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582. Wenn einer mich auf der Straße trifft und fragt "Wohin gehst du?" und ich antworte "Ich weiß es nicht", so nimmt er an, ich habe keine bestimmte ''Absicht''; nicht, ich wisse nicht, ob ich meine Absicht werde ausführen können. (Hebel.)"
582. Wenn einer mich auf der Straße trifft und fragt "Wohin gehst du?" und ich antworte "Ich weiß es nicht", so nimmt er an, ich habe keine bestimmte ''Absicht''; nicht, ich wisse nicht, ob ich meine Absicht werde ausführen können. (Hebel.)"
583. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Einer Linie unwillkürlich folgen——Einer Linie mit Absicht folgen.
Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Eine Linie mit Bedacht und großer Aufmerksamkeit nachzichen——Aufmerksam beobachten, wie meine Hand einer Linie folgt.
584. Gewisse Unterschiede sind leicht anzugeben. Einer liegt im Voraussehen dessen, was die Hand tun wird.
585. Die Erfahrung: neue Erfahrung kennen zu lernen. Etwa beim Schreiben. Wann sagt man, man habe eine neue Erfahrung kennen gelernt? Wie gebraucht man so einen Satz?
586. Das Schreiben ist gewiß eine willkürliche Bewegung, und doch eine automatische. Und von einem Fühlen jeder Schreibbewegung ist natürlich nicht die Rede. Man fühlt etwas, aber könnte das Gefühl unmöglich zergliedern. Die Hand schreibt; sie schreibt nicht, weil man will, sondern man will, was sie schreibt.
Man sieht ihr nicht erstaunt oder mit Interesse beim Schreiben zu; denkt nicht "Was wird sie nun schreiben?" Aber nicht, weil man eben wünschte, sie solle das schreiben. Denn, daß sie schreibt, was ich wünsche, könnte mich ja erst recht in Erstaunen versetzen.
587. Das Kind lernt gehen, kriechen, spielen. Es lernt nicht, willkürlich und unwillkürlich spielen. Aber was macht die Bewegungen des Spiels zu willkürlichen Bewegungen?—Wie wäre es denn, wenn sie unwillkürlich wären?—Ich könnte ebensowohl fragen: Was macht denn diese Bewegung zu einem Spielen?—Ihr Charakter und ihre Umgebung.
588. Aktiv und passiv. Kann man es befehlen oder nicht? Dies scheint vielleicht eine weithergeholte Unterscheidung, ist es aber nicht. Es ist ähnlich wie: "Kann man sich (''logische'' Möglichkeit) dazu entschließen oder nicht?"—Und das heißt: Wie ist es von Gedanken, Gefühlen etc. umgeben?
589. "Wenn ich mich anstrenge, ''tue'' ich doch etwas, habe doch nicht bloß eine Empfindung." Und so ist es auch; denn man befiehlt einem: "Streng dich an!" und er kann die Absicht äußern "Ich werde mich jetzt anstrengen". Und wenn er sagt "Ich kann nicht mehr!"—so heißt das nicht "Ich kann das Gefühl in meinen Gliedern—den Schmerz z. B.—nicht länger ertragen".—Andererseits aber ''leidet'' man unter der Anstrengung wie unter Schmerzen. "Ich bin gänzlich erschöpft"—wer das sagte, sich aber so frisch bewegte wie je, den würde man nicht verstehen.
590. Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt, so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger), sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem.
591. Mein Benchmen ist eben manchmal Gegenstand meiner Beobachtung, aber doch ''selten''. Und das hängt damit zusammen, daß ich mein Benehmen beabsichtige. Selbst wenn der Schauspieler im Spiegel seine eigenen Mienen beobachtet, oder der Musiker genau auf jeden Ton seines Spiels merkt und ihn beurteilt, so geschicht es doch, um seine Handlung danach zu richten.
592. Was heißt es z. B., daß Selbstbeobachtung mein Handeln, meine Bewegungen unsicher macht?
Ich kann mich nicht unbeobachtet beobachten. Und ich beobachte mich nicht zu dem gleichen Zweck wie den Andern.
593. Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!”
594. Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Außerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Uberlegens und seine Wirkungen.
595. Wie könnte ich mir beweisen, daß ich meinen Arm willkürlich bewegen kann? Etwa, indem ich mir sage "Ich werde ihn jetzt bewegen" und er sich nun bewegt? Oder soll ich sagen "Einfach, indem ich ihn bewege"? Aber wie weiß ich, daß ich es getan habe, und er sich nicht nur durch Zufall bewegt hat? Fühle ich es am Ende doch? Und wie, wenn mich meine Erinnerung an frühere Gefühle täuschte, und es also gar nicht die richtigen maßgebenden Gefühle waren?! (Und welches sind die Richtigen?) Und wie weiß denn der Andere, ob ''ich'' den Arm willkürlich bewegt habe? Ich werde ihm vielleicht sagen "Befiehl mir, welche Bewegung du willst, und ich werde sie machen, um dich zu überzeugen".—Und was fühlst du denn in deinem Arm? "Nun, das Gewöhnliche." Es ist nichts Ungewöhnliches an den Gefühlen,der Arm ist z. B. nicht gefühllos (wie wenn er ‘eingeschlafen' wäre).
596. Eine Bewegung meines Körpers, von der ich nicht weiß, daß sie stattfindet oder stattgefunden hat, wird man unwillkürlich nennen.—Wie ist es aber, wenn ich bloß ''versuche'', ein Gewicht zu heben, eine Bewegung also nicht stattfindet? Wie wäre es, wenn ciner sich unwillkürlich anstrengte, ein Gewicht zu heben? Unter welchen Umständen würde man ''dies'' Verhalten 'unwillkürlich' nennen?
597. Kann nicht die Ruhe ebenso willkürlich sein, wie Bewegung? Kann das Unterlassen der Bewegung nicht willkürlich sein? Welch besseres Argument gegen ein Innervationsgefühl?
598. Was für ein merkwürdiger Begriff 'versuchen', 'trachten' ist; was man alles ‘zu tun trachten' kann! (Sich erinnern, ein Gewicht heben, aufmerken, an nichts denken.) Aber dann könnte man auch sagen: Was für ein merkwürdiger Begriff 'tun' ist! Welches sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen 'Reden' und 'Denken', zwischen 'Reden' und 'zu sich selbst reden'? (Vergleiche die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zahlenarten.)
599. Man zicht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung, als aus der willkürlichen: das ''charakterisiert'' die willkürliche Bewegung.
600. Aber wie weiß ich, daß diese Bewegung willkürlich war?—Ich weiß es nicht, ich äußere es.
601. "Ich ziehe so stark, wie ich kann." Wie weiß ich das? Sagt es mir mein Muskelgefühl? Die Worte sind ein Signal; und sie haben eine ''Funktion''.
Aber ''erlebe'' ich denn nichts? Erlebe ich denn nicht etwas? Etwas Spezifisches? Ein spezifisches Gefühl der Anstrengung und des Nicht-weiter-könnens, des Anlangens an der Grenze? Freilich, aber diese Ausdrücke sagen nicht mehr, als "Ich ziche so stark, wie ich kann.”
602. Vergleiche damit diesen Fall: Jemand soll sagen, was er fühlt, wenn ihm ein Gewicht auf der flachen Hand ruht. Ich kann mir nun vorstellen, daß hier ein Zwiespalt entsteht: Einerseits sagt er sich, was er fühle, sei eine Pressung gegen die Handfläche und eine Spannung in den Muskeln seines Arms; anderseits will er sagen: "aber das ist doch nicht alles; ich empfinde doch einen Zug, ein Streben des Gewichts nach unten!"—Empfindet er denn ein solches 'Streben'? Ja: wenn er nämlich an das 'Streben' denkt. Mit dem Wort "Streben" geht hier ein bestimmtes Bild, eine Geste, ein Tonfall; und in diesem siehst du das Erlebnis des Strebens.
(Denke auch daran: Manche Leute sagen, von dem und dem 'gehe ein Fluidum aus'.—Daher fiel uns auch das Wort "''Einfluß''" ein.)
603. Die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens. Wäre sie nicht vorhanden,—würde man dann auch sagen, man konne nie wissen, was im Andern vorgeht?
604. Aber wie wär's, wenn das menschliche Benchmen nicht unvorhersehbar wäre? Wie hat man sich das vorzustellen? (D. h.: wie auszumalen, welche Verbindungen anzunehmen?)
605. Eine der philosophisch gefährlichsten Ideen ist, merkwürdigerweise, daß wir mit dem Kopf oder im Kopf denken.
606. Die Idee vom Denken als einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt ihm etwas Okkultes.
607. Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen,