238'''. Damit es mir erscheinen kann, als hätte die Regel alle ihre Folgesätze zum Voraus erzeugt, müssen sie mir ''selbstverständlich'' sein. So selbstverständlich, wie es mir ist, diese Farbe »blau« zu nennen. (Kriterien dafür, daß dies mir ›selbstverständlich‹ ist.)
'''239'''. Wie soll er wissen, welche Farbe er zu wählen hat, wenn er »rot« hört? – Sehr einfach: er soll die Farbe nehmen, deren Bild ihm beim Hören des Wortes einfällt. – Aber wie soll er wissen, welche Farbe das ist, ›deren Bild ihm einfällt‹? Braucht es dafür ein weiteres Kriterium? (Es gibt allerdings einen Vorgang: die Farbe wählen, die einem beim Wort.... einfällt.)
»›Rot‹ bedeutet die Farbe, die mir beim Hören des Wortes ›rot‹ einfällt« – wäre eine ''Definition''. Keine Erklärung des ''Wesens'' der Bezeichnung durch ein Wort.
'''240'''. Es bricht kein Streit darüber aus (etwa zwischen Mathematikern), ob der Regel gemäß vorgegangen wurde oder nicht. Es kommt darüber z.B. nicht zu Tätlichkeiten. Das gehört zu dem Gerüst, von welchem aus unsere Sprache wirkt (z.B. eine Beschreibung gibt).
'''241'''. »So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und was falsch ist?« – Richtig und falsch ist, was Menschen ''sagen''; und in der ''Sprache'' stimmen die Menschen überein. Dies ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform.
'''242'''. Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam dies klingen mag) eine Übereinstimmung in den Urteilen. Dies scheint die Logik aufzuheben; hebt sie aber nicht auf. – Eines ist, die Meßmethode zu beschreiben, ein Anderes, Messungsergebnisse zu finden und auszusprechen. Aber was wir »messen« nennen, ist auch durch eine gewisse Konstanz der Messungsergebnisse bestimmt.
'''243'''. Ein Mensch kann sich selbst ermutigen, sich selbst befehlen, gehorchen, tadeln, bestrafen, eine Frage vorlegen und auf sie antworten. Man könnte sich also auch Menschen denken, die nur monologisch sprächen. Ihre Tätigkeiten mit Selbstgesprächen begleiteten. – Einem Forscher, der sie beobachtet und ihre Reden belauscht, könnte es gelingen, ihre Sprache in die unsre zu übersetzen. (Er wäre dadurch in den Stand gesetzt, Handlungen dieser Leute richtig vorherzusagen, denn er hört sie auch Vorsätze und Entschlüsse fassen.)
Wäre aber auch eine Sprache denkbar, in der Einer seine inneren Erlebnisse – seine Gefühle, Stimmungen, etc. – für den eigenen Gebrauch aufschreiben, oder aussprechen könnte? – Können wir denn das in unserer gewöhnlichen Sprache nicht tun? – Aber so meine ich’s nicht. Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten, Empfindungen. Ein Anderer kann diese Sprache also nicht verstehen.
'''244'''. Wie ''beziehen'' sich Wörter auf Empfindungen? – Darin scheint kein Problem zu liegen; denn reden wir nicht täglich von Empfindungen, und benennen sie? Aber wie wird die Verbindung des Namens mit dem Benannten hergestellt? Die Frage ist die gleiche wie die: wie lernt ein Mensch die Bedeutung der Namen von Empfindungen? Z.B. des Wortes »Schmerz«. Dies ist eine Möglichkeit: Es werden Worte mit dem ursprünglichen, natürlichen, Ausdruck der Empfindung verbunden und an dessen Stelle gesetzt. Ein Kind hat sich verletzt, es schreit; und nun sprechen ihm die Erwachsenen zu und bringen ihm Ausrufe und später Sätze bei. Sie lehren das Kind ein neues Schmerzbenehmen.
»So sagst du also, daß das Wort ›Schmerz‹ eigentlich das Schreien bedeute?« – Im Gegenteil; der Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und beschreibt es nicht.
'''245'''. Wie kann ich denn mit der Sprache noch zwischen die Schmerzäußerung und den Schmerz treten wollen?
'''246'''. Inwiefern sind nun meine Empfindungen ''privat? –'' Nun, nur ich kann wissen, ob ich wirklich Schmerzen habe; der Andere kann es nur vermuten. – Das ist in einer Weise falsch, in einer andern unsinnig. Wenn wir das Wort »wissen« gebrauchen, wie es normalerweise gebraucht wird (und wie sollen wir es denn gebrauchen!), dann wissen es Andre sehr häufig, wenn ich Schmerzen habe. – Ja, aber doch nicht mit der Sicherheit, mit der ich selbst es weiß! – Von mir kann man überhaupt nicht sagen (außer etwa im Spaß), ich ''wisse'', daß ich Schmerzen habe. Was soll es denn heißen – außer etwa, daß ich Schmerzen ''habe?''
Man kann nicht sagen, die Andern lernen meine Empfindung ''nur'' durch mein Benehmen, – denn von mir kann man nicht sagen, ich lernte sie. Ich ''habe'' sie. Das ist richtig: es hat Sinn, von Ändern zu sagen, sie seien im Zweifel darüber, ob ich Schmerzen habe; aber nicht, es von mir selbst zu sagen.
'''247'''. »Nur du kannst wissen, ob du die Absicht hattest.« Das könnte man jemandem sagen, wenn man ihm die Bedeutung des Wortes »Absicht« erklärt. Es heißt dann nämlich: ''so'' gebrauchen wir es.
(Und »wissen« heißt hier, daß der Ausdruck der Ungewißheit sinnlos ist.)
'''248'''. Der Satz »Empfindungen sind privat« ist vergleichbar dem: »Patience spielt man allein.«
'''249'''. Sind wir vielleicht voreilig in der Annahme, daß das Lächeln des Säuglings nicht Verstellung ist? – Und auf welcher Erfahrung beruht unsre Annahme?
(Das Lügen ist ein Sprachspiel, das gelernt sein will, wie jedes andre.)
'''250'''. Warum kann ein Hund nicht Schmerzen heucheln? Ist er zu ehrlich? Könnte man einen Hund Schmerzen heucheln lehren? Man kann ihm vielleicht beibringen, bei bestimmten Gelegenheiten wie im Schmerz aufzuheulen, ohne daß er Schmerzen hat. Aber zum eigentlichen Heucheln fehlte diesem Benehmen noch immer die richtige Umgebung.
'''251'''. Was bedeutet es, wenn wir sagen: »Ich kann mir das Gegenteil davon nicht vorstellen«, oder: »Wie wäre es denn, wenn’s anders wäre?« – Z.B., wenn jemand gesagt hat, daß meine Vorstellungen privat seien; oder, daß nur ich selbst wissen kann, ob ich einen Schmerz empfinde; und dergleichen.
»Ich kann mir das Gegenteil nicht vorstellen« heißt hier natürlich nicht: Meine Vorstellungskraft reicht nicht hin. Wir wehren uns mit diesen Worten gegen etwas, was uns durch seine Form einen Erfahrungssatz vortäuscht, aber in Wirklichkeit ein grammatischer Satz ist.
Aber warum sage ich »Ich kann mir das Gegenteil nicht vorstellen«? Warum nicht: »Ich kann mir, was du sagst, nicht vorstellen«?
Beispiel: »Jeder Stab hat eine Länge«. Das heißt etwa: wir nennen etwas (oder ''dies'') »die Länge eines Stabes« – aber nichts »die Länge einer Kugel«. Kann ich mir nun vorstellen, daß ›jeder Stab eine Länge hat‹? Nun, ich stelle mir eben einen Stab vor; und das ist alles. Nur spielt dieses Bild in Verbindung mit diesem Satz eine ganz andere Rolle als ein Bild in Verbindung mit dem Satz »Dieser Tisch hat die gleiche Länge wie der dort«. Denn hier verstehe ich, was es heißt, sich ein Bild vom Gegenteil zu machen (und es muß kein Vorstellungsbild sein).
Das Bild aber zum grammatikalischen Satz konnte nur etwa zeigen, was man »Länge eines Stabes« nennt. Und was sollte davon das entgegengesetzte Bild sein?
((Bemerkung über die Verneinung eines Satzes a priori.))
'''252'''. Wir könnten auf den Satz »Dieser Körper hat eine Ausdehnung« antworten: »Unsinn!« – neigen aber dazu, zu antworten: »Freilich!« – Warum?
'''253'''. »Der Andre kann nicht meine Schmerzen haben.« – Welches sind ''meine'' Schmerzen? Was gilt hier als Kriterium der Identität? Überlege, was es möglich macht, im Falle physikalischer Gegenstände von »zwei genau gleichen« zu sprechen. Z.B. zu sagen: »Dieser Sessel ist nicht derselbe, den du gestern hier gesehen hast, aber er ist ein genau gleicher.«
Soweit es ''Sinn'' hat, zu sagen, mein Schmerz sei der gleiche wie seiner, soweit können wir auch beide den gleichen Schmerz haben. (Ja, es wäre auch denkbar, daß zwei Menschen an der gleichen – nicht nur homologen – Stelle Schmerz empfänden. Bei siamesischen Zwillingen, z.B., könnte das der Fall sein.)
Ich habe gesehen, wie jemand in einer Diskussion über diesen Gegenstand sich an die Brust schlug und sagte: »Aber der Andre kann doch nicht DIESEN Schmerz haben!« – Die Antwort darauf ist, daß man durch das emphatische Betonen des Wortes »diesen« kein Kriterium der Identität definiert. Die Emphase spiegelt uns vielmehr nur den Fall vor, daß ein solches Kriterium uns geläufig ist, wir aber daran erinnert werden müssen.
'''254'''. Auch das Ersetzen des Wortes »gleich« durch »identisch« (z.B.) ist ein typisches Auskunftsmittel in der Philosophie. Als redeten wir von Abschattungen der Bedeutung und es handle sich nur darum, mit unsern Worten die richtige Nuance zu treffen. Und darum handelt sich’s beim Philosophieren nur dort, wo es unsre Aufgabe ist, die Versuchung, eine bestimmte Ausdrucksweise zu gebrauchen, psychologisch genau darzustellen. Was wir in so einem Fall ›zu sagen versucht sind‹, ist natürlich nicht Philosophie; sondern es ist ihr Rohmaterial. Was also ein Mathematiker, z.B., über Objektivität und Realität der mathematischen Tatsachen zu sagen geneigt ist, ist nicht eine Philosophie der Mathematik, sondern etwas, was Philosophie zu ''behandeln'' hätte.
'''255'''. Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.
'''256'''. Wie ist es nun mit der Sprache, die meine Innern Erlebnisse beschreibt und die nur ich selbst verstehen kann? ''Wie'' bezeichne ich meine Empfindungen mit Worten? – So wie wir’s gewöhnlich tun? Sind also meine Empfindungsworte mit meinen natürlichen Empfindungsäußerungen verknüpft? – In diesem Falle ist meine Sprache nicht ›privat‹. Ein Anderer könnte sie verstehen, wie ich. – Aber wie, wenn ich keine natürlichen Äußerungen der Empfindung, sondern nur die Empfindung besäße? Und nun ''assoziiere'' ich einfach Namen mit den Empfindungen und verwende diese Namen in einer Beschreibung. –
'''257'''. »Wie wäre es, wenn die Menschen ihre Schmerzen nicht äußerten (nicht stöhnten, das Gesicht nicht verzögen, etc.)? Dann könnte man einem Kind nicht den Gebrauch des Wortes ›Zahnschmerzen‹ beibringen.« – Nun, nehmen wir an, das Kind sei ein Genie und erfinde selbst einen Namen für die Empfindung! – Aber nun könnte es sich freilich mit diesem Wort nicht verständlich machen. – Also versteht es den Namen, kann aber seine Bedeutung niemand erklären? – Aber was heißt es denn, daß er ›seinen Schmerz benannt hat‹? – Wie hat er das gemacht: den Schmerz benennen?! Und, was immer er getan hat, was hat es für einen Zweck? – Wenn man sagt »Er hat der Empfindung einen Namen gegeben«, so vergißt man, daß schon viel in der Sprache vorbereitet sein muß, damit das bloße Benennen einen Sinn hat. Und wenn wir davon reden, daß einer dem Schmerz einen Namen gibt, so ist die Grammatik des Wortes »Schmerz« hier das Vorbereitete; sie zeigt den Posten an, an den das neue Wort gestellt wird.
'''258'''. Stellen wir uns diesen Fall vor. Ich will über das Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen »E« und schreibe in einem Kalender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. –– Ich will zuerst bemerken, daß sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition geben! – Wie? kann ich auf die Empfindung zeigen? – Nicht im gewöhnlichen Sinne. Aber ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und dabei konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung – zeige also gleichsam im Innern auf sie. – Aber wozu diese Zeremonie? denn nur eine solche scheint es zu sein! Eine Definition dient doch dazu, die Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das geschieht eben durch das Konzentrieren der Aufmerksamkeit; denn dadurch präge ich mir die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein. – »Ich präge sie mir ein« kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft ''richtig'' an die Verbindung erinnere. Aber in unserm Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von ›richtig‹ nicht geredet werden kann.
'''259'''. Sind die Regeln der privaten Sprache ''Eindrucke'' von Regeln? – Die Waage, auf der man die Eindrücke wägt, ist nicht der ''Eindruck'' von einer Waage.
'''260'''. »Nun, ich ''glaube'', daß dies wieder die Empfindung E ist.« – Du ''glaubst'' es wohl zu glauben!
So hätte sich also, der das Zeichen in den Kalender eintrug, ''gar nichts'' notiert? – Sieh’s nicht als selbstverständlich an, daß Einer sich etwas notiert, wenn er Zeichen – in einen Kalender z.B. – einträgt. Eine Notiz hat ja eine Funktion; und das »E« hat, soweit, noch keine.
(Man kann zu sich selber reden. – Spricht Jeder zu sich selbst, der redet, wenn niemand anderer zugegen ist?)
'''261'''. Welchen Grund haben wir, »E« das Zeichen für eine ''Empfindung'' zu nennen? »Empfindung« ist nämlich ein Wort unserer allgemeinen, nicht mir allein verständlichen, Sprache. Der Gebrauch dieses Worts bedarf also einer Rechtfertigung, die Alle verstehen. – Und es hülfe auch nichts, zu sagen: es müsse keine ''Empfindung'' sein; wenn er »E« schreibe, habe er ''Etwas'' – und mehr könnten wir nicht sagen. Aber »haben« und »etwas« gehören auch zur allgemeinen Sprache. – So gelangt man beim Philosophieren am Ende dahin, wo man nur noch einen unartikulierten Laut ausstoßen möchte. – Aber ein solcher Laut ist ein Ausdruck nur in einem bestimmten Sprachspiel, das nun zu beschreiben ist.
'''262'''. Man könnte sagen: Wer sich eine private Worterklärung gegeben hat, der muß sich nun im Innern ''vornehmen'', das Wort so und so zu gebrauchen. Und wie nimmt er sich das vor? Soll ich annehmen, daß er die Technik dieser Anwendung erfindet; oder daß er sie schon fertig vorgefunden hat?
'''263'''. »Ich kann mir (im Innern) doch vornehmen, in Zukunft DAS ›Schmerz‹ zu nennen.« – »Aber hast du es dir auch gewiß vorgenommen? Bist du sicher, daß es dazu genug war, die Aufmerksamkeit auf dein Gefühl zu konzentrieren?« – Seltsame Frage. –
'''264'''. »Wenn du einmal weißt, ''was'' das Wort bezeichnet, verstehst du es, kennst seine ganze Anwendung.«
'''265'''. Denken wir uns eine Tabelle, die nur in unsrer Vorstellung existiert; etwa ein Wörterbuch. Mittels eines Wörterbuchs kann man die Übersetzung eines Wortes X durch ein Wort Y rechtfertigen. Sollen wir es aber auch eine Rechtfertigung nennen, wenn diese Tabelle nur in der Vorstellung nachgeschlagen wird? – »Nun, es ist dann eben eine subjektive Rechtfertigung.« – Aber die Rechtfertigung besteht doch darin, daß man an eine unabhängige Stelle appelliert. – »Aber ich kann doch auch von einer Erinnerung an eine andre appellieren. Ich weiß (z.B.) nicht, ob ich mir die Abfahrzeit des Zuges richtig gemerkt habe und rufe mir zur Kontrolle das Bild der Seite des Fahrplans ins Gedächtnis. Haben wir hier nicht den gleichen Fall?« – Nein; denn dieser Vorgang muß nun wirklich die ''richtige'' Erinnerung hervorrufen. Wäre das Vorstellungsbild des Fahrplans nicht selbst auf seine Richtigkeit ''zu prüfen'', wie könnte es die Richtigkeit der ersten Erinnerung bestätigen? (Als kaufte Einer mehrere Exemplare der heutigen Morgenzeitung, um sich zu vergewissern, daß sie die Wahrheit schreibt.)
In der Vorstellung eine Tabelle nachschlagen, ist so wenig ein Nachschlagen einer Tabelle, wie die Vorstellung des Ergebnisses eines vorgestellten Experiments das Ergebnis eines Experiments ist.
'''266'''. Ich kann auf die Uhr schaun, um zu sehen, wieviel Uhr es ist. Aber ich kann auch, um zu ''raten'', wieviel Uhr es ist, auf das Zifferblatt einer Uhr sehen; oder zu diesem Zweck die Zeiger einer Uhr verstellen, bis mir die Stellung richtig vorkommt. So kann das Bild der Uhr auf mehr als eine Weise dazu dienen, die Zeit zu bestimmen. (In der Vorstellung auf die Uhr schaun.)
'''267'''. Angenommen, ich wollte die Dimensionierung einer Brücke, die in meiner Vorstellung gebaut wird, dadurch rechtfertigen, daß ich zuerst in der Vorstellung Zerreißproben mit dem Material der Brücke mache. Dies wäre natürlich die Vorstellung von dem, was man die Rechtfertigung der Dimensionierung einer Brücke nennt. Aber würden wir es auch eine Rechtfertigung der Vorstellung einer Dimensionierung nennen?
'''268'''. Warum kann meine rechte Hand nicht meiner linken Geld schenken? – Meine rechte Hand kann es in meine linke geben. Meine rechte Hand kann eine Schenkungsurkunde schreiben und meine linke eine Quittung. – Aber die weitern praktischen Folgen wären nicht die einer Schenkung. Wenn die linke Hand das Geld von der rechten genommen hat, etc., wird man fragen: »Nun, und was weiter?« Und das Gleiche könnte man fragen, wenn Einer sich eine private Worterklärung gegeben hätte; ich meine, wenn er sich ein Wort vorgesagt und dabei seine Aufmerksamkeit auf eine Empfindung gerichtet hat.
'''269'''. Erinnern wir uns daran, daß es gewisse Kriterien des Benehmens dafür gibt, daß Einer ein Wort nicht versteht: daß es ihm nichts sagt, er nichts damit anzufangen weiß. Und Kriterien dafür, daß er das Wort ›zu verstehen glaubt‹, eine Bedeutung mit ihm verbindet, aber nicht die richtige. Und endlich Kriterien dafür, daß er das Wort richtig versteht. Im zweiten Falle könnte man von einem subjektiven Verstehen reden. Und eine »private Sprache« könnte man Laute nennen, die kein Andrer versteht, ich aber ›''zu verstehen scheine''‹.
'''270'''. Denken wir uns nun eine Verwendung des Eintragens des Zeichens »E« in mein Tagebuch. Ich mache folgende Erfahrung: Wenn immer ich eine bestimmte Empfindung habe, zeigt mir ein Manometer, daß mein Blutdruck steigt. So werde ich in den Stand gesetzt, ein Steigen meines Blutdrucks ohne Zuhilfenahme eines Apparats anzusagen. Dies ist ein nützliches Ergebnis. Und nun scheint es hier ganz gleichgültig zu sein, ob ich die Empfindung ''richtig'' wiedererkannt habe oder nicht. Nehmen wir an, ich irre mich beständig bei ihrer Identifizierung, so macht es gar nichts. Und das zeigt schon, daß die Annahme dieses Irrtums nur ein Schein war. (Wir drehten, gleichsam, an einem Knopf, der aussah, als könnte man mit ihm etwas an der Maschine einstellen; aber er war ein bloßes Zierrat, mit dem Mechanismus gar nicht verbunden.)
Und welchen Grund haben wir hier, »E« die Bezeichnung einer Empfindung zu nennen? Vielleicht die Art und Weise, wie dies Zeichen in diesem Sprachspiel verwendet wird. – Und warum eine »bestimmte Empfindung«, also jedesmal die gleiche? Nun, wir nehmen ja an, wir schrieben jedesmal »E«.
'''271'''. »Denke dir einen Menschen, der es nicht im Gedächtnis behalten könnte, ''was'' das Wort ›Schmerz‹ bedeutet – und der daher immer wieder etwas Anderes so nennt – das Wort aber dennoch in Übereinstimmung mit den gewöhnlichen Anzeichen und Voraussetzungen des Schmerzes verwendete!« – der es also verwendet, wie wir Alle. Hier möchte ich sagen: das Rad gehört nicht zur Maschine, das man drehen kann, ohne daß Anderes sich mitbewegt.
'''272'''. Das Wesentliche am privaten Erlebnis ist eigentlich nicht, daß Jeder sein eigenes Exemplar besitzt, sondern daß keiner weiß, ob der Andere auch ''dies'' hat, oder etwas anderes. Es wäre also die Annahme möglich – obwohl nicht verifizierbar – ein Teil der Menschheit habe ''eine'' Rotempfindung, ein anderer Teil eine andere.
'''273'''. Wie ist es nun mit dem Worte »rot« – soll ich sagen, dies bezeichne etwas ›uns Allen Gegenüberstehendes‹, und Jeder sollte eigentlich außer diesem Wort noch eines haben zur Bezeichnung seiner ''eigenen'' Empfindung von Rot? Oder ist es so: das Wort »rot« bezeichnet etwas uns gemeinsam Bekanntes; und für Jeden, außerdem, etwas nur ihm Bekanntes? (Oder vielleicht besser: es ''bezieht'' sich auf etwas nur ihm Bekanntes.)
'''274'''. Es hilft uns natürlich nichts zum Begreifen der Funktion von »rot«, zu sagen, es »''beziehe'' sich auf« statt »es bezeichne« das Private; aber es ist der psychologisch treffendere Ausdruck für ein bestimmtes Erlebnis beim Philosophieren. Es ist, als werfe ich beim Aussprechen des Worts einen Seitenblick auf die eigene Empfindung, gleichsam um mir zu sagen: ich wisse schon, was ich damit meine.
'''275'''. Schau auf das Blau des Himmels, und sag zu dir selbst »Wie blau der Himmel ist!« – Wenn du es spontan tust – nicht mit philosophischen Absichten – so kommt es dir nicht in den Sinn, dieser Farbeneindruck gehöre nur ''dir''. Und du hast kein Bedenken, diesen Ausruf an einen Andern zu richten. Und wenn du bei den Worten auf etwas zeigst, so ist es der Himmel. Ich meine: du hast nicht das Gefühl des In-dich-selber-Zeigens, das oft das ›Benennen der Empfindung‹ begleitet, wenn man über die ›private Sprache‹ nachdenkt. Du denkst auch nicht, du solltest eigentlich nicht mit der Hand, sondern nur mit der Aufmerksamkeit auf die Farbe zeigen. (Überlege, was es heißt, »mit der Aufmerksamkeit auf etwas zeigen«.)
'''276'''. »Aber ''meinen'' wir denn nicht wenigstens etwas ganz Bestimmtes, wenn wir auf eine Farbe hinschauen und den Farbeindruck benennen?« Es ist doch förmlich, als lösten wir den Farb''eindruck'', wie ein Häutchen, von dem gesehenen Gegenstand ab. (Dies sollte unsern Verdacht erregen.)
'''277'''. Aber wie ist es überhaupt möglich, daß man in Versuchung ist zu glauben, man ''meine'' einmal mit einem Wort die Allen bekannte Farbe, – einmal: den ›visuellen Eindrucke‹, den ''ich jetzt'' erhalte? Wie kann hier auch nur eine Versuchung bestehen? –– Ich wende in diesen Fällen der Farbe nicht die gleiche Art der Aufmerksamkeit zu. Meine ich (wie ich sagen möchte) den mir zu eigen gehörenden Farbeindruck, so vertiefe ich mich in die Farbe – ungefähr so, wie wenn ich mich an einer Farbe ›nicht sattsehen kann‹. Daher ist es leichter, dieses Erlebnis zu erzeugen, wenn man auf eine leuchtende Farbe sieht, oder auf eine Farbenzusammenstellung, die sich uns einprägt.
'''278'''. »Ich weiß, wie ''mir'' die Farbe Grün erscheint« – nun, das hat doch Sinn! – Gewiß; welche Verwendung des Satzes denkst du dir?
'''279'''. Denke dir Einen, der sagte: »Ich weiß doch, wie hoch ich bin!« und dabei die Hand als Zeichen auf seinen Scheitel legt!
'''280'''. Einer malt ein Bild, um zu zeigen, wie er sich, etwa, eine Szene auf dem Theater vorstellt. Und nun sage ich: »Dies Bild hat eine doppelte Funktion; es teilt Ändern etwas mit, wie Bilder oder Worte eben etwas mitteilen –– aber für den Mitteilenden ist es noch eine Darstellung (oder Mitteilung?) anderer Art: für ihn ist es das Bild seiner Vorstellung, wie es das für keinen Andern sein kann. Sein privater Eindruck des Bildes sagt ihm, was er sich vorgestellt hat; in einem Sinne, in welchem es das Bild für die Andern nicht kann.« – Und mit welchem Recht rede ich in diesem zweiten Falle von Darstellung oder Mitteilung, – wenn diese Worte im ''ersten'' Falle richtig angewandt waren?
'''281'''. »Aber kommt es, was du sagst, nicht darauf hinaus, es gebe, z.B., keinen Schmerz ohne ''Schmerzbenehmen''?« – Es kommt darauf hinaus: man könne nur vom lebenden Menschen, und was ihm ähnlich ist, (sich ähnlich benimmt) sagen, es habe Empfindungen; es sähe; sei blind; höre; sei taub; sei bei Bewußtsein, oder bewußtlos.
'''282'''. »Aber im Märchen kann doch auch der Topf sehen und hören!« (Gewiß; aber er ''kann'' auch sprechen.)
»Aber das Märchen erdichtet doch nur, was nicht der Fall ist; es spricht doch nicht ''Unsinn''.« – So einfach ist es nicht. Ist es Unwahrheit, oder Unsinn, zu sagen, ein Topf rede? Macht man sich ein klares Bild davon, unter welchen Umständen wir von einem Topf sagen würden, er rede? (Auch ein Unsinn-Gedicht ist nicht Unsinn in der Weise, wie etwa das Lallen eines Kindes.)
Ja; wir sagen von Leblosem, es habe Schmerzen: im Spiel mit Puppen z.B. Aber diese Verwendung des Schmerzbegriffs ist eine sekundäre. Stellen wir uns doch den Fall vor, Leute sagten ''nur'' von Leblosem, es habe Schmerzen; bedauerten ''nur'' Puppen! (Wenn Kinder Eisenbahn spielen, hängt ihr Spiel mit ihrer Kenntnis der Eisenbahn zusammen. Es könnten aber Kinder eines Volksstammes, dem die Eisenbahn unbekannt ist, dies Spiel von andern übernommen haben, und es spielen, ohne zu wissen, daß damit etwas nachgeahmt wird. Man könnte sagen, das Spiel habe für sie nicht den gleichen ''Sinn'' wie für uns.)
'''283'''. Woher kommt uns ''auch nur der Gedanke'': Wesen, Gegenstände, könnten etwas fühlen?
Meine Erziehung hätte mich darauf geführt, indem sie mich auf die Gefühle in mir aufmerksam machte, und nun übertrage ich die Idee auf Objekte außer mir? Ich erkenne, es ist da (in mir) etwas, was ich, ohne mit dem Wortgebrauch der Andern in Widerspruch zu geraten, »Schmerzen« nennen kann? – Auf Steine und Pflanzen, etc. übertrage ich meine Idee nicht.
Könnte ich mir nicht denken, ich hätte fürchterliche Schmerzen und würde, während sie andauern, zu einem Stein? Ja, wie weiß ich, wenn ich die Augen schließe, ob ich nicht zu einem Stein geworden bin? – Und wenn das nun geschehen ist, inwiefern wird ''der Stein'' Schmerzen haben? Inwiefern wird man es vom Stein aussagen können? Ja warum soll der Schmerz hier überhaupt einen Träger haben?!
Und kann man von dem Stein sagen, er habe eine Seele und ''die'' hat Schmerzen? Was hat eine Seele, was haben Schmerzen, mit einem Stein zu tun?
Nur von dem, was sich benimmt wie ein Mensch, kann man sagen, daß es Schmerzen ''hat''.
Denn man muß es von einem Körper sagen, oder, wenn du willst, von einer Seele, die ein Körper ''hat''. Und wie kann ein Körper eine Seele ''haben?''
'''284'''. Schau einen Stein an und denk dir, er hat Empfindungen! – Man sagt sich: Wie konnte man auch nur auf die Idee kommen, einem ''Ding'' eine Empfindung zuzuschreiben? Man könnte sie ebensogut einer Zahl zuschreiben! – Und nun schau auf eine zappelnde Fliege, und sofort ist diese Schwierigkeit verschwunden und der Schmerz scheint hier ''angreifen'' zu können, wo vorher alles gegen ihn, sozusagen, ''glatt'' war.
Und so scheint uns auch ein Leichnam dem Schmerz gänzlich unzugänglich. – Unsre Einstellung zum Lebenden ist nicht die zum Toten. Alle unsre Reaktionen sind verschieden. – Sagt Einer: »Das kann nicht einfach daran liegen, daß das Lebendige sich so und so bewegt und das Tote nicht« – so will ich ihm bedeuten, hier liege ein Fall des Übergangs ›von der Quantität zur Qualität‹ vor.
'''285'''. Denk an das Erkennen des ''Gesichtsausdrucks''. Oder an die Beschreibung des Gesichtsausdrucks, – die nicht darin besteht, daß man die Maße des Gesichts angibt! Denke auch daran, wie man das Gesicht eines Menschen nachahmen kann, ohne das eigene dabei im Spiegel zu sehen.
'''286'''. Aber ist es nicht absurd, von einem ''Körper'' zu sagen, er habe Schmerzen? –– Und warum fühlt man darin eine Absurdität? Inwiefern fühlt meine Hand nicht Schmerzen; sondern ich in meiner Hand?
Was ist das für eine Streitfrage: Ist es der ''Körper'', der Schmerzen fühlt? – Wie ist sie zu entscheiden? Wie macht es sich geltend, daß es ''nicht'' der Körper ist? – Nun, etwa so: Wenn Einer in der Hand Schmerzen hat, so sagt’s die ''Hand'' nicht (außer sie schreibt’s), und man spricht nicht der Hand Trost zu, sondern dem Leidenden; man sieht ihm in die Augen.
'''287'''. Wie bin ich von Mitleid ''für diesen Menschen'' erfüllt? Wie zeigt es sich, welches Objekt das Mitleid hat? (Das Mitleid, kann man sagen, ist eine Form der Überzeugung, daß ein Andrer Schmerzen hat.)
'''288'''. Ich erstarre zu Stein und meine Schmerzen dauern an. – Und wenn ich mich nun irrte und es nicht mehr ''Schmerzen'' wären! –– Aber ich kann mich doch hier nicht irren; es heißt doch nichts, zu zweifeln, ob ich Schmerzen habe! – D.h.: wenn Einer sagte »Ich weiß nicht, ist das ein Schmerz, was ich habe, oder ist es etwas anderes?«, so dächten wir etwa, er wisse nicht, was das deutsche Wort »Schmerz« bedeute und würden’s ihm erklären. – Wie? Vielleicht durch Gebärden, oder indem wir ihn mit einer Nadel stächen und sagten, »Siehst du, das ist Schmerz«. Er könnte diese Worterklärung, wie jede andere, richtig, falsch, oder gar nicht verstehen. Und welches er tut, wird er im Gebrauch des Wortes zeigen, wie es auch sonst geschieht.
Wenn er nun z.B. sagte: »O, ich weiß, was ›Schmerz‹ heißt, aber ob ''das'' Schmerzen sind, was ich jetzt hier habe, das weiß ich nicht« – da würden wir bloß die Köpfe schütteln und müßten seine Worte für eine seltsame Reaktion ansehen, mit der wir nichts anzufangen wissen. (Es wäre etwa, wie wenn wir jemand im Ernste sagen hörten: »Ich erinnere mich deutlich, einige Zeit vor meiner Geburt geglaubt zu haben, ...«)
Jener Ausdruck des Zweifels gehört nicht zu dem Sprachspiel; aber wenn nun der Ausdruck der Empfindung, das menschliche Benehmen, ausgeschlossen ist, dann scheint es, ich ''dürfe'' wieder zweifeln. Daß ich hier versucht bin, zu sagen, man könne die Empfindung für etwas andres halten, als was sie ist, kommt daher: Wenn ich das normale Sprachspiel mit dem Ausdruck der Empfindung abgeschafft denke, brauche ich nun ein Kriterium der Identität für sie; und dann bestünde auch die Möglichkeit des Irrtums.
'''289'''. »Wenn ich sage ›Ich habe Schmerzen‹, bin ich jedenfalls ''vor mir selbst'' gerechtfertigt.« – Was heißt das? Heißt es: »Wenn ein Anderer wissen könnte, was ich ›Schmerzen‹ nenne, würde er zugeben, daß ich das Wort richtig verwende«?
Ein Wort ohne Rechtfertigung gebrauchen, heißt nicht, es zu Unrecht gebrauchen.
'''290'''. Ich identifiziere meine Empfindung freilich nicht durch Kriterien, sondern ich gebrauche den gleichen Ausdruck. Aber damit ''endet'' ja das Sprachspiel nicht; damit fängt es an.
Aber fängt es nicht mit der Empfindung an, – die ich beschreibe? – Das Wort »beschreiben« hat uns da vielleicht zum Besten. Ich sage »Ich beschreibe meinen Seelenzustand« und »Ich beschreibe mein Zimmer«. Man muß sich die Verschiedenheiten der Sprachspiele ins Gedächtnis rufen.
'''291'''. Was wir »''Beschreibungen''« nennen, sind Instrumente für besondere Verwendungen. Denke dabei an eine Maschinenzeichnung, einen Schnitt, einen Aufriß mit den Maßen, den der Mechaniker vor sich hat. Wenn man an eine Beschreibung als ein Wortbild der Tatsachen denkt, so hat das etwas Irreführendes: Man denkt etwa nur an Bilder, wie sie an unsern Wänden hängen; die schlechtweg abzubilden scheinen, wie ein Ding aussieht, wie es beschaffen ist. (Diese Bilder sind gleichsam müßig.)
'''292'''. Glaub nicht immer, daß du deine Worte von Tatsachen abliest; diese nach Regeln in Worte abbildest! Denn die Anwendung der Regel im besondern Fall müßtest du ja doch ohne Führung machen.
'''293'''. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was das Wort »Schmerz« bedeutet, – muß ich ''das'' nicht auch von den Andern sagen? Und wie kann ich denn den ''einen'' Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?
Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! –– Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir »Käfer« nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick ''seines'' Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort »Käfer« dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein ''Etwas'': denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann ›gekürzt werden‹; es hebt sich weg, was immer es ist.
Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von ›Gegenstand und Bezeichnung‹ konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.
'''294'''. Wenn du sagst, er sähe ein privates Bild vor sich, das er beschreibe, so hast du immerhin eine Annahme gemacht über das, was er vor sich hat. Und das heißt, daß du es näher beschreiben kannst, oder beschreibst. Gibst du zu, daß du gar keine Ahnung hast, von welcher Art, was er vor sich hat, sein könnte, – was verführt dich dann dennoch zu sagen, er habe etwas vor sich? Ist das nicht, als sagte ich von Einem: »Er ''hat'' etwas. Aber ob es Geld, oder Schulden, oder eine leere Kasse ist, weiß ich nicht.«
'''295'''. Und was soll »Ich weiß nur vom ''eigenen'' Fall ...« überhaupt für ein Satz sein? Ein Erfahrungssatz? Nein. – Ein grammatischer?
Ich denke mir also: Jeder sage von sich selbst, er wisse nur vom eigenen Schmerz, was Schmerz sei. – Nicht, daß die Menschen das wirklich sagen, oder auch nur bereit sind zu sagen. Aber ''wenn'' nun Jeder es sagte –– es könnte eine Art Ausruf sein. Und wenn er auch als Mitteilung nichtssagend ist, so ist er doch ein Bild; und warum sollten wir uns so ein Bild nicht vor die Seele rufen wollen? Denke dir statt der Worte ein gemaltes allegorisches Bild.
Ja, wenn wir beim Philosophieren in uns schauen, bekommen wir oft gerade so ein Bild zu sehen. Förmlich, eine bildliche Darstellung unsrer Grammatik. Nicht Fakten; sondern gleichsam illustrierte Redewendungen.
'''296'''. »Ja, aber es ist doch da ein Etwas, was meinen Ausruf des Schmerzes begleitet! Und um dessentwillen ich ihn mache. Und dieses Etwas ist das, was wichtig ist, – und schrecklich.« – Wem teilen wir das nur mit? Und bei welcher Gelegenheit?
'''297'''. Freilich, wenn das Wasser im Topf kocht, so steigt der Dampf aus dem Topf und auch das Bild des Dampfes aus dem Bild des Topfes. Aber wie, wenn man sagen wollte, im Bild des Topfes müsse auch etwas kochen?
'''298'''. Daß wir so gerne sagen möchten »Das Wichtige ist ''das''« – indem wir für uns selbst auf die Empfindung deuten, – zeigt schon, wie sehr wir geneigt sind, etwas zu sagen, was keine Mitteilung ist.
'''299'''. Nicht umhin können – wenn wir uns philosophischen Gedanken hingeben – das und das zu sagen, unwiderstehlich dazu neigen, dies zu sagen, heißt nicht, zu einer ''Annahme'' gezwungen sein, oder einen Sachverhalt unmittelbar einsehen, oder wissen.
'''300'''. Zu dem Sprachspiel mit den Worten »er hat Schmerzen« gehört – möchte man sagen – nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes. Oder: nicht nur das Paradigma des Benehmens, sondern auch das des Schmerzes. – Zu sagen »Das Bild des Schmerzes tritt ins Sprachspiel mit dem Worte ›Schmerz‹ ein«, ist ein Mißverständnis. Die Vorstellung des Schmerzes ist kein Bild, und ''diese'' Vorstellung ist im Sprachspiel auch nicht durch etwas ersetzbar, was wir ein Bild nennen würden. – Wohl tritt die Vorstellung des Schmerzes in einem Sinn ins Sprachspiel ein; nur nicht als Bild.