Tagebücher 1914-1916: Difference between revisions

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Was für eine Bewandtnis hat es eigentlich mit dem menschlichen Willen? Ich will "Willen" vor allem den Träger von Gut und Böse nennen.
Was für eine Bewandtnis hat es eigentlich mit dem menschlichen Willen? Ich will "Willen" vor allem den Träger von Gut und Böse nennen.


Stellen wir uns einen Menschen vor, der keines seiner Glieder gebrauchen und daher im gewöhnlichen Sinne seinen ''Willen'' nicht betätigen könnte. Er könnte aber denken und ''wünschen'' und einem<references />
Stellen wir uns einen Menschen vor, der keines seiner Glieder gebrauchen und daher im gewöhnlichen Sinne seinen ''Willen'' nicht betätigen könnte. Er könnte aber denken und ''wünschen'' und einem Anderen seine Gedanken mitteilen. Könnte also auch durch den Anderen Böses oder Gutes tun. Dann ist klar, daß die Ethik auch für  ihn Geltung hätte, und  er im ''ethischen Sinne'' Träger eines  ''Willens'' ist.
 
Ist nun ein  prinzipieller Unterschied  zwischen  diesem Willen  und ''dem,'' der den menschlichen Körper in Bewegung  setzt?
 
Oder liegt hier der Fehler darin, daß auch schon das  ''Wünschen'' (resp. Denken) eine Handlung des Willens ist? (Und in diesem Sinne wäre allerdings der Mensch ''ohne'' Willen nicht lebendig.)
 
Ist aber ein Wesen denkbar, das nur vorstellen (etwa sehen), aber  gar nicht wollen könnte? In irgend einem Sinne scheint dies unmöglich. Wäre es aber möglich, dann könnte es auch eine Welt  geben ohne Ethik.
 
 
24. 7. 16.
 
Die Welt und das Leben sind Eins. [5.621.]
 
Das physiologische Leben ist natürlich nicht "das Leben".  Und auch nicht das psychologische. Das Leben ist die Welt.
 
Die Ethik handelt nicht von der Welt. Die Ethik muß eine Bedingung der Welt sein, wie die Logik.
 
Ethik und Aesthetik sind Eins. ''[S.'' 6.421.]
 
 
29. 7. 16.
 
Denn daß der Wunsch mit seiner Erfüllung in keinem logischen Zusammenhang steht, ist eine logische Tatsache. Und daß die Welt  des Glücklichen eine ''andere'' ist als die Welt des Unglücklichen, ist auch klar. ''[Vgl.'' 6.43.]
 
Ist sehen eine Tätigkeit?
 
Kann man gut wollen, böse wollen und nicht wollen? Oder ist nur der glücklich, der ''nicht'' will?
 
"Seinen Nächsten lieben", das hieße wollen!
 
Kann man aber wünschen und doch nicht unglücklich sein, wenn  der Wunsch nicht in Erfüllung geht? (Und  diese Möglichkeit  besteht ja immer.)
 
Ist es, nach den allgemeinen Begriffen, gut, seinem Nächsten ''nichts'' zu wünschen, weder Gutes noch Schlechtes?
 
Und doch scheint in einem gewissen Sinne das Nichtwünschen das einzig Gute zu sein.
 
Hier mache ich noch grobe Fehler! Kein Zweifel!
 
Allgemein wird angenommen, daß es böse ist, dem Anderen Unglück zu wünschen. Kann das richtig sein? Kann es schlechter  sein,  als dem Anderen Glück zu wünschen?
 
Es scheint da sozusagen darauf anzukommen, ''wie'' man wünscht.
 
Man scheint nicht mehr sagen zu können als: Lebe glücklich!
 
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen. ''[S.'' 6.43.]
 
Die Welt des Glücklichen ist ''eine glückliche Welt.''
 
Kann es also eine Welt geben, die weder glücklich noch unglücklich ist?
 
 
30. 7. 16.
 
Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines allgemeinen ethischen Gesetzes von der Form "Du sollst ... "  ist: "Und was dann, wenn ich  es nicht tue?"
 
Es ist aber klar, daß die Ethik nichts mit Strafe  und  Lohn zu tun hat. Also muß diese Frage nach den Folgen einer Handlung belanglos sein. Zum mindesten dürfen diese Folgen nicht Ereignisse sein. Denn etwas muß doch an jener Fragestellung richtig sein.  Es muß  zwar eine ''Art'' von ethischem Lohn und ethischer Strafe geben, aber diese müssen in der Handlung selbst liegen.
 
Und das ist auch klar, daß der Lohn etwas Angenehmes, die Strafe etwas Unangenehmes sein muß. [6.422.]
 
Immer wieder komme ich darauf zurück, daß einfach das glückliche Leben gut, das unglückliche schlecht ist. Und wenn ich mich ''jetzt'' frage: aber ''warum'' soll ich gerade glücklich leben, so erscheint mir das von selbst als eine tautologische Fragestellung; es scheint,  daß  sich das glückliche Leben von selbst rechtfertigt, daß es das einzig richtige Leben ''ist.''
 
Alles dies ist eigentlich in gewissem Sinne tief geheimnisvoll!!
 
''Es ist klar,'' daß sich die Ethik nicht aussprechen ''läßt''! [''Vgl.'' 6.421.]
 
Man könnte aber so sagen: Das glückliche Leben scheint in irgend einem Sinne ''harmonischer'' zu sein als das unglückliche. In welchem aber??
 
Was ist das objektive Merkmal des glücklichen, harmonischen Lebens? Da ist es wieder klar, daß es kein solches Merkmal, das sich ''beschreiben'' ließe, geben kann.
 
Dies Merkmal kann kein physisches, sondern nur ein metaphysisches, ein transcendentes sein.
 
Die Ethik ist transcendent. ''[S.'' 6.421.]
 
 
1. 8. 16.
 
Wie sich alles verhält, ist Gott.
 
Gott ist, wie sich alles verhält.
 
Nur aus dem Bewußtsein der ''Einzigkeit meines Lebens'' entspringt Religion – Wissenschaft – und Kunst.
 
 
2. 8. 16.
 
Und dieses Bewußtsein ist das Leben selber.
 
Kann es eine Ethik geben, wenn es außer mir kein Lebewesen gibt? Wenn die Ethik etwas Grundlegendes sein soll: ja!
 
Wenn ich recht habe, so genügt es nicht zum ethischen Urteil, daß eine Welt gegeben sei.
 
Die Welt ist dann an sich weder gut noch böse.
 
Denn es muß für die Existenz der Ethik gleich bleiben, ob es  auf der Welt lebende Materie gibt oder nicht. Und es ist klar, daß eine Welt, in der nur tote Materie ist, an sich weder gut noch böse ist, also kann auch die Welt der Lebewesen an  sich weder  gut noch  böse sein.
 
Gut und Böse tritt erst durch das ''Subjekt'' ein. Und das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern ist eine Grenze der Welt. ''[Vgl.'' 5.632.]
 
Man könnte (Schopenhauerisch) sagen: Die  Welt  der Vorstellung ist weder gut noch böse, sondern das wollende Subjekt.
 
Die völlige Unklarheit aller dieser Sätze ist mir bewußt.
 
Nach dem Früheren müßte also das wollende Subjekt  glücklich oder unglücklich sein, und Glück und Unglück können nicht zur Welt gehören.
 
Wie das Subjekt kein Teil der Welt ist, sondern eine Voraussetzung ihrer Existenz, so sind gut und böse Prädikate des Subjekts, nicht Eigenschaften in der Welt.
 
Ganz verschleiert ist hier das Wesen des Subjekts.
 
Ja, meine Arbeit hat sich ausgedehnt von den Grundlagen  der Logik zum Wesen der Welt.
 
 
4. 8. 16.
 
Ist nicht am Ende das vorstellende Subjekt bloßer Aberglaube?
 
Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken? ''[S.'' 5.633.]
 
Du sagst, es verhält sich hier ganz wie bei Auge und Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich ''nicht. [S.'' 5.633.]
 
Und ich glaube, daß nichts am Gesichtsfeld darauf schließen läßt, daß es von einem Auge gesehen wird. ''[Vgl.'' 5.633.]
 
 
5. 8. 16.
 
Das vorstellende Subjekt ist wohl leerer Wahn. Das wollende Subjekt aber gibt es. ''[Vgl.'' 5.631.]
 
Wäre der Wille nicht, so gäbe es auch nicht jenes Zentrum der Welt, das wir das Ich nennen, und das der Träger der Ethik ist.
 
Gut und böse ist wesentlich nur das Ich, nicht die Welt.
 
Das Ich, das Ich ist das tief Geheimnisvolle!
 
 
7. 8. 16.
 
Das Ich ist kein Gegenstand.
 
 
11. 8. 16.
 
Jedem Gegenstand stehe ich objektiv gegenüber. Dem Ich nicht.
 
Es gibt also  wirklich  eine  Art und  Weise, wie in  der Philosophie ''in einem nicht psychologischen Sinne '' vom Ich  die Rede sein  kann und muß. ''[Vgl.'' 5.641.]
 
12. 8. 16.
 
Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, daß die Welt ''meine'' Welt ist. ''[S.'' 5.641.]
 
Das Gesichtsfeld hat nämlich nicht etwa eine solche Form:
 
 
[5.6331.]
 
Das hängt damit zusammen, daß kein Teil unserer Erfahrung  a  priori ist. ''[S.'' 5.634.]
 
Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.
 
Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein. ''[S.'' 5.634.]<references />