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650. Erinnerung: "Ich sehe uns noch an jenem Tisch sitzen".—Aber habe ich wirklich das gleiche Gesichtsbild—oder eines von denen, welche ich damals hatte? Sehe ich auch gewiß den Tisch und meinen Freund vom gleichen Gesichtspunkt wie damals, also mich selbst nicht?——Mein Erinnerungsbild ist nicht Evidenz jener vergangenen Situation; wie eine Photographie es wäre, die, damals aufgenommen, mir jetzt bezeugt, daß es damals so war. Das Erinnerungsbild und die Erinnerungsworte stehen auf ''gleicher'' Stufe.
650. Erinnerung: "Ich sehe uns noch an jenem Tisch sitzen".—Aber habe ich wirklich das gleiche Gesichtsbild—oder eines von denen, welche ich damals hatte? Sehe ich auch gewiß den Tisch und meinen Freund vom gleichen Gesichtspunkt wie damals, also mich selbst nicht?——Mein Erinnerungsbild ist nicht Evidenz jener vergangenen Situation; wie eine Photographie es wäre, die, damals aufgenommen, mir jetzt bezeugt, daß es damals so war. Das Erinnerungsbild und die Erinnerungsworte stehen auf ''gleicher'' Stufe.
651. Das Achselzucken, Kopfschütteln, Nicken u.s.f. nennen wir Zeichen vor allem darum, weil sie in dem Gebrauch unsrer ''Wortsprache'' eingebettet sind.
652. Wenn man es für selbstverständlich hält, daß der Mensch sich an seiner Phantasie vergnügt, so bedenke man, daß die Phantasie nicht einem gemalten Bild, einer Plastik oder einem Film entspricht, sondern einem komplexen Gebilde aus heterogenen Bestandteilen—Zeichen und Bildern.
653. Manche Menschen erinnern sich an ein musikalisches Thema in der Weise, daß das Notenbild vor ihnen auftaucht, und sie es herunterlesen.
Es wäre denkbar, daß, was wir "Erinnern" bei einem Menschen nennen, darin bestünde, daß er sich im Geiste ein Buch nachschlagen sähe, und das, was er in diesem Buch liest, eben das Erinnerte wäre. (Wie ''reagiere'' ich auf eine Erinnerung?)
654. Kann man ein Erinnerungserlebnis beschreiben?—Gewiß.—Aber kann man das Erinnerungshafte an diesem Erlebnis beschreiben? ''Was heißt das?'' (Das unbeschreibliche Aroma.)
655. "Ein Bild (Vorstellungsbild, Erinnerungsbild) der Sehnsucht". Man denkt, man habe schon alles damit getan, daß man von einem 'Bild' redet; denn die Sehnsucht ist eben ein Bewußtseinsinhalt, und dessen Bild ist etwas, was ihm (sehr) ähnlich ist, wenn auch undeutlicher als das Original.
Und man könnte ja wohl von einem, der die Sehnsucht auf dem Theater spielt, sagen, er erlebe oder habe ein Bild der Sehnsucht: nämlich nicht als Erklärung seines Handelns, sondern zu dessen Beschreibung.
656. Sich eines Gedankens schämen. Schämt man sich dessen, daß man den und den Satz zu sich selbst in der Vorstellung gesprochen hat?
Die Sprache hat eben eine vielfache Wurzel; sie hat Wurzeln, nicht ''eine'' Wurzel. [''Randbemerkung:'' ((Sich eines Gedankens, einer Absicht erinnern.)) ''Keim.'']
657. "Es schmeckt genau wie Zucker". Wie kommt es, daß ich dessen so sicher sein kann?—Und zwar auch, wenn es sich dann als falsch herausstellt. Und was erstaunt mich daran? Daß ich den Begriff Zucker in eine so ''feste'' Verbindung mit der Geschmacksempfindung bringe. Daß ich die Substanz Zucker direkt im Geschmack zu erkennen scheine.