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606. Die Idee vom Denken als einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt ihm etwas Okkultes.
606. Die Idee vom Denken als einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt ihm etwas Okkultes.


607. Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen,
607. Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen, der den gleichen Zweck erfüllt, sozusagen mit einer Prothese das Denken besorgen? Wie müßte man sich eine Denkprothese vorstellen?
 
608. Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das ''System'' sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem—daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Planzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde,—daß aber ''nichts'' in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen,—daß man dies nur aus seiner ''Geschichte'' tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte.
 
609. Es ist also wohl möglich, daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden ''können'', weil ihnen physiologisch nichts entspricht.
 
610. Ich habe diesen Mann vor Jahren gesehen; nun sehe ich ihn wieder, erkenne ihn, erinnere mich seines Namens. Un warum muß es nun für dies Erinnern eine Ursache in meinem Nervensystem geben? Warum muß irgend etwas, was immer, ''in irgendeiner Form'' dort aufgespeichert worden sein? Warum ''muß'' er eine Spur hinterlassen haben? Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der ''keine'' physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden.
 
611. Das Vorurteil zugunsten des psycho-physischen Parallelismus ist cine Frucht primitiver Auffassungen unserer Begriffe. Denn wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so denkt man damit das Eingeständnis eines nebelhaften Seelenwesens zu machen.
 
612. Denke dir diese Erscheinung: Wenn ich will, daß jemand sich einen Text merkt, den ich ihm vorspreche, so daß er ihn mir später wiederholen kann, muß ich ihm ein Papier und einen Bleistift geben; und während ich spreche, schreibt er Striche, Zeichen auf das Papier; soll er später den Text reproduzieren, so folgt er jenen Strichen mit den Augen und sagt den Text her. Ich nehme aber an, seine Aufzeichnung sei keine ''Schrift'', sie hänge nicht durch Regeln mit den Worten des Textes zusammen; und doch kann er ohne diese Aufzeichnung den Text nicht reproduzieren; und wird an ihr etwas geändert, wird sie zum Teil zerstört, so bleibt er beim 'Lesen' stecken oder spricht den Text unsicher oder unzuverlässig oder kann die Worte überhaupt nicht finden.—Das ließe sich doch denken!—Was ich die 'Aufzeichnung' nannte, wäre dann keine ''Wiedergabe'' des Textes, nicht eine Übersetzung sozusagen in einem anderen Symbolismus. Der Text wäre nicht in der Aufzeichnung ''niedergelegt''. Und warum sollte er in unserm Nervensystem niedergelegt sein?
 
613. Warum soll nicht ein Naturgesetz einen Anfangs- und einen Endzustand eines Systems verbinden, den Zustand zwischen beiden aber übergehen? (Nur denke man nicht an ''Wirkung''!)
 
614. "Wie kommt es, daß ich den Baum aufrecht sehe, auch wenn ich meinen Kopf zur Seite neige, und also das Netzhautbild das eines schiefstehenden Baums ist?” Wie kommt es also, daß ich den Baum auch unter diesen Umständen als einen aufrechten anspreche?—"Nun, ich bin mir der Neigung meines Kopfes bewußt, und ich bringe also die nötige Korrektur an der Auffassung meiner Gesichtseindrücke an."—Aber heißt das nicht, Primäres mit Sekundärem verwechseln? Denke dir, wir wüßten ''gar nichts'' von der innern Beschaffenheit des Auges,—würde dies Problem überhaupt auftauchen? Wir bringen ja hier in Wahrheit keine Korrekturen an, dies ist ja bloß eine Erklärung.
 
Wohl——aber da nun die Struktur des Auges einmal bekannt ist,—''wie kommt es'', daß wir so handeln, so reagieren? Aber muß es hier eine physiologische Erklärung geben? Wie, wenn wir sie auf sich beruhen ließen? Aber so würdest du doch nicht sprechen, wenn du das Verhalten einer Maschine prüftest!—Nun, wer sagt, daß in diesem Sinne das Lebewesen, der tierische Leib eine Maschine ist?—
 
615. (Ich habe noch nie eine Bemerkung darüber gelesen, daß, wenn man ein Auge schließt und "nur mit einem Auge sicht", man die Finsternis (Schwärze) nicht zugleich mit dem geschlossenen sicht.)
 
616. Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes ist am klarsten, wenn wir nichts schen bei vollständiger Dunkelheit.
 
617. Wie verhält es sich mit dem Blinden; kann ihm ein Teil der ''Sprache'' nicht erklärt werden? Oder vielmehr nicht ''beschrieben'' werden?
 
618. Ein Blinder kann sagen, er sei blind und die Leute um ihn seien schend. "Ja, aber meint er nicht doch etwas Anderes mit den Worten 'blind' und 'sehend' als der Sehende?" Worauf beruht es, daß man so etwas sagen will? Nun, wenn einer nicht wüßte, wie ein Leopard ausschaut, so könnte er doch sagen und verstehen “Dieser Ort ist sehr gefährlich, es gibt Leoparden dort". Man würde aber doch vielleicht sagen, er weiß nicht, was ein Leopard ist, also nicht oder nur unvollständig, was das Wort "Leopard" bedeutet, bis man ihm einmal ein solches Tier zeigt. Nun kommt es uns mit den Blinden ähnlich vor. Sie wissen sozusagen nicht, wie sehen ist.—Ist nun 'Furcht nicht kennen' analog dem 'nie einen Leoparden gesehen haben'? Das will ich natürlich verneinen.
 
619. Könnte ich denn nicht z. B. annehmen, daß er etwas Rotes sieht, wenn ich ihn auf den Kopf schlage? Es könnte das ja bei Sehenden einer Erfahrung entsprechen.
 
Das angenommen, so ist er doch für das praktische Leben blind. D. h., er reagiert nicht wie der normale Mensch. Wenn aber jemand mit den Augen blind wäre, dagegen sich so benähme, daß wir sagen müßten, er sieht mit den Handflächen (dieses Benehmen ist leicht auszumalen), so würden wir ihn als Sehenden behandeln und auch die Erklärung des Wortes 'rot' mit dem Täfelchen würden wir hier für möglich halten.
 
620. Du gibst jemandem ein Signal, wenn du dir etwas vorstellst; du benützt verschiedene Signale für verschiedene Vorstellungen.—Wie vereinbart ihr, was jedes Signal bedeuten soll?
 
621. Gehörsvorstellung, Gesichtsvorstellung, wie unterscheiden sie sich von den Empfindungen? Nicht durch "Lebhaftigkeit".
 
Vorstellungen belehren uns nicht über die Außenwelt, weder richtig noch falsch. (Vorstellungen sind nicht Halluzinationen, auch nicht Einbildungen.)
 
Während ich einen Gegenstand sehe, kann ich ihn mir nicht vorstellen.
 
Verschiedenheit der Sprachspiele: "Schau die Figur an!" und "Stell dir die Figur vor!"
 
Vorstellung dem Willen unterworfen.
 
Vorstellung nicht Bild. Welchen Gegenstand ich mir vorstelle, ersehe ich nicht aus der Ähnlichkeit des Vorstellungsbildes mit ihm.
 
Auf die Frage "Was stellst du dir vor", kann man mit einem Bild antworten.
 
622. Man möchte sagen: Der vorgestellte Klang sei in einem andern ''Raum'' als der gehörte. (Frage: Warum?) Das Geschene in einem andern Raum, als das Vorgestellte.
 
Hören ist mit Hinhorchen verbunden; einen Klang sich vorstellen, nicht.
 
Darum ist der gehörte Klang in einem andern Raum als der vorgestellte.
 
623. Ich lese eine Geschichte und stelle mir während des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens, alles mögliche vor.
 
624. Es könnte Leute geben, die nie den Ausdruck gebrauchen "etwas vor dem inneren Auge sehen", oder einen ähnlichen; und diese könnten doch imstande sein, 'aus der Vorstellung', oder nach der Erinnerung zu zeichnen, zu modellieren, Andere nachzuahmen, etc. Ein solcher möge auch, che er etwas aus der Erinnerung zeichnet, die Augen schließen oder wie blind vor sich hinstarren. Und doch könnte er leugnen, daß er dann vor sich ''sieht'', was später zeichnet. Aber wieviel müßte ich auf diese Außerung geben? Ist nach ihr zu beurteilen, ob er eine Gesichtsvorstellung hat? (Nicht nur ''danach''. Denk an den Ausdruck: "Jetzt sehe ich es vor mir—jetzt nicht mehr." Es gibt da eine echte Dauer.)
 
625. Ich hätte früher auch sagen können: Der ''Zusammenhang'' zwischen Vorstellen und Sehen ist eng; eine ''Ähnlichkeit'' aber gibt es nicht.
 
Die Sprachspiele, die diese Begriffe verwenden, sind grundver. schieden,—hängen aber zusammen.