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560. Nur Gott sieht die geheimsten Gedanken. Aber warum sollen diese so wichtig sein? Manche sind wichtig, nicht alle. Und müssen alle Menschen sie für wichtig halten?
560. Nur Gott sieht die geheimsten Gedanken. Aber warum sollen diese so wichtig sein? Manche sind wichtig, nicht alle. Und müssen alle Menschen sie für wichtig halten?
561. ''Eine'' Art der Unsicherheit wäre die, die wir auch einem uns unbekannten Mechanismus entgegenbringen könnten. Bei der andern würden wir uns möglicherweise an eine Begebenheit in unserm Leben erinnern. Es könnte z. B. sein, daß einer, der gerade der Todesangst entronnen ist, sich davor scheuen würde, eine Fliege zu erschlagen und es sonst ohne Bedenken täte. Oder anderseits, daß er mit diesem Erlebnis vor Augen, das zögernd tut, was er sonst ohne Zögern täte.
562. Auch wenn ich 'nicht sicher in meinem Mitleid ruhe', muß ich nicht an die Ungewißheit seines spätern Benehmens denken.
563. Die eine Unsicherheit geht sozusagen von dir aus, die andere von ihm.
Von der einen könnte man also doch sagen, sie hinge mit einer Analogie zusammen, von der Andern nicht. Aber nicht, als ob ich aus der Analogie einen Schluß zöge!
564. Wenn ich aber zweifle, ob eine Spinne wohl Schmerz empfindet, dann ist es nicht, weil ich nicht weiß, was ich mir zu erwarten habe.
565. Wir können aber nicht umhin, uns das Bild vom seelischen Vorgang zu machen. Und ''nicht'', weil wir ihn von uns her kennen!
566. Könnte nicht das Verhalten, Benehmen des Vertrauens ganz allgemein unter einer Gruppe von Menschen bestehen? So daß ihnen ein Zweifel an Gefühlsäußerungen ganz fremd ist?
567. Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, insofern man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, schilderte. Nicht, was ''einer jetzt'' tut, eine einzelne Handlung, sondern das ganze Gewimmel der menschlichen Handlungen, der Hintergrund, worauf wir jede Handlung sehen, bestimmt unser Urteil, unsere Begriffe und Reaktionen.
568. Wenn das Leben ein Teppich wäre, so ist dies Muster (der Verstellung z. B.) nicht immer vollständig und vielfach variiert. Aber wir, in unserer Begriffswelt, sehen immer wieder das Gleiche mit Variationen wiederkehren. So fassen es unsere Begriffe auf. Die Begriffe sind ja nicht für einmaligen Gebrauch.
569. Und ein Muster ist im Teppich mit vielen andern Mustern verwoben.
570. "So ''kann'' man sich nicht verstellen."—Und das kann eine Erfahrung sein,—daß nämlich niemand, der sich so benimmt, sich später so und so benehmen werde; aber auch eine begriffliche Feststellung ("Das wäre nicht mehr Verstellung"); und die beiden können zusammenhängen.
Das kann man nicht mehr "Verstellung" nennen.
(Denn man hätte nicht gesagt, die Planeten ''müssen'' sich in Kreisen bewegen, wenn es nicht geschienen hätte, ''daß'' sie sich in Kreisen bewegen.)
(Vergleiche: "So kann man nicht reden ohne zu denken", "So kann man nicht unwillkürlich handeln.")
571. "Könntest du dir nicht eine weitere Umgebung denken, in der auch das noch als Verstellung zu deuten wäre?" Muß nicht jedes Benchmen sich so deuten lassen?
Aber was heißt es: daß alles Benehmen noch immer Verstellung sein ''könnte''? Hat denn Erfahrung uns das gelehrt? Und wie können wir anders über Verstellung unterrichtet sein? Nein es ist eine Bemerkung über den Begriff 'Verstellung'. Aber da wäre ja dieser Begriff unbrauchbar, denn die Verstellung hätte keine Kriterien im Benehmen.
572. Liegt hier nicht etwas Ähnliches vor, wie das Verhältnis der euklidischen Geometrie zur Sinneserfahrung? (Ich meine: es sei eine tiefgehende Ähnlichkeit vorhanden. Denn auch die euklidische Geometrie entspricht ja der Erfahrung nur in einer durchaus nicht leicht verständlichen Weise, und nicht etwa nur wie das Exaktere dem Unexakteren.
573. Es gibt doch im Benehmen Vertrauen und Mißtrauen!
Klagt einer z. B., so kann ich mit völliger Sicherheit vertrauensvoll reagieren, oder unsicher und wie einer, der Verdacht hat. Es braucht dazu keine Worte noch Gedanken.
574. Ist das, wovon er sagt, er habe es, und wovon ich sage, ich habe es, ohne daß wir dies aus irgendeiner Beobachtung erschließen,—ist es dasselbe, wie das, was wir aus der Beobachtung des Benehmens des Andern und aus seiner Überzeugungs''äußerung'' entnehmen?
575. Kann man sagen: Ich ''schließe'', daß er handeln wird, wie ''er'' zu handeln ''beabsichtigt''?
(Fall der falschen Geste.)
576. Warum schließe ich nie von meinen Worten auf meine wahrscheinlichen Handlungen? Aus demselben Grunde, aus welchem ich nicht von meinem Gesichtsausdruck auf mein wahrscheinliches Benchmen schließe.—Denn nicht das ist das Interessante, daß ich nicht aus meinem Ausdruck der Gemütsbewegung auf meine Gemütsbewegung schließe, sondern, daß ich aus jenem Ausdruck auch nicht auf mein späteres Verhalten schließe, wie dies doch die Andern tun, die mich beobachten.
577. Willkürlich sind gewisse Bewegungen mit ihrer normalen ''Umgebung'' von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln. Bewegungen, von denen es Sinn hat zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umgebung
578. Wenn einer uns nun sagte, ''er'' esse unwillkürlich,—welche Evidenz würde mich dies glauben machen?
579. Man ruft sich ein Niesen oder einen Hustenanfall hervor, aber nicht eine willkürliche Bewegung. Und der Wille ruft das Niesen nicht hervor und auch nicht das Gehen.
580. Mein Ausdruck kam daher, daß ich mir das Wollen als ein Herbeiführen dachte,—aber nicht als ein Verursachen, sondern—ich möchte sagen—als ein direktes, nicht-kausales Herbeiführen. Und dieser Idee liegt die Vorstellung zu Grunde, daß der kausale Nexus die Verbindung zweier Maschinenteile durch einen Mechanismus, etwa eine Reihe von Zahnrädern ist.
581. Ist "Ich tue mein Möglichstes” die Äußerung eines Erlebnisses?—''Ein'' Unterschied: Man sagt "Tue dein Möglichstes!"
582. Wenn einer mich auf der Straße trifft und fragt "Wohin gehst du?" und ich antworte "Ich weiß es nicht", so nimmt er an, ich habe keine bestimmte ''Absicht''; nicht, ich wisse nicht, ob ich meine Absicht werde ausführen können. (Hebel.)"