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Liegen die Systeme in ''unserer'' Natur oder in der Natur der Dinge? Wie soll man's sagen?—''Nicht'' in der Natur der Zahlen oder Farben.
Liegen die Systeme in ''unserer'' Natur oder in der Natur der Dinge? Wie soll man's sagen?—''Nicht'' in der Natur der Zahlen oder Farben.
358. Hat denn dieses System etwas Willkürliches? Ja und nein. Es ist mit Willkürlichem verwandt und mit Nichtwillkürlichem.
359. Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß man nichts als Zwischenfarben von rot und grün erkennen will. (Und ob es mir immer so eingeleuchtet oder erst nach Erfahrung und Erzichung, ist gleichgültig.)
360. ‘a ist zwischen b und c, und dem b näher als dem c', dies ist eine charakteristische Relation zwischen Empfindungen gleicher Art. D. h., es gibt z. B. ein Sprachspiel mit dem Befehl "Erzeuge eine Empfindung zwischen ''dieser'' und ''dieser'', und der ersten näher als der zweiten!" Und auch "Nenne zwei Empfindungen, zwischen welchen ''diese'' liegt".
361. Und da ist es wichtig, daß man z. B. bei ''Grau'' "Schwarz und Weib" zur Antwort kriegen wird; bei ''Violett'' "Blau und Rot", bei ''Rosa'' "Rot und Weiß” etc.; aber ''nicht'' bei ''Olivegrün'' “Rot und Grün".
362. Die Leute kennen ein Rötlichgrün.—"Aber es ''gibt'' doch gar keins!"—Welch sonderbarer Satz.—(Wie weißt du's nur?)
363. Sagen wir's doch einmal so: Müssen denn diese Leute die Diskrepanz merken? Vielleicht sind sie zu stumpf dazu. Und dann wieder: vielleicht auch nicht.—
364. Ja aber hat denn die Natur hier gar nichts mitzureden?! Doch—nur macht sie sich auf andere Weise hörbar.
"Irgendwo wirst du doch an Existenz und nicht-Existenz anrennen!" Das heißt aber doch an ''Tatsachen'', nicht an Begriffe.
365. Es ist eine Tatsache von der höchsten Wichtigkeit, daß eine Farbe, die wir (z. B.) "rötlichgelb” zu nennen geneigt sind, sich wirklich durch Mischung (auf verschiedene Weise) von Rot und Gelb erzeugen läßt. Und daß wir nicht im Stande sind, eine Farbe, die durch Mischen von Rot und Grün entstanden ist, ohne Weiteres als eine zu erkennen, die sich so erzeugen läßt. (Was aber bedeutet "ohne Weiteres” hier?)
366. Verwirrung der Geschmäcke: Ich sage "Das ist süß", der Andere "Das ist sauer" u. s. f. Einer kommt daher und sagt: "Ihr habt alle keine Ahnung, wovon ihr sprecht. Ihr wißt gar nicht mehr, was ihr einmal einen Geschmack genannt habt." Was wäre das Zeichen dafür, daß wir's noch wissen? (Hängt mit einer Frage über eine Verwirrung im Rechnen zusammen.)
367. Aber könnten wir nicht auch in dieser 'Verwirrung' ein Sprachspiel spielen?—Aber ist es noch das Frühere?—
368. Denken wir uns Menschen, die eine Zwischenfarbe von Rot und Gelb z. B., durch eine Art binären Dezimalbruch so ausdrücken: R,LLRL u. dergl., wo auf der rechten Seite z. B. Gelb steht, auf der linken Rot.—Diese Leute lernen schon im Kindergarten, Farbtöne in dieser Weise beschreiben, nach solchen Beschreibungen Farben auszuwählen, zu mischen etc. Sie verhielten sich zu uns ungefähr, wie Leute mit absolutem Gehör zu Leuten, denen dies fehlt. ''Sie können tun'', was wir nicht können.
369. Und hier möchte man sagen: "Ist das denn aber auch vorstellbar? Ja, das ''Benehmen'' wohl! Aber auch der innere Vorgang, das Farberlebnis?" Und was man auf so eine Frage sagen soll, ist schwer zu sehen. Hätten die, die kein absolutes Gehör haben, vermuten können, es werde auch Leute mit absolutem Gehör geben?
370. Der Glanz oder die Spiegelung: Wenn ein Kind malt, so wird es diese nie malen. Ja, es ist beinahe schwer zu glauben, daß sie durch die gewöhnlichen Öl- oder Wasserfarben dargestellt werden können.
371. Wie würde eine Gesellschaft von lauter tauben Menschen aussehen? Wie, eine Gesellschaft von 'Geistesschwachen'? ''Wichtige Frage!'' Wie also eine Gesellschaft, die viele unserer gewöhnlichen Sprachspiele nie spielte?
372. Den Schwachsinnigen stellt man sich unter dem Bild des Degenerierten, wesentlich Unvollständigen, gleichsam Zerlumpten vor. Also unter dem der Unordnung statt der primitiveren Ordnung (welches eine weit produktivere Anschauungsart wäre).
Wir sehen eben nicht eine ''Gesellschaft'' solcher Menschen.
373. Andere, obgleich den unsern verwandte Begriffe könnten uns ''sehr'' seltsam erscheinen; Abweichungen nämlich vom Gewohnten ''in ungewohnter Richtung''.
374. Festbegrenzte Begriffe würden eine Gleichförmigkeit des Verhaltens fordern. Aber wo ich ''sicher'' bin, ist der Andere unsicher. Und das ist eine Naturtatsache.
375. Dies sind die festen Schienen, auf denen all unser Denken verläuft, und also nach ihnen auch unser Urteilen und Handeln.
376. Dort z. B., wo es einen Typus nur selten gibt, wird der Begriff dieses Typus nicht gebildet. Die Leute berührt ''dies'' nicht als eine Einheit, als ein bestimmtes Gesicht.
377. Sie machen davon nicht ein Bild und erkennen es von Fall zu Fall wieder.
378. Muß der Begriff der Bescheidenheit oder der Prahlerei überall bekannt sein, wo es bescheidene und prahlerische Menschen gibt? Es liegt ihnen vielleicht dort nichts an dieser Unterscheidung.
Uns sind ja auch manche Unterschiede unwichtig und könnten uns wichtig sein.
379. Und Andere haben Begriffe, die unsere Begriffe durchschneiden.
380. Ein Stamm hat zwei Begriffe, verwandt unserm 'Schmerz'. Der eine wird bei sichtbaren Verletzungen angewandt und ist mit Pflege, Mitleid etc. verknüpft. Den andern wenden sie bei Magenschmerzen z. B. an, und er verbindet sich mit Belustigung über den Klagenden. "Aber merken sie denn wirklich nicht die Ähnlichkeit?"—Haben wir denn überall einen Begriff, wo eine Ähnlichkeit besteht? Die Frage ist: Ist ihnen die Ähnlichkeit ''wichtig''? Und muß sie's ihnen sein? Und warum sollte nicht ihr Begriff unsern Begriff 'Schmerz' schneiden?
381. Aber übersieht dieser dann nicht etwas, was da ist?—Er nimmt davon keine Notiz; und warum sollte er?—Aber dann ist ja eben sein Begriff grundverschieden von dem unsern.—''Grund''verschieden? Verschieden.—Aber es ist dann doch, als ob sein Wort nicht ''dasselbe bezeichnen'' könnte wie unseres. Oder nur einen Teil davon.—Aber so muß es ja auch ausschauen, wenn sein Begriff verschieden ist. Denn die Unbestimmtheit unseres Begriffs kann sich ja für uns in den ''Gegenstand'' projezieren, den das Wort bezeichnet. So dab, fehlte die Unbestimmtheit, auch nicht 'dasselbe gemeint' wäre. Das Bild, das wir verwenden, versinnbildlicht die Unbestimmtheit.
382. In der Philosophie darf man keine Denkkrankheit ''abschneiden''. Sie muß ihren natürlichen Lauf gehen, und die ''langsame'' Heilung ist das Wichtigste. (Daher die Mathematiker so schlechte Philosophen sind.)
383. Denk dir, es würden die Leute eines Stammes von früher Jugend dazu erzogen, ''keinerlei'' Gemütsausdruck zu zeigen. Er ist für sie etwas Kindisches, das abzutun sei. Die Abrichtung sei streng. Man redet von 'Schmerzen' nicht; schon erst recht nicht in der Form einer Vermutung "Vielleicht hat er doch ....". Klagt jemand, so wird er verlacht oder gestraft. Den Verdacht der Verstellung gibt es gar nicht. Klagen ist sozusagen schon Verstellung
384. "Verstellen", könnten jene Leute sagen, "was für ein lächerlicher Begriff!" (Als unterschiede man einen Mord mit ''einer'' Kugel von einem mit drei Kugeln.)
385. Klagen ist schon so schlimm, daß es das Schlimmere der Verstellung gar nicht mehr gibt. 386. Die eine Schande steht ihnen vor der andern, diese können sie nicht sehen.
387. Ich will sagen: eine ganz andere Erziehung als die unsere könnte auch die Grundlage ganz anderer Begriffe sein.
388. Denn es würde hier das Leben anders verlaufen.—Was uns interessiert, würde ''sie'' nicht interessieren. Andere Begriffe wären da nicht mehr unvorstellbar. Ja, ''wesentlich'' andere Begriffe sind nur so vorstellbar.
389. Man könnte [jemanden] doch einfach lehren, den Schmerz (z. B.) zu mimen (nicht in der Absicht zu betrügen). Aber wäre es jedem beizubringen? Ich meine: Er könnte ja wohl erlernen, gewisse rohe Schmerzzeichen von sich zu geben, ohne aber je