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'''310'''. Denke, du solltest beschreiben, wie Menschen das Zählen (im Dezimalsystem z. B.) lernen. Du beschreibst, was der Lehrer sagt und tut, und wie der Schüler darauf reagiert. In dem, was der Lehrer sagt und tut, werden sich z. B. Worte und Gebärden finden, die den Schüler zum Fortsetzen einer Reihe aufmuntern sollen; auch Worte wie "Er kann jetzt zählen". Soll nun die Beschreibung, die ich von dem Vorgang des Lehrens und Lernens gebe, außer den Worten des Lehrers auch mein eigenes Urteil enthalten: der Schüler könne jetzt zählen oder der Schüler habe nun das System der Zahlworte verstanden? Wenn ich so ein Urteil nicht in die Beschreibung aufnehmen ist sie dann unvollständig? Und wenn ich es aufnehme, gehe ich über die bloße Beschreibung hinaus? Kann ich mich jener Urteile enthalten mit der Begründung: "''Das ist alles, was geschieht''"? | '''310'''. Denke, du solltest beschreiben, wie Menschen das Zählen (im Dezimalsystem z. B.) lernen. Du beschreibst, was der Lehrer sagt und tut, und wie der Schüler darauf reagiert. In dem, was der Lehrer sagt und tut, werden sich z. B. Worte und Gebärden finden, die den Schüler zum Fortsetzen einer Reihe aufmuntern sollen; auch Worte wie "Er kann jetzt zählen". Soll nun die Beschreibung, die ich von dem Vorgang des Lehrens und Lernens gebe, außer den Worten des Lehrers auch mein eigenes Urteil enthalten: der Schüler könne jetzt zählen oder der Schüler habe nun das System der Zahlworte verstanden? Wenn ich so ein Urteil nicht in die Beschreibung aufnehmen ist sie dann unvollständig? Und wenn ich es aufnehme, gehe ich über die bloße Beschreibung hinaus? Kann ich mich jener Urteile enthalten mit der Begründung: "''Das ist alles, was geschieht''"? | ||
311. Muß ich nicht vielmehr fragen: "Was tut die Beschreibung überhaupt? Wozu dient sie?"—Was eine vollständige und eine unvollständige Beschreibung ist, wissen wir allerdings in anderem Zusammenhang. Frage dich: Wie verwendet man die Ausdrücke "vollständige" und "unvollständige Beschreibung"? | '''311'''. Muß ich nicht vielmehr fragen: "Was tut die Beschreibung überhaupt? Wozu dient sie?"—Was eine vollständige und eine unvollständige Beschreibung ist, wissen wir allerdings in anderem Zusammenhang. Frage dich: Wie verwendet man die Ausdrücke "vollständige" und "unvollständige Beschreibung"? | ||
Eine Rede vollständig (oder unvollständig) wiedergeben. Gehört dazu auch die Wiedergabe des Tonfalls, des Mienenspiels, der Echtheit oder Unechtheit der Gefühle, der Absichten des Redners, der Anstrengung des Redens? Ob das oder jenes für uns zur vollständigen Beschreibung gehört, wird vom Zweck der Beschreibung abhängen, davon, was der Empfänger mit der Beschreibung anfängt. | Eine Rede vollständig (oder unvollständig) wiedergeben. Gehört dazu auch die Wiedergabe des Tonfalls, des Mienenspiels, der Echtheit oder Unechtheit der Gefühle, der Absichten des Redners, der Anstrengung des Redens? Ob das oder jenes für uns zur vollständigen Beschreibung gehört, wird vom Zweck der Beschreibung abhängen, davon, was der Empfänger mit der Beschreibung anfängt. | ||
312. Der Ausdruck “Das ist alles, was ''geschieht''", grenzt ab, was wir "geschehen" nennen. | '''312'''. Der Ausdruck “Das ist alles, was ''geschieht''", grenzt ab, was wir "geschehen" nennen. | ||
313. Hier ist die Versuchung überwältigend, noch etwas zu sagen, wenn schon alles beschrieben ist.—Woher dieser Drang? Welche Analogie, welche falsche Interpretation erzeugt ihn? | '''313'''. Hier ist die Versuchung überwältigend, noch etwas zu sagen, wenn schon alles beschrieben ist.—Woher dieser Drang? Welche Analogie, welche falsche Interpretation erzeugt ihn? | ||
314. Hier stoßen wir auf eine merkwürdige und charakteristische Erscheinung in philosophischen Untersuchungen: Die Schwierigkeit—könnte ich sagen—ist nicht, die Lösung zu finden, sondern etwas als die Lösung anzuerkennen, was aussieht, als wäre es erst eine Vorstufe zu ihr. "Wir haben schon alles gesagt.—Nicht etwas, was daraus folgt, sondern eben ''das'' ist die Lösung!" | '''314'''. Hier stoßen wir auf eine merkwürdige und charakteristische Erscheinung in philosophischen Untersuchungen: Die Schwierigkeit—könnte ich sagen—ist nicht, die Lösung zu finden, sondern etwas als die Lösung anzuerkennen, was aussieht, als wäre es erst eine Vorstufe zu ihr. "Wir haben schon alles gesagt.—Nicht etwas, was daraus folgt, sondern eben ''das'' ist die Lösung!" | ||
Das hängt, glaube ich, damit zusammen, daß wir falschlich cine Erklärung erwarten; während eine Beschreibung die Lösung der Schwierigkeit ist, wenn wir sie richtig in unsere Betrachtung einordnen. Wenn wir bei ihr verweilen, nicht versuchen, über sie hinauszukommen. | Das hängt, glaube ich, damit zusammen, daß wir falschlich cine Erklärung erwarten; während eine Beschreibung die Lösung der Schwierigkeit ist, wenn wir sie richtig in unsere Betrachtung einordnen. Wenn wir bei ihr verweilen, nicht versuchen, über sie hinauszukommen. | ||
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Die Schwierigkeit ist hier: Halt zu machen. | Die Schwierigkeit ist hier: Halt zu machen. | ||
315. "Warum verlangst du Erklärungen? Wenn diese gegeben sein werden, wirst du ja doch wieder vor einem Ende stehen. Sie können dich nicht weiterführen, als du jetzt bist.” | '''315'''. "Warum verlangst du Erklärungen? Wenn diese gegeben sein werden, wirst du ja doch wieder vor einem Ende stehen. Sie können dich nicht weiterführen, als du jetzt bist.” | ||
316. Man kann einen roten Gegenstand als Muster für das Malen eines ''rötlichen'' Weiß oder eines rötlichen Gelb (etc.) verwenden—aber kann man es auch als Muster für das Malen eines blaugrünen Farbtones z. B. verwenden?—Wie, wenn ich jemanden mit allen äußern Zeichen des genauen Kopierens einen roten Fleck blaugrün 'wiedergeben' sähe?—Ich würde sagen "Ich weiß nicht, wie er es macht!" Oder auch "Ich weiß nicht, ''was'' er macht!"—Aber angenommen, er 'kopierte' nun diesen Ton von Rot bei verschiedenen Gelegenheiten in Blaugrün und etwa andere Töne von Rot regelmäßig in andern blaugrünen Tönen—soll ich nun sagen, er kopiere, oder er kopiere nicht? | '''316'''. Man kann einen roten Gegenstand als Muster für das Malen eines ''rötlichen'' Weiß oder eines rötlichen Gelb (etc.) verwenden—aber kann man es auch als Muster für das Malen eines blaugrünen Farbtones z. B. verwenden?—Wie, wenn ich jemanden mit allen äußern Zeichen des genauen Kopierens einen roten Fleck blaugrün 'wiedergeben' sähe?—Ich würde sagen "Ich weiß nicht, wie er es macht!" Oder auch "Ich weiß nicht, ''was'' er macht!"—Aber angenommen, er 'kopierte' nun diesen Ton von Rot bei verschiedenen Gelegenheiten in Blaugrün und etwa andere Töne von Rot regelmäßig in andern blaugrünen Tönen—soll ich nun sagen, er kopiere, oder er kopiere nicht? | ||
Was heißt es aber, daß ich nicht weiß, 'was er macht'? Sche ich denn nicht, was er macht?—Aber ich sehe nicht ''in ihn hinein''.—Nur dieses Gleichnis nicht! Wenn ich ihn Rot in Rot kopieren sehe,—was weiß ich denn da? Weiß ich, ''wie'' ich es mache? Freilich, man sagt: ich male eben die ''gleiche'' Farbe.—Aber wie, wenn ''er'' sagt "Und ich male die Quint zu dieser Farbe"? Sehe ich einen besonderen Vorgang der Vermittlung, wenn ich die 'gleiche' Farbe male? | Was heißt es aber, daß ich nicht weiß, 'was er macht'? Sche ich denn nicht, was er macht?—Aber ich sehe nicht ''in ihn hinein''.—Nur dieses Gleichnis nicht! Wenn ich ihn Rot in Rot kopieren sehe,—was weiß ich denn da? Weiß ich, ''wie'' ich es mache? Freilich, man sagt: ich male eben die ''gleiche'' Farbe.—Aber wie, wenn ''er'' sagt "Und ich male die Quint zu dieser Farbe"? Sehe ich einen besonderen Vorgang der Vermittlung, wenn ich die 'gleiche' Farbe male? | ||
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Nimm an, ich kenne ihn als einen ehrlichen Menschen; er gibt, wie ich es beschrieben habe, ein Rot durch ein Blaugrün wieder—aber nun ''nicht'' den gleichen Ton immer durch den gleichen, sondern einmal durch einen, einmal durch einen andern Ton.—Soll ich sagen "Ich weiß nicht, was er macht"?—Er macht, was ich sehe—aber ''ich'' würde es nie tun; ich weiß nicht, warum er es tut; seine Handlungsweise 'ist mir unverständlich'. | Nimm an, ich kenne ihn als einen ehrlichen Menschen; er gibt, wie ich es beschrieben habe, ein Rot durch ein Blaugrün wieder—aber nun ''nicht'' den gleichen Ton immer durch den gleichen, sondern einmal durch einen, einmal durch einen andern Ton.—Soll ich sagen "Ich weiß nicht, was er macht"?—Er macht, was ich sehe—aber ''ich'' würde es nie tun; ich weiß nicht, warum er es tut; seine Handlungsweise 'ist mir unverständlich'. | ||
317. Man könnte sich ein negatives Bildnis denken, das ist cines, das darstellen ''soll'', wie Herr N. ''nicht'' aussieht (das also ein schlechtes Porträt ist, wenn es dem Herrn N. ähnlich sieht). | '''317'''. Man könnte sich ein negatives Bildnis denken, das ist cines, das darstellen ''soll'', wie Herr N. ''nicht'' aussieht (das also ein schlechtes Porträt ist, wenn es dem Herrn N. ähnlich sieht). | ||
318. Ich kann nicht beschreiben, wie eine Regel (allgemein) zu verwenden ist, als indem ich dich ''lehre'', ''abrichte'', eine Regel zu verwenden. | '''318'''. Ich kann nicht beschreiben, wie eine Regel (allgemein) zu verwenden ist, als indem ich dich ''lehre'', ''abrichte'', eine Regel zu verwenden. | ||
319. Ich kann nun z. B. einen solchen Unterricht im Sprechfilm aufnehmen. Der Lehrer wird manchmal sagen "So ist es recht". Sollte der Schüler ihn fragen "warum?"—so wird er nichts oder doch nichts Relevantes antworten, auch nicht das: "Nun, weil wir's Alle so machen"; das wird nicht der Grund sein. | '''319'''. Ich kann nun z. B. einen solchen Unterricht im Sprechfilm aufnehmen. Der Lehrer wird manchmal sagen "So ist es recht". Sollte der Schüler ihn fragen "warum?"—so wird er nichts oder doch nichts Relevantes antworten, auch nicht das: "Nun, weil wir's Alle so machen"; das wird nicht der Grund sein. | ||
320. Warum nenne ich die Regeln des Kochens nicht willkürlich, und warum bin ich versucht, die Regeln der Grammatik willkürlich zu nennen? Weil 'Kochen' durch seinen Zweck definiert ist, dagegen 'Sprechen' nicht. Darum ist der Gebrauch der Sprache in einem gewissen Sinne autonom, in dem das Kochen und Waschen es nicht ist. Wer sich beim Kochen nach andern als den richtigen Regeln richtet, kocht schlecht; aber wer sich nach andern Regeln, als denen des Schach richtet, spielt ''ein anderes Spiel''; und wer sich nach andern grammatischen Regeln richtet, als den und den, spricht darum nichts Falsches, sondern von etwas Anderem. | '''320'''. Warum nenne ich die Regeln des Kochens nicht willkürlich, und warum bin ich versucht, die Regeln der Grammatik willkürlich zu nennen? Weil 'Kochen' durch seinen Zweck definiert ist, dagegen 'Sprechen' nicht. Darum ist der Gebrauch der Sprache in einem gewissen Sinne autonom, in dem das Kochen und Waschen es nicht ist. Wer sich beim Kochen nach andern als den richtigen Regeln richtet, kocht schlecht; aber wer sich nach andern Regeln, als denen des Schach richtet, spielt ''ein anderes Spiel''; und wer sich nach andern grammatischen Regeln richtet, als den und den, spricht darum nichts Falsches, sondern von etwas Anderem. | ||
321. Wenn man eine Regel, ein Wort des Satzes betreffend, dem Satz beifügt, so ändert sich sein Sinn nicht. | '''321'''. Wenn man eine Regel, ein Wort des Satzes betreffend, dem Satz beifügt, so ändert sich sein Sinn nicht. | ||
322. Die Sprache ist für uns nicht als Einrichtung definiert, die einen bestimmten Zweck erfüllt. Sondern "Sprache" ist für uns ein Sammelname, und ich verstehe darunter die deutsche Sprache, die englische Sprache u. s. w. und noch verschiedene Zeichensysteme, die mit diesen Sprachen eine größere oder geringere Verwandtschaft haben. | '''322'''. Die Sprache ist für uns nicht als Einrichtung definiert, die einen bestimmten Zweck erfüllt. Sondern "Sprache" ist für uns ein Sammelname, und ich verstehe darunter die deutsche Sprache, die englische Sprache u. s. w. und noch verschiedene Zeichensysteme, die mit diesen Sprachen eine größere oder geringere Verwandtschaft haben. | ||
323. Unsere Kenntnis vieler Sprachen läßt uns die Philosophie, die in den Formen einer jeden niedergelegt sind, nicht recht ernst nehmen. Dabei sind wir aber blind dafür, daß wir selbst starke Vorurteile für, wie gegen gewisse Ausdrucksformen haben, daß eben auch diese besondere Übereinanderlagerung mehrerer Sprachen für uns ein bestimmtes Bild ergibt. | '''323'''. Unsere Kenntnis vieler Sprachen läßt uns die Philosophie, die in den Formen einer jeden niedergelegt sind, nicht recht ernst nehmen. Dabei sind wir aber blind dafür, daß wir selbst starke Vorurteile für, wie gegen gewisse Ausdrucksformen haben, daß eben auch diese besondere Übereinanderlagerung mehrerer Sprachen für uns ein bestimmtes Bild ergibt. | ||
324. Lernt das Kind nur sprechen oder auch denken? Lernt es den Sinn des Multiplizierens ''vor''—oder ''nach'' dem Multiplizieren? | '''324'''. Lernt das Kind nur sprechen oder auch denken? Lernt es den Sinn des Multiplizierens ''vor''—oder ''nach'' dem Multiplizieren? | ||
325. Wie bin ich denn zum Begriff 'Satz' oder zum Begriff "Sprache gekommen? Doch nur durch die Sprachen, die ich gelernt habe.—Aber die scheinen mich in gewissem Sinne über sich selbst hinausgeführt zu haben, denn ich bin jetzt im Stande, eine neue Sprache zu konstruieren, z. B. Wörter zu erfinden.—Also gehört diese Konstruktion noch zum Begriff der Sprache. Aber nur, wenn ich ihn so festlegen will. | '''325'''. Wie bin ich denn zum Begriff 'Satz' oder zum Begriff "Sprache gekommen? Doch nur durch die Sprachen, die ich gelernt habe.—Aber die scheinen mich in gewissem Sinne über sich selbst hinausgeführt zu haben, denn ich bin jetzt im Stande, eine neue Sprache zu konstruieren, z. B. Wörter zu erfinden.—Also gehört diese Konstruktion noch zum Begriff der Sprache. Aber nur, wenn ich ihn so festlegen will. | ||
326. Der Begriff des Lebewesens hat die gleiche Unbestimmtheit, wie der der Sprache. | '''326'''. Der Begriff des Lebewesens hat die gleiche Unbestimmtheit, wie der der Sprache. | ||
327. Vergleiche: Ein Spiel erfinden—eine Sprache erfinden—eine Maschine erfinden. | '''327'''. Vergleiche: Ein Spiel erfinden—eine Sprache erfinden—eine Maschine erfinden. | ||
328. Daß der und der Satz keinen Sinn hat, ist in der Philosophie von Bedeutung; aber auch, daß er komisch klingt. | '''328'''. Daß der und der Satz keinen Sinn hat, ist in der Philosophie von Bedeutung; aber auch, daß er komisch klingt. | ||
329. Ich mache einen Plan nicht nur, um mich Andern verständlich zu machen, sondern auch, um selbst über die Sache klar zu werden. (D. h. die Sprache ist nicht nur Mittel zur Mitteilung.) | '''329'''. Ich mache einen Plan nicht nur, um mich Andern verständlich zu machen, sondern auch, um selbst über die Sache klar zu werden. (D. h. die Sprache ist nicht nur Mittel zur Mitteilung.) | ||
330. Was heißt das: "Das ist doch nicht mehr dasselbe Spiel!” Wie verwende ich diesen Satz? Als Mitteilung? Nun, etwa als Einleitung zu einer Mitteilung, die die Unterschiede aufzählt und ihre Folgen erklärt. Aber auch um auszudrücken, daß ich eben darum hier nicht mehr mittue, oder doch eine andere Stellung zu dem Spiel einnehme. | '''330'''. Was heißt das: "Das ist doch nicht mehr dasselbe Spiel!” Wie verwende ich diesen Satz? Als Mitteilung? Nun, etwa als Einleitung zu einer Mitteilung, die die Unterschiede aufzählt und ihre Folgen erklärt. Aber auch um auszudrücken, daß ich eben darum hier nicht mehr mittue, oder doch eine andere Stellung zu dem Spiel einnehme. | ||
331. Man ist versucht, Regeln der Grammatik durch Sätze zu rechtfertigen von der Art "Aber es gibt doch wirklich vier primäre Farben". Und gegen die Möglichkeit dieser Rechtfertigung, die nach dem Modell der Rechtfertigung eines Satzes durch den Hinweis auf seine Verifikation gebaut ist, richtet sich das Wort, daß die Regeln der Grammatik willkürlich sind. | '''331'''. Man ist versucht, Regeln der Grammatik durch Sätze zu rechtfertigen von der Art "Aber es gibt doch wirklich vier primäre Farben". Und gegen die Möglichkeit dieser Rechtfertigung, die nach dem Modell der Rechtfertigung eines Satzes durch den Hinweis auf seine Verifikation gebaut ist, richtet sich das Wort, daß die Regeln der Grammatik willkürlich sind. | ||
Kann man aber nicht doch in irgendeinem Sinne sagen, daß die Grammatik der Farbwörter die Welt, wie sie tatsächlich ist, charakterisiert? Man möchte sagen: Kann ich nicht wirklich vergebens nach einer fünften primären Farbe suchen? Nimmt man nicht die primären Farben zusammen, weil sie eine Ahnlichkeit haben; oder zum mindesten die ''Farben'', im Gegensatz z. B. zu den Formen oder Tönen, weil sie eine Ahnlichkeit haben? Oder habe ich, wenn ich diese Einteilung der Welt als die richtige hinstelle, schon eine vorgefaßte Idee als Paradigma im Kopf? Von der ich dann etwa nur sagen kann: "Ja, das ist die Art, wie wir die Dinge betrachten", oder "Wir wollen eben ein solches Bild machen". Wenn ich nämlich sage: "die primären Farben haben doch eine bestimmte Ähnlichkeit miteinander"—woher nehme ich den Begriff dieser Ähnlichkeit? Ist nicht so, wie der Begriff "primäre Farbe nichts Andres ist, als 'blau oder rot oder grün oder gelb',—auch der Begriff jener Ähnlichkeit nur durch die vier Farben gegeben?—Ja, sind sie nicht die gleichen?—"Ja, könnte man denn auch rot, grün und kreisförmig zusammen. fassen?"—Warum nicht?! | Kann man aber nicht doch in irgendeinem Sinne sagen, daß die Grammatik der Farbwörter die Welt, wie sie tatsächlich ist, charakterisiert? Man möchte sagen: Kann ich nicht wirklich vergebens nach einer fünften primären Farbe suchen? Nimmt man nicht die primären Farben zusammen, weil sie eine Ahnlichkeit haben; oder zum mindesten die ''Farben'', im Gegensatz z. B. zu den Formen oder Tönen, weil sie eine Ahnlichkeit haben? Oder habe ich, wenn ich diese Einteilung der Welt als die richtige hinstelle, schon eine vorgefaßte Idee als Paradigma im Kopf? Von der ich dann etwa nur sagen kann: "Ja, das ist die Art, wie wir die Dinge betrachten", oder "Wir wollen eben ein solches Bild machen". Wenn ich nämlich sage: "die primären Farben haben doch eine bestimmte Ähnlichkeit miteinander"—woher nehme ich den Begriff dieser Ähnlichkeit? Ist nicht so, wie der Begriff "primäre Farbe nichts Andres ist, als 'blau oder rot oder grün oder gelb',—auch der Begriff jener Ähnlichkeit nur durch die vier Farben gegeben?—Ja, sind sie nicht die gleichen?—"Ja, könnte man denn auch rot, grün und kreisförmig zusammen. fassen?"—Warum nicht?! | ||
332. Glaub doch nicht, daß du den Begriff der Farbe in dir hältst, weil du auf ein farbiges Objekt schaust,—wie immer du schaust. | '''332'''. Glaub doch nicht, daß du den Begriff der Farbe in dir hältst, weil du auf ein farbiges Objekt schaust,—wie immer du schaust. | ||
(So wenig, wie du den Begriff der negativen Zahl besitzt, dadurch, daß du Schulden hast.) | (So wenig, wie du den Begriff der negativen Zahl besitzt, dadurch, daß du Schulden hast.) | ||
333. "Rot ist etwas Spezifisches", das müßte soviel heißen, wie: "Das ist etwas Spezifisches"—wobei man auf etwas Rotes deutet. Aber damit das verständlich wäre, müßte man schon unsern ''Begriff'' 'rot', den Gebrauch jenes Musters, meinen. | '''333'''. "Rot ist etwas Spezifisches", das müßte soviel heißen, wie: "Das ist etwas Spezifisches"—wobei man auf etwas Rotes deutet. Aber damit das verständlich wäre, müßte man schon unsern ''Begriff'' 'rot', den Gebrauch jenes Musters, meinen. | ||
334. Ich kann doch offenbar eine Erwartung einmal in den Worten "ich erwarte einen roten Kreis", ein andermal statt der letzten beiden Worte durch das farbige Bild eines roten Kreises ausdrücken. Aber in diesem Ausdruck entsprechen den beiden Wörtern "rot" und "Kreis" nicht zwei Dinge. Also ist der Ausdruck der zweiten Sprache von ''ganz anderer Art''. | '''334'''. Ich kann doch offenbar eine Erwartung einmal in den Worten "ich erwarte einen roten Kreis", ein andermal statt der letzten beiden Worte durch das farbige Bild eines roten Kreises ausdrücken. Aber in diesem Ausdruck entsprechen den beiden Wörtern "rot" und "Kreis" nicht zwei Dinge. Also ist der Ausdruck der zweiten Sprache von ''ganz anderer Art''. | ||
335. Es gäbe außer dieser auch eine Sprache, in der 'roter Kreis' durch Nebeneinanderstellen eines Kreises und eines roten Flecks ausgedrückt würde. | '''335'''. Es gäbe außer dieser auch eine Sprache, in der 'roter Kreis' durch Nebeneinanderstellen eines Kreises und eines roten Flecks ausgedrückt würde. | ||
336. Wenn ich nun auch zwei Zeichen bei mir habe, den Ausdruck "roter Kreis" und das farbige Bild, oder die Vorstellung des roten Kreises, so wäre doch die Frage: Wie ist denn dann das eine Wort der Farbe, das andere der Form zugeordnet? | '''336'''. Wenn ich nun auch zwei Zeichen bei mir habe, den Ausdruck "roter Kreis" und das farbige Bild, oder die Vorstellung des roten Kreises, so wäre doch die Frage: Wie ist denn dann das eine Wort der Farbe, das andere der Form zugeordnet? | ||
Denn man scheint sagen zu können, das cine Wort lenke die Aufmerksamkeit auf die Farbe, das andere auf die Form. Aber was heißt das? Wie kann man diese Wörter in dieses Bild übersetzen? | Denn man scheint sagen zu können, das cine Wort lenke die Aufmerksamkeit auf die Farbe, das andere auf die Form. Aber was heißt das? Wie kann man diese Wörter in dieses Bild übersetzen? | ||
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Die wichtige Frage ist dabei nie: wie weiß er, wovon er abstrahieren soll? sondern: wie ist das überhaupt möglich? oder: was heißt es? | Die wichtige Frage ist dabei nie: wie weiß er, wovon er abstrahieren soll? sondern: wie ist das überhaupt möglich? oder: was heißt es? | ||
337. Vielleicht wird es klarer, wenn man ''die'' beiden Sprachen vergleicht, in deren einer ein rotes Täfelchen und eines mit einem Kreis darauf (etwa einem schwarzen auf weißem Grund) die Worte "roter Kreis" ersetzen; und in der andren statt dessen ein roter Kreis gemalt wird. | '''337'''. Vielleicht wird es klarer, wenn man ''die'' beiden Sprachen vergleicht, in deren einer ein rotes Täfelchen und eines mit einem Kreis darauf (etwa einem schwarzen auf weißem Grund) die Worte "roter Kreis" ersetzen; und in der andren statt dessen ein roter Kreis gemalt wird. | ||
Wie geht denn hier die Übersetzung vor sich? Er schaut etwa zuerst auf das rote Täfelchen und wählt einen roten Stift, dann auf den Kreis, und macht nun mit diesem Stift einen Kreis. | Wie geht denn hier die Übersetzung vor sich? Er schaut etwa zuerst auf das rote Täfelchen und wählt einen roten Stift, dann auf den Kreis, und macht nun mit diesem Stift einen Kreis. | ||
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Es würde etwa zuerst gelernt, daß das erste Täfelchen immer die Wahl des Bleistiftes bestimmt, das zweite, was wir mit ihm zeichnen sollen. Die beiden Täfelchen gehören also verschiedenen Wortarten an (etwa Hauptwort und Tätigkeitswort). In der anderen Sprache aber gäbe es nichts, was man hier zwei Wörter nennen könnte. | Es würde etwa zuerst gelernt, daß das erste Täfelchen immer die Wahl des Bleistiftes bestimmt, das zweite, was wir mit ihm zeichnen sollen. Die beiden Täfelchen gehören also verschiedenen Wortarten an (etwa Hauptwort und Tätigkeitswort). In der anderen Sprache aber gäbe es nichts, was man hier zwei Wörter nennen könnte. | ||
338. Wenn einer sagte "Rot ist zusammengesetzt"—so könnten wir nicht erraten, worauf er damit anspielt, was er mit diesem Satz wird anfangen wollen. Sagt er aber: "Dieser Sessel ist zusammengesetzt", so mögen wir zwar nicht gleich wissen, von welcher Zusammensetzung er spricht, können aber gleich an mehr als einen Sinn für seine Aussage denken. | '''338'''. Wenn einer sagte "Rot ist zusammengesetzt"—so könnten wir nicht erraten, worauf er damit anspielt, was er mit diesem Satz wird anfangen wollen. Sagt er aber: "Dieser Sessel ist zusammengesetzt", so mögen wir zwar nicht gleich wissen, von welcher Zusammensetzung er spricht, können aber gleich an mehr als einen Sinn für seine Aussage denken. | ||
Was für eine Art von Faktum ist nun dies, worauf ich aufmerksam machte? | Was für eine Art von Faktum ist nun dies, worauf ich aufmerksam machte? | ||
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Jedenfalls ist es ein ''wichtiges'' Faktum.—Uns ist keine Technik geläufig, auf die dieser Satz anspielen könnte. | Jedenfalls ist es ein ''wichtiges'' Faktum.—Uns ist keine Technik geläufig, auf die dieser Satz anspielen könnte. | ||
339. Wir beschreiben hier ein Sprachspiel, welches wir ''nicht lernen können''. | '''339'''. Wir beschreiben hier ein Sprachspiel, welches wir ''nicht lernen können''. | ||
340. "Dann muß etwas ganz Anderes in ihm vorgehen, etwas, was wir nicht kennen."—''Das zeigt ums'', wonach wir bestimmen, ob ‘im Andern' etwas Anderes als oder dasselbe wie in uns stattfindet. Das zeigt uns, ''wonach'' wir die innern Vorgänge beurteilen. | '''340'''. "Dann muß etwas ganz Anderes in ihm vorgehen, etwas, was wir nicht kennen."—''Das zeigt ums'', wonach wir bestimmen, ob ‘im Andern' etwas Anderes als oder dasselbe wie in uns stattfindet. Das zeigt uns, ''wonach'' wir die innern Vorgänge beurteilen. | ||
341. Kannst du dir vorstellen, was der rot-grün Blinde sieht? Kannst du das Bild des Zimmers malen, wie er es sieht? | '''341'''. Kannst du dir vorstellen, was der rot-grün Blinde sieht? Kannst du das Bild des Zimmers malen, wie er es sieht? | ||
Kann ''er'' es malen, wie er es sicht? Kann ich also malen, wie ich es sehe? In welchem Sinne kann ich es? | Kann ''er'' es malen, wie er es sicht? Kann ich also malen, wie ich es sehe? In welchem Sinne kann ich es? | ||
342. "Wer alles nur grau, schwarz und weiß sahe, dem müßte etwas ''gegeben'' werden, damit er wüßte, was rot, grün etc. ist. Und was müßte ihm gegeben werden? Nun, die Farben. Also z. B. ''dies'' und ''dies'' und ''dies''. (Denk dir, z. B., daß farbige Vorbilder in sein Gehirn eingeführt werden müßten zu den bloß grauen und schwarzen.) Aber müßte das geschehen als Mittel zum Zweck des künftigen Handelns? Oder schließt eben dieses Handeln diese Vorbilder ein? Will ich sagen: "Es müßte ihm etwas gegeben werden, denn es ist klar, er könnte sonst nicht ...."—oder: Sein sehendes Benehmen ''enthält'' neue Bestandteile? | '''342'''. "Wer alles nur grau, schwarz und weiß sahe, dem müßte etwas ''gegeben'' werden, damit er wüßte, was rot, grün etc. ist. Und was müßte ihm gegeben werden? Nun, die Farben. Also z. B. ''dies'' und ''dies'' und ''dies''. (Denk dir, z. B., daß farbige Vorbilder in sein Gehirn eingeführt werden müßten zu den bloß grauen und schwarzen.) Aber müßte das geschehen als Mittel zum Zweck des künftigen Handelns? Oder schließt eben dieses Handeln diese Vorbilder ein? Will ich sagen: "Es müßte ihm etwas gegeben werden, denn es ist klar, er könnte sonst nicht ...."—oder: Sein sehendes Benehmen ''enthält'' neue Bestandteile? | ||
343. Auch: was würden wir eine "Erklärung des Sehens" ''nennen''? Soll man sagen: Nun, du weißt doch sonst, was "Erklärung" heißt; verwende diesen Begriff also auch hier! | '''343'''. Auch: was würden wir eine "Erklärung des Sehens" ''nennen''? Soll man sagen: Nun, du weißt doch sonst, was "Erklärung" heißt; verwende diesen Begriff also auch hier! | ||
344. Kann ich sagen: "Schau es an! so wirst du sehen, daß es sich nicht erklären läßt."—Oder: "Trinke die Farbe Rot in dich ein, so wirst du sehen, daß sie nicht durch etwas Anderes darzustellen ist!"——Und wenn der Andere nun mir beistimmt, zeigt es, daß er dasselbe eingetrunken hat, wie ich?—Und was bedeutet nun unsere Geneigtheit, dies zu sagen? Rot erscheint uns isoliert dazustehen. Warum? Was ist dieser Schein, diese Geneigtheit ''wert''? | '''344'''. Kann ich sagen: "Schau es an! so wirst du sehen, daß es sich nicht erklären läßt."—Oder: "Trinke die Farbe Rot in dich ein, so wirst du sehen, daß sie nicht durch etwas Anderes darzustellen ist!"——Und wenn der Andere nun mir beistimmt, zeigt es, daß er dasselbe eingetrunken hat, wie ich?—Und was bedeutet nun unsere Geneigtheit, dies zu sagen? Rot erscheint uns isoliert dazustehen. Warum? Was ist dieser Schein, diese Geneigtheit ''wert''? | ||
Man könnte aber fragen: Auf welche Eigentümlichkeit des Begriffs deutet diese unsre Neigung? | Man könnte aber fragen: Auf welche Eigentümlichkeit des Begriffs deutet diese unsre Neigung? | ||
345. Denke an den Satz "Rot ist keine Mischfarbe" und an seine Funktion. | '''345'''. Denke an den Satz "Rot ist keine Mischfarbe" und an seine Funktion. | ||
Das Sprachspiel mit den Farben ist eben durch das charakterisiert, was wir tun können, und was wir nicht tun können. | Das Sprachspiel mit den Farben ist eben durch das charakterisiert, was wir tun können, und was wir nicht tun können. | ||
346. "Ein rötliches Grün gibt es nicht", ist den Sätzen verwandt, die wir als Axiome in der Mathematik gebrauchen. | '''346'''. "Ein rötliches Grün gibt es nicht", ist den Sätzen verwandt, die wir als Axiome in der Mathematik gebrauchen. | ||
347. Daß wir mit gewissen Begriffen ''rechnen'', mit andern nicht, zeigt nur, wie verschiedener Art die Begriffswerkzeuge sind (wie wenig Grund wir haben, hier je Einförmigkeit anzunehmen). [''Randbemerkung:'' Zu Sätzen über Farben, die den mathematischen ähnlich sind, z. B.: Blau ist dunkler als weiß. Dazu Goethes Farbenlehre.] | '''347'''. Daß wir mit gewissen Begriffen ''rechnen'', mit andern nicht, zeigt nur, wie verschiedener Art die Begriffswerkzeuge sind (wie wenig Grund wir haben, hier je Einförmigkeit anzunehmen). [''Randbemerkung:'' Zu Sätzen über Farben, die den mathematischen ähnlich sind, z. B.: Blau ist dunkler als weiß. Dazu Goethes Farbenlehre.] | ||
348. "Die Möglichkeit der Übereinstimmung bedingt schon ''eine'' Übereinstimmung."—Denke, jemand sagte: "Schachspielenkönnen ist eine Art des Schachspielens"! | '''348'''. "Die Möglichkeit der Übereinstimmung bedingt schon ''eine'' Übereinstimmung."—Denke, jemand sagte: "Schachspielenkönnen ist eine Art des Schachspielens"! | ||
349. Es ist sehr schwer, Gedankenbahnen zu beschreiben, wo schon viel Fahrgeleise sind—ob deine eigenen oder andere—und nicht in eins der ausgefahrenen Geleise zu kommen. Es ist schwer: ''nur wenig'' von einem alten Gedankengeleise abzuweichen. | '''349'''. Es ist sehr schwer, Gedankenbahnen zu beschreiben, wo schon viel Fahrgeleise sind—ob deine eigenen oder andere—und nicht in eins der ausgefahrenen Geleise zu kommen. Es ist schwer: ''nur wenig'' von einem alten Gedankengeleise abzuweichen. | ||
350. "Es ist, als wären unsere Begriffe bedingt durch ein Gerüst von Tatsachen." | '''350'''. "Es ist, als wären unsere Begriffe bedingt durch ein Gerüst von Tatsachen." | ||
Das hieß doch: Wenn du dir gewisse Tatsachen anders denkst, sie anders beschreibst, als sie sind, dann kannst du die Anwendung gewisser Begriffe dir nicht mehr vorstellen, weil die Regeln ihrer Anwendung kein Analogon unter den neuen Umständen haben.—Was ich sage, kommt also ''darauf'' hinaus: Ein Gesetz wird für Menschen gegeben, und ein Jurist mag wohl fähig sein, Konsequenzen für jeden Fall zu ziehen, der ihm gewöhnlich vorkommt, das Gesetz hat also offenbar seine Verwendung, einen Sinn. Trotzdem aber setzt seine Gültigkeit allerlei voraus; und wenn das Wesen, welches er zu richten hat, ganz vom gewöhnlichen Menschen abweicht, dann wird z. B. die Entscheidung, ob er eine Tat mit böser Absicht begangen hat, nicht etwa schwer, sondern (einfach) unmöglich werden. | Das hieß doch: Wenn du dir gewisse Tatsachen anders denkst, sie anders beschreibst, als sie sind, dann kannst du die Anwendung gewisser Begriffe dir nicht mehr vorstellen, weil die Regeln ihrer Anwendung kein Analogon unter den neuen Umständen haben.—Was ich sage, kommt also ''darauf'' hinaus: Ein Gesetz wird für Menschen gegeben, und ein Jurist mag wohl fähig sein, Konsequenzen für jeden Fall zu ziehen, der ihm gewöhnlich vorkommt, das Gesetz hat also offenbar seine Verwendung, einen Sinn. Trotzdem aber setzt seine Gültigkeit allerlei voraus; und wenn das Wesen, welches er zu richten hat, ganz vom gewöhnlichen Menschen abweicht, dann wird z. B. die Entscheidung, ob er eine Tat mit böser Absicht begangen hat, nicht etwa schwer, sondern (einfach) unmöglich werden. | ||
351. "Wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeiten nicht Ausnahmen wären, könnte es unsern Farbbegriff nicht geben.” Nein:—''gäbe'' es unsern Farbbegriff nicht. | '''351'''. "Wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeiten nicht Ausnahmen wären, könnte es unsern Farbbegriff nicht geben.” Nein:—''gäbe'' es unsern Farbbegriff nicht. | ||
352. Will ich also sagen, gewisse Tatsachen seien gewissen Begriffsbildungen günstig oder ungünstig? Und lehrt das die Erfahrung? Es ist Erfahrungstatsache, daß Menschen ihre Begriffe ändern, wechseln, wenn sie neue Tatsachen kennenlernen; wenn dadurch, was ihnen früher wichtig war, unwichtig wird und umgekehrt. (Man findet z. B.: was früher als Artunterschied galt, sei eigentlich ''nur'' ein Gradunterschied.) | '''352'''. Will ich also sagen, gewisse Tatsachen seien gewissen Begriffsbildungen günstig oder ungünstig? Und lehrt das die Erfahrung? Es ist Erfahrungstatsache, daß Menschen ihre Begriffe ändern, wechseln, wenn sie neue Tatsachen kennenlernen; wenn dadurch, was ihnen früher wichtig war, unwichtig wird und umgekehrt. (Man findet z. B.: was früher als Artunterschied galt, sei eigentlich ''nur'' ein Gradunterschied.) | ||
353. Aber kann man nicht sagen: "Wenn es nur ''eine'' Substanz gäbe, so hätte man keinen Gebrauch für das Wort "Substanz'"? Aber das heißt doch: Der Begriff 'Substanz' setzt den Begriff 'Unterschied der Substanz' voraus. (Wie der des Schachkönigs den des Schachzuges, oder wie der der ''Farbe'' den der ''Farben''.) | '''353'''. Aber kann man nicht sagen: "Wenn es nur ''eine'' Substanz gäbe, so hätte man keinen Gebrauch für das Wort "Substanz'"? Aber das heißt doch: Der Begriff 'Substanz' setzt den Begriff 'Unterschied der Substanz' voraus. (Wie der des Schachkönigs den des Schachzuges, oder wie der der ''Farbe'' den der ''Farben''.) | ||
354. Zwischen Grün und Rot, will ich sagen, sei eine ''geometrische'' Leere, nicht eine physikalische. | '''354'''. Zwischen Grün und Rot, will ich sagen, sei eine ''geometrische'' Leere, nicht eine physikalische. | ||
355. Aber entspricht dieser also nichts Physikalisches? Das leugne ich nicht. (Und wenn es bloß unsre Gewöhnung an ''diese'' Begriffe ist, an diese Sprachspiele wäre. Aber ich sage nicht, daß es so ist. Wenn wir einem Menschen die und die Technik durch Exempel beibringen,—daß er dann mit einem bestimmten neuen Fall ''so'' und nicht ''so'' geht, oder daß er dann stockt, daß für ihn also dies und nicht jenes die 'natürliche' Fortsetzung ist, ist allein schon ein höchst wichtiges Naturfaktum. | '''355'''. Aber entspricht dieser also nichts Physikalisches? Das leugne ich nicht. (Und wenn es bloß unsre Gewöhnung an ''diese'' Begriffe ist, an diese Sprachspiele wäre. Aber ich sage nicht, daß es so ist. Wenn wir einem Menschen die und die Technik durch Exempel beibringen,—daß er dann mit einem bestimmten neuen Fall ''so'' und nicht ''so'' geht, oder daß er dann stockt, daß für ihn also dies und nicht jenes die 'natürliche' Fortsetzung ist, ist allein schon ein höchst wichtiges Naturfaktum. | ||
356. "Aber wenn ich mit 'bläulichgelb' grün meine, so fasse ich eben diesen Ausdruck anders als nach der ursprünglichen Weise auf. Die ursprüngliche Auffassung bezeichnet einen andern und eben ''nicht gangbaren'' Weg." | '''356'''. "Aber wenn ich mit 'bläulichgelb' grün meine, so fasse ich eben diesen Ausdruck anders als nach der ursprünglichen Weise auf. Die ursprüngliche Auffassung bezeichnet einen andern und eben ''nicht gangbaren'' Weg." | ||
Was ist aber hier das richtige Gleichnis? Das vom physisch nicht gangbaren Weg, oder vom Nichtexistieren des Weges? Also das Gleichnis der physikalischen oder der mathematischen Unmöglichkeit? | Was ist aber hier das richtige Gleichnis? Das vom physisch nicht gangbaren Weg, oder vom Nichtexistieren des Weges? Also das Gleichnis der physikalischen oder der mathematischen Unmöglichkeit? | ||
357. Wir haben ein System der Farben wie ein System der Zahlen. | '''357'''. Wir haben ein System der Farben wie ein System der Zahlen. | ||
Liegen die Systeme in ''unserer'' Natur oder in der Natur der Dinge? Wie soll man's sagen?—''Nicht'' in der Natur der Zahlen oder Farben. | Liegen die Systeme in ''unserer'' Natur oder in der Natur der Dinge? Wie soll man's sagen?—''Nicht'' in der Natur der Zahlen oder Farben. | ||
358. Hat denn dieses System etwas Willkürliches? Ja und nein. Es ist mit Willkürlichem verwandt und mit Nichtwillkürlichem. | '''358'''. Hat denn dieses System etwas Willkürliches? Ja und nein. Es ist mit Willkürlichem verwandt und mit Nichtwillkürlichem. | ||
359. Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß man nichts als Zwischenfarben von rot und grün erkennen will. (Und ob es mir immer so eingeleuchtet oder erst nach Erfahrung und Erzichung, ist gleichgültig.) | '''359'''. Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß man nichts als Zwischenfarben von rot und grün erkennen will. (Und ob es mir immer so eingeleuchtet oder erst nach Erfahrung und Erzichung, ist gleichgültig.) | ||
360. | '''360'''. 'a ist zwischen b und c, und dem b näher als dem c', dies ist eine charakteristische Relation zwischen Empfindungen gleicher Art. D. h., es gibt z. B. ein Sprachspiel mit dem Befehl "Erzeuge eine Empfindung zwischen ''dieser'' und ''dieser'', und der ersten näher als der zweiten!" Und auch "Nenne zwei Empfindungen, zwischen welchen ''diese'' liegt". | ||
361. Und da ist es wichtig, daß man z. B. bei ''Grau'' "Schwarz und Weib" zur Antwort kriegen wird; bei ''Violett'' "Blau und Rot", bei ''Rosa'' "Rot und Weiß” etc.; aber ''nicht'' bei ''Olivegrün'' “Rot und Grün". | '''361'''. Und da ist es wichtig, daß man z. B. bei ''Grau'' "Schwarz und Weib" zur Antwort kriegen wird; bei ''Violett'' "Blau und Rot", bei ''Rosa'' "Rot und Weiß” etc.; aber ''nicht'' bei ''Olivegrün'' “Rot und Grün". | ||
362. Die Leute kennen ein Rötlichgrün.—"Aber es ''gibt'' doch gar keins!"—Welch sonderbarer Satz.—(Wie weißt du's nur?) | '''362'''. Die Leute kennen ein Rötlichgrün.—"Aber es ''gibt'' doch gar keins!"—Welch sonderbarer Satz.—(Wie weißt du's nur?) | ||
363. Sagen wir's doch einmal so: Müssen denn diese Leute die Diskrepanz merken? Vielleicht sind sie zu stumpf dazu. Und dann wieder: vielleicht auch nicht.— | '''363'''. Sagen wir's doch einmal so: Müssen denn diese Leute die Diskrepanz merken? Vielleicht sind sie zu stumpf dazu. Und dann wieder: vielleicht auch nicht.— | ||
364. Ja aber hat denn die Natur hier gar nichts mitzureden?! Doch—nur macht sie sich auf andere Weise hörbar. | '''364'''. Ja aber hat denn die Natur hier gar nichts mitzureden?! Doch—nur macht sie sich auf andere Weise hörbar. | ||
"Irgendwo wirst du doch an Existenz und nicht-Existenz anrennen!" Das heißt aber doch an ''Tatsachen'', nicht an Begriffe. | "Irgendwo wirst du doch an Existenz und nicht-Existenz anrennen!" Das heißt aber doch an ''Tatsachen'', nicht an Begriffe. | ||
365. Es ist eine Tatsache von der höchsten Wichtigkeit, daß eine Farbe, die wir (z. B.) "rötlichgelb” zu nennen geneigt sind, sich wirklich durch Mischung (auf verschiedene Weise) von Rot und Gelb erzeugen läßt. Und daß wir nicht im Stande sind, eine Farbe, die durch Mischen von Rot und Grün entstanden ist, ohne Weiteres als eine zu erkennen, die sich so erzeugen läßt. (Was aber bedeutet "ohne Weiteres” hier?) | '''365'''. Es ist eine Tatsache von der höchsten Wichtigkeit, daß eine Farbe, die wir (z. B.) "rötlichgelb” zu nennen geneigt sind, sich wirklich durch Mischung (auf verschiedene Weise) von Rot und Gelb erzeugen läßt. Und daß wir nicht im Stande sind, eine Farbe, die durch Mischen von Rot und Grün entstanden ist, ohne Weiteres als eine zu erkennen, die sich so erzeugen läßt. (Was aber bedeutet "ohne Weiteres” hier?) | ||
366. Verwirrung der Geschmäcke: Ich sage "Das ist süß", der Andere "Das ist sauer" u. s. f. Einer kommt daher und sagt: "Ihr habt alle keine Ahnung, wovon ihr sprecht. Ihr wißt gar nicht mehr, was ihr einmal einen Geschmack genannt habt." Was wäre das Zeichen dafür, daß wir's noch wissen? (Hängt mit einer Frage über eine Verwirrung im Rechnen zusammen.) | '''366'''. Verwirrung der Geschmäcke: Ich sage "Das ist süß", der Andere "Das ist sauer" u. s. f. Einer kommt daher und sagt: "Ihr habt alle keine Ahnung, wovon ihr sprecht. Ihr wißt gar nicht mehr, was ihr einmal einen Geschmack genannt habt." Was wäre das Zeichen dafür, daß wir's noch wissen? (Hängt mit einer Frage über eine Verwirrung im Rechnen zusammen.) | ||
367. Aber könnten wir nicht auch in dieser 'Verwirrung' ein Sprachspiel spielen?—Aber ist es noch das Frühere?— | '''367'''. Aber könnten wir nicht auch in dieser 'Verwirrung' ein Sprachspiel spielen?—Aber ist es noch das Frühere?— | ||
368. Denken wir uns Menschen, die eine Zwischenfarbe von Rot und Gelb z. B., durch eine Art binären Dezimalbruch so ausdrücken: R,LLRL u. dergl., wo auf der rechten Seite z. B. Gelb steht, auf der linken Rot.—Diese Leute lernen schon im Kindergarten, Farbtöne in dieser Weise beschreiben, nach solchen Beschreibungen Farben auszuwählen, zu mischen etc. Sie verhielten sich zu uns ungefähr, wie Leute mit absolutem Gehör zu Leuten, denen dies fehlt. ''Sie können tun'', was wir nicht können. | '''368'''. Denken wir uns Menschen, die eine Zwischenfarbe von Rot und Gelb z. B., durch eine Art binären Dezimalbruch so ausdrücken: R,LLRL u. dergl., wo auf der rechten Seite z. B. Gelb steht, auf der linken Rot.—Diese Leute lernen schon im Kindergarten, Farbtöne in dieser Weise beschreiben, nach solchen Beschreibungen Farben auszuwählen, zu mischen etc. Sie verhielten sich zu uns ungefähr, wie Leute mit absolutem Gehör zu Leuten, denen dies fehlt. ''Sie können tun'', was wir nicht können. | ||
369. Und hier möchte man sagen: "Ist das denn aber auch vorstellbar? Ja, das ''Benehmen'' wohl! Aber auch der innere Vorgang, das Farberlebnis?" Und was man auf so eine Frage sagen soll, ist schwer zu sehen. Hätten die, die kein absolutes Gehör haben, vermuten können, es werde auch Leute mit absolutem Gehör geben? | '''369'''. Und hier möchte man sagen: "Ist das denn aber auch vorstellbar? Ja, das ''Benehmen'' wohl! Aber auch der innere Vorgang, das Farberlebnis?" Und was man auf so eine Frage sagen soll, ist schwer zu sehen. Hätten die, die kein absolutes Gehör haben, vermuten können, es werde auch Leute mit absolutem Gehör geben? | ||
370. Der Glanz oder die Spiegelung: Wenn ein Kind malt, so wird es diese nie malen. Ja, es ist beinahe schwer zu glauben, daß sie durch die gewöhnlichen Öl- oder Wasserfarben dargestellt werden können. | '''370'''. Der Glanz oder die Spiegelung: Wenn ein Kind malt, so wird es diese nie malen. Ja, es ist beinahe schwer zu glauben, daß sie durch die gewöhnlichen Öl- oder Wasserfarben dargestellt werden können. | ||
371. Wie würde eine Gesellschaft von lauter tauben Menschen aussehen? Wie, eine Gesellschaft von 'Geistesschwachen'? ''Wichtige Frage!'' Wie also eine Gesellschaft, die viele unserer gewöhnlichen Sprachspiele nie spielte? | '''371'''. Wie würde eine Gesellschaft von lauter tauben Menschen aussehen? Wie, eine Gesellschaft von 'Geistesschwachen'? ''Wichtige Frage!'' Wie also eine Gesellschaft, die viele unserer gewöhnlichen Sprachspiele nie spielte? | ||
372. Den Schwachsinnigen stellt man sich unter dem Bild des Degenerierten, wesentlich Unvollständigen, gleichsam Zerlumpten vor. Also unter dem der Unordnung statt der primitiveren Ordnung (welches eine weit produktivere Anschauungsart wäre). | '''372'''. Den Schwachsinnigen stellt man sich unter dem Bild des Degenerierten, wesentlich Unvollständigen, gleichsam Zerlumpten vor. Also unter dem der Unordnung statt der primitiveren Ordnung (welches eine weit produktivere Anschauungsart wäre). | ||
Wir sehen eben nicht eine ''Gesellschaft'' solcher Menschen. | Wir sehen eben nicht eine ''Gesellschaft'' solcher Menschen. | ||
373. Andere, obgleich den unsern verwandte Begriffe könnten uns ''sehr'' seltsam erscheinen; Abweichungen nämlich vom Gewohnten ''in ungewohnter Richtung''. | '''373'''. Andere, obgleich den unsern verwandte Begriffe könnten uns ''sehr'' seltsam erscheinen; Abweichungen nämlich vom Gewohnten ''in ungewohnter Richtung''. | ||
374. Festbegrenzte Begriffe würden eine Gleichförmigkeit des Verhaltens fordern. Aber wo ich ''sicher'' bin, ist der Andere unsicher. Und das ist eine Naturtatsache. | '''374'''. Festbegrenzte Begriffe würden eine Gleichförmigkeit des Verhaltens fordern. Aber wo ich ''sicher'' bin, ist der Andere unsicher. Und das ist eine Naturtatsache. | ||
375. Dies sind die festen Schienen, auf denen all unser Denken verläuft, und also nach ihnen auch unser Urteilen und Handeln. | '''375'''. Dies sind die festen Schienen, auf denen all unser Denken verläuft, und also nach ihnen auch unser Urteilen und Handeln. | ||
376. Dort z. B., wo es einen Typus nur selten gibt, wird der Begriff dieses Typus nicht gebildet. Die Leute berührt ''dies'' nicht als eine Einheit, als ein bestimmtes Gesicht. | '''376'''. Dort z. B., wo es einen Typus nur selten gibt, wird der Begriff dieses Typus nicht gebildet. Die Leute berührt ''dies'' nicht als eine Einheit, als ein bestimmtes Gesicht. | ||
377. Sie machen davon nicht ein Bild und erkennen es von Fall zu Fall wieder. | '''377'''. Sie machen davon nicht ein Bild und erkennen es von Fall zu Fall wieder. | ||
378. Muß der Begriff der Bescheidenheit oder der Prahlerei überall bekannt sein, wo es bescheidene und prahlerische Menschen gibt? Es liegt ihnen vielleicht dort nichts an dieser Unterscheidung. | '''378'''. Muß der Begriff der Bescheidenheit oder der Prahlerei überall bekannt sein, wo es bescheidene und prahlerische Menschen gibt? Es liegt ihnen vielleicht dort nichts an dieser Unterscheidung. | ||
Uns sind ja auch manche Unterschiede unwichtig und könnten uns wichtig sein. | Uns sind ja auch manche Unterschiede unwichtig und könnten uns wichtig sein. | ||
379. Und Andere haben Begriffe, die unsere Begriffe durchschneiden. | '''379'''. Und Andere haben Begriffe, die unsere Begriffe durchschneiden. | ||
380. Ein Stamm hat zwei Begriffe, verwandt unserm 'Schmerz'. Der eine wird bei sichtbaren Verletzungen angewandt und ist mit Pflege, Mitleid etc. verknüpft. Den andern wenden sie bei Magenschmerzen z. B. an, und er verbindet sich mit Belustigung über den Klagenden. "Aber merken sie denn wirklich nicht die Ähnlichkeit?"—Haben wir denn überall einen Begriff, wo eine Ähnlichkeit besteht? Die Frage ist: Ist ihnen die Ähnlichkeit ''wichtig''? Und muß sie's ihnen sein? Und warum sollte nicht ihr Begriff unsern Begriff 'Schmerz' schneiden? | '''380'''. Ein Stamm hat zwei Begriffe, verwandt unserm 'Schmerz'. Der eine wird bei sichtbaren Verletzungen angewandt und ist mit Pflege, Mitleid etc. verknüpft. Den andern wenden sie bei Magenschmerzen z. B. an, und er verbindet sich mit Belustigung über den Klagenden. "Aber merken sie denn wirklich nicht die Ähnlichkeit?"—Haben wir denn überall einen Begriff, wo eine Ähnlichkeit besteht? Die Frage ist: Ist ihnen die Ähnlichkeit ''wichtig''? Und muß sie's ihnen sein? Und warum sollte nicht ihr Begriff unsern Begriff 'Schmerz' schneiden? | ||
381. Aber übersieht dieser dann nicht etwas, was da ist?—Er nimmt davon keine Notiz; und warum sollte er?—Aber dann ist ja eben sein Begriff grundverschieden von dem unsern.—''Grund''verschieden? Verschieden.—Aber es ist dann doch, als ob sein Wort nicht ''dasselbe bezeichnen'' könnte wie unseres. Oder nur einen Teil davon.—Aber so muß es ja auch ausschauen, wenn sein Begriff verschieden ist. Denn die Unbestimmtheit unseres Begriffs kann sich ja für uns in den ''Gegenstand'' projezieren, den das Wort bezeichnet. So dab, fehlte die Unbestimmtheit, auch nicht 'dasselbe gemeint' wäre. Das Bild, das wir verwenden, versinnbildlicht die Unbestimmtheit. | '''381'''. Aber übersieht dieser dann nicht etwas, was da ist?—Er nimmt davon keine Notiz; und warum sollte er?—Aber dann ist ja eben sein Begriff grundverschieden von dem unsern.—''Grund''verschieden? Verschieden.—Aber es ist dann doch, als ob sein Wort nicht ''dasselbe bezeichnen'' könnte wie unseres. Oder nur einen Teil davon.—Aber so muß es ja auch ausschauen, wenn sein Begriff verschieden ist. Denn die Unbestimmtheit unseres Begriffs kann sich ja für uns in den ''Gegenstand'' projezieren, den das Wort bezeichnet. So dab, fehlte die Unbestimmtheit, auch nicht 'dasselbe gemeint' wäre. Das Bild, das wir verwenden, versinnbildlicht die Unbestimmtheit. | ||
382. In der Philosophie darf man keine Denkkrankheit ''abschneiden''. Sie muß ihren natürlichen Lauf gehen, und die ''langsame'' Heilung ist das Wichtigste. (Daher die Mathematiker so schlechte Philosophen sind.) | '''382'''. In der Philosophie darf man keine Denkkrankheit ''abschneiden''. Sie muß ihren natürlichen Lauf gehen, und die ''langsame'' Heilung ist das Wichtigste. (Daher die Mathematiker so schlechte Philosophen sind.) | ||
383. Denk dir, es würden die Leute eines Stammes von früher Jugend dazu erzogen, ''keinerlei'' Gemütsausdruck zu zeigen. Er ist für sie etwas Kindisches, das abzutun sei. Die Abrichtung sei streng. Man redet von 'Schmerzen' nicht; schon erst recht nicht in der Form einer Vermutung "Vielleicht hat er doch ....". Klagt jemand, so wird er verlacht oder gestraft. Den Verdacht der Verstellung gibt es gar nicht. Klagen ist sozusagen schon Verstellung | '''383'''. Denk dir, es würden die Leute eines Stammes von früher Jugend dazu erzogen, ''keinerlei'' Gemütsausdruck zu zeigen. Er ist für sie etwas Kindisches, das abzutun sei. Die Abrichtung sei streng. Man redet von 'Schmerzen' nicht; schon erst recht nicht in der Form einer Vermutung "Vielleicht hat er doch ....". Klagt jemand, so wird er verlacht oder gestraft. Den Verdacht der Verstellung gibt es gar nicht. Klagen ist sozusagen schon Verstellung | ||
384. "Verstellen", könnten jene Leute sagen, "was für ein lächerlicher Begriff!" (Als unterschiede man einen Mord mit ''einer'' Kugel von einem mit drei Kugeln.) | '''384'''. "Verstellen", könnten jene Leute sagen, "was für ein lächerlicher Begriff!" (Als unterschiede man einen Mord mit ''einer'' Kugel von einem mit drei Kugeln.) | ||
385. Klagen ist schon so schlimm, daß es das Schlimmere der Verstellung gar nicht mehr gibt. 386. Die eine Schande steht ihnen vor der andern, diese können sie nicht sehen. | '''385'''. Klagen ist schon so schlimm, daß es das Schlimmere der Verstellung gar nicht mehr gibt. 386. Die eine Schande steht ihnen vor der andern, diese können sie nicht sehen. | ||
387. Ich will sagen: eine ganz andere Erziehung als die unsere könnte auch die Grundlage ganz anderer Begriffe sein. | '''387'''. Ich will sagen: eine ganz andere Erziehung als die unsere könnte auch die Grundlage ganz anderer Begriffe sein. | ||
388. Denn es würde hier das Leben anders verlaufen.—Was uns interessiert, würde ''sie'' nicht interessieren. Andere Begriffe wären da nicht mehr unvorstellbar. Ja, ''wesentlich'' andere Begriffe sind nur so vorstellbar. | '''388'''. Denn es würde hier das Leben anders verlaufen.—Was uns interessiert, würde ''sie'' nicht interessieren. Andere Begriffe wären da nicht mehr unvorstellbar. Ja, ''wesentlich'' andere Begriffe sind nur so vorstellbar. | ||
389. Man könnte [jemanden] doch einfach lehren, den Schmerz (z. B.) zu mimen (nicht in der Absicht zu betrügen). Aber wäre es jedem beizubringen? Ich meine: Er könnte ja wohl erlernen, gewisse rohe Schmerzzeichen von sich zu geben, ohne aber je aus eigenem, aus seiner eigenen Einsicht eine feinere Nachahmung zu geben. (Sprachtalent.) (Man könnte vielleicht einem gescheiten Hund eine Art Schmerzgeheul beibringen; aber es käme doch nie bei ihm zu einem bewußten Nachahmen.) | '''389'''. Man könnte [jemanden] doch einfach lehren, den Schmerz (z. B.) zu mimen (nicht in der Absicht zu betrügen). Aber wäre es jedem beizubringen? Ich meine: Er könnte ja wohl erlernen, gewisse rohe Schmerzzeichen von sich zu geben, ohne aber je aus eigenem, aus seiner eigenen Einsicht eine feinere Nachahmung zu geben. (Sprachtalent.) (Man könnte vielleicht einem gescheiten Hund eine Art Schmerzgeheul beibringen; aber es käme doch nie bei ihm zu einem bewußten Nachahmen.) | ||
390. 'Diese Menschen hätten nichts Menschenähnliches.' Warum?—Wir könnten uns unmöglich mit ihnen verständigen. Nicht einmal so, wie wir's mit einem Hund können. Wir könnten uns nicht in sie finden. | '''390'''. 'Diese Menschen hätten nichts Menschenähnliches.' Warum?—Wir könnten uns unmöglich mit ihnen verständigen. Nicht einmal so, wie wir's mit einem Hund können. Wir könnten uns nicht in sie finden. | ||
Und doch könnte es ja solche, im übrigen menschliche, Wesen geben. | Und doch könnte es ja solche, im übrigen menschliche, Wesen geben. | ||
391. Ich will eigentlich sagen, daß die gedanklichen Skrupel im Instinkt anfangen (ihre Wurzeln haben). Oder auch so: das Sprachspiel hat seinen Ursprung nicht in der ''Überlegung''. Die Überlegung ist ein Teil des Sprachspiels. | '''391'''. Ich will eigentlich sagen, daß die gedanklichen Skrupel im Instinkt anfangen (ihre Wurzeln haben). Oder auch so: das Sprachspiel hat seinen Ursprung nicht in der ''Überlegung''. Die Überlegung ist ein Teil des Sprachspiels. | ||
Und der Begriff ist daher im Sprachspiel zu Hause. | Und der Begriff ist daher im Sprachspiel zu Hause. | ||
392. 'Sandhaufen' ist ein unscharf begrenzter Begriff——aber warum verwendet man statt seiner nicht einen scharf begrenzten?—Liegt der Grund in der Natur der Haufen? Welche Erscheinung ist es, deren Natur für unsern Begriff maßgebend ist? | '''392'''. 'Sandhaufen' ist ein unscharf begrenzter Begriff——aber warum verwendet man statt seiner nicht einen scharf begrenzten?—Liegt der Grund in der Natur der Haufen? Welche Erscheinung ist es, deren Natur für unsern Begriff maßgebend ist? | ||
393. Man kann sich leicht Ereignisse vorstellen und in alle Einzelheiten ausmalen, die, wenn wir sie eintreten sähen, uns an allem Urteilen irre werden ließen. | '''393'''. Man kann sich leicht Ereignisse vorstellen und in alle Einzelheiten ausmalen, die, wenn wir sie eintreten sähen, uns an allem Urteilen irre werden ließen. | ||
Sähe ich einmal von meinem Fenster statt der altgewohnten eine ganz neue Umgebung, benähmen sich die Dinge, Menschen und Tiere, wie sie sich nie benommen haben, so würde ich etwa die Worte äußern "Ich bin wahnsinnig geworden"; aber das wäre nur ein Ausdruck dafür, daß ich es aufgebe, mich auszukennen. Und das Gleiche könnte mir auch in der Mathematik zustoBen. Es könnte mir z. B. scheinen, als machte ich immer wieder Rechenfehler, sodaß keine Lösung mir verläßlich erschiene. | Sähe ich einmal von meinem Fenster statt der altgewohnten eine ganz neue Umgebung, benähmen sich die Dinge, Menschen und Tiere, wie sie sich nie benommen haben, so würde ich etwa die Worte äußern "Ich bin wahnsinnig geworden"; aber das wäre nur ein Ausdruck dafür, daß ich es aufgebe, mich auszukennen. Und das Gleiche könnte mir auch in der Mathematik zustoBen. Es könnte mir z. B. scheinen, als machte ich immer wieder Rechenfehler, sodaß keine Lösung mir verläßlich erschiene. | ||
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Das Wichtige aber für mich daran ist, daß es zwischen einem solchen Zustand und dem normalen keine scharfe Grenze gibt. | Das Wichtige aber für mich daran ist, daß es zwischen einem solchen Zustand und dem normalen keine scharfe Grenze gibt. | ||
394. Was hieße es, mich darin irren, daß er eine Seele, Bewußt. sein habe? Und was hieße es, daß ich mich irre und selbst keines habe? Was hieße es zu sagen "Ich bin nicht bei Bewußtsein."?——Aber weiß ich nicht doch, daß Bewußtsein in mir ist?—So weiß ich's also, und doch hat die Aussage, es sei so, keinen Zweck? | '''394'''. Was hieße es, mich darin irren, daß er eine Seele, Bewußt. sein habe? Und was hieße es, daß ich mich irre und selbst keines habe? Was hieße es zu sagen "Ich bin nicht bei Bewußtsein."?——Aber weiß ich nicht doch, daß Bewußtsein in mir ist?—So weiß ich's also, und doch hat die Aussage, es sei so, keinen Zweck? | ||
Und wie merkwürdig, daß man lernen kann, sich in dieser Sache mit andern Leuten zu verständigen! | Und wie merkwürdig, daß man lernen kann, sich in dieser Sache mit andern Leuten zu verständigen! | ||
395. Einer kann sich bewußtlos stellen; aber auch ''bewußt''? | '''395'''. Einer kann sich bewußtlos stellen; aber auch ''bewußt''? | ||
396. Wie wäre es, wenn mir jemand allen Ernstes sagte, er wisse (wirklich) nicht, ob er träume oder wache?— | '''396'''. Wie wäre es, wenn mir jemand allen Ernstes sagte, er wisse (wirklich) nicht, ob er träume oder wache?— | ||
Kann es diese Situation geben: Einer sagt "Ich glaube, ich träume jetzt"; wirklich wacht er bald danach auf, erinnert sich an jene Äußerung im Traum und sagt "So hatte ich also recht!"——Diese Erzählung kann doch nur besagen: Einer habe geträumt, er hätte gesagt, er träume. | Kann es diese Situation geben: Einer sagt "Ich glaube, ich träume jetzt"; wirklich wacht er bald danach auf, erinnert sich an jene Äußerung im Traum und sagt "So hatte ich also recht!"——Diese Erzählung kann doch nur besagen: Einer habe geträumt, er hätte gesagt, er träume. | ||
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Spricht einer die Unwahrheit, der mir sagt: "Ich bin nicht bei Bewußtsein"? (Und die Wahrheit, wenn er's bewußtlos sagt? Und wie, wenn ein Papagei sagte "Ich verstehe kein Wort", oder ein Grammophon "Ich bin bloß eine Maschine"?) | Spricht einer die Unwahrheit, der mir sagt: "Ich bin nicht bei Bewußtsein"? (Und die Wahrheit, wenn er's bewußtlos sagt? Und wie, wenn ein Papagei sagte "Ich verstehe kein Wort", oder ein Grammophon "Ich bin bloß eine Maschine"?) | ||
397. Denke, in einem Tagtraum ließe ich mich sprechen "Ich phantasiere bloß", wäre das ''wahr''? Denke, ich schreibe so eine Phantasie oder Erzählung, einen phantasierten Dialog, und in ihm sage ich "Ich phantasiere"——aber, wenn ich es aufschreibe,—wie zeigt sich's, daß diese Worte Worte der Phantasie sind, und daß ich nicht aus der Phantasie herausgetreten bin? | '''397'''. Denke, in einem Tagtraum ließe ich mich sprechen "Ich phantasiere bloß", wäre das ''wahr''? Denke, ich schreibe so eine Phantasie oder Erzählung, einen phantasierten Dialog, und in ihm sage ich "Ich phantasiere"——aber, wenn ich es aufschreibe,—wie zeigt sich's, daß diese Worte Worte der Phantasie sind, und daß ich nicht aus der Phantasie herausgetreten bin? | ||
Wäre es nicht wirklich möglich, daß der Träumende, sozusagen aus dem Traum heraustretend, im Schlaf spräche "Ich träume"? Es wäre wohl denkbar, daß so ein Sprachspiel existierte. | Wäre es nicht wirklich möglich, daß der Träumende, sozusagen aus dem Traum heraustretend, im Schlaf spräche "Ich träume"? Es wäre wohl denkbar, daß so ein Sprachspiel existierte. | ||
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Dies hängt mit dem Problem des 'Meinens' zusammen. Denn ich kann im Dialog eines Stücks schreiben "Ich bin gesund" und es also nicht ''weinen'', obwohl es auch wahr ist. Die Worte gehören zu diesem und nicht zu jenem Sprachspiel. | Dies hängt mit dem Problem des 'Meinens' zusammen. Denn ich kann im Dialog eines Stücks schreiben "Ich bin gesund" und es also nicht ''weinen'', obwohl es auch wahr ist. Die Worte gehören zu diesem und nicht zu jenem Sprachspiel. | ||
398. 'Wahr' und 'Falsch' im Traum. Ich träume, daß es regnet, und daß ich sage "Es regnet"——anderseits: Ich träume, daß ich sage "Ich träume". | '''398'''. 'Wahr' und 'Falsch' im Traum. Ich träume, daß es regnet, und daß ich sage "Es regnet"——anderseits: Ich träume, daß ich sage "Ich träume". | ||
399. Hat das Verbum "träumen" eine Gegenwartsform? Wie lernt der Mensch diese gebrauchen? | '''399'''. Hat das Verbum "träumen" eine Gegenwartsform? Wie lernt der Mensch diese gebrauchen? | ||
400. Angenommen, ich hätte eine Erfahrung, ähnlich einem Erwachen, befände mich dann in einer ganz andern Umgebung, mit Leuten, die mich versichern, ich habe geschlafen. Angenommen ferner, ich bliebe dabei, ich habe nicht geträumt, sondern auf irgendeine Weise außerhalb meines schlafenden Körpers gelebt. Welche Funktion hat diese Behauptung? | '''400'''. Angenommen, ich hätte eine Erfahrung, ähnlich einem Erwachen, befände mich dann in einer ganz andern Umgebung, mit Leuten, die mich versichern, ich habe geschlafen. Angenommen ferner, ich bliebe dabei, ich habe nicht geträumt, sondern auf irgendeine Weise außerhalb meines schlafenden Körpers gelebt. Welche Funktion hat diese Behauptung? | ||
401. "'Ich habe Bewußtsein', das ist eine Aussage, an der kein Zweifel möglich ist." Warum soll das nicht das Gleiche sagen, wie dies: "'Ich habe Bewußtsein' ist kein Satz"? | '''401'''. "'Ich habe Bewußtsein', das ist eine Aussage, an der kein Zweifel möglich ist." Warum soll das nicht das Gleiche sagen, wie dies: "'Ich habe Bewußtsein' ist kein Satz"? | ||
Man könnte auch so sagen: Was schadet es, daß einer sagt, "Ich habe Bewußtsein" sei eine Aussage, die keinen Zweifel zulasse? Wie komme ich mit ihm in Widerspruch? Nimm an, jemand sagte mir dies,—warum soll ich mich nicht gewöhnen, ihm nichts darauf zu antworten, statt etwa einen Streit anzufangen? Warum soll ich seine Worte nicht behandeln, wie sein Pfeifen oder Summen? | Man könnte auch so sagen: Was schadet es, daß einer sagt, "Ich habe Bewußtsein" sei eine Aussage, die keinen Zweifel zulasse? Wie komme ich mit ihm in Widerspruch? Nimm an, jemand sagte mir dies,—warum soll ich mich nicht gewöhnen, ihm nichts darauf zu antworten, statt etwa einen Streit anzufangen? Warum soll ich seine Worte nicht behandeln, wie sein Pfeifen oder Summen? | ||
402. "Nichts ist so gewiß wie, daß mir Bewußtsein eignet." Warum soll ich es dann nicht auf sich beruhen lassen? Diese Gewißheit ist wie eine große Kraft, deren Angriffspunkt sich nicht bewegt, die also keine Arbeit leistet. | '''402'''. "Nichts ist so gewiß wie, daß mir Bewußtsein eignet." Warum soll ich es dann nicht auf sich beruhen lassen? Diese Gewißheit ist wie eine große Kraft, deren Angriffspunkt sich nicht bewegt, die also keine Arbeit leistet. | ||
403. Erinnere dich: die meisten sagen, man spüre in der Narkose nichts. Manche aber sagen doch: Man ''könnte'' ja doch etwas fühlen und es nur völlig vergessen. | '''403'''. Erinnere dich: die meisten sagen, man spüre in der Narkose nichts. Manche aber sagen doch: Man ''könnte'' ja doch etwas fühlen und es nur völlig vergessen. | ||
Wenn es also hier solche gibt, die zweifeln und solche, denen kein Zweifel kommt, so könnte die Zweifellosigkeit doch auch viel allgemeiner bestehen. | Wenn es also hier solche gibt, die zweifeln und solche, denen kein Zweifel kommt, so könnte die Zweifellosigkeit doch auch viel allgemeiner bestehen. | ||
404. Oder der Zweifel könnte doch eine andere, und viel weniger unbestimmte Form haben, als in unserer Gedankenwelt. | '''404'''. Oder der Zweifel könnte doch eine andere, und viel weniger unbestimmte Form haben, als in unserer Gedankenwelt. | ||
405. Niemand außer ein Philosoph würde sagen "Ich weiß, daß ich zwei Hände habe"; wohl aber kann man sagen: "ich bin nicht imstande zu bezweifeln, daß ich zwei Hände habe". | '''405'''. Niemand außer ein Philosoph würde sagen "Ich weiß, daß ich zwei Hände habe"; wohl aber kann man sagen: "ich bin nicht imstande zu bezweifeln, daß ich zwei Hände habe". | ||
406. "Wissen" aber wird gewöhnlich nicht in diesem Sinn gebraucht. "Ich weiß, wieviel 97 × 78 ist." "Ich weiß, daß 97 × 78 432 ist." Im ersten Falle teile ich jemandem mit, ich könne etwas, besitze etwas; im zweiten versichere ich einfach, 97 × 78 sei 432. Sagt denn"97 × 78 ist ganz bestimmt 432" nicht, ''ich wisse'', es sei so? Der erste Satz ist kein arithmetischer, noch kann ihn ein solcher ersetzen; statt des zweiten könnte man einen arithmetischen Satz verwenden. | '''406'''. "Wissen" aber wird gewöhnlich nicht in diesem Sinn gebraucht. "Ich weiß, wieviel 97 × 78 ist." "Ich weiß, daß 97 × 78 432 ist." Im ersten Falle teile ich jemandem mit, ich könne etwas, besitze etwas; im zweiten versichere ich einfach, 97 × 78 sei 432. Sagt denn"97 × 78 ist ganz bestimmt 432" nicht, ''ich wisse'', es sei so? Der erste Satz ist kein arithmetischer, noch kann ihn ein solcher ersetzen; statt des zweiten könnte man einen arithmetischen Satz verwenden. | ||
407. Kann jemand ''glauben'', daß 25 × 25 = 625 ist? Was heißt es, das zu glauben? Wie zeigt es sich, daß er das glaubt? | '''407'''. Kann jemand ''glauben'', daß 25 × 25 = 625 ist? Was heißt es, das zu glauben? Wie zeigt es sich, daß er das glaubt? | ||
408. Aber gibt es nicht ein Phänomen des Wissens sozusagen ganz abgesehen vom Sinn der Worte "ich weiß"? Ist es nicht merkwürdig, daß ein Mensch etwas ''wissen'' kann, die Tatsache gleichsam in sich selbst haben kann?—Aber das ist eben ein falsches Bild.—Denn, sagt man, Wissen ist es nur, wenn es sich wirklich verhält, wie er sagt. Aber das ist nicht genug. Es darf sich nicht nur zufällig so verhalten. Er muß nämlich wissen, daß er weiß: das Wissen ist ja sein eigener Seelenzustand: er kann darüber—außer durch eine besondere Verblendung—nicht im Zweifel oder Unrecht sein. Wenn also das Wissen, ''daß'' es so ist, nur ein Wissen ist, wenn es ''wirklich'' so ist; und wenn das Wissen in ihm ist, sodaß er sich darin, ob es ein Wissen ist, nicht irren kann; dann ist er (also) auch unfehlbar darin, daß es ist, wie er das Wissen weiß; und also muß die Tatsache, die er weiß, so wie das Wissen in ihm sein. | '''408'''. Aber gibt es nicht ein Phänomen des Wissens sozusagen ganz abgesehen vom Sinn der Worte "ich weiß"? Ist es nicht merkwürdig, daß ein Mensch etwas ''wissen'' kann, die Tatsache gleichsam in sich selbst haben kann?—Aber das ist eben ein falsches Bild.—Denn, sagt man, Wissen ist es nur, wenn es sich wirklich verhält, wie er sagt. Aber das ist nicht genug. Es darf sich nicht nur zufällig so verhalten. Er muß nämlich wissen, daß er weiß: das Wissen ist ja sein eigener Seelenzustand: er kann darüber—außer durch eine besondere Verblendung—nicht im Zweifel oder Unrecht sein. Wenn also das Wissen, ''daß'' es so ist, nur ein Wissen ist, wenn es ''wirklich'' so ist; und wenn das Wissen in ihm ist, sodaß er sich darin, ob es ein Wissen ist, nicht irren kann; dann ist er (also) auch unfehlbar darin, daß es ist, wie er das Wissen weiß; und also muß die Tatsache, die er weiß, so wie das Wissen in ihm sein. | ||
Und das deutet allerdings auf eine mögliche Art der Verwendung von "Ich weiß". "Ich weiß, daß es so ist", heißt dann: Es ist so oder ich bin verrückt. | Und das deutet allerdings auf eine mögliche Art der Verwendung von "Ich weiß". "Ich weiß, daß es so ist", heißt dann: Es ist so oder ich bin verrückt. | ||
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Also: wenn ich, ohne zu lügen, sage: "Ich weiß, daß es so ist", so kann ich nur durch eine besondere Verblendung im Unrecht sein. | Also: wenn ich, ohne zu lügen, sage: "Ich weiß, daß es so ist", so kann ich nur durch eine besondere Verblendung im Unrecht sein. | ||
409. Wie kommt es, daß der Zweifel nicht der Willkür untersteht?—Und wenn es so ist,—könnte nicht ein Kind durch seine merkwürdige Veranlagung an allem zweifeln? | '''409'''. Wie kommt es, daß der Zweifel nicht der Willkür untersteht?—Und wenn es so ist,—könnte nicht ein Kind durch seine merkwürdige Veranlagung an allem zweifeln? | ||
410. Man kann erst zweifeln, wenn man Gewisses gelernt hat; wie man sich erst verrechnen kann, wenn man rechnen gelernt hat. Dann ist es allerdings unwillkürlich. | '''410'''. Man kann erst zweifeln, wenn man Gewisses gelernt hat; wie man sich erst verrechnen kann, wenn man rechnen gelernt hat. Dann ist es allerdings unwillkürlich. | ||
411. Denke, ein Kind wäre ganz besonders gescheit, so gescheit, daß man ihm gleich die Zweifelhaftigkeit der Existenz aller Dinge beibringen kann. Es lernt also vom Anfangan: "Das ist wahrscheinlich ein Sessel.” | '''411'''. Denke, ein Kind wäre ganz besonders gescheit, so gescheit, daß man ihm gleich die Zweifelhaftigkeit der Existenz aller Dinge beibringen kann. Es lernt also vom Anfangan: "Das ist wahrscheinlich ein Sessel.” | ||
Und wie lernt es nun die Frage: "Ist das auch wirklich ein Sessel?"— | Und wie lernt es nun die Frage: "Ist das auch wirklich ein Sessel?"— | ||
412. Betreibe ich Kinderpsychologie?—Ich bringe den Begriff des Lehrens mit dem Begriff der Bedeutung in Verbindung. | '''412'''. Betreibe ich Kinderpsychologie?—Ich bringe den Begriff des Lehrens mit dem Begriff der Bedeutung in Verbindung. | ||
413. Einer sei ein überzeugter Realist, der Andere ein überzeugter Idealist und lehrt seine Kinder dementsprechend. In einer so wichtigen Sache, wie der Existenz oder Nichtexistenz der äußern Welt wollen sie ihren Kindern nichts Falsches beibringen. | '''413'''. Einer sei ein überzeugter Realist, der Andere ein überzeugter Idealist und lehrt seine Kinder dementsprechend. In einer so wichtigen Sache, wie der Existenz oder Nichtexistenz der äußern Welt wollen sie ihren Kindern nichts Falsches beibringen. | ||
Was wird man sie nun lehren? Auch dies zu sagen "Es gibt physikalische Gegenstände", beziehungsweise das Gegenteil? | Was wird man sie nun lehren? Auch dies zu sagen "Es gibt physikalische Gegenstände", beziehungsweise das Gegenteil? | ||
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Wenn einer an Feen nicht glaubt, so braucht er seine Kinder nicht lehren "Es gibt keine Feen", sondern er kann es unterlassen, sie das Wort "Fee" zu lehren. Bei welcher Gelegenheit sollen sie sagen "Es gibt ....", oder "Es gibt nicht ...."? Nur wenn sie Leute treffen, die entgegengesetzten Glaubens sind. | Wenn einer an Feen nicht glaubt, so braucht er seine Kinder nicht lehren "Es gibt keine Feen", sondern er kann es unterlassen, sie das Wort "Fee" zu lehren. Bei welcher Gelegenheit sollen sie sagen "Es gibt ....", oder "Es gibt nicht ...."? Nur wenn sie Leute treffen, die entgegengesetzten Glaubens sind. | ||
414. Aber der Idealist wird den Kindern doch das Wort "Sessel" beibringen, denn er will sie ja lehren, dies und jenes zu tun, z. B. einen Sessel zu holen. Wo wird sich also, was die ideali erzogenen Kinder sagen, von dem, was die realistischen sagen, unterscheiden? Wird der Unterschied nicht nur der der Schlachtrufe sein? | '''414'''. Aber der Idealist wird den Kindern doch das Wort "Sessel" beibringen, denn er will sie ja lehren, dies und jenes zu tun, z. B. einen Sessel zu holen. Wo wird sich also, was die ideali erzogenen Kinder sagen, von dem, was die realistischen sagen, unterscheiden? Wird der Unterschied nicht nur der der Schlachtrufe sein? | ||
415. Fängt denn nicht das Spiel "Das ist wahrscheinlich ein ...." mit der Enttäuschung an? Und kann die erste Einstellung die auf die mögliche Enttäuschung sein? | '''415'''. Fängt denn nicht das Spiel "Das ist wahrscheinlich ein ...." mit der Enttäuschung an? Und kann die erste Einstellung die auf die mögliche Enttäuschung sein? | ||
416. "So muß man ihm also zuerst eine falsche Sicherheit beibringen? | '''416'''. "So muß man ihm also zuerst eine falsche Sicherheit beibringen? | ||
Es ist bei ihrem Sprachspiel von Sicherheit oder von Unsicherheit noch nicht die Rede. Erinnere dich: sie lernen ja etwas ''tun''. | Es ist bei ihrem Sprachspiel von Sicherheit oder von Unsicherheit noch nicht die Rede. Erinnere dich: sie lernen ja etwas ''tun''. | ||
417. Das Sprachspiel "Was ist das?"—"Ein Sessel."—ist nicht das Gleiche wie: "Wofür hältst du das?"—"Es dürfte ein Sessel sein." | '''417'''. Das Sprachspiel "Was ist das?"—"Ein Sessel."—ist nicht das Gleiche wie: "Wofür hältst du das?"—"Es dürfte ein Sessel sein." | ||
418. Einen im Anfang lehren "Das scheint rot", hat gar keinen Sinn. Das muß er ja spontan sagen, wenn er einmal gelernt hat, was "rot" heißt, d. i. die Technik der Wortverwendung. | '''418'''. Einen im Anfang lehren "Das scheint rot", hat gar keinen Sinn. Das muß er ja spontan sagen, wenn er einmal gelernt hat, was "rot" heißt, d. i. die Technik der Wortverwendung. | ||
419. Die Grundlage jeder Erklärung ist die Abrichtung. (Das sollten Erzicher bedenken.) | '''419'''. Die Grundlage jeder Erklärung ist die Abrichtung. (Das sollten Erzicher bedenken.) | ||
420. "Es scheint mir rot."—"Und wie ist rot?"—"''So''." Dabei muß auf das richtige Paradigma gezeigt werden. | '''420'''. "Es scheint mir rot."—"Und wie ist rot?"—"''So''." Dabei muß auf das richtige Paradigma gezeigt werden. | ||
421. Wenn er zuerst die Farbnamen lernt, was wird ihm beigebracht? Nun, er lernt z. B. beim Anblick von etwas Rotem "Rot" ausrufen.—Ist das aber die richtige Beschreibung, oder hätte es heißen sollen: "Er lernt 'rot' nennen, ''was auch wir'' 'rot' nennen"?—Beide Beschreibungen sind richtig. | '''421'''. Wenn er zuerst die Farbnamen lernt, was wird ihm beigebracht? Nun, er lernt z. B. beim Anblick von etwas Rotem "Rot" ausrufen.—Ist das aber die richtige Beschreibung, oder hätte es heißen sollen: "Er lernt 'rot' nennen, ''was auch wir'' 'rot' nennen"?—Beide Beschreibungen sind richtig. | ||
Wie unterscheidet sich davon das Sprachspiel "Wie kommt es dir vor?"? | Wie unterscheidet sich davon das Sprachspiel "Wie kommt es dir vor?"? | ||
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Man könnte einem doch die Farbwörter beibringen, indem man ihn auf weiße Gegenstände durch farbige Brillen schauen läßt. Was ich ihn aber lehre, muß ein ''Können'' sein. Er ''kann'' also jetzt auf Befehle etwas Rotes bringen, oder Gegenstände nach ihren Farben ordnen. Aber was ist denn etwas Rotes? | Man könnte einem doch die Farbwörter beibringen, indem man ihn auf weiße Gegenstände durch farbige Brillen schauen läßt. Was ich ihn aber lehre, muß ein ''Können'' sein. Er ''kann'' also jetzt auf Befehle etwas Rotes bringen, oder Gegenstände nach ihren Farben ordnen. Aber was ist denn etwas Rotes? | ||
422. Warum lehrt man das Kind nicht zuerst gleich das Sprachspiel "Es scheint mir rot"? Weil es noch nicht imstande ist, den feineren Unterschied zwischen Schein und Sein zu verstehen? | '''422'''. Warum lehrt man das Kind nicht zuerst gleich das Sprachspiel "Es scheint mir rot"? Weil es noch nicht imstande ist, den feineren Unterschied zwischen Schein und Sein zu verstehen? | ||
423. Die rote Gesichtsempfindung ist ein neuer ''Begriff''. | '''423'''. Die rote Gesichtsempfindung ist ein neuer ''Begriff''. | ||
424. Das Sprachspiel, was wir ihm dann beibringen, ist: "Mir scheint es ...., dir scheint es ...." Im ersten Sprachspiel kommt eine Person als wahrnehmendes Subjekt nicht vor. | '''424'''. Das Sprachspiel, was wir ihm dann beibringen, ist: "Mir scheint es ...., dir scheint es ...." Im ersten Sprachspiel kommt eine Person als wahrnehmendes Subjekt nicht vor. | ||
425. Du gibst dem Sprachspiel ein neues Gelenk. Was aber nicht heißt, daß nun davon immer Gebrauch gemacht wird. | '''425'''. Du gibst dem Sprachspiel ein neues Gelenk. Was aber nicht heißt, daß nun davon immer Gebrauch gemacht wird. | ||
426. Das innere Hinblicken auf die Empfindung—welche Verbindung soll es denn zwischen Wort und Empfindung her stellen; und wozu soll denn diese Verbindung dienen? Hat man mich ''das'' gelehrt, als ich diesen Satz gebrauchen, diesen Gedanken denken lernte? (Ihn zu denken, ist ja etwas, was ich lernen mußte.) | '''426'''. Das innere Hinblicken auf die Empfindung—welche Verbindung soll es denn zwischen Wort und Empfindung her stellen; und wozu soll denn diese Verbindung dienen? Hat man mich ''das'' gelehrt, als ich diesen Satz gebrauchen, diesen Gedanken denken lernte? (Ihn zu denken, ist ja etwas, was ich lernen mußte.) | ||
Wir lernen allerdings auch dies, unsre Aufmerksamkeit auf Dinge und auf Empfindungen richten. Wir lernen beobachten und die Beobachtung beschreiben. Aber wie lehrt man mich dies; wie wird in diesem Falle meine 'innere Tätigkeit' kontrolliert? Wonach wird beurteilt, ob ich wirklich Acht gegeben habe? | Wir lernen allerdings auch dies, unsre Aufmerksamkeit auf Dinge und auf Empfindungen richten. Wir lernen beobachten und die Beobachtung beschreiben. Aber wie lehrt man mich dies; wie wird in diesem Falle meine 'innere Tätigkeit' kontrolliert? Wonach wird beurteilt, ob ich wirklich Acht gegeben habe? | ||
427. "Der Sessel ist der gleiche, ob ich ihn betrachte oder nicht"—das ''müßte'' nicht wahr sein. Menschen werden oft verlegen, wenn man sie anschaut. "Der Sessel fahrt fort zu existieren, ob ich ihn anschaue oder nicht." Das könnte ein Erfahrungssatz, oder es könnte grammatisch aufzufassen sein. Man kann aber auch einfach an den begrifflichen Unterschied zwischen Sinnescindruck und Objekt dabei denken. | '''427'''. "Der Sessel ist der gleiche, ob ich ihn betrachte oder nicht"—das ''müßte'' nicht wahr sein. Menschen werden oft verlegen, wenn man sie anschaut. "Der Sessel fahrt fort zu existieren, ob ich ihn anschaue oder nicht." Das könnte ein Erfahrungssatz, oder es könnte grammatisch aufzufassen sein. Man kann aber auch einfach an den begrifflichen Unterschied zwischen Sinnescindruck und Objekt dabei denken. | ||
428. Ist aber nicht die Übereinstimmung der Menschen dem Spiel wesentlich? Muß, wer es lernt, also nicht zuerst die Bedeutung von "gleich" kennen, und setzt die nicht auch Übereinstimmung voraus? U. s. f. | '''428'''. Ist aber nicht die Übereinstimmung der Menschen dem Spiel wesentlich? Muß, wer es lernt, also nicht zuerst die Bedeutung von "gleich" kennen, und setzt die nicht auch Übereinstimmung voraus? U. s. f. | ||
429. Du sagst "''Das'' ist rot", aber wie wird entschieden, ob du recht hast? Entscheidet es nicht die Übereinstimmung der Menschen?—Aber berufe ich mich denn auf diese Übereinstimmung in meinen Farburteilen? Geht es denn ''so'' vor sich: Ich lasse cine Anzahl Leute einen Gegenstand anschauen; jedem von ihnen fällt dabei eines einer gewissen Gruppe von Wörtern (der sogenannten Farbwörter) ein; ist der Mehrzahl der Betrachter das Wort "rot" z. B. eingefallen (zu dieser Mehrzahl muß ich selbst nicht gehören), so gebührt dem Gegenstand das Prädikat "rot". So cine Technik könnte ja ihre Wichtigkeit haben. | '''429'''. Du sagst "''Das'' ist rot", aber wie wird entschieden, ob du recht hast? Entscheidet es nicht die Übereinstimmung der Menschen?—Aber berufe ich mich denn auf diese Übereinstimmung in meinen Farburteilen? Geht es denn ''so'' vor sich: Ich lasse cine Anzahl Leute einen Gegenstand anschauen; jedem von ihnen fällt dabei eines einer gewissen Gruppe von Wörtern (der sogenannten Farbwörter) ein; ist der Mehrzahl der Betrachter das Wort "rot" z. B. eingefallen (zu dieser Mehrzahl muß ich selbst nicht gehören), so gebührt dem Gegenstand das Prädikat "rot". So cine Technik könnte ja ihre Wichtigkeit haben. | ||
430. Die ''Farbwörter'' werden ''so'' gelehrt: "Das ist rot" z. B.—Unser Sprachspiel kommt freilich nur zustande, wenn eine gewisse Übereinstimmung herrscht, aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel nicht ein. Wäre die Übereinstimmung vollkommen, so könnte ihr Begriff ganz unbekannt sein. | '''430'''. Die ''Farbwörter'' werden ''so'' gelehrt: "Das ist rot" z. B.—Unser Sprachspiel kommt freilich nur zustande, wenn eine gewisse Übereinstimmung herrscht, aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel nicht ein. Wäre die Übereinstimmung vollkommen, so könnte ihr Begriff ganz unbekannt sein. | ||
431. ''Entscheidet'' die Übereinstimmung der Menschen, was rot ist? Wird das durch den Appell an die Mehrheit entschieden? Wurde uns beigebracht, die Farbe ''so'' zu bestimmen? | '''431'''. ''Entscheidet'' die Übereinstimmung der Menschen, was rot ist? Wird das durch den Appell an die Mehrheit entschieden? Wurde uns beigebracht, die Farbe ''so'' zu bestimmen? | ||
432. Ich beschreibe eben das Sprachspiel "Bring etwas Rotes" dem, der es schon selbst spielen kann. Den Andern könnte ich es nur lehren. (Relativität.) | '''432'''. Ich beschreibe eben das Sprachspiel "Bring etwas Rotes" dem, der es schon selbst spielen kann. Den Andern könnte ich es nur lehren. (Relativität.) | ||
433. "Was ich wahrnehme, ist ''dies''—" und nun folgt eine Form der ''Beschreibung''. Das Wort "dies" könnte man auch so erklären: Denken wir uns eine direkte Übertragung des Erlebnisses!—Aber was ist nun unser Kriterium dafür, daß das Erlebnis wirklich übertragen wurde? "Nun, er hat eben dann das, was ich habe."—Aber wie '''hat''<nowiki/>' ''er'' es? | '''433'''. "Was ich wahrnehme, ist ''dies''—" und nun folgt eine Form der ''Beschreibung''. Das Wort "dies" könnte man auch so erklären: Denken wir uns eine direkte Übertragung des Erlebnisses!—Aber was ist nun unser Kriterium dafür, daß das Erlebnis wirklich übertragen wurde? "Nun, er hat eben dann das, was ich habe."—Aber wie '''hat''<nowiki/>' ''er'' es? | ||
434. Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen? | '''434'''. Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen? | ||
Denk dir, du kämest von einem Sprachspiel mit physikalischen Gegenständen—und nun hieße es, es werden jetzt auch ''Empfindungen'' benannt. Wäre das nicht, als würde zuerst von einer Übertragung des Besitzes, und dann auf einmal von einer Ubertragung der Freude am Besitz oder des Stolzes auf den Besitz gesprochen? Müssen wir da nicht etwas Neues lernen? Etwas Neues, was wir auch "übertragen" nennen. | Denk dir, du kämest von einem Sprachspiel mit physikalischen Gegenständen—und nun hieße es, es werden jetzt auch ''Empfindungen'' benannt. Wäre das nicht, als würde zuerst von einer Übertragung des Besitzes, und dann auf einmal von einer Ubertragung der Freude am Besitz oder des Stolzes auf den Besitz gesprochen? Müssen wir da nicht etwas Neues lernen? Etwas Neues, was wir auch "übertragen" nennen. | ||
435. Die Beschreibung des subjektiv Geschenen ist nahe oder entfernt verwandt der Beschreibung eines Gegenstandes, aber funktioniert eben daher nicht als Beschreibung eines Gegenstands. Wie vergleicht man Gesichtsempfindungen? Wie vergleiche ich meine mit des Andern Gesichtsempfindungen? | '''435'''. Die Beschreibung des subjektiv Geschenen ist nahe oder entfernt verwandt der Beschreibung eines Gegenstandes, aber funktioniert eben daher nicht als Beschreibung eines Gegenstands. Wie vergleicht man Gesichtsempfindungen? Wie vergleiche ich meine mit des Andern Gesichtsempfindungen? | ||
436. "Verifying by inspection" ist ein gänzlich irreführender Ausdruck. Er sagt nämlich, daß zuerst ein Vorgang, die Inspektion geschicht, und die wäre mit dem Schauen durch ein Mikroskop vergleichbar oder mit dem Vorgang des Umwendens des Kopfes, ''um etwas zu sehen''. Und, daß dann das Sehen erfolgen misse. Man könnte von "Sehen durch Umwenden" oder "Sehen durch Schauen" reden. Aber dann ist eben das Umwenden (oder Schauen) ein dem Sehen externer Vorgang, der uns daher nur praktisch interessiert. Was man sagen möchte, ist: "Sehen durch Schen". | '''436'''. "Verifying by inspection" ist ein gänzlich irreführender Ausdruck. Er sagt nämlich, daß zuerst ein Vorgang, die Inspektion geschicht, und die wäre mit dem Schauen durch ein Mikroskop vergleichbar oder mit dem Vorgang des Umwendens des Kopfes, ''um etwas zu sehen''. Und, daß dann das Sehen erfolgen misse. Man könnte von "Sehen durch Umwenden" oder "Sehen durch Schauen" reden. Aber dann ist eben das Umwenden (oder Schauen) ein dem Sehen externer Vorgang, der uns daher nur praktisch interessiert. Was man sagen möchte, ist: "Sehen durch Schen". | ||
437. Die Ursachen, warum wir einen Satz glauben, sind für die Frage, was es denn ist, das wir glauben, allerdings irrelevant; aber nicht die Gründe, die ja mit dem Satz grammatisch verwandt sind und uns sagen, wer er ist. | '''437'''. Die Ursachen, warum wir einen Satz glauben, sind für die Frage, was es denn ist, das wir glauben, allerdings irrelevant; aber nicht die Gründe, die ja mit dem Satz grammatisch verwandt sind und uns sagen, wer er ist. | ||
438. Es ist nichts gewöhnlicher, als daß die Bedeutung eines Ausdrucks in der Weise schwankt, daß ein Phänomen bald als Symptom, bald als Kriterium eines Sachverhalts angesehen wird. Und meistens wird dann in einem solchen Fall der Wechsel der Bedeutung nicht gemerkt. In der Wissenschaft ist es üblich, Phänomene, die genaue Messungen zulassen, zu definierenden Kriterien eines Ausdrucks zu machen; und man ist dann geneigt zu meinen, nun sei die eigentliche Bedeutung ''gefunden'' worden. Eine Unmenge von Verwirrungen ist auf diese Weise entstanden. | '''438'''. Es ist nichts gewöhnlicher, als daß die Bedeutung eines Ausdrucks in der Weise schwankt, daß ein Phänomen bald als Symptom, bald als Kriterium eines Sachverhalts angesehen wird. Und meistens wird dann in einem solchen Fall der Wechsel der Bedeutung nicht gemerkt. In der Wissenschaft ist es üblich, Phänomene, die genaue Messungen zulassen, zu definierenden Kriterien eines Ausdrucks zu machen; und man ist dann geneigt zu meinen, nun sei die eigentliche Bedeutung ''gefunden'' worden. Eine Unmenge von Verwirrungen ist auf diese Weise entstanden. | ||
Es gibt z. B. Grade des Vergnügens, aber es ist dumm, von einer Messung des Vergnügens zu reden. Es ist wahr, daß in gewissen Fällen ein meßbares Phänomen den Platz einnimmt, den vor ihm ein nicht meßbares hatte. Das Wort, das diesen Platz bezeichnet, wechselt dann seine Bedeutung, und seine alte Bedeutung ist mehr oder weniger obsolet geworden. Man beruhigt sich dann damit, der eine Begriff sei der genauere, der andere der ungenauere; und beachtet nicht, daß hier in jedem besondern Fall ein anderes Verhältnis zwischen dem 'genauen' und dem 'ungenauen' vorliegt. Es ist der alte Fehler, die besondern Fälle nicht zu prüfen. | Es gibt z. B. Grade des Vergnügens, aber es ist dumm, von einer Messung des Vergnügens zu reden. Es ist wahr, daß in gewissen Fällen ein meßbares Phänomen den Platz einnimmt, den vor ihm ein nicht meßbares hatte. Das Wort, das diesen Platz bezeichnet, wechselt dann seine Bedeutung, und seine alte Bedeutung ist mehr oder weniger obsolet geworden. Man beruhigt sich dann damit, der eine Begriff sei der genauere, der andere der ungenauere; und beachtet nicht, daß hier in jedem besondern Fall ein anderes Verhältnis zwischen dem 'genauen' und dem 'ungenauen' vorliegt. Es ist der alte Fehler, die besondern Fälle nicht zu prüfen. | ||
439. Die zureichende Evidenz geht, ohne bestimmte Grenzen zu haben, in die unzureichende über. Soll ich sagen, eine natürliche Grundlage dieser Begriffsbildung sei das komplizierte Wesen und die Mannigfaltigkeit der menschlichen Fälle? | '''439'''. Die zureichende Evidenz geht, ohne bestimmte Grenzen zu haben, in die unzureichende über. Soll ich sagen, eine natürliche Grundlage dieser Begriffsbildung sei das komplizierte Wesen und die Mannigfaltigkeit der menschlichen Fälle? | ||
So müßte also bei einer weit geringeren Mannigfaltigkeit eine scharf begrenzte Begriffsbildung natürlich erscheinen. Und warum scheint es so schwer, sich den vereinfachten Fall vorzustellen? | So müßte also bei einer weit geringeren Mannigfaltigkeit eine scharf begrenzte Begriffsbildung natürlich erscheinen. Und warum scheint es so schwer, sich den vereinfachten Fall vorzustellen? | ||
440. Wie hätten wir uns ein komplettes Regelverzeichnis für die Verwendung eines Worts zu denken?—Was versteht man unter einem kompletten Regelverzeichnis für die Verwendung einer Figur im Schachspiel? Könnten wir uns nicht immer Zweifelfalle konstruieren, in denen das normale Regelverzeichnis nicht entscheidet? Denke etwa an so eine Frage: wie ist es festzustellen, wer zuletzt gezogen hat, wenn die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses der Spieler angezweifelt wird? | '''440'''. Wie hätten wir uns ein komplettes Regelverzeichnis für die Verwendung eines Worts zu denken?—Was versteht man unter einem kompletten Regelverzeichnis für die Verwendung einer Figur im Schachspiel? Könnten wir uns nicht immer Zweifelfalle konstruieren, in denen das normale Regelverzeichnis nicht entscheidet? Denke etwa an so eine Frage: wie ist es festzustellen, wer zuletzt gezogen hat, wenn die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses der Spieler angezweifelt wird? | ||
Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen der Fahrer und Fußgänger; aber sie versucht nicht, ihre sämtlichen Bewegungen durch Vorschriften zu leiten. Und es wäre sinnlos, von einer 'idealen' Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten zunächst gar nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten. Wünscht einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern. | Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen der Fahrer und Fußgänger; aber sie versucht nicht, ihre sämtlichen Bewegungen durch Vorschriften zu leiten. Und es wäre sinnlos, von einer 'idealen' Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten zunächst gar nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten. Wünscht einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern. | ||
441. Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als cines Parameters der Darstellung. | '''441'''. Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als cines Parameters der Darstellung. | ||
442. Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß '''a priori''<nowiki/>' sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform entspricht, die wir ausgeschlossen haben. | '''442'''. Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß '''a priori''<nowiki/>' sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform entspricht, die wir ausgeschlossen haben. | ||
443. Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt. | '''443'''. Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt. | ||
444. Wir haben nun eine ''Theorie''; eine 'dynamische Theorie'<ref>Freud spricht von seiner 'dynamischen' Theorie des Traums.</ref> des Satzes, der Sprache, aber sie erscheint uns nicht als Theorie. Es ist ja das Charakteristische einer solchen Theorie, daß sie cinen besonderen, klar anschaulichen Fall ansieht und sagt: "''Das'' zeigt, wie es sich überhaupt verhält; dieser Fall ist das Urbild ''aller'' Fälle."——"Natürlich! So muß es sein", sagen wir und sind zufrieden. Wir sind auf eine Form der Darstellung gekommen, die uns ''einleuchtet''. Aber es ist, als haben wir nun etwas geschen, was ''unter'' der Oberfläche liegt. | '''444'''. Wir haben nun eine ''Theorie''; eine 'dynamische Theorie'<ref>Freud spricht von seiner 'dynamischen' Theorie des Traums.</ref> des Satzes, der Sprache, aber sie erscheint uns nicht als Theorie. Es ist ja das Charakteristische einer solchen Theorie, daß sie cinen besonderen, klar anschaulichen Fall ansieht und sagt: "''Das'' zeigt, wie es sich überhaupt verhält; dieser Fall ist das Urbild ''aller'' Fälle."——"Natürlich! So muß es sein", sagen wir und sind zufrieden. Wir sind auf eine Form der Darstellung gekommen, die uns ''einleuchtet''. Aber es ist, als haben wir nun etwas geschen, was ''unter'' der Oberfläche liegt. | ||
Die Tendenz, den klaren Fall zu verallgemeinern, scheint in der Logik ihre strenge Berechtigung zu haben: man scheint hier mit ''voller'' Berechtigung zu schließen: "Wenn ''ein'' Satz ein Bild ist, so muß jeder Satz ein Bild sein, denn sie müssen alle wesensgleich sein." Denn wir sind ja in der Täuschung, das Sublime, Wesentliche unserer Untersuchung bestehe darin, daß sie ''ein'' allumfassendes Wesen erfasse. | Die Tendenz, den klaren Fall zu verallgemeinern, scheint in der Logik ihre strenge Berechtigung zu haben: man scheint hier mit ''voller'' Berechtigung zu schließen: "Wenn ''ein'' Satz ein Bild ist, so muß jeder Satz ein Bild sein, denn sie müssen alle wesensgleich sein." Denn wir sind ja in der Täuschung, das Sublime, Wesentliche unserer Untersuchung bestehe darin, daß sie ''ein'' allumfassendes Wesen erfasse. | ||
445. Wie kann ich den Satz ''jetzt'' verstehen, wenn die Analyse soll zeigen können, ''was'' ich eigentlich verstehe?—Hier spielt die Idee des Verstehens als eines sonderbaren geistigen Vorgangs hinein. | '''445'''. Wie kann ich den Satz ''jetzt'' verstehen, wenn die Analyse soll zeigen können, ''was'' ich eigentlich verstehe?—Hier spielt die Idee des Verstehens als eines sonderbaren geistigen Vorgangs hinein. | ||
446. Denk doch einmal gar nicht an das Verstehen als 'seelischen Vorgang'!—Denn ''das'' ist die Redeweise, die dich verwirrt. Sondern frage dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen sagen wir denn "jetzt weiß ich weiter", wenn uns die Formel eingefallen ist? | '''446'''. Denk doch einmal gar nicht an das Verstehen als 'seelischen Vorgang'!—Denn ''das'' ist die Redeweise, die dich verwirrt. Sondern frage dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen sagen wir denn "jetzt weiß ich weiter", wenn uns die Formel eingefallen ist? | ||
Es ist jene Redeweise, die uns hindert, die Tatsachen unparteiisch zu sehen. Betrachte die Aussprache eines Worts durch die Darstellungsform der Schreibung! Wie leicht kann man sich da überreden, daß zwei Worte—z. B. "für" und "führ"—im täglichen Gebrauche verschiedenen Klang haben—weil man sie verschieden ausspricht, wenn man sein Augenmerk gerade auf den Unterschied ihrer Schreibung richtet. Damit zu vergleichen ist die Meinung, ein Violinspieler mit feinem Gehör greife f immer etwas höher als eis. Uberlege dir solche Fälle!—''So'' kann es geschehen, daß das Darstellungsmittel eine ''Einbildung'' erzeugt. Denken wir also nicht, wir ''müßten'' einen spezifischen seelischen Vorgang finden, weil das Verbum "verstehen" dasteht, und weil man sagt: Verstehen sei eine seelische Tätigkeit. | Es ist jene Redeweise, die uns hindert, die Tatsachen unparteiisch zu sehen. Betrachte die Aussprache eines Worts durch die Darstellungsform der Schreibung! Wie leicht kann man sich da überreden, daß zwei Worte—z. B. "für" und "führ"—im täglichen Gebrauche verschiedenen Klang haben—weil man sie verschieden ausspricht, wenn man sein Augenmerk gerade auf den Unterschied ihrer Schreibung richtet. Damit zu vergleichen ist die Meinung, ein Violinspieler mit feinem Gehör greife f immer etwas höher als eis. Uberlege dir solche Fälle!—''So'' kann es geschehen, daß das Darstellungsmittel eine ''Einbildung'' erzeugt. Denken wir also nicht, wir ''müßten'' einen spezifischen seelischen Vorgang finden, weil das Verbum "verstehen" dasteht, und weil man sagt: Verstehen sei eine seelische Tätigkeit. | ||
447. Die Unruhe in der Philosophie, könnte man sagen, kommt daher, daß wir die Philosophie falsch ansehen, falsch sehen, nämlich gleichsam in (endlose) Längsstreifen zerlegt, statt in (begrenzte) Querstreifen. Diese Umstellung der Auffassung macht die ''größte'' Schwierigkeit. Wir wollen also gleichsam den unbegrenzten Streifen erfassen und klagen, daß es nicht Stück für Stück möglich ist. Freilich nicht, wenn man unter einem Stück einen endlosen Längsstreifen versteht. Wohl aber, wenn man einen Querstreifen darunter versteht.—Aber dann kommen wir ja mit unserer Arbeit wieder nicht zu Ende!—Freilich nicht, denn sie hat keins. | '''447'''. Die Unruhe in der Philosophie, könnte man sagen, kommt daher, daß wir die Philosophie falsch ansehen, falsch sehen, nämlich gleichsam in (endlose) Längsstreifen zerlegt, statt in (begrenzte) Querstreifen. Diese Umstellung der Auffassung macht die ''größte'' Schwierigkeit. Wir wollen also gleichsam den unbegrenzten Streifen erfassen und klagen, daß es nicht Stück für Stück möglich ist. Freilich nicht, wenn man unter einem Stück einen endlosen Längsstreifen versteht. Wohl aber, wenn man einen Querstreifen darunter versteht.—Aber dann kommen wir ja mit unserer Arbeit wieder nicht zu Ende!—Freilich nicht, denn sie hat keins. | ||
(Statt der turbulenten Mutmaßungen und Erklärungen wollen wir ruhige Erwägung sprachlicher Tatsachen setzen.) | (Statt der turbulenten Mutmaßungen und Erklärungen wollen wir ruhige Erwägung sprachlicher Tatsachen setzen.) | ||
448. Und sagt man denn vom Satz "Es regnet", er sage: es verhält sich so und so? Welches ist denn der alltägliche Gebrauch dieses Ausdrucks in der gewöhnlichen Sprache? Denn von diesem Gebrauch hast ja du ihn gelernt. Verwendest du ihn nun gegen seinen ursprünglichen Gebrauch und denkst, du spielest noch das alte Spiel mit ihm, so ist das, als wenn du mit Schachfiguren Dame spieltest und dir einbildetest, das Spiel habe noch etwas vom Geist des Schach. | '''448'''. Und sagt man denn vom Satz "Es regnet", er sage: es verhält sich so und so? Welches ist denn der alltägliche Gebrauch dieses Ausdrucks in der gewöhnlichen Sprache? Denn von diesem Gebrauch hast ja du ihn gelernt. Verwendest du ihn nun gegen seinen ursprünglichen Gebrauch und denkst, du spielest noch das alte Spiel mit ihm, so ist das, als wenn du mit Schachfiguren Dame spieltest und dir einbildetest, das Spiel habe noch etwas vom Geist des Schach. | ||
449. Ausdehnung eines Begriffs in einer ''Theorie'' (z. B. Wunschtraum). | '''449'''. Ausdehnung eines Begriffs in einer ''Theorie'' (z. B. Wunschtraum). | ||
450. Wer philosophiert, macht oft zu einem Wortausdruck die falsche, unpassende Geste. | '''450'''. Wer philosophiert, macht oft zu einem Wortausdruck die falsche, unpassende Geste. | ||
451. (Man sagt das ''Gewöhnliche''—mit der falschen Gebärde.) | '''451'''. (Man sagt das ''Gewöhnliche''—mit der falschen Gebärde.) | ||
452. Wie kommt es, daß die Philosophie ein so komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes Letzte von aller Erfahrung Unabhängige ist, wofür du sie ausgibst.—Die Philosophie löst Knoten auf in unserm Denken; daher muß ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst. | '''452'''. Wie kommt es, daß die Philosophie ein so komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes Letzte von aller Erfahrung Unabhängige ist, wofür du sie ausgibst.—Die Philosophie löst Knoten auf in unserm Denken; daher muß ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst. | ||
453. (Wie man manchmal eine Musik nur im innern Ohr reproduzieren kann, aber sie nicht pfeifen, weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme cines philosophischen Gedankens so leise, daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird und nicht mehr gehört werden kann, wenn man gefragt wird und reden soll.) | '''453'''. (Wie man manchmal eine Musik nur im innern Ohr reproduzieren kann, aber sie nicht pfeifen, weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme cines philosophischen Gedankens so leise, daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird und nicht mehr gehört werden kann, wenn man gefragt wird und reden soll.) | ||
454. Plato: "—Wie? sagt er, die sollte nicht nutzen? Denn wenn doch einmal die Besonnenheit die Erkenntnis der Erkenntnisse ist und den andern Erkenntnissen vorsteht, so muß sie ja auch dieser sich auf das Gute bezichenden Erkenntnis vorstehen und uns so doch nutzen.—Macht auch sie uns, sprach ich, etwa gesund und nicht die Heilkunde? Und so auch mit den andern Künsten; verrichtet sie die Geschäfte derselben und nicht viel mehr jede von ihnen das ihrige? Oder haben wir nicht lange schon eingestanden, daß sie nur der Erkenntnisse und Unkenntnisse Erkenntnis wäre und keiner anderen Sache?—Allerdings wohl.—Sie also wird uns nicht die Gesundheit bewirken?—Wohl nicht.—Weil nämlich die Gesundheit für eine andere Kunst gehört?—Ja.—Also auch nicht den Nutzen, Freund, wird sie uns bewirken. Denn auch dieses Geschäft haben wir jetzt einer andern Kunst beigelegt.—Freilich.—Wie kann also die Besonnenheit nützlich sein, wenn sie uns gar keinen Nutzen bringt?" | '''454'''. Plato: "—Wie? sagt er, die sollte nicht nutzen? Denn wenn doch einmal die Besonnenheit die Erkenntnis der Erkenntnisse ist und den andern Erkenntnissen vorsteht, so muß sie ja auch dieser sich auf das Gute bezichenden Erkenntnis vorstehen und uns so doch nutzen.—Macht auch sie uns, sprach ich, etwa gesund und nicht die Heilkunde? Und so auch mit den andern Künsten; verrichtet sie die Geschäfte derselben und nicht viel mehr jede von ihnen das ihrige? Oder haben wir nicht lange schon eingestanden, daß sie nur der Erkenntnisse und Unkenntnisse Erkenntnis wäre und keiner anderen Sache?—Allerdings wohl.—Sie also wird uns nicht die Gesundheit bewirken?—Wohl nicht.—Weil nämlich die Gesundheit für eine andere Kunst gehört?—Ja.—Also auch nicht den Nutzen, Freund, wird sie uns bewirken. Denn auch dieses Geschäft haben wir jetzt einer andern Kunst beigelegt.—Freilich.—Wie kann also die Besonnenheit nützlich sein, wenn sie uns gar keinen Nutzen bringt?" | ||
455. (Der Philosoph ist nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum Philosophen macht.) | '''455'''. (Der Philosoph ist nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum Philosophen macht.) | ||
456. Manche Philosophen (oder wie man sie nennen soll) leiden an dem, was man "loss of problems", "Problemverlust" nennen kann. Es scheint ihnen dann alles ganz einfach, und es scheinen keine tiefen Probleme mehr zu existieren, die Welt wird weit und flach und verliert jede Tiefe, und was sie schreiben, wird unendlich seicht und trivial. Russell und H. G. Wells haben dieses Leiden. | '''456'''. Manche Philosophen (oder wie man sie nennen soll) leiden an dem, was man "loss of problems", "Problemverlust" nennen kann. Es scheint ihnen dann alles ganz einfach, und es scheinen keine tiefen Probleme mehr zu existieren, die Welt wird weit und flach und verliert jede Tiefe, und was sie schreiben, wird unendlich seicht und trivial. Russell und H. G. Wells haben dieses Leiden. | ||
457. .... quia plus loquitur inquisitio quam inventio .... (Augustinus.) | '''457'''. .... quia plus loquitur inquisitio quam inventio .... (Augustinus.) | ||
458. Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchun gen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß sie den Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen verwischt. | '''458'''. Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchun gen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß sie den Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen verwischt. | ||
459. Das Fundamentale grammatisch ausgedrückt: Wie ist es mit dem Satz "man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen"? | '''459'''. Das Fundamentale grammatisch ausgedrückt: Wie ist es mit dem Satz "man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen"? | ||
460. Man kann in gewissem Sinn mit philosophischen Irrtümern nicht vorsichtig genug umgehen, sie enthalten so viel Wahrheit. | '''460'''. Man kann in gewissem Sinn mit philosophischen Irrtümern nicht vorsichtig genug umgehen, sie enthalten so viel Wahrheit. | ||
461. Ich möchte doch, daß du sagst: "Ja, es ist wahr, das könnte man sich denken, das konnte auch geschehen!" Aber wollte ich dich darauf aufmerksam machen, daß du imstande bist, dir dies vorzustellen?——Ich wollte dies Bild vor deine Augen stellen, und deine ''Anerkennung'' dieses Bildes besteht darin, daß du nun geneigt bist, einen gegebenen Fall anders zu betrachten: nämlich ihn mit ''dieser'' Bilderreihe zu vergleichen. Ich habe deine ''Anschauungsweise'' geändert. Ich habe irgendwo gelesen, daß gewissen indischen Mathematikern zum Beweis eines Satzes eine geometrische Figur dient mit den Worten: "Sieh' dies an!" Auch dies Ansehen bewirkt eine Änderung der Anschauungsweise.) | '''461'''. Ich möchte doch, daß du sagst: "Ja, es ist wahr, das könnte man sich denken, das konnte auch geschehen!" Aber wollte ich dich darauf aufmerksam machen, daß du imstande bist, dir dies vorzustellen?——Ich wollte dies Bild vor deine Augen stellen, und deine ''Anerkennung'' dieses Bildes besteht darin, daß du nun geneigt bist, einen gegebenen Fall anders zu betrachten: nämlich ihn mit ''dieser'' Bilderreihe zu vergleichen. Ich habe deine ''Anschauungsweise'' geändert. Ich habe irgendwo gelesen, daß gewissen indischen Mathematikern zum Beweis eines Satzes eine geometrische Figur dient mit den Worten: "Sieh' dies an!" Auch dies Ansehen bewirkt eine Änderung der Anschauungsweise.) | ||
462. (Die Klassifikationen der Philosophen und Psychologen: sie klassifizieren Wolken nach ihrer Gestalt.) | '''462'''. (Die Klassifikationen der Philosophen und Psychologen: sie klassifizieren Wolken nach ihrer Gestalt.) | ||
463. Zur Mathematik: "Du hast einen falschen Begriff.—Aber aufklären läßt sich die Sache nicht dadurch, daß ich gegen deine Worte wettere; sondern nur dadurch, daß ich versuche, deine Aufmerksamkeit von gewissen Ausdrücken, Illustrationen, Vorstellungen weg und auf die ''Verwendung'' der Wörter ''hin'' zu lenken." | '''463'''. Zur Mathematik: "Du hast einen falschen Begriff.—Aber aufklären läßt sich die Sache nicht dadurch, daß ich gegen deine Worte wettere; sondern nur dadurch, daß ich versuche, deine Aufmerksamkeit von gewissen Ausdrücken, Illustrationen, Vorstellungen weg und auf die ''Verwendung'' der Wörter ''hin'' zu lenken." | ||
464. Der Stammbaum der psychologischen Phänomene: ''Nicht Exaktheit'' strebe ich an, sondern Übersichtlichkeit. | '''464'''. Der Stammbaum der psychologischen Phänomene: ''Nicht Exaktheit'' strebe ich an, sondern Übersichtlichkeit. | ||
465. Die Behandlung aller dieser Erscheinungen des Seelenlebens ist mir nicht darum wichtig, weil es mir auf Vollständigkeit ankommt. Sondern, weil jede für mich auf die richtige Behandlung ''aller'' ein Licht wirft. | '''465'''. Die Behandlung aller dieser Erscheinungen des Seelenlebens ist mir nicht darum wichtig, weil es mir auf Vollständigkeit ankommt. Sondern, weil jede für mich auf die richtige Behandlung ''aller'' ein Licht wirft. | ||
466. Und nicht um Symptome handelt es sich hier, sondern um logische Kriterien. Daß diese nicht immer scharf getrennt sind, hindert nicht, daß sie getrennt sind. | '''466'''. Und nicht um Symptome handelt es sich hier, sondern um logische Kriterien. Daß diese nicht immer scharf getrennt sind, hindert nicht, daß sie getrennt sind. | ||
467. Unsere Untersuchung trachtet nicht, die eigentliche, exakte Bedeutung der Wörter zu ''finden''; wohl aber ''geben'' wir den Wörtern im Verlauf unsrer Untersuchung oft exakte Bedeutungen. | '''467'''. Unsere Untersuchung trachtet nicht, die eigentliche, exakte Bedeutung der Wörter zu ''finden''; wohl aber ''geben'' wir den Wörtern im Verlauf unsrer Untersuchung oft exakte Bedeutungen. | ||
468. "Der Mensch denkt, fürchtet sich, etc. etc.": das könnte man etwa einem antworten, der gefragt hat, welche Kapitel ein Buch über Psychologie enthalten soll. | '''468'''. "Der Mensch denkt, fürchtet sich, etc. etc.": das könnte man etwa einem antworten, der gefragt hat, welche Kapitel ein Buch über Psychologie enthalten soll. | ||
469. Denke, jemand sagt: "Der Mensch hofft." Wie hätte man dies allgemeine naturgeschichtliche Phänomen zu beschreiben?—Man könnte ein Kind beobachten und warten, bis es eines Tages Hoffnung äußert; und man könnte dann sagen: "Heute hat es zum ersten Mal gehofft". Aber das klingt doch seltsam! Obwohl es ganz natürlich wäre zu sagen "Heute hat es zum ersten Mal gesagt 'ich hoffe'". Und warum seltsam?—Man sagt doch nicht von einem Säugling, er hoffe ...., noch auch, er hoffe nicht...., und man sagt es doch vom Erwachsenen.—Nun, das tägliche Leben wird nach und nach zu dem, worin für Hoffnung Platz ist. | '''469'''. Denke, jemand sagt: "Der Mensch hofft." Wie hätte man dies allgemeine naturgeschichtliche Phänomen zu beschreiben?—Man könnte ein Kind beobachten und warten, bis es eines Tages Hoffnung äußert; und man könnte dann sagen: "Heute hat es zum ersten Mal gehofft". Aber das klingt doch seltsam! Obwohl es ganz natürlich wäre zu sagen "Heute hat es zum ersten Mal gesagt 'ich hoffe'". Und warum seltsam?—Man sagt doch nicht von einem Säugling, er hoffe ...., noch auch, er hoffe nicht...., und man sagt es doch vom Erwachsenen.—Nun, das tägliche Leben wird nach und nach zu dem, worin für Hoffnung Platz ist. | ||
Aber nun sagt man: Man kann eben nicht sicher sein, wann das Kind wirklich anfängt zu hoffen, denn Hoffnung ist ein innerer Vorgang. Welcher Unsinn! Wie weiß man denn dann überhaupt, wovon man redet? | Aber nun sagt man: Man kann eben nicht sicher sein, wann das Kind wirklich anfängt zu hoffen, denn Hoffnung ist ein innerer Vorgang. Welcher Unsinn! Wie weiß man denn dann überhaupt, wovon man redet? | ||
470. Oder könnte er ''so'' exemplifizieren: "Ich, z.B., sehe, bin nicht blind"? Auch das klingt sonderbar. | '''470'''. Oder könnte er ''so'' exemplifizieren: "Ich, z.B., sehe, bin nicht blind"? Auch das klingt sonderbar. | ||
Es wäre richtig zu sagen: "Und auch an ''mir'' kannst du die Erscheinung des Denkens, Hoffens, Sehens etc. beobachten." | Es wäre richtig zu sagen: "Und auch an ''mir'' kannst du die Erscheinung des Denkens, Hoffens, Sehens etc. beobachten." | ||
471. Die psychologischen Verben sehen, glauben, denken, wünschen bezeichnen nicht Erscheinungen. Aber die Psychologie beobachtet die Erscheinungen des Schens, Glaubens, Denkens, Wünschens. | '''471'''. Die psychologischen Verben sehen, glauben, denken, wünschen bezeichnen nicht Erscheinungen. Aber die Psychologie beobachtet die Erscheinungen des Schens, Glaubens, Denkens, Wünschens. | ||
472. Plan zur Behandlung der psychologischen Begriffe. | '''472'''. Plan zur Behandlung der psychologischen Begriffe. | ||
Psychologische Verben charakterisiert dadurch, daß die Person des Präsens durch Beobachtung zu verifizieren ist, die erste Person nicht. | Psychologische Verben charakterisiert dadurch, daß die Person des Präsens durch Beobachtung zu verifizieren ist, die erste Person nicht. | ||
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In diesem Sinne gibt es nicht Lage- oder Bewegungsempfindung. Ort der Empfindung am Leib: unterscheidet Sehen und Hören von Druck-, Temperatur-, Geschmacks- und Schmerzempfindung. | In diesem Sinne gibt es nicht Lage- oder Bewegungsempfindung. Ort der Empfindung am Leib: unterscheidet Sehen und Hören von Druck-, Temperatur-, Geschmacks- und Schmerzempfindung. | ||
473. Man muß daran denken, daß es einen Zustand der Sprache geben kann (und wohl gegeben hat), in welchem sie den allgemeinen Begriff der Sinnesempfindung nicht besitzt, aber doch Wörter, die unseren "sehen”, "hören", "schmecken" entsprechen. | '''473'''. Man muß daran denken, daß es einen Zustand der Sprache geben kann (und wohl gegeben hat), in welchem sie den allgemeinen Begriff der Sinnesempfindung nicht besitzt, aber doch Wörter, die unseren "sehen”, "hören", "schmecken" entsprechen. | ||
474. Sinneswahrnehmungen nennen wir Sehen, Hören, ..... Zwischen diesen Begriffen bestehen Analogien und Zusammenhänge; sie sind unsere Rechtfertigung für diese Zusammenfassung. | '''474'''. Sinneswahrnehmungen nennen wir Sehen, Hören, ..... Zwischen diesen Begriffen bestehen Analogien und Zusammenhänge; sie sind unsere Rechtfertigung für diese Zusammenfassung. | ||
475. Man kann also fragen: Was für Zusammenhänge und Analogien bestehen zwischen Schen und Hören? Zwischen Sehen und Greifen? Zwischen Sehen und Riechen? Etc. | '''475'''. Man kann also fragen: Was für Zusammenhänge und Analogien bestehen zwischen Schen und Hören? Zwischen Sehen und Greifen? Zwischen Sehen und Riechen? Etc. | ||
476. Und fragt man das, so rücken die Sinne für uns gleich weiter auseinander, als sie auf den ersten Blick zu liegen schienen. | '''476'''. Und fragt man das, so rücken die Sinne für uns gleich weiter auseinander, als sie auf den ersten Blick zu liegen schienen. | ||
477. Was ist den Sinneserlebnissen gemeinsam?—Die Antwort, daß sie uns die Außenwelt kennen lehren, ist eine falsche und eine richtige. Sie ist richtig, sofern sie auf ein ''logisches'' Kriterium deuten soll. | '''477'''. Was ist den Sinneserlebnissen gemeinsam?—Die Antwort, daß sie uns die Außenwelt kennen lehren, ist eine falsche und eine richtige. Sie ist richtig, sofern sie auf ein ''logisches'' Kriterium deuten soll. | ||
478. Die Dauer der Empfindung. Vergleiche die Dauer einer Tonempfindung mit der Dauer der Tastempfindung, die dich lehrt, daß du eine Kugel in der Hand hältst; und mit dem "Gefühl", das dich lehrt, daß deine Kniee gebogen sind. | '''478'''. Die Dauer der Empfindung. Vergleiche die Dauer einer Tonempfindung mit der Dauer der Tastempfindung, die dich lehrt, daß du eine Kugel in der Hand hältst; und mit dem "Gefühl", das dich lehrt, daß deine Kniee gebogen sind. | ||
479. Wir fühlen unsere Bewegungen. Ja, wir fühlen sie wirklich; die Empfindung ist nicht ähnlich einer Geschmacksemlich; die Empfindung empfindung, sondern einer Tastempfinpfindung oder einer Hitzeempfindung, sondern einer Tastem dung: der Empfindung, wenn Haut und Muskeln gedrückt, gezogen, verschoben werden. | '''479'''. Wir fühlen unsere Bewegungen. Ja, wir fühlen sie wirklich; die Empfindung ist nicht ähnlich einer Geschmacksemlich; die Empfindung empfindung, sondern einer Tastempfinpfindung oder einer Hitzeempfindung, sondern einer Tastem dung: der Empfindung, wenn Haut und Muskeln gedrückt, gezogen, verschoben werden. | ||
480. Ich fühle meinen Arm und seltsamerweise möchte ich nun sagen: ich fühle ihn im Raum in bestimmter Lage; als wäre nämlich das Körpergefühl in einem Raum in der Form des Arms verteilt, sodaß ich, um es darzustellen, den Arm etwa in Gips in seiner richtigen Lage darstellen müßte. | '''480'''. Ich fühle meinen Arm und seltsamerweise möchte ich nun sagen: ich fühle ihn im Raum in bestimmter Lage; als wäre nämlich das Körpergefühl in einem Raum in der Form des Arms verteilt, sodaß ich, um es darzustellen, den Arm etwa in Gips in seiner richtigen Lage darstellen müßte. | ||
481. Ja, es ist seltsam. Mein Unterarm liegt jetzt horizontal, und ich möchte sagen, daß ich das fühle; aber nicht so, als hätte ich ein Gefühl, das immer mit dieser Lage zusammengeht (als fühlte man etwa Blutleere oder Plethora)—sondern, als wäre eben das 'Körpergefühl' des Arms horizontal angeordnet oder verteilt, wie etwa ein Dunst oder Staubteilchen an der Oberfläche meines Armes so im Raume verteilt sind. Es ist also nicht wirklich, als fühlte ich die Lage meines Arms, sondern als fühlte ich meinen ''Arm'', und das Gefühl hätte die und die ''Lage''. D. h. aber nur: ich ''weiß'' einfach, wie er liegt—ohne es zu wissen, ''weil'' .... Wie ich auch weiß, wo ich den Schmerz empfinde—es aber nicht weiß, weil .... | '''481'''. Ja, es ist seltsam. Mein Unterarm liegt jetzt horizontal, und ich möchte sagen, daß ich das fühle; aber nicht so, als hätte ich ein Gefühl, das immer mit dieser Lage zusammengeht (als fühlte man etwa Blutleere oder Plethora)—sondern, als wäre eben das 'Körpergefühl' des Arms horizontal angeordnet oder verteilt, wie etwa ein Dunst oder Staubteilchen an der Oberfläche meines Armes so im Raume verteilt sind. Es ist also nicht wirklich, als fühlte ich die Lage meines Arms, sondern als fühlte ich meinen ''Arm'', und das Gefühl hätte die und die ''Lage''. D. h. aber nur: ich ''weiß'' einfach, wie er liegt—ohne es zu wissen, ''weil'' .... Wie ich auch weiß, wo ich den Schmerz empfinde—es aber nicht weiß, weil .... | ||
482. Es ist uns förmlich, als hätte der Schmerz einen Körper, als wäre er ein Ding, ein Körper mit Form und Farbe. Warum? Hat er die Form des schmerzenden Körperteils? Man möchte z. B. sagen: "Ich könnte den Schmerz ''beschreiben'', wenn ich nur die nötigen Worte und Elementarbedeutungen dazu hätte." Man fühlt: es fehlt einem nur die notwendige Nomenklatur. (James.) Als könnte man die Empfindung sogar malen, wenn nur der Andere diese Sprache verstünde.—Und man kann den Schmerz ja wirklich räumlich und zeitlich beschreiben. | '''482'''. Es ist uns förmlich, als hätte der Schmerz einen Körper, als wäre er ein Ding, ein Körper mit Form und Farbe. Warum? Hat er die Form des schmerzenden Körperteils? Man möchte z. B. sagen: "Ich könnte den Schmerz ''beschreiben'', wenn ich nur die nötigen Worte und Elementarbedeutungen dazu hätte." Man fühlt: es fehlt einem nur die notwendige Nomenklatur. (James.) Als könnte man die Empfindung sogar malen, wenn nur der Andere diese Sprache verstünde.—Und man kann den Schmerz ja wirklich räumlich und zeitlich beschreiben. | ||
483. (Wenn Empfindungen die Lage der Glieder und die Bewegungen charakterisieren, so ist ihr Ort jedenfalls nicht das Gelenk.) | '''483'''. (Wenn Empfindungen die Lage der Glieder und die Bewegungen charakterisieren, so ist ihr Ort jedenfalls nicht das Gelenk.) | ||
Die Lage der Glieder und ihre Bewegungen ''weiß'' man. Man kann sie z. B. angeben, wenn man gefragt wird. So wie man auch den Ort einer Empfindung (Schmerz) am Leibe weiß. | Die Lage der Glieder und ihre Bewegungen ''weiß'' man. Man kann sie z. B. angeben, wenn man gefragt wird. So wie man auch den Ort einer Empfindung (Schmerz) am Leibe weiß. | ||
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Schmerz von andern Sinnesempfindungen unterschieden durch charakteristischen Ausdruck. Dadurch verwandt der Freude (die keine Sinnesempfindung). | Schmerz von andern Sinnesempfindungen unterschieden durch charakteristischen Ausdruck. Dadurch verwandt der Freude (die keine Sinnesempfindung). | ||
484. Ist das Wortklauberei:—Freude, Genuß, Entzücken seien nicht Empfindungen?—Fragen wir uns einmal: Wieviel Analogie besteht denn zwischen dem Entzücken und dem, was wir z. B. "Sinnesempfindungen” nennen? | '''484'''. Ist das Wortklauberei:—Freude, Genuß, Entzücken seien nicht Empfindungen?—Fragen wir uns einmal: Wieviel Analogie besteht denn zwischen dem Entzücken und dem, was wir z. B. "Sinnesempfindungen” nennen? | ||
485. Das Bindeglied zwischen ihnen wäre der Schmerz. Denn sein Begriff ähnelt dem der Tastempfindung, z. B. (durch die Merkmale der Lokalisierung, echten Dauer, Intensität, Qualität) und zugleich dem der Gemütsbewegungen durch den Ausdruck (Mienen, Gebärden, Laute). | '''485'''. Das Bindeglied zwischen ihnen wäre der Schmerz. Denn sein Begriff ähnelt dem der Tastempfindung, z. B. (durch die Merkmale der Lokalisierung, echten Dauer, Intensität, Qualität) und zugleich dem der Gemütsbewegungen durch den Ausdruck (Mienen, Gebärden, Laute). | ||
486. "Ich fühle große Freude."—Wo?—Das klingt unsinnig. Und doch sagt man auch "Ich fühle eine freudige Erregung in meiner Brust."—Warum aber ist Freude nicht lokalisiert? Ist es, weil sie über den ganzen Körper verteilt ist? Auch dann ist sie nicht lokalisiert, wenn etwa das Gefühl, das sie hervorruft, dies ist; wenn wir uns etwa am Geruch einer Blume freuen. Die Freude äußert sich im Gesichtsausdruck, im Benehmen. (Aber wir sagen nicht, wir freuten uns im Gesicht.) | '''486'''. "Ich fühle große Freude."—Wo?—Das klingt unsinnig. Und doch sagt man auch "Ich fühle eine freudige Erregung in meiner Brust."—Warum aber ist Freude nicht lokalisiert? Ist es, weil sie über den ganzen Körper verteilt ist? Auch dann ist sie nicht lokalisiert, wenn etwa das Gefühl, das sie hervorruft, dies ist; wenn wir uns etwa am Geruch einer Blume freuen. Die Freude äußert sich im Gesichtsausdruck, im Benehmen. (Aber wir sagen nicht, wir freuten uns im Gesicht.) | ||
487. "Aber ich habe doch ein wirkliches ''Gefühl'' der Freude!" Ja, wenn du dich freust, so freust du dich wirklich. Und freilich ist Freude nicht freudiges Benehmen, noch auch ein Gefühl um die Mundwinkel und Augen. | '''487'''. "Aber ich habe doch ein wirkliches ''Gefühl'' der Freude!" Ja, wenn du dich freust, so freust du dich wirklich. Und freilich ist Freude nicht freudiges Benehmen, noch auch ein Gefühl um die Mundwinkel und Augen. | ||
"Aber 'Freude' bezeichnet doch etwas Inneres." Nein. "Freude" bezeichnet gar nichts. Weder Inneres noch Äußeres. | "Aber 'Freude' bezeichnet doch etwas Inneres." Nein. "Freude" bezeichnet gar nichts. Weder Inneres noch Äußeres. | ||
488. Fortsetzung der Klassifizierung der psychologischen Begriffe. | '''488'''. Fortsetzung der Klassifizierung der psychologischen Begriffe. | ||
Gemütsbewegungen. Ihnen gemeinsam echte Dauer, ein Verlauf. (Zorn flammt auf, läßt nach, verschwindet; ebenso: Freude, Depression, Furcht.) | Gemütsbewegungen. Ihnen gemeinsam echte Dauer, ein Verlauf. (Zorn flammt auf, läßt nach, verschwindet; ebenso: Freude, Depression, Furcht.) | ||
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Dies Etwas ist das Objekt, nicht die Ursache der Gemütsbewegung. | Dies Etwas ist das Objekt, nicht die Ursache der Gemütsbewegung. | ||
489. Das Sprachspiel "Ich fürchte mich" enthält schon das Objekt. | '''489'''. Das Sprachspiel "Ich fürchte mich" enthält schon das Objekt. | ||
Angst ''könnte'' man ungerichtete Furcht nennen, insofern ihre Außerungen ähnlich oder gleich denen der Furcht sind. | Angst ''könnte'' man ungerichtete Furcht nennen, insofern ihre Außerungen ähnlich oder gleich denen der Furcht sind. | ||
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Der ''Inhalt'' einer Gemütsbewegung—darunter stellt man sich so etwas vor wie ein ''Bild'' oder etwas, wovon ein Bild gemacht werden kann. (Die Finsternis der Depression, die sich auf einen herniedersenkt, die Flamme des Zornes.) | Der ''Inhalt'' einer Gemütsbewegung—darunter stellt man sich so etwas vor wie ein ''Bild'' oder etwas, wovon ein Bild gemacht werden kann. (Die Finsternis der Depression, die sich auf einen herniedersenkt, die Flamme des Zornes.) | ||
490. Man könnte auch das menschliche Gesicht ein solches Bild nennen und den ''Verlauf'' der Leidenschaft durch seine Veränderungen darstellen. | '''490'''. Man könnte auch das menschliche Gesicht ein solches Bild nennen und den ''Verlauf'' der Leidenschaft durch seine Veränderungen darstellen. | ||
491. Zum Unterschied von den Empfindungen: sie unterrichten uns nicht über die Außenwelt. (Grammatische Bemerkung.) | '''491'''. Zum Unterschied von den Empfindungen: sie unterrichten uns nicht über die Außenwelt. (Grammatische Bemerkung.) | ||
Liebe und Haß könnte man Gemütsdispositionen nennen: auch Furcht in einem bestimmten Sinne. | Liebe und Haß könnte man Gemütsdispositionen nennen: auch Furcht in einem bestimmten Sinne. | ||
492. Es ist eines, akute Furcht empfinden, und ein Anderes, jemanden 'chronisch' fürchten. Aber Furcht ist keine Empfindung. | '''492'''. Es ist eines, akute Furcht empfinden, und ein Anderes, jemanden 'chronisch' fürchten. Aber Furcht ist keine Empfindung. | ||
'Schreckliche Furcht': sind es die ''Empfindungen'', die so schrecklich sind? | 'Schreckliche Furcht': sind es die ''Empfindungen'', die so schrecklich sind? | ||
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Das Benehmen des Schmerzes und das Benehmen der Traurigkeit.—Man kann diese nur mit ihren äußeren Anlässen beschreiben. (Wenn die Mutter das Kind allein läßt, mag es vor Trauer weinen; wenn es hinfällt, vor Schmerz.) Benehmen und Art des Anlasses gehören zusammen. | Das Benehmen des Schmerzes und das Benehmen der Traurigkeit.—Man kann diese nur mit ihren äußeren Anlässen beschreiben. (Wenn die Mutter das Kind allein läßt, mag es vor Trauer weinen; wenn es hinfällt, vor Schmerz.) Benehmen und Art des Anlasses gehören zusammen. | ||
493. Es gibt furchtvolle Gedanken, hoffnungsvolle, freudige, zornige, etc. | '''493'''. Es gibt furchtvolle Gedanken, hoffnungsvolle, freudige, zornige, etc. | ||
494. Gemütsbewegungen drücken sich in Gedanken aus. Einer redet zornig, furchtsam, traurig, freudig, etc., nicht kreuzschmerzlịch. | '''494'''. Gemütsbewegungen drücken sich in Gedanken aus. Einer redet zornig, furchtsam, traurig, freudig, etc., nicht kreuzschmerzlịch. | ||
Ein Gedanke fößt mir Gemütsbewegungen (Furcht, Trauer etc.) ein, nicht Körperschmerz. | Ein Gedanke fößt mir Gemütsbewegungen (Furcht, Trauer etc.) ein, nicht Körperschmerz. | ||
495. Fast möchte ich sagen: Man fühlt die Trauer so wenig im Körper, wie das Sehen im Auge. | '''495'''. Fast möchte ich sagen: Man fühlt die Trauer so wenig im Körper, wie das Sehen im Auge. | ||
496. (Das Schreckliche an der Furcht sind nicht die Furchtempfindungen.) Diese Sache erinnert auch an das Hören eines Geräusches ''aus einer bestimmten Richtung''. Es ist beinahe, als fühlte man die Beschwerde in der Magengegend, Beklemmung des Atems, aus der Richtung der Furcht. D. h. eigentlich, daß "Mir ist schlecht vor Furcht" nicht eine ''Ursache'' der Furcht angibt. | '''496'''. (Das Schreckliche an der Furcht sind nicht die Furchtempfindungen.) Diese Sache erinnert auch an das Hören eines Geräusches ''aus einer bestimmten Richtung''. Es ist beinahe, als fühlte man die Beschwerde in der Magengegend, Beklemmung des Atems, aus der Richtung der Furcht. D. h. eigentlich, daß "Mir ist schlecht vor Furcht" nicht eine ''Ursache'' der Furcht angibt. | ||
497. "Wo spürst du den Kummer?"—In der Seele.——Was für Konsequenzen ziehen wir aus dieser Ortsangabe? Eine ist, daß wir ''nicht'' von einem körperlichen Ort des Kummers reden. Aber wir deuten ''doch'' auf unsern Leib, als wäre der Kummer in ihm. Ist das, weil wir ein körperliches Unbehagen spüren? Ich weiß die Ursache nicht. Aber warum soll ich annehmen, sie sei ein leibliches Unbehagen? | '''497'''. "Wo spürst du den Kummer?"—In der Seele.——Was für Konsequenzen ziehen wir aus dieser Ortsangabe? Eine ist, daß wir ''nicht'' von einem körperlichen Ort des Kummers reden. Aber wir deuten ''doch'' auf unsern Leib, als wäre der Kummer in ihm. Ist das, weil wir ein körperliches Unbehagen spüren? Ich weiß die Ursache nicht. Aber warum soll ich annehmen, sie sei ein leibliches Unbehagen? | ||
498. Denke dir folgende Frage: Kann man sich einen Schmerz, sagen wir von der Qualität des rheumatischen Schmerzes, denken, aber ''ohne'' Örtlichkeit? Kann man sich ihn ''vorstellen''? | '''498'''. Denke dir folgende Frage: Kann man sich einen Schmerz, sagen wir von der Qualität des rheumatischen Schmerzes, denken, aber ''ohne'' Örtlichkeit? Kann man sich ihn ''vorstellen''? | ||
Wenn du anfangst, darüber nachzudenken, so siehst du, wie sehr du das Wissen um den Ort des Schmerzes in ein Merkmal des ''Gefühlten'' verwandeln möchtest, in ein Merkmal eines Sinnesdatums, des privaten Objekts, das vor meiner Seele steht. | Wenn du anfangst, darüber nachzudenken, so siehst du, wie sehr du das Wissen um den Ort des Schmerzes in ein Merkmal des ''Gefühlten'' verwandeln möchtest, in ein Merkmal eines Sinnesdatums, des privaten Objekts, das vor meiner Seele steht. | ||
499. Wenn die Angst furchtbar ist, und wenn ich in ihr mir meiner Atmung bewußt bin und einer Spannung in meinen Gesichtsmuskeln,—sagt das, daß diese ''Gefühle'' mir furchtbar sind? Könnten sie nicht sogar eine Linderung bedeuten? (Dostojewski.) | '''499'''. Wenn die Angst furchtbar ist, und wenn ich in ihr mir meiner Atmung bewußt bin und einer Spannung in meinen Gesichtsmuskeln,—sagt das, daß diese ''Gefühle'' mir furchtbar sind? Könnten sie nicht sogar eine Linderung bedeuten? (Dostojewski.) | ||
500. Warum verwendet man aber das Wort "leiden" für die Furcht und auch für den Schmerz? Nun, es sind ja Verbindungen genug.— | '''500'''. Warum verwendet man aber das Wort "leiden" für die Furcht und auch für den Schmerz? Nun, es sind ja Verbindungen genug.— | ||
501. Auf die Außerung "Ich kann nicht ohne Furcht daran denken ...." antwortet man etwa: "Es ist kein Grund zur Furcht, denn ...." Das ist jedenfalls ''ein'' Mittel, Furcht zu beseitigen. Gegensatz zum Schmerz. | '''501'''. Auf die Außerung "Ich kann nicht ohne Furcht daran denken ...." antwortet man etwa: "Es ist kein Grund zur Furcht, denn ...." Das ist jedenfalls ''ein'' Mittel, Furcht zu beseitigen. Gegensatz zum Schmerz. | ||
502. Daß es ein Furchtkonglomerat von Empfindungen, Gedanken etc. (z. B.) gibt, heißt nicht, daß Furcht ein Konglomerat (Syndrom) ist. | '''502'''. Daß es ein Furchtkonglomerat von Empfindungen, Gedanken etc. (z. B.) gibt, heißt nicht, daß Furcht ein Konglomerat (Syndrom) ist. | ||
503. Wer im Studierzimmer sich die Trauer vormacht, der wird sich allerdings leicht der Spannungen in seinem Gesicht bewußt werden. Aber trauere wirklich, oder folge einer traurigen Handlung im Film, und frage dich, ob du dir deines Gesichts bewußt warst. | '''503'''. Wer im Studierzimmer sich die Trauer vormacht, der wird sich allerdings leicht der Spannungen in seinem Gesicht bewußt werden. Aber trauere wirklich, oder folge einer traurigen Handlung im Film, und frage dich, ob du dir deines Gesichts bewußt warst. | ||
504. Liebe ist kein Gefühl. Liebe wird erprobt, Schmerzen nicht. Man sagt nicht: "Das war kein wahrer Schmerz, sonst hätte er nicht so schnell nachgelassen". | '''504'''. Liebe ist kein Gefühl. Liebe wird erprobt, Schmerzen nicht. Man sagt nicht: "Das war kein wahrer Schmerz, sonst hätte er nicht so schnell nachgelassen". | ||
505. Ein Zusammenhang zwischen den Stimmungen und Sinneseindrücken ist, daß wir die Stimmungsbegriffe zur Beschreibung von Sinneseindrücken und Vorstellungen benützen. Wir sagen von einem Thema, ciner Landschaft, sie seien traurig, fröhlich, etc.. Aber viel wichtiger ist es natürlich, daß wir das menschliche Gesicht, die Handlung, das Benehmen durch alle Stimmungsbegriffe beschreiben. | '''505'''. Ein Zusammenhang zwischen den Stimmungen und Sinneseindrücken ist, daß wir die Stimmungsbegriffe zur Beschreibung von Sinneseindrücken und Vorstellungen benützen. Wir sagen von einem Thema, ciner Landschaft, sie seien traurig, fröhlich, etc.. Aber viel wichtiger ist es natürlich, daß wir das menschliche Gesicht, die Handlung, das Benehmen durch alle Stimmungsbegriffe beschreiben. | ||
506. Ein freundlicher Mund, ein freundliches Auge. Wie denkt man sich eine freundliche Hand?—Wahrscheinlich geöffnet und nicht als Faust.—Und könnte man sich die Haarfarbe des Menschen als Ausdruck der Freundlichkeit oder des Gegenteils denken?—Aber so gestellt, scheint dies die Frage zu sein, ob uns das ''gelingen'' kann. Die Frage sollte lauten: Wollen wir etwas eine freundliche oder unfreundliche Haarfarbe nennen? Wollten wir solchen Worten Sinn geben, so würden wir uns etwa einen Menschen denken, dessen Haare dunkel werden, wenn er zornig wird. Das Hineinlesen des bösen Ausdrucks in die dunkeln Haare aber geschähe mittels einer schon früher fertigen Idee. | '''506'''. Ein freundlicher Mund, ein freundliches Auge. Wie denkt man sich eine freundliche Hand?—Wahrscheinlich geöffnet und nicht als Faust.—Und könnte man sich die Haarfarbe des Menschen als Ausdruck der Freundlichkeit oder des Gegenteils denken?—Aber so gestellt, scheint dies die Frage zu sein, ob uns das ''gelingen'' kann. Die Frage sollte lauten: Wollen wir etwas eine freundliche oder unfreundliche Haarfarbe nennen? Wollten wir solchen Worten Sinn geben, so würden wir uns etwa einen Menschen denken, dessen Haare dunkel werden, wenn er zornig wird. Das Hineinlesen des bösen Ausdrucks in die dunkeln Haare aber geschähe mittels einer schon früher fertigen Idee. | ||
Man kann sagen: Das freundliche Auge, der freundliche Mund, das Wedeln des Hundes sind, unter andern, primäre und von cinander unabhängige Symbole der Freundlichkeit; ich meine: sie sind Teile der Phänomene, die man Freundlichkeit nennt. Will man sich andere Erscheinungen als Ausdruck der Freundlichkeit denken, so sieht man jene Symbole in sie hinein. Wir sagen "Er macht ein finsteres Gesicht"; vielleicht, weil die Augen durch die Augenbrauen stärker beschattet werden; und nun übertragen wir die Idee der Finsternis auf die Haarfarbe. | Man kann sagen: Das freundliche Auge, der freundliche Mund, das Wedeln des Hundes sind, unter andern, primäre und von cinander unabhängige Symbole der Freundlichkeit; ich meine: sie sind Teile der Phänomene, die man Freundlichkeit nennt. Will man sich andere Erscheinungen als Ausdruck der Freundlichkeit denken, so sieht man jene Symbole in sie hinein. Wir sagen "Er macht ein finsteres Gesicht"; vielleicht, weil die Augen durch die Augenbrauen stärker beschattet werden; und nun übertragen wir die Idee der Finsternis auf die Haarfarbe. |