Logisch-philosophische Abhandlung: Difference between revisions

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Ganz Analoges gilt für den Raum. Wo man z. B. sagt, es könne keines von zwei Ereignissen (die sich gegenseitig aus- schliessen) eintreten, weil ke i n e U r s a ch e vorhanden sei, warum das eine eher als das andere eintreten solle, da han- delt es sich in Wirklichkeit darum, dass man gar nicht e i n e s der beiden Ereignisse beschreiben kann, wenn nicht irgend eine Asymmetrie vorhanden ist. Und we n n eine solche Asymmetrie vorhanden i s t, so können wir diese als U r s a ch e des Eintref- fens des einen und Nicht-Eintreffens des anderen auffassen.
Ganz Analoges gilt für den Raum. Wo man z. B. sagt, es könne keines von zwei Ereignissen (die sich gegenseitig aus- schliessen) eintreten, weil ke i n e U r s a ch e vorhanden sei, warum das eine eher als das andere eintreten solle, da han- delt es sich in Wirklichkeit darum, dass man gar nicht e i n e s der beiden Ereignisse beschreiben kann, wenn nicht irgend eine Asymmetrie vorhanden ist. Und we n n eine solche Asymmetrie vorhanden i s t, so können wir diese als U r s a ch e des Eintref- fens des einen und Nicht-Eintreffens des anderen auffassen.


6.36111 Das Kant’sche Problem von der rechten und linken Hand, die man nicht zur Deckung bringen kann, besteht schon in der Ebe- ne, ja im eindimensionalen Raum, wo die beiden kongruenten Figuren ''a'' und ''b'' auch nicht zur Deckung gebracht werden kön- nen, ohne aus diesem Raum herausbewegt zu werden. Rechte und linke Hand sind tatsächlich vollkommen kongruent. Und dass man sie nicht zur Deckung bringen kann, hat damit nichts zu tun.<references />
6.36111 Das Kant’sche Problem von der rechten und linken Hand, die man nicht zur Deckung bringen kann, besteht schon in der Ebe- ne, ja im eindimensionalen Raum, wo die beiden kongruenten Figuren ''a'' und ''b'' auch nicht zur Deckung gebracht werden kön- nen, ohne aus diesem Raum herausbewegt zu werden. Rechte und linke Hand sind tatsächlich vollkommen kongruent. Und dass man sie nicht zur Deckung bringen kann, hat damit nichts zu tun.
 
[[File:TLP 6.36111.png|330px|center|link=]]Den rechten Handschuh könnte man an die linke Hand ziehen, wenn man ihn im vierdimensionalen Raum umdrehen könnte.
 
6.362           Was sich beschreiben lässt, das kann auch geschehen, und was das Kausalitätsgesetz ausschliessen soll, das lässt sich auch nicht beschreiben.
 
6.363          Der Vorgang der Induktion besteht darin, dass wir das e i n - f a ch s t e Gesetz annehmen, das mit unseren Erfahrungen in Einklang zu bringen ist.
 
6.3631 Dieser Vorgang hat aber keine logische, sondern nur eine psy- chologische Begründung.
 
Es ist klar, dass kein Grund vorhanden ist, zu glauben, es werde nun auch wirklich der einfachste Fall eintreten.
 
6.36311 Dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heisst: wir w i s s e n nicht, ob sie aufgehen wird.
 
6.37 Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht. Es gibt nur eine  l o g i - s ch e Notwendigkeit.
 
6.371           Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zu- grunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.
 
6.372          So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantast- barem stehen, wie die älteren bei Gott und dem Schicksal.
 
Und sie haben ja beide Recht, und Unrecht. Die  Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss anerkennen, während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei a l l e s erklärt.
 
6.373          Die Welt ist unabhängig von meinem Willen.
 
6.374          Auch wenn alles, was wir wünschen, geschähe, so wäre dies doch nur, sozusagen, eine Gnade des Schicksals, denn es ist kein l o g i s ch e r Zusammenhang zwischen Willen und Welt, der dies verbürgte, und den angenommenen physikalischen Zu- sammenhang könnten wir doch nicht selbst wieder wollen.
 
6.375          Wie es nur eine l o g i s ch e Notwendigkeit gibt, so gibt es auch nur eine l o g i s ch e Unmöglichkeit.
 
6.3751 Dass z. B. zwei Farben zugleich an einem Ort des Gesichtsfel- des sind, ist unmöglich und zwar logisch unmöglich, denn es ist durch die logische Struktur der Farbe ausgeschlossen.
 
Denken wir daran, wie sich dieser Widerspruch in der Phy- sik darstellt: Ungefähr so, dass ein Teilchen nicht zu gleicher Zeit zwei Geschwindigkeiten haben kann; das heisst, dass es nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann; das heisst, dass Teilchen an verschiedenen Orten zu Einer Zeit nicht identisch sein können.
 
(Es ist klar, dass das logische Produkt zweier Elementar- sätze weder eine Tautologie noch eine Kontradiktion sein kann. Die Aussage, dass ein Punkt des Gesichtsfeldes zu gleicher Zeit zwei verschiedene Farben hat, ist eine Kontradiktion.)
 
6.4 Alle Sätze sind gleichwertig.
 
6.41               Der Sinn der Welt muss ausserhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles wie es ist und geschieht alles wie es geschieht; es gibt i n ihr keinen Wert—und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert.
 
Wenn es einen Wert gibt, der Wert hat, so muss er ausser- halb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig.
 
Was es nicht-zufällig macht, kann nicht i n der Welt liegen, denn sonst wäre dies wieder zufällig.
 
Es muss ausserhalb der Welt liegen.
 
6.42              Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken.
 
6.421     Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt. Die Ethik ist transcendental.
 
(Ethik und Aesthetik sind Eins.)
 
6.422 Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines ethischen Gesetzes von der Form „du sollst ''. . . .''“ ist: Und was dann, wenn ich es nicht tue? Es ist aber klar, dass die Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinne zu tun hat. Also muss diese Frage nach den Fo l g e n einer Handlung belanglos sein.—Zum Mindesten dürfen diese Folgen nicht Ereignisse sein. Denn et- was muss doch an jener Fragestellung richtig sein. Es muss zwar eine Art von ethischem Lohn und ethischer Strafe geben, aber diese müssen in der Handlung selbst liegen.
 
(Und das ist auch klar, dass der Lohn etwas Angenehmes, die Strafe etwas Unangenehmes sein muss.)
 
6.423 Vom Willen als dem Träger des Ethischen kann nicht gesprochen werden.
 
Und der Wille als Phänomen interessiert nur die Psycholo- gie.
 
6.43 Wenn  das gute oder böse Wollen  die Welt ändert, so kann  es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann.
 
Kurz, die Welt muss dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muss sozusagen als Ganzes abnehmen oder zuneh- men.
 
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Un- glücklichen.
 
6.431 Wie auch beim Tod die Welt sich nicht ändert, sondern auf- hört.
 
6.4311 Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.
 
Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, son- dern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.
 
Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld gren- zenlos ist.
 
6.4312 Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heisst also ihr ewiges Fortleben auch nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst, dass ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt a u s s e r h a l b von Raum und Zeit.
 
(Nicht Probleme der Naturwissenschaft sind ja zu lösen.)
 
6.432 W i e die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht i n der Welt.
 
6.4321 Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.
 
6.44               Nicht w i e die Welt ist, ist das Mystische, sondern d a s s sie ist.
 
6.45               Die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschau- ung als—begrenztes—Ganzes.
 
Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mysti- sche.
 
6.5 Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen.
 
D a s R ä t s e l gibt es nicht.
 
Wenn sich eine Frage überhaupt stellen lässt, so ka n n sie auch beantwortet werden.
 
6.51               Skeptizismus ist n i cht unwiderleglich, sondern offenbar unsin- nig, wenn er bezweifeln will, wo nicht gefragt werden kann.
 
Denn Zweifel kann nur bestehen, wo eine Frage besteht; eine Frage nur, wo eine Antwort besteht, und diese nur, wo etwas g e s a g t werden ka n n.
 
6.52              Wir fühlen, dass selbst, wenn alle m ö g l i ch e n wissenschaft- lichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.
 
6.521 Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Ver- schwinden dieses Problems.
 
(Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand.)
 
6.522 Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies z e i g t sich, es ist das Mystische.
 
6.53               Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft—also etwas, was mit Philosophie  nichts zu tun hat—, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend—er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten—aber s i e wäre die einzig streng richtige.
 
6.54               Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich ver- steht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie—auf ihnen—über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)
 
Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.
 
7                     Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.<references />