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541. Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens. | 541. Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens. | ||
542. "Falsch aufgezäumt" kann man von einer Erklärung sagen, wie dieser: Wir pflegten den Andern, weil wir nach Analogie des eigenen Falles glaubten, auch er habe ein Schmerzerlebnis.—Statt zu sagen: Lerne also aus diesem besondern Kapitel des menschlichen Benchmens—aus dieser Sprachverwendung—eine neue Seite. | |||
543. Zu meinem Begriff gehört hier mein Verhältnis zur Erscheinung. | |||
544. Wenn wir dem Arzt mitteilen, wir hätten Schmerzen—in welchen Fällen ist es nützlich, daß er sich einen Schmerz vorstelle?—Und geschieht dies nicht auf sehr mannigfache Weise? (So mannigfach, wie sich an einen Schmerz erinnern.) (Wissen, wie ein Mensch ausschaut.) | |||
545. Angenommen, es erklärt einer, wie ein Kind den Gebrauch des Wortes "Schmerz" lernt, in dieser Weise: Wenn das Kind sich bei bestimmten Anlässen so und so benimmt, denke ich, es fühle, was ich in solchen Fällen fühle; und wenn es so ist, so assoziiert das Kind das Wort mit seinem Gefühl und gebraucht das Wort, wenn das Gefühl wieder auftritt.——''Was'' erklärt diese Erklärung? Frage dich: ''Welche'' Art der Unwissenheit behebt sie?-Sicher sein, daß der Andre Schmerzen hat, zweifeln, ob er sie hat, u. s. f., sind soviele natürliche instinktive Arten des Verhältnisses zu den andern Menschen, und unsre Sprache ist nur ein Hilfsmittel und weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benchmens. (Denn unser ''Sprachspiel'' ist Benehmen.) (Instinkt.) | |||
546. "Ich bin nicht sicher, ob er Schmerzen hat."—Wenn sich nun einer immer, wenn er dies sagt, mit einer Nadel stache, um die Bedeutung des Wortes "Schmerz" lebhaft vor der Seele zu haben, (um sich nicht mit der Vorstellung begnügen zu müssen) und zu wissen, worüber er beim Andern im Zweifel ist!—Wäre nun der Sinn seiner Aussage gesichert? | |||
547. Er hat also den wahren Schmerz; und der Besitz ''dieses'' ist es, was er beim Andern bezweifelt.—Aber wie macht er das nur?——Es ist, als sagte man mir: "Hier hast du einen Sessel. Sichst du ihn genau?—Gut—nun übertrage ihn ins Französische!" | |||
548. Er hat also den wirklichen Schmerz, und nun weiß er, was er beim Andern bezweifeln soll. Er hat den Gegenstand vor sich, und es ist ''kein'' 'Benehmen' oder dergleichen. (Aber jetzt!) Zum Bezweifeln, ob der Andre Schmerzen hat, braucht er den ''Begriff'' 'Schmerz', nicht Schmerzen. | |||
549. Die Äußerung der Empfindung eine ''Behauptung'' zu nennen, ist dadurch irreführend, daß mit dem Wort "Behauptung" die 'Prüfung', die 'Begründung', die 'Bestätigung', die 'Entkräftung' der Behauptung im Sprachspiel verbunden ist. | |||
550. Wozu dient etwa die Aussage: "Ich ''habe'' doch etwas, wenn ich Schmerzen habe"? | |||
551. "Der Geruch ist herrlich!" Ist ein Zweifel darüber, daß der Geruch es ist, der herrlich ist? | |||
So ist es eine Eigenschaft des Geruches?—Warum nicht? Es ist eine Eigenschaft der Zehn, durch zwei teilbar zu sein und auch, die Zahl meiner Finger zu sein. | |||
Es könnte aber eine Sprache geben, in der die Leute nur die Augen schließen und sagen "Oh, dieser Geruch!" und es keinen Subjekt-Prädikat-Satz gibt, der dem äquivalent ist. Das ist eben eine 'spezifische' Reaktion. | |||
552. Zu dem Sprachspiel mit den Worten "er hat Schmerzen" gehört—möchte man sagen—nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes.—Aber hier muß man sich in Acht nehmen: Denke an mein Beispiel von den privaten Tabellen, die nicht zum ''Spiel'' gehören.—Es entsteht der Eindruck der 'privaten Tabelle' im Spiel durch die ''Abwesenheit'' einer Tabelle und durch die Ähnlichkeit des Spiels mit einem solchen, das mit einer Tabelle gespielt wird. | |||
553. Bedenke: Wir gebrauchen das Wort "Ich weiß nicht” oft in seltsamer Weise; wenn wir z. B. sagen, wir wissen nicht, ob dieser wirklich mehr fühlt als der Andere, oder es nur stärker zum Ausdruck bringt. Es ist dann nicht klar, welche Art der Untersuchung die Frage entscheiden könnte. Natürlich ist die Außerung nicht ganz müßig: Wir wollen sagen, daß wir wohl die Gefühle des A und des B miteinander vergleichen können, aber uns die Umstände an einem Vergleich des A mit dem C irre werden lassen. | |||
554. Nicht darauf sehen wir, daß die Evidenz das Gefühl (also das Innere) des Andern ''nur'' wahrscheinlich macht, sondern darauf, daß wir ''dies'' als ''Evidenz'' für irgend etwas Wichtiges betrachten, daß wir auf ''diese'' verwickelte Art der Evidenz ein Urteil gründen, daß ''sie'' also in unserm Leben eine besondere Wichtigkeit hat und durch einen Begriff herausgehoben wird. (Das Innere und 'Äußere', ein ''Bild''.) | |||
555. Die 'Unsicherheit' bezieht sich eben nicht auf den besondern Fall, sondern auf die Methode, auf die Regeln der Evidenz. | |||
556. Die Unsicherheit hat ihren Grund nicht darin, daß er seine Schmerzen nicht außen am Rock trägt. Und es ist auch gar keine Unsicherheit ''in jedem besonders Fall''. Wenn die Grenze zwischen zwei Ländern strittig wäre, würde daraus folgen, daß die Landesangehörigkeit jedes einzelnen Bewohners fraglich wäre? | |||
557. Denke, Leute könnten das Funktionieren des Nervensystems im Andern beobachten. Sie unterschieden dann echte und geheuchelte Empfindung in sicherer Weise.—Oder könnten sie doch wieder daran zweifeln, daß der Andere bei diesen Zeichen etwas spürt?—Man könnte sich jedenfalls leicht vorstellen, daß, was sie da sehen, ihr Verhalten ohne alle Skrupel bestimmt. | |||
Und nun kann man dies doch auf das äußere Benehmen übertragen. | |||
Diese Beobachtung bestimmt ihr Verhalten gegen den Andern vollkommen und ein Zweifel kommt nicht auf. | |||
558. Es gibt wohl den Fall, daß einer mir später sein Innerstes durch ein Geständnis aufschließt: aber, daß es so ist, kann mir nicht das Wesen von Außen und Innen erklären, denn ich muß ja dem Geständnis doch Glauben schenken. | |||
Das Geständnis ist ja auch etwas Äußeres. | |||
559. Besieh dir Leute, die auch unter diesen Umständen zweifeln; und solche, die nicht zweifeln. | |||
560. Nur Gott sieht die geheimsten Gedanken. Aber warum sollen diese so wichtig sein? Manche sind wichtig, nicht alle. Und müssen alle Menschen sie für wichtig halten? |