5,963
edits
No edit summary |
No edit summary |
||
Line 1,274: | Line 1,274: | ||
'''432'''. Ich beschreibe eben das Sprachspiel "Bring etwas Rotes" dem, der es schon selbst spielen kann. Den Andern könnte ich es nur lehren. (Relativität.) | '''432'''. Ich beschreibe eben das Sprachspiel "Bring etwas Rotes" dem, der es schon selbst spielen kann. Den Andern könnte ich es nur lehren. (Relativität.) | ||
'''433'''. "Was ich wahrnehme, ist ''dies''—" und nun folgt eine Form der ''Beschreibung''. Das Wort "dies" könnte man auch so erklären: Denken wir uns eine direkte Übertragung des Erlebnisses!—Aber was ist nun unser Kriterium dafür, daß das Erlebnis wirklich übertragen wurde? "Nun, er hat eben dann das, was ich habe."—Aber wie '''hat''<nowiki/> | '''433'''. "Was ich wahrnehme, ist ''dies''—" und nun folgt eine Form der ''Beschreibung''. Das Wort "dies" könnte man auch so erklären: Denken wir uns eine direkte Übertragung des Erlebnisses!—Aber was ist nun unser Kriterium dafür, daß das Erlebnis wirklich übertragen wurde? "Nun, er hat eben dann das, was ich habe."—Aber wie '''hat''<nowiki/>' er es? | ||
'''434'''. Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen? | '''434'''. Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen? | ||
Line 1,300: | Line 1,300: | ||
'''441'''. Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als cines Parameters der Darstellung. | '''441'''. Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als cines Parameters der Darstellung. | ||
'''442'''. Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß '''a priori'' | '''442'''. Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß '<nowiki/>''a priori''' sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform entspricht, die wir ausgeschlossen haben. | ||
'''443'''. Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt. | '''443'''. Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt. | ||
Line 1,492: | Line 1,492: | ||
Man kann sagen: Das freundliche Auge, der freundliche Mund, das Wedeln des Hundes sind, unter andern, primäre und von cinander unabhängige Symbole der Freundlichkeit; ich meine: sie sind Teile der Phänomene, die man Freundlichkeit nennt. Will man sich andere Erscheinungen als Ausdruck der Freundlichkeit denken, so sieht man jene Symbole in sie hinein. Wir sagen "Er macht ein finsteres Gesicht"; vielleicht, weil die Augen durch die Augenbrauen stärker beschattet werden; und nun übertragen wir die Idee der Finsternis auf die Haarfarbe. | Man kann sagen: Das freundliche Auge, der freundliche Mund, das Wedeln des Hundes sind, unter andern, primäre und von cinander unabhängige Symbole der Freundlichkeit; ich meine: sie sind Teile der Phänomene, die man Freundlichkeit nennt. Will man sich andere Erscheinungen als Ausdruck der Freundlichkeit denken, so sieht man jene Symbole in sie hinein. Wir sagen "Er macht ein finsteres Gesicht"; vielleicht, weil die Augen durch die Augenbrauen stärker beschattet werden; und nun übertragen wir die Idee der Finsternis auf die Haarfarbe. | ||
507. Wer fragt, ob Vergnügen eine Empfindung ist, unterscheidet wahrscheinlich nicht zwischen Grund und Ursache, denn sonst fiele ihm auf, daß man ''an etwas'' Vergnügen hat, was nicht heißt, daß dies Etwas eine Empfindung in uns verursacht. | '''507'''. Wer fragt, ob Vergnügen eine Empfindung ist, unterscheidet wahrscheinlich nicht zwischen Grund und Ursache, denn sonst fiele ihm auf, daß man ''an etwas'' Vergnügen hat, was nicht heißt, daß dies Etwas eine Empfindung in uns verursacht. | ||
508. Aber Vergnügen geht doch jedenfalls mit einem Gesichtsausdruck zusammen, und den sehen wir zwar nicht an uns selbst, aber spüren ihn doch. | '''508'''. Aber Vergnügen geht doch jedenfalls mit einem Gesichtsausdruck zusammen, und den sehen wir zwar nicht an uns selbst, aber spüren ihn doch. | ||
Und versuch einmal über etwas sehr Trauriges nachzudenken mit dem Gesichtsausdruck strahlender Freude! | Und versuch einmal über etwas sehr Trauriges nachzudenken mit dem Gesichtsausdruck strahlender Freude! | ||
509. Es ist ja möglich, daß die Drüsen des Traurigen anders sezernieren, als die des Fröhlichen; auch, daß diese Sekretion die oder eine Ursache der Trauer ist. Aber folgt daraus, daß die Trauer eine durch diese Sekretion ''hervorgerufene'' Empfinding ist? | '''509'''. Es ist ja möglich, daß die Drüsen des Traurigen anders sezernieren, als die des Fröhlichen; auch, daß diese Sekretion die oder eine Ursache der Trauer ist. Aber folgt daraus, daß die Trauer eine durch diese Sekretion ''hervorgerufene'' Empfinding ist? | ||
510. Aber der Gedanke ist hier: "Du ''fühlst'' doch die Trauer——also mußt du sie ''irgendwo'' fühlen; sonst wäre sie eine Chimäre." Aber wenn du so denken willst, rufe dir die Verschiedenheit von Sehen und Schmerz ins Gedächtnis. Ich fühle den Schmerz in der Wunde——aber die Farbe im Auge? So wie wir hier ein Schema verwenden wollen, statt bloß das wirklich Gemeinsame zu notieren, sehen wir alles falsch vereinfacht. | '''510'''. Aber der Gedanke ist hier: "Du ''fühlst'' doch die Trauer——also mußt du sie ''irgendwo'' fühlen; sonst wäre sie eine Chimäre." Aber wenn du so denken willst, rufe dir die Verschiedenheit von Sehen und Schmerz ins Gedächtnis. Ich fühle den Schmerz in der Wunde——aber die Farbe im Auge? So wie wir hier ein Schema verwenden wollen, statt bloß das wirklich Gemeinsame zu notieren, sehen wir alles falsch vereinfacht. | ||
511. Wollte man aber ein Analogon zum Ort des Schmerzes finden, so wäre es natürlich nicht die Seele (wie ja der Ort des Körperschmerzes nicht der Körper ist), sondern der ''Gegenstand'' der Reue. | '''511'''. Wollte man aber ein Analogon zum Ort des Schmerzes finden, so wäre es natürlich nicht die Seele (wie ja der Ort des Körperschmerzes nicht der Körper ist), sondern der ''Gegenstand'' der Reue. | ||
512. Denke, man sagte: Fröhlichkeit wäre ein Gefühl, und Traurigkeit bestünde darin, daß man ''nicht'' fröhlich ist.—Ist denn die Abwesenheit eines Gefühls ein Gefühl? | '''512'''. Denke, man sagte: Fröhlichkeit wäre ein Gefühl, und Traurigkeit bestünde darin, daß man ''nicht'' fröhlich ist.—Ist denn die Abwesenheit eines Gefühls ein Gefühl? | ||
513. Man spricht von einem Gefühl der Überzeugung, weil es einen ''Ton'' der Überzeugung gibt. Ja, das Charakteristikum aller 'Gefühle' ist, daß es einen Ausdruck, d. i. eine Miene, Gebärde des Gefühls gibt. | '''513'''. Man spricht von einem Gefühl der Überzeugung, weil es einen ''Ton'' der Überzeugung gibt. Ja, das Charakteristikum aller 'Gefühle' ist, daß es einen Ausdruck, d. i. eine Miene, Gebärde des Gefühls gibt. | ||
514. Nun könnte man aber so sagen: Das Gesicht eines Menschen ist durchaus nicht immer dieselbe Gestalt. Es ändert sich von Minute zu Minute; manchmal wenig, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Dennoch ist es möglich, das Bild seiner Physiognomie zu zeichnen. Freilich, ein Bild, auf dem das Gesicht lächelt, zeigt nicht, wie es weinend aussieht. Aber es läßt darauf immerhin Schlüsse zu.—Uns so wäre es auch möglich, eine Art ungefähre Physiognomie des Glaubens (z. B.) zu beschreiben. | '''514'''. Nun könnte man aber so sagen: Das Gesicht eines Menschen ist durchaus nicht immer dieselbe Gestalt. Es ändert sich von Minute zu Minute; manchmal wenig, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Dennoch ist es möglich, das Bild seiner Physiognomie zu zeichnen. Freilich, ein Bild, auf dem das Gesicht lächelt, zeigt nicht, wie es weinend aussieht. Aber es läßt darauf immerhin Schlüsse zu.—Uns so wäre es auch möglich, eine Art ungefähre Physiognomie des Glaubens (z. B.) zu beschreiben. | ||
515. Ich gebe Zeichen des Entzückens und des Verständnisses. | '''515'''. Ich gebe Zeichen des Entzückens und des Verständnisses. | ||
516. Kann man das 'sich auskennen' ein Erlebnis nennen? Nicht doch. Aber es gibt Erlebnisse charakteristisch für den Zustand des Sich-auskennens und des Sich-nicht-auskennens. (Sich nicht auskennen und lügen.) | '''516'''. Kann man das 'sich auskennen' ein Erlebnis nennen? Nicht doch. Aber es gibt Erlebnisse charakteristisch für den Zustand des Sich-auskennens und des Sich-nicht-auskennens. (Sich nicht auskennen und lügen.) | ||
517. Es ist aber doch wichtig, daß es alle diese Paraphrasen gibt! Daß man die Sorge mit den Worten beschreiben kann "Ewiges Düstere steigt herunter". Ich habe vielleicht die Wichtigkeit dieses Paraphrasierens nie genügend betont. | '''517'''. Es ist aber doch wichtig, daß es alle diese Paraphrasen gibt! Daß man die Sorge mit den Worten beschreiben kann "Ewiges Düstere steigt herunter". Ich habe vielleicht die Wichtigkeit dieses Paraphrasierens nie genügend betont. | ||
518. Warum kann der Hund Furcht, aber nicht Reue empfinden? Wäre es richtig zu sagen "Weil er nicht sprechen kann"? | '''518'''. Warum kann der Hund Furcht, aber nicht Reue empfinden? Wäre es richtig zu sagen "Weil er nicht sprechen kann"? | ||
519. Nur wer über die Vergangenheit nachdenken kann, kann bereuen. Das heißt aber nicht, daß nur so einer erfahrungsgemäß des Gefühls der Reue fähig ist. | '''519'''. Nur wer über die Vergangenheit nachdenken kann, kann bereuen. Das heißt aber nicht, daß nur so einer erfahrungsgemäß des Gefühls der Reue fähig ist. | ||
520. Es ist ja auch nichts Erstaunliches, daß gewisse Begriffe nur auf ein Wesen anwendbar sein sollten, das z. B. eine Sprache besitzt. | '''520'''. Es ist ja auch nichts Erstaunliches, daß gewisse Begriffe nur auf ein Wesen anwendbar sein sollten, das z. B. eine Sprache besitzt. | ||
521. "Der Hund ''meint'' etwas mit seinem Wedeln."—Wie würde man das begründen?—Sagt man auch: "Die Pflanze, wenn sie ihre Blätter hängen läßt, meint damit, daß sie Wasser braucht"?— | '''521'''. "Der Hund ''meint'' etwas mit seinem Wedeln."—Wie würde man das begründen?—Sagt man auch: "Die Pflanze, wenn sie ihre Blätter hängen läßt, meint damit, daß sie Wasser braucht"?— | ||
522. Wir würden kaum fragen, ob das Krokodil etwas damit meint, wenn es mit offenem Rachen auf einen Menschen zukommt. Und wir würden erklären: das Krokodil könne nicht denken, und darum sei eigentlich hier von einem Meinen keine Rede. | '''522'''. Wir würden kaum fragen, ob das Krokodil etwas damit meint, wenn es mit offenem Rachen auf einen Menschen zukommt. Und wir würden erklären: das Krokodil könne nicht denken, und darum sei eigentlich hier von einem Meinen keine Rede. | ||
523. Vergessen wir doch einmal ganz, daß uns der Seelenzustand des Fürchtenden interessiert. Gewiß ist, daß uns auch sein Benehmen unter gewissen Umständen als Anzeichen für künftiges Verhalten interessieren kann. Warum sollten wir also nicht dafür ein Wort haben? | '''523'''. Vergessen wir doch einmal ganz, daß uns der Seelenzustand des Fürchtenden interessiert. Gewiß ist, daß uns auch sein Benehmen unter gewissen Umständen als Anzeichen für künftiges Verhalten interessieren kann. Warum sollten wir also nicht dafür ein Wort haben? | ||
Man könnte nun fragen, ob dies Wort sich wirklich einfach auf das Benehmen, einfach auf die Veränderung des Körpers bezöge. Und das können wir verneinen. Es liegt uns ja nichts daran, den Gebrauch dieses Worts derart zu vereinfachen. Es bezieht sich auf das Benchmen unter gewissen äußeren Umständen. Wenn wir diese Umstände und jenes Benchmen beobachten, sagen wir, einer sei ...., oder habe ..... | Man könnte nun fragen, ob dies Wort sich wirklich einfach auf das Benehmen, einfach auf die Veränderung des Körpers bezöge. Und das können wir verneinen. Es liegt uns ja nichts daran, den Gebrauch dieses Worts derart zu vereinfachen. Es bezieht sich auf das Benchmen unter gewissen äußeren Umständen. Wenn wir diese Umstände und jenes Benchmen beobachten, sagen wir, einer sei ...., oder habe ..... | ||
524. Es könnte einen Furchtbegriff geben, der nur auf Tiere, also nur durch Beobachtung, Anwendung fande.—Du willst doch nicht sagen, daß so ein Begriff keinen Nutzen hätte. Das Verbum, das beiläufig dem Wort "fürchten" entspräche, hätte dann keine erste Person, und keine seiner Formen ware Äußerung der Furcht. | '''524'''. Es könnte einen Furchtbegriff geben, der nur auf Tiere, also nur durch Beobachtung, Anwendung fande.—Du willst doch nicht sagen, daß so ein Begriff keinen Nutzen hätte. Das Verbum, das beiläufig dem Wort "fürchten" entspräche, hätte dann keine erste Person, und keine seiner Formen ware Äußerung der Furcht. | ||
525. Ich will nun sagen, daß Menschen, welche einen solchen Begriff verwenden, seinen Gebrauch ''nicht'' müßten beschreiben können. Und sollten sie es versuchen, so wäre es möglich, sie gäben eine ganz unzulängliche Beschreibung. (Wie die meisten, wenn sie versuchen wollten, die Verwendung des Geldes richtig zu beschreiben.) (Sie sind auf so eine Aufgabe nicht gefaßt.) | '''525'''. Ich will nun sagen, daß Menschen, welche einen solchen Begriff verwenden, seinen Gebrauch ''nicht'' müßten beschreiben können. Und sollten sie es versuchen, so wäre es möglich, sie gäben eine ganz unzulängliche Beschreibung. (Wie die meisten, wenn sie versuchen wollten, die Verwendung des Geldes richtig zu beschreiben.) (Sie sind auf so eine Aufgabe nicht gefaßt.) | ||
526. Wer sich unter den und den Umständen so und so benimmt, von dem sagen wir, er sei traurig. (Auch vom Hunde.) Insofern kann man nicht sagen, das Benehmen sei die ''Ursache'' der Trauer; sie ist ihr Anzeichen. Sie die Wirkung der Trauer zu nennen, wäre auch nicht einwandfrei.—Sagt er es von sich (er sei traurig), so wird er im allgemeinen dafür als Grund nicht sein trauriges Gesicht u. dergl. angeben. Wie aber wäre es damit: "Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich traurig werde, sobald ich anfange, traurig dazusitzen, etc."? Das könnte zweierlei besagen. Erstens: "Sobald ich, etwa einer leichten Neigung folgend, es mir gestatte, mich so und so zu halten und zu benehmen, gerate ich in den Zustand, in diesem Benehmen verharren zu müssen." Es könnte ja sein, daß Zahnschmerzen durch Stöhnen ärger würden.—Zweitens aber könnte jener Satz eine Spekulation enthalten über die Ursache der menschlichen Trauer; des Inhalts, daß, wer imstande wäre auf irgend eine Weise gewisse Körperzustände hervorzurufen, den Menschen traurig machen würde. Hier ist aber die Schwierigkeit, daß wir einen Menschen, der unter allen Umständen traurig ''aussähe'' und sich ''benähme'', nicht traurig nennen würden. Ja, wenn wir einem solchen den Ausdruck "Ich bin traurig" beibrüchten, und er sagte das stets und ständig mit dem Ausdruck der Trauer, so hätten diese Worte, so wie die übrigen Zeichen, ihren normalen Sinn verloren. | '''526'''. Wer sich unter den und den Umständen so und so benimmt, von dem sagen wir, er sei traurig. (Auch vom Hunde.) Insofern kann man nicht sagen, das Benehmen sei die ''Ursache'' der Trauer; sie ist ihr Anzeichen. Sie die Wirkung der Trauer zu nennen, wäre auch nicht einwandfrei.—Sagt er es von sich (er sei traurig), so wird er im allgemeinen dafür als Grund nicht sein trauriges Gesicht u. dergl. angeben. Wie aber wäre es damit: "Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich traurig werde, sobald ich anfange, traurig dazusitzen, etc."? Das könnte zweierlei besagen. Erstens: "Sobald ich, etwa einer leichten Neigung folgend, es mir gestatte, mich so und so zu halten und zu benehmen, gerate ich in den Zustand, in diesem Benehmen verharren zu müssen." Es könnte ja sein, daß Zahnschmerzen durch Stöhnen ärger würden.—Zweitens aber könnte jener Satz eine Spekulation enthalten über die Ursache der menschlichen Trauer; des Inhalts, daß, wer imstande wäre auf irgend eine Weise gewisse Körperzustände hervorzurufen, den Menschen traurig machen würde. Hier ist aber die Schwierigkeit, daß wir einen Menschen, der unter allen Umständen traurig ''aussähe'' und sich ''benähme'', nicht traurig nennen würden. Ja, wenn wir einem solchen den Ausdruck "Ich bin traurig" beibrüchten, und er sagte das stets und ständig mit dem Ausdruck der Trauer, so hätten diese Worte, so wie die übrigen Zeichen, ihren normalen Sinn verloren. | ||
527. Ist es nicht so, als wollte man sich einen Gesichtsausdruck vorstellen, der nicht allmählicher, schwer fabbarer Veränderungen fähig wäre, sondern, sagen wir nur fünf Stellungen hätte; bei einer Veränderung ginge die eine mit einem Ruck in die andere über. Wäre nun dies starre Lächeln z. B. wirklich ein Lächeln? Und warum nicht?—"Lächeln" nennen wir eine Miene in einem normalen Mienenspiel.—Ich könnte mich vielleicht nicht so dazu verhalten, wie zu einem Lächeln. Es würde mich z. B. nicht selber zum Lächeln bringen. "Kein Wunder" will man sagen, "daß wir diesen Begriff haben unter ''diesen'' Umständen." | '''527'''. Ist es nicht so, als wollte man sich einen Gesichtsausdruck vorstellen, der nicht allmählicher, schwer fabbarer Veränderungen fähig wäre, sondern, sagen wir nur fünf Stellungen hätte; bei einer Veränderung ginge die eine mit einem Ruck in die andere über. Wäre nun dies starre Lächeln z. B. wirklich ein Lächeln? Und warum nicht?—"Lächeln" nennen wir eine Miene in einem normalen Mienenspiel.—Ich könnte mich vielleicht nicht so dazu verhalten, wie zu einem Lächeln. Es würde mich z. B. nicht selber zum Lächeln bringen. "Kein Wunder" will man sagen, "daß wir diesen Begriff haben unter ''diesen'' Umständen." | ||
528. Eine Hilfskonstruktion. Ein Stamm, den wir versklaven wollen. Die Regierung und die Wissenschaft geben aus, daß die Leute dieses Stammes keine Seelen haben; man könne sie also zu jedem beliebigen Zweck gebrauchen. Natürlich interessiert uns dennoch ihre Sprache; denn wir wollen ihnen ja z. B. Befehle geben und Berichte von ihnen erhalten. Auch wollen wir wissen, was sie unter einander reden, da dies mit ihrem übrigen Verhalten zusammenhängt. Aber auch, was bei ihnen unsern 'psychologischen Äußerungen' entspricht, muß uns interessieren; denn wir wollen sie arbeitsfähig erhalten; darum sind uns ihre Außerungen des Schmerzes, des Unwohlseins, der Niedergeschlagenheit, der Lebenslust etc, etc. von Wichtigkeit. Ja, wir haben auch gefunden, daß man diese Leute mit gutem Erfolg als Versuchsobjekte in physiologischen und psychologischen Laboratorien verwenden kann, da ihre Reaktionen—auch die Sprachreaktionen—ganz die der scelenbegabten Menschen sind. Man habe auch gefunden, daß man diesen Wesen durch eine Methode, die sehr ähnlich unserm 'Unterricht' ist, unsere Sprache statt der ihrigen beibringen kann. | '''528'''. Eine Hilfskonstruktion. Ein Stamm, den wir versklaven wollen. Die Regierung und die Wissenschaft geben aus, daß die Leute dieses Stammes keine Seelen haben; man könne sie also zu jedem beliebigen Zweck gebrauchen. Natürlich interessiert uns dennoch ihre Sprache; denn wir wollen ihnen ja z. B. Befehle geben und Berichte von ihnen erhalten. Auch wollen wir wissen, was sie unter einander reden, da dies mit ihrem übrigen Verhalten zusammenhängt. Aber auch, was bei ihnen unsern 'psychologischen Äußerungen' entspricht, muß uns interessieren; denn wir wollen sie arbeitsfähig erhalten; darum sind uns ihre Außerungen des Schmerzes, des Unwohlseins, der Niedergeschlagenheit, der Lebenslust etc, etc. von Wichtigkeit. Ja, wir haben auch gefunden, daß man diese Leute mit gutem Erfolg als Versuchsobjekte in physiologischen und psychologischen Laboratorien verwenden kann, da ihre Reaktionen—auch die Sprachreaktionen—ganz die der scelenbegabten Menschen sind. Man habe auch gefunden, daß man diesen Wesen durch eine Methode, die sehr ähnlich unserm 'Unterricht' ist, unsere Sprache statt der ihrigen beibringen kann. | ||
529. Diese Wesen lernen nun z. B. rechnen, schriftlich oder mündlich rechnen. Wir bringen sie aber auf irgend eine Weise dahin, daß sie uns das Ergebnis einer Multiplikation sagen können, nachdem sie, ohne zu schreiben oder zu sprechen, sich eine Weile in 'nachdenkender' Haltung verhalten haben. Wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sie dies 'Kopfrechnen' lernen und die Erscheinungen, die es umgeben, so liegt das Bild nahe, der Prozeß des Rechnens sei gleichsam untergetaucht und gehe nun ''unter'' der Wasserfläche vor sich. | '''529'''. Diese Wesen lernen nun z. B. rechnen, schriftlich oder mündlich rechnen. Wir bringen sie aber auf irgend eine Weise dahin, daß sie uns das Ergebnis einer Multiplikation sagen können, nachdem sie, ohne zu schreiben oder zu sprechen, sich eine Weile in 'nachdenkender' Haltung verhalten haben. Wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sie dies 'Kopfrechnen' lernen und die Erscheinungen, die es umgeben, so liegt das Bild nahe, der Prozeß des Rechnens sei gleichsam untergetaucht und gehe nun ''unter'' der Wasserfläche vor sich. | ||
Wir müssen natürlich für verschiedene Zwecke einen Befehl haben der Art "Rechne dies im Kopf!"; eine Frage "Hast du es gerechnet?"; ja auch: "Wie weit bist du?"; eine Aussage des Automaten "Ich habe .... gerechnet"; etc. Kurz: alles, was ''wir'' unter uns über das Kopfrechnen sagen, hat auch Interesse für uns, wenn sie es sagen. Und was für Kopfrechnen gilt, gilt auch für alle anderen Formen des Denkens.——Äußert einer von uns die Meinung, diese Wesen ''müßten'' doch irgendeine Art von Seele haben, in der dies und jenes vor sich ginge, so lachen wir ihn aus. | Wir müssen natürlich für verschiedene Zwecke einen Befehl haben der Art "Rechne dies im Kopf!"; eine Frage "Hast du es gerechnet?"; ja auch: "Wie weit bist du?"; eine Aussage des Automaten "Ich habe .... gerechnet"; etc. Kurz: alles, was ''wir'' unter uns über das Kopfrechnen sagen, hat auch Interesse für uns, wenn sie es sagen. Und was für Kopfrechnen gilt, gilt auch für alle anderen Formen des Denkens.——Äußert einer von uns die Meinung, diese Wesen ''müßten'' doch irgendeine Art von Seele haben, in der dies und jenes vor sich ginge, so lachen wir ihn aus. | ||
530. Die Sklaven sagen auch: "Als ich das Wort 'Bank' hörte, bedeutete es für mich .....". Frage: Auf dem Hintergrund ''welcher'' Sprachtechnik sagen sie das? Denn darauf kommt alles an. Was hatten wir sie gelehrt, welche Benutzung des Wortes "bedeuten"? Und was, wenn überhaupt irgend etwas, entnehmen wir ihrer Äußerung? Denn wenn wir gar nichts mit ihr anfangen können, so könnte sie uns als Kuriosität interessieren.——Denken wir uns einen Stamm von Menschen, die keine Träume kennen, und die unsere Traumerzählungen hören. Einer von uns käme zu diesen nichtträumenden Leuten und lernte nach und nach, sich mit ihnen zu verständigen.—Vielleicht denkt man, sie würden nun das Wort "träumen" nie verstehen. Aber sie würden bald eine Verwendung dafür finden. Und ihre Ärzte könnten sich sehr wohl für das Phänomen interessieren und wichtige Schlüsse aus den Träumen des Fremden ziehen.——Auch kann man nicht sagen, daß für diese Leute das Verbum "träumen" nichts Anderes bedeuten könnte als: cinen Traum erzählen. Denn der Fremde würde ja beide Ausdrücke gebrauchen: "träumen" und "einen Traum erzählen", und die Leute jenes Stammes dürften nicht "ich träumte ..." mit "ich erzählte den Traum ....." verwechseln. | '''530'''. Die Sklaven sagen auch: "Als ich das Wort 'Bank' hörte, bedeutete es für mich .....". Frage: Auf dem Hintergrund ''welcher'' Sprachtechnik sagen sie das? Denn darauf kommt alles an. Was hatten wir sie gelehrt, welche Benutzung des Wortes "bedeuten"? Und was, wenn überhaupt irgend etwas, entnehmen wir ihrer Äußerung? Denn wenn wir gar nichts mit ihr anfangen können, so könnte sie uns als Kuriosität interessieren.——Denken wir uns einen Stamm von Menschen, die keine Träume kennen, und die unsere Traumerzählungen hören. Einer von uns käme zu diesen nichtträumenden Leuten und lernte nach und nach, sich mit ihnen zu verständigen.—Vielleicht denkt man, sie würden nun das Wort "träumen" nie verstehen. Aber sie würden bald eine Verwendung dafür finden. Und ihre Ärzte könnten sich sehr wohl für das Phänomen interessieren und wichtige Schlüsse aus den Träumen des Fremden ziehen.——Auch kann man nicht sagen, daß für diese Leute das Verbum "träumen" nichts Anderes bedeuten könnte als: cinen Traum erzählen. Denn der Fremde würde ja beide Ausdrücke gebrauchen: "träumen" und "einen Traum erzählen", und die Leute jenes Stammes dürften nicht "ich träumte ..." mit "ich erzählte den Traum ....." verwechseln. | ||
531. "Ich nehme an, es schwebe ihm ein Bild vor."—Könnte ich auch annehmen, es schwebe diesem Ofen ein Bild vor?—Und warum scheint dies unmöglich? Ist denn also die menschliche Gestalt dazu nötig?— | '''531'''. "Ich nehme an, es schwebe ihm ein Bild vor."—Könnte ich auch annehmen, es schwebe diesem Ofen ein Bild vor?—Und warum scheint dies unmöglich? Ist denn also die menschliche Gestalt dazu nötig?— | ||
532. Der Schmerzbegriff ist charakterisiert durch seine bestimmte Funktion in unserm Leben. | '''532'''. Der Schmerzbegriff ist charakterisiert durch seine bestimmte Funktion in unserm Leben. | ||
533. Schmerz liegt so in unserm Leben drin, hat ''solche'' Zusammenhänge. (D. h.: nur was ''so'' im Leben drinliegt, ''solche'' Zusammenhänge hat, nennen wir "Schmerz".) | '''533'''. Schmerz liegt so in unserm Leben drin, hat ''solche'' Zusammenhänge. (D. h.: nur was ''so'' im Leben drinliegt, ''solche'' Zusammenhänge hat, nennen wir "Schmerz".) | ||
534. Nur inmitten gewisser normaler Lebensäußerungen gibt es eine Schmerzäußerung. Nur inmitten von noch viel weitgehender bestimmter Lebensäußerung den Ausdruck der Trauer oder der Zuneigung. U. s. f. | '''534'''. Nur inmitten gewisser normaler Lebensäußerungen gibt es eine Schmerzäußerung. Nur inmitten von noch viel weitgehender bestimmter Lebensäußerung den Ausdruck der Trauer oder der Zuneigung. U. s. f. | ||
535. Wenn ich mir, und wenn ein Andrer sich einen Schmerz vorstellen kann, oder wir doch sagen, daß wir es können,—wie kann man herausfinden, ob wir ihn uns richtig vorstellen, und wie genau? | '''535'''. Wenn ich mir, und wenn ein Andrer sich einen Schmerz vorstellen kann, oder wir doch sagen, daß wir es können,—wie kann man herausfinden, ob wir ihn uns richtig vorstellen, und wie genau? | ||
536. Ich mag wissen, daß er Schmerzen hat, aber ich weiß nie den genauen Grad seiner Schmerzen. Hier ist also etwas, was er weiß und die Schmerzäußerung mir nicht mitteilt. Etwas rein Privates. | '''536'''. Ich mag wissen, daß er Schmerzen hat, aber ich weiß nie den genauen Grad seiner Schmerzen. Hier ist also etwas, was er weiß und die Schmerzäußerung mir nicht mitteilt. Etwas rein Privates. | ||
Er weiß genau, wie stark seine Schmerzen sind? (Ist das nicht ähnlich, als sagte man, er wisse immer genau, wo er sich befinde? Nämlich hier.) Ist denn der Begriff des Grades mit den Schmerzen gegeben? | Er weiß genau, wie stark seine Schmerzen sind? (Ist das nicht ähnlich, als sagte man, er wisse immer genau, wo er sich befinde? Nämlich hier.) Ist denn der Begriff des Grades mit den Schmerzen gegeben? | ||
537. Du sagst, du pflegst den Stöhnenden, weil Erfahrung dich gelehrt hat, daß du selbst stöhnst, wenn du das und das fühlst. Aber da du ja doch keinen solchen Schluß ziehst, so können wir die Begründung durch Analogie weglassen. | '''537'''. Du sagst, du pflegst den Stöhnenden, weil Erfahrung dich gelehrt hat, daß du selbst stöhnst, wenn du das und das fühlst. Aber da du ja doch keinen solchen Schluß ziehst, so können wir die Begründung durch Analogie weglassen. | ||
538. Es hat auch keinen Sinn zu sagen: "Ich kümmere mich nicht um mein eigenes Stöhnen, weil ''ich weiß'', daß ich Schmerzen habe" oder "weil ich meine Schmerzen ''fühle''." | '''538'''. Es hat auch keinen Sinn zu sagen: "Ich kümmere mich nicht um mein eigenes Stöhnen, weil ''ich weiß'', daß ich Schmerzen habe" oder "weil ich meine Schmerzen ''fühle''." | ||
Wohl aber ist es wahr:—"Ich kümmere mich nicht um mein Stöhnen." | Wohl aber ist es wahr:—"Ich kümmere mich nicht um mein Stöhnen." | ||
539. Ich schließe aus der Beobachtung seines Benchmens, daß er zum Arzt muß; aber ich ziehe diesen Schluß für mich ''nicht'' aus der Beobachtung meines Benehmens. Oder vielmehr: ich tue auch dies manchmal, aber ''nicht'' in analogen Fällen. | '''539'''. Ich schließe aus der Beobachtung seines Benchmens, daß er zum Arzt muß; aber ich ziehe diesen Schluß für mich ''nicht'' aus der Beobachtung meines Benehmens. Oder vielmehr: ich tue auch dies manchmal, aber ''nicht'' in analogen Fällen. | ||
540. Es hilft hier, wenn man bedenkt, daß es ein primitives Verhalten ist, die schmerzende Stelle des Andern zu pflegen, zu behandlen, und nicht nur die eigene—also auf des Andern Schmerzbenchmen zu achten, wie auch, auf das eigene Schmerzbenchmen ''nicht'' zu achten. | '''540'''. Es hilft hier, wenn man bedenkt, daß es ein primitives Verhalten ist, die schmerzende Stelle des Andern zu pflegen, zu behandlen, und nicht nur die eigene—also auf des Andern Schmerzbenchmen zu achten, wie auch, auf das eigene Schmerzbenchmen ''nicht'' zu achten. | ||
541. Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens. | '''541'''. Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens. | ||
542. "Falsch aufgezäumt" kann man von einer Erklärung sagen, wie dieser: Wir pflegten den Andern, weil wir nach Analogie des eigenen Falles glaubten, auch er habe ein Schmerzerlebnis.—Statt zu sagen: Lerne also aus diesem besondern Kapitel des menschlichen Benchmens—aus dieser Sprachverwendung—eine neue Seite. | '''542'''. "Falsch aufgezäumt" kann man von einer Erklärung sagen, wie dieser: Wir pflegten den Andern, weil wir nach Analogie des eigenen Falles glaubten, auch er habe ein Schmerzerlebnis.—Statt zu sagen: Lerne also aus diesem besondern Kapitel des menschlichen Benchmens—aus dieser Sprachverwendung—eine neue Seite. | ||
543. Zu meinem Begriff gehört hier mein Verhältnis zur Erscheinung. | '''543'''. Zu meinem Begriff gehört hier mein Verhältnis zur Erscheinung. | ||
544. Wenn wir dem Arzt mitteilen, wir hätten Schmerzen—in welchen Fällen ist es nützlich, daß er sich einen Schmerz vorstelle?—Und geschieht dies nicht auf sehr mannigfache Weise? (So mannigfach, wie sich an einen Schmerz erinnern.) (Wissen, wie ein Mensch ausschaut.) | '''544'''. Wenn wir dem Arzt mitteilen, wir hätten Schmerzen—in welchen Fällen ist es nützlich, daß er sich einen Schmerz vorstelle?—Und geschieht dies nicht auf sehr mannigfache Weise? (So mannigfach, wie sich an einen Schmerz erinnern.) (Wissen, wie ein Mensch ausschaut.) | ||
545. Angenommen, es erklärt einer, wie ein Kind den Gebrauch des Wortes "Schmerz" lernt, in dieser Weise: Wenn das Kind sich bei bestimmten Anlässen so und so benimmt, denke ich, es fühle, was ich in solchen Fällen fühle; und wenn es so ist, so assoziiert das Kind das Wort mit seinem Gefühl und gebraucht das Wort, wenn das Gefühl wieder auftritt.——''Was'' erklärt diese Erklärung? Frage dich: ''Welche'' Art der Unwissenheit behebt sie?-Sicher sein, daß der Andre Schmerzen hat, zweifeln, ob er sie hat, u. s. f., sind soviele natürliche instinktive Arten des Verhältnisses zu den andern Menschen, und unsre Sprache ist nur ein Hilfsmittel und weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benchmens. (Denn unser ''Sprachspiel'' ist Benehmen.) (Instinkt.) | '''545'''. Angenommen, es erklärt einer, wie ein Kind den Gebrauch des Wortes "Schmerz" lernt, in dieser Weise: Wenn das Kind sich bei bestimmten Anlässen so und so benimmt, denke ich, es fühle, was ich in solchen Fällen fühle; und wenn es so ist, so assoziiert das Kind das Wort mit seinem Gefühl und gebraucht das Wort, wenn das Gefühl wieder auftritt.——''Was'' erklärt diese Erklärung? Frage dich: ''Welche'' Art der Unwissenheit behebt sie?-Sicher sein, daß der Andre Schmerzen hat, zweifeln, ob er sie hat, u. s. f., sind soviele natürliche instinktive Arten des Verhältnisses zu den andern Menschen, und unsre Sprache ist nur ein Hilfsmittel und weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benchmens. (Denn unser ''Sprachspiel'' ist Benehmen.) (Instinkt.) | ||
546. "Ich bin nicht sicher, ob er Schmerzen hat."—Wenn sich nun einer immer, wenn er dies sagt, mit einer Nadel stache, um die Bedeutung des Wortes "Schmerz" lebhaft vor der Seele zu haben, (um sich nicht mit der Vorstellung begnügen zu müssen) und zu wissen, worüber er beim Andern im Zweifel ist!—Wäre nun der Sinn seiner Aussage gesichert? | '''546'''. "Ich bin nicht sicher, ob er Schmerzen hat."—Wenn sich nun einer immer, wenn er dies sagt, mit einer Nadel stache, um die Bedeutung des Wortes "Schmerz" lebhaft vor der Seele zu haben, (um sich nicht mit der Vorstellung begnügen zu müssen) und zu wissen, worüber er beim Andern im Zweifel ist!—Wäre nun der Sinn seiner Aussage gesichert? | ||
547. Er hat also den wahren Schmerz; und der Besitz ''dieses'' ist es, was er beim Andern bezweifelt.—Aber wie macht er das nur?——Es ist, als sagte man mir: "Hier hast du einen Sessel. Sichst du ihn genau?—Gut—nun übertrage ihn ins Französische!" | '''547'''. Er hat also den wahren Schmerz; und der Besitz ''dieses'' ist es, was er beim Andern bezweifelt.—Aber wie macht er das nur?——Es ist, als sagte man mir: "Hier hast du einen Sessel. Sichst du ihn genau?—Gut—nun übertrage ihn ins Französische!" | ||
548. Er hat also den wirklichen Schmerz, und nun weiß er, was er beim Andern bezweifeln soll. Er hat den Gegenstand vor sich, und es ist ''kein'' 'Benehmen' oder dergleichen. (Aber jetzt!) Zum Bezweifeln, ob der Andre Schmerzen hat, braucht er den ''Begriff'' 'Schmerz', nicht Schmerzen. | '''548'''. Er hat also den wirklichen Schmerz, und nun weiß er, was er beim Andern bezweifeln soll. Er hat den Gegenstand vor sich, und es ist ''kein'' 'Benehmen' oder dergleichen. (Aber jetzt!) Zum Bezweifeln, ob der Andre Schmerzen hat, braucht er den ''Begriff'' 'Schmerz', nicht Schmerzen. | ||
549. Die Äußerung der Empfindung eine ''Behauptung'' zu nennen, ist dadurch irreführend, daß mit dem Wort "Behauptung" die 'Prüfung', die 'Begründung', die 'Bestätigung', die 'Entkräftung' der Behauptung im Sprachspiel verbunden ist. | '''549'''. Die Äußerung der Empfindung eine ''Behauptung'' zu nennen, ist dadurch irreführend, daß mit dem Wort "Behauptung" die 'Prüfung', die 'Begründung', die 'Bestätigung', die 'Entkräftung' der Behauptung im Sprachspiel verbunden ist. | ||
550. Wozu dient etwa die Aussage: "Ich ''habe'' doch etwas, wenn ich Schmerzen habe"? | '''550'''. Wozu dient etwa die Aussage: "Ich ''habe'' doch etwas, wenn ich Schmerzen habe"? | ||
551. "Der Geruch ist herrlich!" Ist ein Zweifel darüber, daß der Geruch es ist, der herrlich ist? | '''551'''. "Der Geruch ist herrlich!" Ist ein Zweifel darüber, daß der Geruch es ist, der herrlich ist? | ||
So ist es eine Eigenschaft des Geruches?—Warum nicht? Es ist eine Eigenschaft der Zehn, durch zwei teilbar zu sein und auch, die Zahl meiner Finger zu sein. | So ist es eine Eigenschaft des Geruches?—Warum nicht? Es ist eine Eigenschaft der Zehn, durch zwei teilbar zu sein und auch, die Zahl meiner Finger zu sein. | ||
Line 1,596: | Line 1,596: | ||
Es könnte aber eine Sprache geben, in der die Leute nur die Augen schließen und sagen "Oh, dieser Geruch!" und es keinen Subjekt-Prädikat-Satz gibt, der dem äquivalent ist. Das ist eben eine 'spezifische' Reaktion. | Es könnte aber eine Sprache geben, in der die Leute nur die Augen schließen und sagen "Oh, dieser Geruch!" und es keinen Subjekt-Prädikat-Satz gibt, der dem äquivalent ist. Das ist eben eine 'spezifische' Reaktion. | ||
552. Zu dem Sprachspiel mit den Worten "er hat Schmerzen" gehört—möchte man sagen—nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes.—Aber hier muß man sich in Acht nehmen: Denke an mein Beispiel von den privaten Tabellen, die nicht zum ''Spiel'' gehören.—Es entsteht der Eindruck der 'privaten Tabelle' im Spiel durch die ''Abwesenheit'' einer Tabelle und durch die Ähnlichkeit des Spiels mit einem solchen, das mit einer Tabelle gespielt wird. | '''552'''. Zu dem Sprachspiel mit den Worten "er hat Schmerzen" gehört—möchte man sagen—nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes.—Aber hier muß man sich in Acht nehmen: Denke an mein Beispiel von den privaten Tabellen, die nicht zum ''Spiel'' gehören.—Es entsteht der Eindruck der 'privaten Tabelle' im Spiel durch die ''Abwesenheit'' einer Tabelle und durch die Ähnlichkeit des Spiels mit einem solchen, das mit einer Tabelle gespielt wird. | ||
553. Bedenke: Wir gebrauchen das Wort "Ich weiß nicht” oft in seltsamer Weise; wenn wir z. B. sagen, wir wissen nicht, ob dieser wirklich mehr fühlt als der Andere, oder es nur stärker zum Ausdruck bringt. Es ist dann nicht klar, welche Art der Untersuchung die Frage entscheiden könnte. Natürlich ist die Außerung nicht ganz müßig: Wir wollen sagen, daß wir wohl die Gefühle des A und des B miteinander vergleichen können, aber uns die Umstände an einem Vergleich des A mit dem C irre werden lassen. | '''553'''. Bedenke: Wir gebrauchen das Wort "Ich weiß nicht” oft in seltsamer Weise; wenn wir z. B. sagen, wir wissen nicht, ob dieser wirklich mehr fühlt als der Andere, oder es nur stärker zum Ausdruck bringt. Es ist dann nicht klar, welche Art der Untersuchung die Frage entscheiden könnte. Natürlich ist die Außerung nicht ganz müßig: Wir wollen sagen, daß wir wohl die Gefühle des A und des B miteinander vergleichen können, aber uns die Umstände an einem Vergleich des A mit dem C irre werden lassen. | ||
554. Nicht darauf sehen wir, daß die Evidenz das Gefühl (also das Innere) des Andern ''nur'' wahrscheinlich macht, sondern darauf, daß wir ''dies'' als ''Evidenz'' für irgend etwas Wichtiges betrachten, daß wir auf ''diese'' verwickelte Art der Evidenz ein Urteil gründen, daß ''sie'' also in unserm Leben eine besondere Wichtigkeit hat und durch einen Begriff herausgehoben wird. (Das Innere und 'Äußere', ein ''Bild''.) | '''554'''. Nicht darauf sehen wir, daß die Evidenz das Gefühl (also das Innere) des Andern ''nur'' wahrscheinlich macht, sondern darauf, daß wir ''dies'' als ''Evidenz'' für irgend etwas Wichtiges betrachten, daß wir auf ''diese'' verwickelte Art der Evidenz ein Urteil gründen, daß ''sie'' also in unserm Leben eine besondere Wichtigkeit hat und durch einen Begriff herausgehoben wird. (Das Innere und 'Äußere', ein ''Bild''.) | ||
555. Die 'Unsicherheit' bezieht sich eben nicht auf den besondern Fall, sondern auf die Methode, auf die Regeln der Evidenz. | '''555'''. Die 'Unsicherheit' bezieht sich eben nicht auf den besondern Fall, sondern auf die Methode, auf die Regeln der Evidenz. | ||
556. Die Unsicherheit hat ihren Grund nicht darin, daß er seine Schmerzen nicht außen am Rock trägt. Und es ist auch gar keine Unsicherheit ''in jedem besonders Fall''. Wenn die Grenze zwischen zwei Ländern strittig wäre, würde daraus folgen, daß die Landesangehörigkeit jedes einzelnen Bewohners fraglich wäre? | '''556'''. Die Unsicherheit hat ihren Grund nicht darin, daß er seine Schmerzen nicht außen am Rock trägt. Und es ist auch gar keine Unsicherheit ''in jedem besonders Fall''. Wenn die Grenze zwischen zwei Ländern strittig wäre, würde daraus folgen, daß die Landesangehörigkeit jedes einzelnen Bewohners fraglich wäre? | ||
557. Denke, Leute könnten das Funktionieren des Nervensystems im Andern beobachten. Sie unterschieden dann echte und geheuchelte Empfindung in sicherer Weise.—Oder könnten sie doch wieder daran zweifeln, daß der Andere bei diesen Zeichen etwas spürt?—Man könnte sich jedenfalls leicht vorstellen, daß, was sie da sehen, ihr Verhalten ohne alle Skrupel bestimmt. | '''557'''. Denke, Leute könnten das Funktionieren des Nervensystems im Andern beobachten. Sie unterschieden dann echte und geheuchelte Empfindung in sicherer Weise.—Oder könnten sie doch wieder daran zweifeln, daß der Andere bei diesen Zeichen etwas spürt?—Man könnte sich jedenfalls leicht vorstellen, daß, was sie da sehen, ihr Verhalten ohne alle Skrupel bestimmt. | ||
Und nun kann man dies doch auf das äußere Benehmen übertragen. | Und nun kann man dies doch auf das äußere Benehmen übertragen. | ||
Line 1,612: | Line 1,612: | ||
Diese Beobachtung bestimmt ihr Verhalten gegen den Andern vollkommen und ein Zweifel kommt nicht auf. | Diese Beobachtung bestimmt ihr Verhalten gegen den Andern vollkommen und ein Zweifel kommt nicht auf. | ||
558. Es gibt wohl den Fall, daß einer mir später sein Innerstes durch ein Geständnis aufschließt: aber, daß es so ist, kann mir nicht das Wesen von Außen und Innen erklären, denn ich muß ja dem Geständnis doch Glauben schenken. | '''558'''. Es gibt wohl den Fall, daß einer mir später sein Innerstes durch ein Geständnis aufschließt: aber, daß es so ist, kann mir nicht das Wesen von Außen und Innen erklären, denn ich muß ja dem Geständnis doch Glauben schenken. | ||
Das Geständnis ist ja auch etwas Äußeres. | Das Geständnis ist ja auch etwas Äußeres. | ||
559. Besieh dir Leute, die auch unter diesen Umständen zweifeln; und solche, die nicht zweifeln. | '''559'''. Besieh dir Leute, die auch unter diesen Umständen zweifeln; und solche, die nicht zweifeln. | ||
560. Nur Gott sieht die geheimsten Gedanken. Aber warum sollen diese so wichtig sein? Manche sind wichtig, nicht alle. Und müssen alle Menschen sie für wichtig halten? | '''560'''. Nur Gott sieht die geheimsten Gedanken. Aber warum sollen diese so wichtig sein? Manche sind wichtig, nicht alle. Und müssen alle Menschen sie für wichtig halten? | ||
561. ''Eine'' Art der Unsicherheit wäre die, die wir auch einem uns unbekannten Mechanismus entgegenbringen könnten. Bei der andern würden wir uns möglicherweise an eine Begebenheit in unserm Leben erinnern. Es könnte z. B. sein, daß einer, der gerade der Todesangst entronnen ist, sich davor scheuen würde, eine Fliege zu erschlagen und es sonst ohne Bedenken täte. Oder anderseits, daß er mit diesem Erlebnis vor Augen, das zögernd tut, was er sonst ohne Zögern täte. | '''561'''. ''Eine'' Art der Unsicherheit wäre die, die wir auch einem uns unbekannten Mechanismus entgegenbringen könnten. Bei der andern würden wir uns möglicherweise an eine Begebenheit in unserm Leben erinnern. Es könnte z. B. sein, daß einer, der gerade der Todesangst entronnen ist, sich davor scheuen würde, eine Fliege zu erschlagen und es sonst ohne Bedenken täte. Oder anderseits, daß er mit diesem Erlebnis vor Augen, das zögernd tut, was er sonst ohne Zögern täte. | ||
562. Auch wenn ich 'nicht sicher in meinem Mitleid ruhe', muß ich nicht an die Ungewißheit seines spätern Benehmens denken. | '''562'''. Auch wenn ich 'nicht sicher in meinem Mitleid ruhe', muß ich nicht an die Ungewißheit seines spätern Benehmens denken. | ||
563. Die eine Unsicherheit geht sozusagen von dir aus, die andere von ihm. | '''563'''. Die eine Unsicherheit geht sozusagen von dir aus, die andere von ihm. | ||
Von der einen könnte man also doch sagen, sie hinge mit einer Analogie zusammen, von der Andern nicht. Aber nicht, als ob ich aus der Analogie einen Schluß zöge! | Von der einen könnte man also doch sagen, sie hinge mit einer Analogie zusammen, von der Andern nicht. Aber nicht, als ob ich aus der Analogie einen Schluß zöge! | ||
564. Wenn ich aber zweifle, ob eine Spinne wohl Schmerz empfindet, dann ist es nicht, weil ich nicht weiß, was ich mir zu erwarten habe. | '''564'''. Wenn ich aber zweifle, ob eine Spinne wohl Schmerz empfindet, dann ist es nicht, weil ich nicht weiß, was ich mir zu erwarten habe. | ||
565. Wir können aber nicht umhin, uns das Bild vom seelischen Vorgang zu machen. Und ''nicht'', weil wir ihn von uns her kennen! | '''565'''. Wir können aber nicht umhin, uns das Bild vom seelischen Vorgang zu machen. Und ''nicht'', weil wir ihn von uns her kennen! | ||
566. Könnte nicht das Verhalten, Benehmen des Vertrauens ganz allgemein unter einer Gruppe von Menschen bestehen? So daß ihnen ein Zweifel an Gefühlsäußerungen ganz fremd ist? | '''566'''. Könnte nicht das Verhalten, Benehmen des Vertrauens ganz allgemein unter einer Gruppe von Menschen bestehen? So daß ihnen ein Zweifel an Gefühlsäußerungen ganz fremd ist? | ||
567. Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, insofern man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, schilderte. Nicht, was ''einer jetzt'' tut, eine einzelne Handlung, sondern das ganze Gewimmel der menschlichen Handlungen, der Hintergrund, worauf wir jede Handlung sehen, bestimmt unser Urteil, unsere Begriffe und Reaktionen. | '''567'''. Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, insofern man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, schilderte. Nicht, was ''einer jetzt'' tut, eine einzelne Handlung, sondern das ganze Gewimmel der menschlichen Handlungen, der Hintergrund, worauf wir jede Handlung sehen, bestimmt unser Urteil, unsere Begriffe und Reaktionen. | ||
568. Wenn das Leben ein Teppich wäre, so ist dies Muster (der Verstellung z. B.) nicht immer vollständig und vielfach variiert. Aber wir, in unserer Begriffswelt, sehen immer wieder das Gleiche mit Variationen wiederkehren. So fassen es unsere Begriffe auf. Die Begriffe sind ja nicht für einmaligen Gebrauch. | '''568'''. Wenn das Leben ein Teppich wäre, so ist dies Muster (der Verstellung z. B.) nicht immer vollständig und vielfach variiert. Aber wir, in unserer Begriffswelt, sehen immer wieder das Gleiche mit Variationen wiederkehren. So fassen es unsere Begriffe auf. Die Begriffe sind ja nicht für einmaligen Gebrauch. | ||
569. Und ein Muster ist im Teppich mit vielen andern Mustern verwoben. | '''569'''. Und ein Muster ist im Teppich mit vielen andern Mustern verwoben. | ||
570. "So ''kann'' man sich nicht verstellen."—Und das kann eine Erfahrung sein,—daß nämlich niemand, der sich so benimmt, sich später so und so benehmen werde; aber auch eine begriffliche Feststellung ("Das wäre nicht mehr Verstellung"); und die beiden können zusammenhängen. | '''570'''. "So ''kann'' man sich nicht verstellen."—Und das kann eine Erfahrung sein,—daß nämlich niemand, der sich so benimmt, sich später so und so benehmen werde; aber auch eine begriffliche Feststellung ("Das wäre nicht mehr Verstellung"); und die beiden können zusammenhängen. | ||
Das kann man nicht mehr "Verstellung" nennen. | Das kann man nicht mehr "Verstellung" nennen. | ||
Line 1,648: | Line 1,648: | ||
(Vergleiche: "So kann man nicht reden ohne zu denken", "So kann man nicht unwillkürlich handeln.") | (Vergleiche: "So kann man nicht reden ohne zu denken", "So kann man nicht unwillkürlich handeln.") | ||
571. "Könntest du dir nicht eine weitere Umgebung denken, in der auch das noch als Verstellung zu deuten wäre?" Muß nicht jedes Benchmen sich so deuten lassen? | '''571'''. "Könntest du dir nicht eine weitere Umgebung denken, in der auch das noch als Verstellung zu deuten wäre?" Muß nicht jedes Benchmen sich so deuten lassen? | ||
Aber was heißt es: daß alles Benehmen noch immer Verstellung sein ''könnte''? Hat denn Erfahrung uns das gelehrt? Und wie können wir anders über Verstellung unterrichtet sein? Nein es ist eine Bemerkung über den Begriff 'Verstellung'. Aber da wäre ja dieser Begriff unbrauchbar, denn die Verstellung hätte keine Kriterien im Benehmen. | Aber was heißt es: daß alles Benehmen noch immer Verstellung sein ''könnte''? Hat denn Erfahrung uns das gelehrt? Und wie können wir anders über Verstellung unterrichtet sein? Nein es ist eine Bemerkung über den Begriff 'Verstellung'. Aber da wäre ja dieser Begriff unbrauchbar, denn die Verstellung hätte keine Kriterien im Benehmen. | ||
572. Liegt hier nicht etwas Ähnliches vor, wie das Verhältnis der euklidischen Geometrie zur Sinneserfahrung? (Ich meine: es sei eine tiefgehende Ähnlichkeit vorhanden. Denn auch die euklidische Geometrie entspricht ja der Erfahrung nur in einer durchaus nicht leicht verständlichen Weise, und nicht etwa nur wie das Exaktere dem Unexakteren. | '''572'''. Liegt hier nicht etwas Ähnliches vor, wie das Verhältnis der euklidischen Geometrie zur Sinneserfahrung? (Ich meine: es sei eine tiefgehende Ähnlichkeit vorhanden. Denn auch die euklidische Geometrie entspricht ja der Erfahrung nur in einer durchaus nicht leicht verständlichen Weise, und nicht etwa nur wie das Exaktere dem Unexakteren. | ||
573. Es gibt doch im Benehmen Vertrauen und Mißtrauen! | '''573'''. Es gibt doch im Benehmen Vertrauen und Mißtrauen! | ||
Klagt einer z. B., so kann ich mit völliger Sicherheit vertrauensvoll reagieren, oder unsicher und wie einer, der Verdacht hat. Es braucht dazu keine Worte noch Gedanken. | Klagt einer z. B., so kann ich mit völliger Sicherheit vertrauensvoll reagieren, oder unsicher und wie einer, der Verdacht hat. Es braucht dazu keine Worte noch Gedanken. | ||
574. Ist das, wovon er sagt, er habe es, und wovon ich sage, ich habe es, ohne daß wir dies aus irgendeiner Beobachtung erschließen,—ist es dasselbe, wie das, was wir aus der Beobachtung des Benehmens des Andern und aus seiner Überzeugungs''äußerung'' entnehmen? | '''574'''. Ist das, wovon er sagt, er habe es, und wovon ich sage, ich habe es, ohne daß wir dies aus irgendeiner Beobachtung erschließen,—ist es dasselbe, wie das, was wir aus der Beobachtung des Benehmens des Andern und aus seiner Überzeugungs''äußerung'' entnehmen? | ||
575. Kann man sagen: Ich ''schließe'', daß er handeln wird, wie ''er'' zu handeln ''beabsichtigt''? | '''575'''. Kann man sagen: Ich ''schließe'', daß er handeln wird, wie ''er'' zu handeln ''beabsichtigt''? | ||
(Fall der falschen Geste.) | (Fall der falschen Geste.) | ||
576. Warum schließe ich nie von meinen Worten auf meine wahrscheinlichen Handlungen? Aus demselben Grunde, aus welchem ich nicht von meinem Gesichtsausdruck auf mein wahrscheinliches Benchmen schließe.—Denn nicht das ist das Interessante, daß ich nicht aus meinem Ausdruck der Gemütsbewegung auf meine Gemütsbewegung schließe, sondern, daß ich aus jenem Ausdruck auch nicht auf mein späteres Verhalten schließe, wie dies doch die Andern tun, die mich beobachten. | '''576'''. Warum schließe ich nie von meinen Worten auf meine wahrscheinlichen Handlungen? Aus demselben Grunde, aus welchem ich nicht von meinem Gesichtsausdruck auf mein wahrscheinliches Benchmen schließe.—Denn nicht das ist das Interessante, daß ich nicht aus meinem Ausdruck der Gemütsbewegung auf meine Gemütsbewegung schließe, sondern, daß ich aus jenem Ausdruck auch nicht auf mein späteres Verhalten schließe, wie dies doch die Andern tun, die mich beobachten. | ||
577. Willkürlich sind gewisse Bewegungen mit ihrer normalen ''Umgebung'' von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln. Bewegungen, von denen es Sinn hat zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umgebung | '''577'''. Willkürlich sind gewisse Bewegungen mit ihrer normalen ''Umgebung'' von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln. Bewegungen, von denen es Sinn hat zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umgebung | ||
578. Wenn einer uns nun sagte, ''er'' esse unwillkürlich,—welche Evidenz würde mich dies glauben machen? | '''578'''. Wenn einer uns nun sagte, ''er'' esse unwillkürlich,—welche Evidenz würde mich dies glauben machen? | ||
579. Man ruft sich ein Niesen oder einen Hustenanfall hervor, aber nicht eine willkürliche Bewegung. Und der Wille ruft das Niesen nicht hervor und auch nicht das Gehen. | '''579'''. Man ruft sich ein Niesen oder einen Hustenanfall hervor, aber nicht eine willkürliche Bewegung. Und der Wille ruft das Niesen nicht hervor und auch nicht das Gehen. | ||
580. Mein Ausdruck kam daher, daß ich mir das Wollen als ein Herbeiführen dachte,—aber nicht als ein Verursachen, sondern—ich möchte sagen—als ein direktes, nicht-kausales Herbeiführen. Und dieser Idee liegt die Vorstellung zu Grunde, daß der kausale Nexus die Verbindung zweier Maschinenteile durch einen Mechanismus, etwa eine Reihe von Zahnrädern ist. | '''580'''. Mein Ausdruck kam daher, daß ich mir das Wollen als ein Herbeiführen dachte,—aber nicht als ein Verursachen, sondern—ich möchte sagen—als ein direktes, nicht-kausales Herbeiführen. Und dieser Idee liegt die Vorstellung zu Grunde, daß der kausale Nexus die Verbindung zweier Maschinenteile durch einen Mechanismus, etwa eine Reihe von Zahnrädern ist. | ||
581. Ist "Ich tue mein Möglichstes” die Äußerung eines Erlebnisses?—''Ein'' Unterschied: Man sagt "Tue dein Möglichstes!" | '''581'''. Ist "Ich tue mein Möglichstes” die Äußerung eines Erlebnisses?—''Ein'' Unterschied: Man sagt "Tue dein Möglichstes!" | ||
582. Wenn einer mich auf der Straße trifft und fragt "Wohin gehst du?" und ich antworte "Ich weiß es nicht", so nimmt er an, ich habe keine bestimmte ''Absicht''; nicht, ich wisse nicht, ob ich meine Absicht werde ausführen können. (Hebel.)" | '''582'''. Wenn einer mich auf der Straße trifft und fragt "Wohin gehst du?" und ich antworte "Ich weiß es nicht", so nimmt er an, ich habe keine bestimmte ''Absicht''; nicht, ich wisse nicht, ob ich meine Absicht werde ausführen können. (Hebel.)" | ||
583. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Einer Linie unwillkürlich folgen——Einer Linie mit Absicht folgen. | '''583'''. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Einer Linie unwillkürlich folgen——Einer Linie mit Absicht folgen. | ||
Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Eine Linie mit Bedacht und großer Aufmerksamkeit nachzichen——Aufmerksam beobachten, wie meine Hand einer Linie folgt. | Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Eine Linie mit Bedacht und großer Aufmerksamkeit nachzichen——Aufmerksam beobachten, wie meine Hand einer Linie folgt. | ||
584. Gewisse Unterschiede sind leicht anzugeben. Einer liegt im Voraussehen dessen, was die Hand tun wird. | '''584'''. Gewisse Unterschiede sind leicht anzugeben. Einer liegt im Voraussehen dessen, was die Hand tun wird. | ||
585. Die Erfahrung: neue Erfahrung kennen zu lernen. Etwa beim Schreiben. Wann sagt man, man habe eine neue Erfahrung kennen gelernt? Wie gebraucht man so einen Satz? | '''585'''. Die Erfahrung: neue Erfahrung kennen zu lernen. Etwa beim Schreiben. Wann sagt man, man habe eine neue Erfahrung kennen gelernt? Wie gebraucht man so einen Satz? | ||
586. Das Schreiben ist gewiß eine willkürliche Bewegung, und doch eine automatische. Und von einem Fühlen jeder Schreibbewegung ist natürlich nicht die Rede. Man fühlt etwas, aber könnte das Gefühl unmöglich zergliedern. Die Hand schreibt; sie schreibt nicht, weil man will, sondern man will, was sie schreibt. | '''586'''. Das Schreiben ist gewiß eine willkürliche Bewegung, und doch eine automatische. Und von einem Fühlen jeder Schreibbewegung ist natürlich nicht die Rede. Man fühlt etwas, aber könnte das Gefühl unmöglich zergliedern. Die Hand schreibt; sie schreibt nicht, weil man will, sondern man will, was sie schreibt. | ||
Man sieht ihr nicht erstaunt oder mit Interesse beim Schreiben zu; denkt nicht "Was wird sie nun schreiben?" Aber nicht, weil man eben wünschte, sie solle das schreiben. Denn, daß sie schreibt, was ich wünsche, könnte mich ja erst recht in Erstaunen versetzen. | Man sieht ihr nicht erstaunt oder mit Interesse beim Schreiben zu; denkt nicht "Was wird sie nun schreiben?" Aber nicht, weil man eben wünschte, sie solle das schreiben. Denn, daß sie schreibt, was ich wünsche, könnte mich ja erst recht in Erstaunen versetzen. | ||
587. Das Kind lernt gehen, kriechen, spielen. Es lernt nicht, willkürlich und unwillkürlich spielen. Aber was macht die Bewegungen des Spiels zu willkürlichen Bewegungen?—Wie wäre es denn, wenn sie unwillkürlich wären?—Ich könnte ebensowohl fragen: Was macht denn diese Bewegung zu einem Spielen?—Ihr Charakter und ihre Umgebung. | '''587'''. Das Kind lernt gehen, kriechen, spielen. Es lernt nicht, willkürlich und unwillkürlich spielen. Aber was macht die Bewegungen des Spiels zu willkürlichen Bewegungen?—Wie wäre es denn, wenn sie unwillkürlich wären?—Ich könnte ebensowohl fragen: Was macht denn diese Bewegung zu einem Spielen?—Ihr Charakter und ihre Umgebung. | ||
588. Aktiv und passiv. Kann man es befehlen oder nicht? Dies scheint vielleicht eine weithergeholte Unterscheidung, ist es aber nicht. Es ist ähnlich wie: "Kann man sich (''logische'' Möglichkeit) dazu entschließen oder nicht?"—Und das heißt: Wie ist es von Gedanken, Gefühlen etc. umgeben? | '''588'''. Aktiv und passiv. Kann man es befehlen oder nicht? Dies scheint vielleicht eine weithergeholte Unterscheidung, ist es aber nicht. Es ist ähnlich wie: "Kann man sich (''logische'' Möglichkeit) dazu entschließen oder nicht?"—Und das heißt: Wie ist es von Gedanken, Gefühlen etc. umgeben? | ||
589. "Wenn ich mich anstrenge, ''tue'' ich doch etwas, habe doch nicht bloß eine Empfindung." Und so ist es auch; denn man befiehlt einem: "Streng dich an!" und er kann die Absicht äußern "Ich werde mich jetzt anstrengen". Und wenn er sagt "Ich kann nicht mehr!"—so heißt das nicht "Ich kann das Gefühl in meinen Gliedern—den Schmerz z. B.—nicht länger ertragen".—Andererseits aber ''leidet'' man unter der Anstrengung wie unter Schmerzen. "Ich bin gänzlich erschöpft"—wer das sagte, sich aber so frisch bewegte wie je, den würde man nicht verstehen. | '''589'''. "Wenn ich mich anstrenge, ''tue'' ich doch etwas, habe doch nicht bloß eine Empfindung." Und so ist es auch; denn man befiehlt einem: "Streng dich an!" und er kann die Absicht äußern "Ich werde mich jetzt anstrengen". Und wenn er sagt "Ich kann nicht mehr!"—so heißt das nicht "Ich kann das Gefühl in meinen Gliedern—den Schmerz z. B.—nicht länger ertragen".—Andererseits aber ''leidet'' man unter der Anstrengung wie unter Schmerzen. "Ich bin gänzlich erschöpft"—wer das sagte, sich aber so frisch bewegte wie je, den würde man nicht verstehen. | ||
590. Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt, so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger), sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem. | '''590'''. Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt, so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger), sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem. | ||
591. Mein Benchmen ist eben manchmal Gegenstand meiner Beobachtung, aber doch ''selten''. Und das hängt damit zusammen, daß ich mein Benehmen beabsichtige. Selbst wenn der Schauspieler im Spiegel seine eigenen Mienen beobachtet, oder der Musiker genau auf jeden Ton seines Spiels merkt und ihn beurteilt, so geschicht es doch, um seine Handlung danach zu richten. | '''591'''. Mein Benchmen ist eben manchmal Gegenstand meiner Beobachtung, aber doch ''selten''. Und das hängt damit zusammen, daß ich mein Benehmen beabsichtige. Selbst wenn der Schauspieler im Spiegel seine eigenen Mienen beobachtet, oder der Musiker genau auf jeden Ton seines Spiels merkt und ihn beurteilt, so geschicht es doch, um seine Handlung danach zu richten. | ||
592. Was heißt es z. B., daß Selbstbeobachtung mein Handeln, meine Bewegungen unsicher macht? | '''592'''. Was heißt es z. B., daß Selbstbeobachtung mein Handeln, meine Bewegungen unsicher macht? | ||
Ich kann mich nicht unbeobachtet beobachten. Und ich beobachte mich nicht zu dem gleichen Zweck wie den Andern. | Ich kann mich nicht unbeobachtet beobachten. Und ich beobachte mich nicht zu dem gleichen Zweck wie den Andern. | ||
593. Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!” | '''593'''. Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!” | ||
594. Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Außerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Uberlegens und seine Wirkungen. | '''594'''. Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Außerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Uberlegens und seine Wirkungen. | ||
595. Wie könnte ich mir beweisen, daß ich meinen Arm willkürlich bewegen kann? Etwa, indem ich mir sage "Ich werde ihn jetzt bewegen" und er sich nun bewegt? Oder soll ich sagen "Einfach, indem ich ihn bewege"? Aber wie weiß ich, daß ich es getan habe, und er sich nicht nur durch Zufall bewegt hat? Fühle ich es am Ende doch? Und wie, wenn mich meine Erinnerung an frühere Gefühle täuschte, und es also gar nicht die richtigen maßgebenden Gefühle waren?! (Und welches sind die Richtigen?) Und wie weiß denn der Andere, ob ''ich'' den Arm willkürlich bewegt habe? Ich werde ihm vielleicht sagen "Befiehl mir, welche Bewegung du willst, und ich werde sie machen, um dich zu überzeugen".—Und was fühlst du denn in deinem Arm? "Nun, das Gewöhnliche." Es ist nichts Ungewöhnliches an den Gefühlen,der Arm ist z. B. nicht gefühllos (wie wenn er ‘eingeschlafen' wäre). | '''595'''. Wie könnte ich mir beweisen, daß ich meinen Arm willkürlich bewegen kann? Etwa, indem ich mir sage "Ich werde ihn jetzt bewegen" und er sich nun bewegt? Oder soll ich sagen "Einfach, indem ich ihn bewege"? Aber wie weiß ich, daß ich es getan habe, und er sich nicht nur durch Zufall bewegt hat? Fühle ich es am Ende doch? Und wie, wenn mich meine Erinnerung an frühere Gefühle täuschte, und es also gar nicht die richtigen maßgebenden Gefühle waren?! (Und welches sind die Richtigen?) Und wie weiß denn der Andere, ob ''ich'' den Arm willkürlich bewegt habe? Ich werde ihm vielleicht sagen "Befiehl mir, welche Bewegung du willst, und ich werde sie machen, um dich zu überzeugen".—Und was fühlst du denn in deinem Arm? "Nun, das Gewöhnliche." Es ist nichts Ungewöhnliches an den Gefühlen,der Arm ist z. B. nicht gefühllos (wie wenn er ‘eingeschlafen' wäre). | ||
596. Eine Bewegung meines Körpers, von der ich nicht weiß, daß sie stattfindet oder stattgefunden hat, wird man unwillkürlich nennen.—Wie ist es aber, wenn ich bloß ''versuche'', ein Gewicht zu heben, eine Bewegung also nicht stattfindet? Wie wäre es, wenn ciner sich unwillkürlich anstrengte, ein Gewicht zu heben? Unter welchen Umständen würde man ''dies'' Verhalten 'unwillkürlich' nennen? | '''596'''. Eine Bewegung meines Körpers, von der ich nicht weiß, daß sie stattfindet oder stattgefunden hat, wird man unwillkürlich nennen.—Wie ist es aber, wenn ich bloß ''versuche'', ein Gewicht zu heben, eine Bewegung also nicht stattfindet? Wie wäre es, wenn ciner sich unwillkürlich anstrengte, ein Gewicht zu heben? Unter welchen Umständen würde man ''dies'' Verhalten 'unwillkürlich' nennen? | ||
597. Kann nicht die Ruhe ebenso willkürlich sein, wie Bewegung? Kann das Unterlassen der Bewegung nicht willkürlich sein? Welch besseres Argument gegen ein Innervationsgefühl? | '''597'''. Kann nicht die Ruhe ebenso willkürlich sein, wie Bewegung? Kann das Unterlassen der Bewegung nicht willkürlich sein? Welch besseres Argument gegen ein Innervationsgefühl? | ||
598. Was für ein merkwürdiger Begriff 'versuchen', 'trachten' ist; was man alles ‘zu tun trachten' kann! (Sich erinnern, ein Gewicht heben, aufmerken, an nichts denken.) Aber dann könnte man auch sagen: Was für ein merkwürdiger Begriff 'tun' ist! Welches sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen 'Reden' und 'Denken', zwischen 'Reden' und 'zu sich selbst reden'? (Vergleiche die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zahlenarten.) | '''598'''. Was für ein merkwürdiger Begriff 'versuchen', 'trachten' ist; was man alles ‘zu tun trachten' kann! (Sich erinnern, ein Gewicht heben, aufmerken, an nichts denken.) Aber dann könnte man auch sagen: Was für ein merkwürdiger Begriff 'tun' ist! Welches sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen 'Reden' und 'Denken', zwischen 'Reden' und 'zu sich selbst reden'? (Vergleiche die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zahlenarten.) | ||
599. Man zicht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung, als aus der willkürlichen: das ''charakterisiert'' die willkürliche Bewegung. | '''599'''. Man zicht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung, als aus der willkürlichen: das ''charakterisiert'' die willkürliche Bewegung. | ||
600. Aber wie weiß ich, daß diese Bewegung willkürlich war?—Ich weiß es nicht, ich äußere es. | '''600'''. Aber wie weiß ich, daß diese Bewegung willkürlich war?—Ich weiß es nicht, ich äußere es. | ||
601. "Ich ziehe so stark, wie ich kann." Wie weiß ich das? Sagt es mir mein Muskelgefühl? Die Worte sind ein Signal; und sie haben eine ''Funktion''. | '''601'''. "Ich ziehe so stark, wie ich kann." Wie weiß ich das? Sagt es mir mein Muskelgefühl? Die Worte sind ein Signal; und sie haben eine ''Funktion''. | ||
Aber ''erlebe'' ich denn nichts? Erlebe ich denn nicht etwas? Etwas Spezifisches? Ein spezifisches Gefühl der Anstrengung und des Nicht-weiter-könnens, des Anlangens an der Grenze? Freilich, aber diese Ausdrücke sagen nicht mehr, als "Ich ziche so stark, wie ich kann.” | Aber ''erlebe'' ich denn nichts? Erlebe ich denn nicht etwas? Etwas Spezifisches? Ein spezifisches Gefühl der Anstrengung und des Nicht-weiter-könnens, des Anlangens an der Grenze? Freilich, aber diese Ausdrücke sagen nicht mehr, als "Ich ziche so stark, wie ich kann.” | ||
602. Vergleiche damit diesen Fall: Jemand soll sagen, was er fühlt, wenn ihm ein Gewicht auf der flachen Hand ruht. Ich kann mir nun vorstellen, daß hier ein Zwiespalt entsteht: Einerseits sagt er sich, was er fühle, sei eine Pressung gegen die Handfläche und eine Spannung in den Muskeln seines Arms; anderseits will er sagen: "aber das ist doch nicht alles; ich empfinde doch einen Zug, ein Streben des Gewichts nach unten!"—Empfindet er denn ein solches 'Streben'? Ja: wenn er nämlich an das 'Streben' denkt. Mit dem Wort "Streben" geht hier ein bestimmtes Bild, eine Geste, ein Tonfall; und in diesem siehst du das Erlebnis des Strebens. | '''602'''. Vergleiche damit diesen Fall: Jemand soll sagen, was er fühlt, wenn ihm ein Gewicht auf der flachen Hand ruht. Ich kann mir nun vorstellen, daß hier ein Zwiespalt entsteht: Einerseits sagt er sich, was er fühle, sei eine Pressung gegen die Handfläche und eine Spannung in den Muskeln seines Arms; anderseits will er sagen: "aber das ist doch nicht alles; ich empfinde doch einen Zug, ein Streben des Gewichts nach unten!"—Empfindet er denn ein solches 'Streben'? Ja: wenn er nämlich an das 'Streben' denkt. Mit dem Wort "Streben" geht hier ein bestimmtes Bild, eine Geste, ein Tonfall; und in diesem siehst du das Erlebnis des Strebens. | ||
(Denke auch daran: Manche Leute sagen, von dem und dem 'gehe ein Fluidum aus'.—Daher fiel uns auch das Wort "''Einfluß''" ein.) | (Denke auch daran: Manche Leute sagen, von dem und dem 'gehe ein Fluidum aus'.—Daher fiel uns auch das Wort "''Einfluß''" ein.) | ||
603. Die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens. Wäre sie nicht vorhanden,—würde man dann auch sagen, man konne nie wissen, was im Andern vorgeht? | '''603'''. Die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens. Wäre sie nicht vorhanden,—würde man dann auch sagen, man konne nie wissen, was im Andern vorgeht? | ||
604. Aber wie wär's, wenn das menschliche Benchmen nicht unvorhersehbar wäre? Wie hat man sich das vorzustellen? (D. h.: wie auszumalen, welche Verbindungen anzunehmen?) | '''604'''. Aber wie wär's, wenn das menschliche Benchmen nicht unvorhersehbar wäre? Wie hat man sich das vorzustellen? (D. h.: wie auszumalen, welche Verbindungen anzunehmen?) | ||
605. Eine der philosophisch gefährlichsten Ideen ist, merkwürdigerweise, daß wir mit dem Kopf oder im Kopf denken. | '''605'''. Eine der philosophisch gefährlichsten Ideen ist, merkwürdigerweise, daß wir mit dem Kopf oder im Kopf denken. | ||
606. Die Idee vom Denken als einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt ihm etwas Okkultes. | '''606'''. Die Idee vom Denken als einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt ihm etwas Okkultes. | ||
607. Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen, der den gleichen Zweck erfüllt, sozusagen mit einer Prothese das Denken besorgen? Wie müßte man sich eine Denkprothese vorstellen? | '''607'''. Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen, der den gleichen Zweck erfüllt, sozusagen mit einer Prothese das Denken besorgen? Wie müßte man sich eine Denkprothese vorstellen? | ||
608. Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das ''System'' sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem—daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Planzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde,—daß aber ''nichts'' in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen,—daß man dies nur aus seiner ''Geschichte'' tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte. | '''608'''. Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das ''System'' sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem—daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Planzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde,—daß aber ''nichts'' in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen,—daß man dies nur aus seiner ''Geschichte'' tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte. | ||
609. Es ist also wohl möglich, daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden ''können'', weil ihnen physiologisch nichts entspricht. | '''609'''. Es ist also wohl möglich, daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden ''können'', weil ihnen physiologisch nichts entspricht. | ||
610. Ich habe diesen Mann vor Jahren gesehen; nun sehe ich ihn wieder, erkenne ihn, erinnere mich seines Namens. Un warum muß es nun für dies Erinnern eine Ursache in meinem Nervensystem geben? Warum muß irgend etwas, was immer, ''in irgendeiner Form'' dort aufgespeichert worden sein? Warum ''muß'' er eine Spur hinterlassen haben? Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der ''keine'' physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden. | '''610'''. Ich habe diesen Mann vor Jahren gesehen; nun sehe ich ihn wieder, erkenne ihn, erinnere mich seines Namens. Un warum muß es nun für dies Erinnern eine Ursache in meinem Nervensystem geben? Warum muß irgend etwas, was immer, ''in irgendeiner Form'' dort aufgespeichert worden sein? Warum ''muß'' er eine Spur hinterlassen haben? Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der ''keine'' physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden. | ||
611. Das Vorurteil zugunsten des psycho-physischen Parallelismus ist cine Frucht primitiver Auffassungen unserer Begriffe. Denn wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so denkt man damit das Eingeständnis eines nebelhaften Seelenwesens zu machen. | '''611'''. Das Vorurteil zugunsten des psycho-physischen Parallelismus ist cine Frucht primitiver Auffassungen unserer Begriffe. Denn wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so denkt man damit das Eingeständnis eines nebelhaften Seelenwesens zu machen. | ||
612. Denke dir diese Erscheinung: Wenn ich will, daß jemand sich einen Text merkt, den ich ihm vorspreche, so daß er ihn mir später wiederholen kann, muß ich ihm ein Papier und einen Bleistift geben; und während ich spreche, schreibt er Striche, Zeichen auf das Papier; soll er später den Text reproduzieren, so folgt er jenen Strichen mit den Augen und sagt den Text her. Ich nehme aber an, seine Aufzeichnung sei keine ''Schrift'', sie hänge nicht durch Regeln mit den Worten des Textes zusammen; und doch kann er ohne diese Aufzeichnung den Text nicht reproduzieren; und wird an ihr etwas geändert, wird sie zum Teil zerstört, so bleibt er beim 'Lesen' stecken oder spricht den Text unsicher oder unzuverlässig oder kann die Worte überhaupt nicht finden.—Das ließe sich doch denken!—Was ich die 'Aufzeichnung' nannte, wäre dann keine ''Wiedergabe'' des Textes, nicht eine Übersetzung sozusagen in einem anderen Symbolismus. Der Text wäre nicht in der Aufzeichnung ''niedergelegt''. Und warum sollte er in unserm Nervensystem niedergelegt sein? | '''612'''. Denke dir diese Erscheinung: Wenn ich will, daß jemand sich einen Text merkt, den ich ihm vorspreche, so daß er ihn mir später wiederholen kann, muß ich ihm ein Papier und einen Bleistift geben; und während ich spreche, schreibt er Striche, Zeichen auf das Papier; soll er später den Text reproduzieren, so folgt er jenen Strichen mit den Augen und sagt den Text her. Ich nehme aber an, seine Aufzeichnung sei keine ''Schrift'', sie hänge nicht durch Regeln mit den Worten des Textes zusammen; und doch kann er ohne diese Aufzeichnung den Text nicht reproduzieren; und wird an ihr etwas geändert, wird sie zum Teil zerstört, so bleibt er beim 'Lesen' stecken oder spricht den Text unsicher oder unzuverlässig oder kann die Worte überhaupt nicht finden.—Das ließe sich doch denken!—Was ich die 'Aufzeichnung' nannte, wäre dann keine ''Wiedergabe'' des Textes, nicht eine Übersetzung sozusagen in einem anderen Symbolismus. Der Text wäre nicht in der Aufzeichnung ''niedergelegt''. Und warum sollte er in unserm Nervensystem niedergelegt sein? | ||
613. Warum soll nicht ein Naturgesetz einen Anfangs- und einen Endzustand eines Systems verbinden, den Zustand zwischen beiden aber übergehen? (Nur denke man nicht an ''Wirkung''!) | '''613'''. Warum soll nicht ein Naturgesetz einen Anfangs- und einen Endzustand eines Systems verbinden, den Zustand zwischen beiden aber übergehen? (Nur denke man nicht an ''Wirkung''!) | ||
614. "Wie kommt es, daß ich den Baum aufrecht sehe, auch wenn ich meinen Kopf zur Seite neige, und also das Netzhautbild das eines schiefstehenden Baums ist?” Wie kommt es also, daß ich den Baum auch unter diesen Umständen als einen aufrechten anspreche?—"Nun, ich bin mir der Neigung meines Kopfes bewußt, und ich bringe also die nötige Korrektur an der Auffassung meiner Gesichtseindrücke an."—Aber heißt das nicht, Primäres mit Sekundärem verwechseln? Denke dir, wir wüßten ''gar nichts'' von der innern Beschaffenheit des Auges,—würde dies Problem überhaupt auftauchen? Wir bringen ja hier in Wahrheit keine Korrekturen an, dies ist ja bloß eine Erklärung. | '''614'''. "Wie kommt es, daß ich den Baum aufrecht sehe, auch wenn ich meinen Kopf zur Seite neige, und also das Netzhautbild das eines schiefstehenden Baums ist?” Wie kommt es also, daß ich den Baum auch unter diesen Umständen als einen aufrechten anspreche?—"Nun, ich bin mir der Neigung meines Kopfes bewußt, und ich bringe also die nötige Korrektur an der Auffassung meiner Gesichtseindrücke an."—Aber heißt das nicht, Primäres mit Sekundärem verwechseln? Denke dir, wir wüßten ''gar nichts'' von der innern Beschaffenheit des Auges,—würde dies Problem überhaupt auftauchen? Wir bringen ja hier in Wahrheit keine Korrekturen an, dies ist ja bloß eine Erklärung. | ||
Wohl——aber da nun die Struktur des Auges einmal bekannt ist,—''wie kommt es'', daß wir so handeln, so reagieren? Aber muß es hier eine physiologische Erklärung geben? Wie, wenn wir sie auf sich beruhen ließen? Aber so würdest du doch nicht sprechen, wenn du das Verhalten einer Maschine prüftest!—Nun, wer sagt, daß in diesem Sinne das Lebewesen, der tierische Leib eine Maschine ist?— | Wohl——aber da nun die Struktur des Auges einmal bekannt ist,—''wie kommt es'', daß wir so handeln, so reagieren? Aber muß es hier eine physiologische Erklärung geben? Wie, wenn wir sie auf sich beruhen ließen? Aber so würdest du doch nicht sprechen, wenn du das Verhalten einer Maschine prüftest!—Nun, wer sagt, daß in diesem Sinne das Lebewesen, der tierische Leib eine Maschine ist?— | ||
615. (Ich habe noch nie eine Bemerkung darüber gelesen, daß, wenn man ein Auge schließt und "nur mit einem Auge sicht", man die Finsternis (Schwärze) nicht zugleich mit dem geschlossenen sicht.) | '''615'''. (Ich habe noch nie eine Bemerkung darüber gelesen, daß, wenn man ein Auge schließt und "nur mit einem Auge sicht", man die Finsternis (Schwärze) nicht zugleich mit dem geschlossenen sicht.) | ||
616. Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes ist am klarsten, wenn wir nichts schen bei vollständiger Dunkelheit. | '''616'''. Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes ist am klarsten, wenn wir nichts schen bei vollständiger Dunkelheit. | ||
617. Wie verhält es sich mit dem Blinden; kann ihm ein Teil der ''Sprache'' nicht erklärt werden? Oder vielmehr nicht ''beschrieben'' werden? | '''617'''. Wie verhält es sich mit dem Blinden; kann ihm ein Teil der ''Sprache'' nicht erklärt werden? Oder vielmehr nicht ''beschrieben'' werden? | ||
618. Ein Blinder kann sagen, er sei blind und die Leute um ihn seien schend. "Ja, aber meint er nicht doch etwas Anderes mit den Worten 'blind' und 'sehend' als der Sehende?" Worauf beruht es, daß man so etwas sagen will? Nun, wenn einer nicht wüßte, wie ein Leopard ausschaut, so könnte er doch sagen und verstehen “Dieser Ort ist sehr gefährlich, es gibt Leoparden dort". Man würde aber doch vielleicht sagen, er weiß nicht, was ein Leopard ist, also nicht oder nur unvollständig, was das Wort "Leopard" bedeutet, bis man ihm einmal ein solches Tier zeigt. Nun kommt es uns mit den Blinden ähnlich vor. Sie wissen sozusagen nicht, wie sehen ist.—Ist nun 'Furcht nicht kennen' analog dem 'nie einen Leoparden gesehen haben'? Das will ich natürlich verneinen. | '''618'''. Ein Blinder kann sagen, er sei blind und die Leute um ihn seien schend. "Ja, aber meint er nicht doch etwas Anderes mit den Worten 'blind' und 'sehend' als der Sehende?" Worauf beruht es, daß man so etwas sagen will? Nun, wenn einer nicht wüßte, wie ein Leopard ausschaut, so könnte er doch sagen und verstehen “Dieser Ort ist sehr gefährlich, es gibt Leoparden dort". Man würde aber doch vielleicht sagen, er weiß nicht, was ein Leopard ist, also nicht oder nur unvollständig, was das Wort "Leopard" bedeutet, bis man ihm einmal ein solches Tier zeigt. Nun kommt es uns mit den Blinden ähnlich vor. Sie wissen sozusagen nicht, wie sehen ist.—Ist nun 'Furcht nicht kennen' analog dem 'nie einen Leoparden gesehen haben'? Das will ich natürlich verneinen. | ||
619. Könnte ich denn nicht z. B. annehmen, daß er etwas Rotes sieht, wenn ich ihn auf den Kopf schlage? Es könnte das ja bei Sehenden einer Erfahrung entsprechen. | '''619'''. Könnte ich denn nicht z. B. annehmen, daß er etwas Rotes sieht, wenn ich ihn auf den Kopf schlage? Es könnte das ja bei Sehenden einer Erfahrung entsprechen. | ||
Das angenommen, so ist er doch für das praktische Leben blind. D. h., er reagiert nicht wie der normale Mensch. Wenn aber jemand mit den Augen blind wäre, dagegen sich so benähme, daß wir sagen müßten, er sieht mit den Handflächen (dieses Benehmen ist leicht auszumalen), so würden wir ihn als Sehenden behandeln und auch die Erklärung des Wortes 'rot' mit dem Täfelchen würden wir hier für möglich halten. | Das angenommen, so ist er doch für das praktische Leben blind. D. h., er reagiert nicht wie der normale Mensch. Wenn aber jemand mit den Augen blind wäre, dagegen sich so benähme, daß wir sagen müßten, er sieht mit den Handflächen (dieses Benehmen ist leicht auszumalen), so würden wir ihn als Sehenden behandeln und auch die Erklärung des Wortes 'rot' mit dem Täfelchen würden wir hier für möglich halten. | ||
620. Du gibst jemandem ein Signal, wenn du dir etwas vorstellst; du benützt verschiedene Signale für verschiedene Vorstellungen.—Wie vereinbart ihr, was jedes Signal bedeuten soll? | '''620'''. Du gibst jemandem ein Signal, wenn du dir etwas vorstellst; du benützt verschiedene Signale für verschiedene Vorstellungen.—Wie vereinbart ihr, was jedes Signal bedeuten soll? | ||
621. Gehörsvorstellung, Gesichtsvorstellung, wie unterscheiden sie sich von den Empfindungen? Nicht durch "Lebhaftigkeit". | '''621'''. Gehörsvorstellung, Gesichtsvorstellung, wie unterscheiden sie sich von den Empfindungen? Nicht durch "Lebhaftigkeit". | ||
Vorstellungen belehren uns nicht über die Außenwelt, weder richtig noch falsch. (Vorstellungen sind nicht Halluzinationen, auch nicht Einbildungen.) | Vorstellungen belehren uns nicht über die Außenwelt, weder richtig noch falsch. (Vorstellungen sind nicht Halluzinationen, auch nicht Einbildungen.) | ||
Line 1,782: | Line 1,782: | ||
Auf die Frage "Was stellst du dir vor", kann man mit einem Bild antworten. | Auf die Frage "Was stellst du dir vor", kann man mit einem Bild antworten. | ||
622. Man möchte sagen: Der vorgestellte Klang sei in einem andern ''Raum'' als der gehörte. (Frage: Warum?) Das Geschene in einem andern Raum, als das Vorgestellte. | '''622'''. Man möchte sagen: Der vorgestellte Klang sei in einem andern ''Raum'' als der gehörte. (Frage: Warum?) Das Geschene in einem andern Raum, als das Vorgestellte. | ||
Hören ist mit Hinhorchen verbunden; einen Klang sich vorstellen, nicht. | Hören ist mit Hinhorchen verbunden; einen Klang sich vorstellen, nicht. | ||
Line 1,788: | Line 1,788: | ||
Darum ist der gehörte Klang in einem andern Raum als der vorgestellte. | Darum ist der gehörte Klang in einem andern Raum als der vorgestellte. | ||
623. Ich lese eine Geschichte und stelle mir während des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens, alles mögliche vor. | '''623'''. Ich lese eine Geschichte und stelle mir während des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens, alles mögliche vor. | ||
624. Es könnte Leute geben, die nie den Ausdruck gebrauchen "etwas vor dem inneren Auge sehen", oder einen ähnlichen; und diese könnten doch imstande sein, 'aus der Vorstellung', oder nach der Erinnerung zu zeichnen, zu modellieren, Andere nachzuahmen, etc. Ein solcher möge auch, che er etwas aus der Erinnerung zeichnet, die Augen schließen oder wie blind vor sich hinstarren. Und doch könnte er leugnen, daß er dann vor sich ''sieht'', was später zeichnet. Aber wieviel müßte ich auf diese Außerung geben? Ist nach ihr zu beurteilen, ob er eine Gesichtsvorstellung hat? (Nicht nur ''danach''. Denk an den Ausdruck: "Jetzt sehe ich es vor mir—jetzt nicht mehr." Es gibt da eine echte Dauer.) | '''624'''. Es könnte Leute geben, die nie den Ausdruck gebrauchen "etwas vor dem inneren Auge sehen", oder einen ähnlichen; und diese könnten doch imstande sein, 'aus der Vorstellung', oder nach der Erinnerung zu zeichnen, zu modellieren, Andere nachzuahmen, etc. Ein solcher möge auch, che er etwas aus der Erinnerung zeichnet, die Augen schließen oder wie blind vor sich hinstarren. Und doch könnte er leugnen, daß er dann vor sich ''sieht'', was später zeichnet. Aber wieviel müßte ich auf diese Außerung geben? Ist nach ihr zu beurteilen, ob er eine Gesichtsvorstellung hat? (Nicht nur ''danach''. Denk an den Ausdruck: "Jetzt sehe ich es vor mir—jetzt nicht mehr." Es gibt da eine echte Dauer.) | ||
625. Ich hätte früher auch sagen können: Der ''Zusammenhang'' zwischen Vorstellen und Sehen ist eng; eine ''Ähnlichkeit'' aber gibt es nicht. | '''625'''. Ich hätte früher auch sagen können: Der ''Zusammenhang'' zwischen Vorstellen und Sehen ist eng; eine ''Ähnlichkeit'' aber gibt es nicht. | ||
Die Sprachspiele, die diese Begriffe verwenden, sind grundver. schieden,—hängen aber zusammen. | Die Sprachspiele, die diese Begriffe verwenden, sind grundver. schieden,—hängen aber zusammen. | ||
626. Unterschied: 'trachten, etwas zu sehen' und 'trachten, sich etwas vorzustellen'. Im ersten Fall sagt man etwa "Schau genau hin!", im zweiten "Schließ die Augen!" | '''626'''. Unterschied: 'trachten, etwas zu sehen' und 'trachten, sich etwas vorzustellen'. Im ersten Fall sagt man etwa "Schau genau hin!", im zweiten "Schließ die Augen!" | ||
627. Weil das Vorstellen eine Willenshandlung ist, unterrichtet es uns eben nicht über die Außenwelt. | '''627'''. Weil das Vorstellen eine Willenshandlung ist, unterrichtet es uns eben nicht über die Außenwelt. | ||
628. Das Vorgestellte nicht im gleichen ''Raum'' wie das Geschene. Sehen ist mit Schauen verbunden. | '''628'''. Das Vorgestellte nicht im gleichen ''Raum'' wie das Geschene. Sehen ist mit Schauen verbunden. | ||
629. "Sehen und Vorstellen sind verschiedene Phänomene."—Die Wörter "sehen" und "vorstellen" haben verschieden Bedeutung! Ihre Bedeutungen beziehen sich auf eine Menge wichtiger Arten und Weisen menschlichen Verhaltens, auf Phänomene des menschlichen Lebens. | '''629'''. "Sehen und Vorstellen sind verschiedene Phänomene."—Die Wörter "sehen" und "vorstellen" haben verschieden Bedeutung! Ihre Bedeutungen beziehen sich auf eine Menge wichtiger Arten und Weisen menschlichen Verhaltens, auf Phänomene des menschlichen Lebens. | ||
630. Sag dir wieder, wenn einer darauf besteht, was er "Gesichtsvorstellung" nennt, sei ähnlich dem Gesichtseindruck: daß er sich vielleicht irrt! Oder: Wie, wenn er sich darin irrte? Das heißt: Was weißt du von der Ähnlichkeit seines Gesichtseindrucks und seiner Gesichtsvorstellung?! (Ich rede vom Andern, weil, was von ihm gilt, auch von mir gilt.) | '''630'''. Sag dir wieder, wenn einer darauf besteht, was er "Gesichtsvorstellung" nennt, sei ähnlich dem Gesichtseindruck: daß er sich vielleicht irrt! Oder: Wie, wenn er sich darin irrte? Das heißt: Was weißt du von der Ähnlichkeit seines Gesichtseindrucks und seiner Gesichtsvorstellung?! (Ich rede vom Andern, weil, was von ihm gilt, auch von mir gilt.) | ||
Was weißt du also von dieser Ähnlichkeit? Sie äußert sich nur in den Ausdrücken, die er zu gebrauchen geneigt ist; nicht in dem, was er mit diesen Ausdrücken sagt. | Was weißt du also von dieser Ähnlichkeit? Sie äußert sich nur in den Ausdrücken, die er zu gebrauchen geneigt ist; nicht in dem, was er mit diesen Ausdrücken sagt. | ||
631. "Es ist gar kein Zweifel: die Gesichtsvorstellung und der Gesichtseindruck sind von derselben Art!" Das mußt du aus deiner eigenen Erfahrung wissen, und dann ist es also etwas, was für dich stimmen mag und für andere nicht. (Und das gilt natürlich auch für mich, wenn ''ich'' es sage.) | '''631'''. "Es ist gar kein Zweifel: die Gesichtsvorstellung und der Gesichtseindruck sind von derselben Art!" Das mußt du aus deiner eigenen Erfahrung wissen, und dann ist es also etwas, was für dich stimmen mag und für andere nicht. (Und das gilt natürlich auch für mich, wenn ''ich'' es sage.) | ||
632. Wenn wir uns etwas vorstellen, beobachten wir nicht. Daß die Bilder kommen und vergehen, ''geschieht'' uns nicht. Wir sind nicht überrascht von diesen Bildern und sagen "Sieh da!..." (Gegensatz z. B. zu den Nachbildern.) | '''632'''. Wenn wir uns etwas vorstellen, beobachten wir nicht. Daß die Bilder kommen und vergehen, ''geschieht'' uns nicht. Wir sind nicht überrascht von diesen Bildern und sagen "Sieh da!..." (Gegensatz z. B. zu den Nachbildern.) | ||
633. Wir 'verscheuchen' nicht Gesichtseindrücke, aber Vorstellungen. Und wir sagen von jenen auch nicht, wir könnten sie ''nicht'' verscheuchen. | '''633'''. Wir 'verscheuchen' nicht Gesichtseindrücke, aber Vorstellungen. Und wir sagen von jenen auch nicht, wir könnten sie ''nicht'' verscheuchen. | ||
634. Wenn Einer wirklich sagte "Ich weiß nicht, sehe ich jetzt einen Baum, oder stelle ich mir einen vor", so würde ich zunächst glauben, er meine: "oder bilde ich mir nur ein, es stehe dort einer". Meint er das nicht, so könnte ich ihn überhaupt nicht verstehen—wollte mir aber jemand diesen Fall erklären und sagte "Er hat eben so außergewöhnlich lebhafte Vorstellungen, daß er sie für Sinneseindrücke halten kann"—verstünde ich es jetzt? | '''634'''. Wenn Einer wirklich sagte "Ich weiß nicht, sehe ich jetzt einen Baum, oder stelle ich mir einen vor", so würde ich zunächst glauben, er meine: "oder bilde ich mir nur ein, es stehe dort einer". Meint er das nicht, so könnte ich ihn überhaupt nicht verstehen—wollte mir aber jemand diesen Fall erklären und sagte "Er hat eben so außergewöhnlich lebhafte Vorstellungen, daß er sie für Sinneseindrücke halten kann"—verstünde ich es jetzt? | ||
635. Muß man aber hier unterscheiden: (a) mir das Gesicht eines Freundes z. B. vorstellen, aber nicht in dem Raum, der mich umgibt—(b) mir an dieser Wand dort ein Bild vorstellen? | '''635'''. Muß man aber hier unterscheiden: (a) mir das Gesicht eines Freundes z. B. vorstellen, aber nicht in dem Raum, der mich umgibt—(b) mir an dieser Wand dort ein Bild vorstellen? | ||
Man könnte auf die Aufforderung "Stell dir dort drüben cinen runden Fleck vor" sich einbilden, wirklich einen dort zu sehen. | Man könnte auf die Aufforderung "Stell dir dort drüben cinen runden Fleck vor" sich einbilden, wirklich einen dort zu sehen. | ||
636. Das 'Vorstellungsbild' tritt nicht dort ins Sprachspiel ein, wo man es vermuten möchte. | '''636'''. Das 'Vorstellungsbild' tritt nicht dort ins Sprachspiel ein, wo man es vermuten möchte. | ||
637. Ich lerne den Begriff 'sehen' mit dem Beschreiben dessen, was ich sehe. Ich lerne beobachten und das Beobachtete beschreiben. Ich lerne den Begriff 'vorstellen' in einer andern Verbindung. Die Beschreibungen des Gesehenen und des Vorgestellten sind allerdings von derselben Art, und eine Beschreibung könnte sowohl das Eine wie auch das Andere sein; aber sonst sind die Begriffe durchaus verschieden. Der Begriff des Vorstellens ist eher wie der eines Tuns, als eines Empfangens. Das Vorstellen könnte man einen schöpferischen Akt nennen. (Und nennt es ja auch so.) | '''637'''. Ich lerne den Begriff 'sehen' mit dem Beschreiben dessen, was ich sehe. Ich lerne beobachten und das Beobachtete beschreiben. Ich lerne den Begriff 'vorstellen' in einer andern Verbindung. Die Beschreibungen des Gesehenen und des Vorgestellten sind allerdings von derselben Art, und eine Beschreibung könnte sowohl das Eine wie auch das Andere sein; aber sonst sind die Begriffe durchaus verschieden. Der Begriff des Vorstellens ist eher wie der eines Tuns, als eines Empfangens. Das Vorstellen könnte man einen schöpferischen Akt nennen. (Und nennt es ja auch so.) | ||
638. "Ja, aber die Vorstellung selbst, so wie der Gesichtseindruck ist doch das innere Bild, und ''du'' redest nur von den Verschiedenheiten der Erzeugung, Entstehung. Behandlung des Bildes." Die Vorstellung ist nicht ein Bild, noch ist der Gesichtseindruck eines. Weder 'Vorstellung' noch 'Eindruck' ist ein Bildbegriff, obwohl in beiden Fällen ein Zusammenhang mit einem Bild statt hat, und jedes Mal ein anderer. | '''638'''. "Ja, aber die Vorstellung selbst, so wie der Gesichtseindruck ist doch das innere Bild, und ''du'' redest nur von den Verschiedenheiten der Erzeugung, Entstehung. Behandlung des Bildes." Die Vorstellung ist nicht ein Bild, noch ist der Gesichtseindruck eines. Weder 'Vorstellung' noch 'Eindruck' ist ein Bildbegriff, obwohl in beiden Fällen ein Zusammenhang mit einem Bild statt hat, und jedes Mal ein anderer. | ||
639. Was ''nennst'' du "Erlebnisinhalt" des Sehens, was "Erlebnisinhalt" der Vorstellung? | '''639'''. Was ''nennst'' du "Erlebnisinhalt" des Sehens, was "Erlebnisinhalt" der Vorstellung? | ||
640. "Aber könnte ich mir nicht einen Erlebnisinhalt denken von der Art der visuellen Vorstellung, aber dem Willen nicht unterworfen, in dieser Beziehung also wie der Gesichtseindruck?" | '''640'''. "Aber könnte ich mir nicht einen Erlebnisinhalt denken von der Art der visuellen Vorstellung, aber dem Willen nicht unterworfen, in dieser Beziehung also wie der Gesichtseindruck?" | ||
641. (Daß man nämlich die Willenshandlung des Vorstellens nicht mit der Bewegung des Körpers vergleichen kann, ist klar; denn, ob die Bewegung stattgefunden hat, das zu beurteilen sind auch Andere befähigt; während es bei der Bewegung meiner Vorstellungen immer nur darauf ankäme, was ich zu sehen behaupte, was immer irgend ein Anderer sieht. Es würden also die sich bewegenden wirklichen Gegenstände aus der Betrachtung herausfallen, da es auf sie gar nicht ankäme.) | '''641'''. (Daß man nämlich die Willenshandlung des Vorstellens nicht mit der Bewegung des Körpers vergleichen kann, ist klar; denn, ob die Bewegung stattgefunden hat, das zu beurteilen sind auch Andere befähigt; während es bei der Bewegung meiner Vorstellungen immer nur darauf ankäme, was ich zu sehen behaupte, was immer irgend ein Anderer sieht. Es würden also die sich bewegenden wirklichen Gegenstände aus der Betrachtung herausfallen, da es auf sie gar nicht ankäme.) | ||
642. Sagte man also: "Vorstellungen sind innere Bilder, ähnlich oder ganz so wie meine Gesichtseindrücke, nur meinem Willen untertan"—so hätte das vorerst noch keinen Sinn. | '''642'''. Sagte man also: "Vorstellungen sind innere Bilder, ähnlich oder ganz so wie meine Gesichtseindrücke, nur meinem Willen untertan"—so hätte das vorerst noch keinen Sinn. | ||
Denn wenn einer zu berichten gelernt hat, was er dort sieht, oder was ihm dort zu sein ''scheint'', so ist es doch nicht klar, was der Befehl bedeute, er solle jetzt ''das'' dort sehen, oder es solle ihm jetzt ''das'' dort zu sein scheinen. | Denn wenn einer zu berichten gelernt hat, was er dort sieht, oder was ihm dort zu sein ''scheint'', so ist es doch nicht klar, was der Befehl bedeute, er solle jetzt ''das'' dort sehen, oder es solle ihm jetzt ''das'' dort zu sein scheinen. | ||
643. "Durch den bloßen Willen bewegen", was heißt es? Etwa, daß die Vorstellungsbilder meinem Willen immer genau folgen, während meine zeichnende Hand, mein Bleistift, das nicht tut? Immerhin wäre es ja dann doch möglich zu sagen: "Für gewöhnlich stelle ich mir ganz genau vor, was ich will; heute ist es anders ausgefallen." Gibt es denn ein 'Mißlingen der Vorstellung'? | '''643'''. "Durch den bloßen Willen bewegen", was heißt es? Etwa, daß die Vorstellungsbilder meinem Willen immer genau folgen, während meine zeichnende Hand, mein Bleistift, das nicht tut? Immerhin wäre es ja dann doch möglich zu sagen: "Für gewöhnlich stelle ich mir ganz genau vor, was ich will; heute ist es anders ausgefallen." Gibt es denn ein 'Mißlingen der Vorstellung'? | ||
644. Ein Sprachspiel umfaßt ja den Gebrauch ''mehrerer'' Wörter. | '''644'''. Ein Sprachspiel umfaßt ja den Gebrauch ''mehrerer'' Wörter. | ||
645. Nichts könnte falscher sein als zu sagen, Schen und Vorstellen seien verschiedene Tätigkeiten. Das ist, als sagte man im Schach ziehen und verlieren seien verschiedene Tätigkeiten. | '''645'''. Nichts könnte falscher sein als zu sagen, Schen und Vorstellen seien verschiedene Tätigkeiten. Das ist, als sagte man im Schach ziehen und verlieren seien verschiedene Tätigkeiten. | ||
646. Wenn wir als Kinder die Worte "sehen", "schauen", "vorstellen" gebrauchen lernen, so spielen bei dieser Abrichtung Willenshandlungen und Befehle eine Rolle. Aber für jedes der drei Wörter eine Andere. Das Sprachspiel "Schaul" und "Stell dir .... vor!"—Wie soll ich sie nur vergleichen?—Wenn wir jemanden abrichten wollen, daß er auf den Befehl "Schau ....!" reagiert, und dazu, daß er den Befehl "Stell dir .... vor!" versteht, so müssen wir ihn doch offenbar ganz Anderes lehren. Reaktionen, die zu diesem Sprachspiel gehören, gehören zu jenem nicht. Ja, ein enger Zusammenhang der Sprachspiele ist natürlich da, aber eine Ähnlichkeit?—Stücke des einen sind Stücken des andern ähnlich, aber die ähnlichen Stücke sind nicht homolog. | '''646'''. Wenn wir als Kinder die Worte "sehen", "schauen", "vorstellen" gebrauchen lernen, so spielen bei dieser Abrichtung Willenshandlungen und Befehle eine Rolle. Aber für jedes der drei Wörter eine Andere. Das Sprachspiel "Schaul" und "Stell dir .... vor!"—Wie soll ich sie nur vergleichen?—Wenn wir jemanden abrichten wollen, daß er auf den Befehl "Schau ....!" reagiert, und dazu, daß er den Befehl "Stell dir .... vor!" versteht, so müssen wir ihn doch offenbar ganz Anderes lehren. Reaktionen, die zu diesem Sprachspiel gehören, gehören zu jenem nicht. Ja, ein enger Zusammenhang der Sprachspiele ist natürlich da, aber eine Ähnlichkeit?—Stücke des einen sind Stücken des andern ähnlich, aber die ähnlichen Stücke sind nicht homolog. | ||
647. Ich könnte mir etwas Ahnliches für wirkliche Spiele denken. | '''647'''. Ich könnte mir etwas Ahnliches für wirkliche Spiele denken. | ||
648. Ein Sprachspiel analog einem Teil eines andern. Ein Raum in begrenzte Stücke eines Raums projiziert. Ein 'löchriger' Raum. (Zu "Innen und Aussen".) | '''648'''. Ein Sprachspiel analog einem Teil eines andern. Ein Raum in begrenzte Stücke eines Raums projiziert. Ein 'löchriger' Raum. (Zu "Innen und Aussen".) | ||
649. Denken wir uns eine Variante des Tennisspiels: es wird in die Regeln dieses Spiels die aufgenommen, der Spieler habe sich bei gewissen Spielhandlungen das und das ''vorzustellen''! (Der Zweck dieser Regel sei, das Spiel zu erschweren.) Der erste Einwand ist: man könne in diesem Spiel zu leicht schwindeln. Aber dem wird mit der Annahme begegnet, das Spiel werde nur von ehrlichen und zuverlässigen Menschen gespielt. Hier haben wir also ein Spiel mit innern Spielhandlungen.— | '''649'''. Denken wir uns eine Variante des Tennisspiels: es wird in die Regeln dieses Spiels die aufgenommen, der Spieler habe sich bei gewissen Spielhandlungen das und das ''vorzustellen''! (Der Zweck dieser Regel sei, das Spiel zu erschweren.) Der erste Einwand ist: man könne in diesem Spiel zu leicht schwindeln. Aber dem wird mit der Annahme begegnet, das Spiel werde nur von ehrlichen und zuverlässigen Menschen gespielt. Hier haben wir also ein Spiel mit innern Spielhandlungen.— | ||
Welcher Art ist nun die innere Spielhandlung, worin besteht sie? Darin, daß er—der Spielregel gemäß—sich ..... vorstellt.—Könnte man aber nicht auch sagen: ''Wir wissen nicht'', welcher Art die innere Spielhandlung ist, die er der Regel gemäß ausführt; wir kennen nur ihre Äußerungen? Die innere Spielhandlung sei ein X, dessen Natur wir nicht kennen. Oder: Es gebe auch hier nur äußere Spielhandlungen: die Mitteilung der Spielregel und das, was man die 'Äußerung des innern Vorgangs' nennt.——Nun, kann man das Spiel nicht auf alle drei Arten beschreiben? Auch das mit dem 'unbekannten' X ist eine ganz mögliche Beschreibungsart. Der eine sagt, die sogenannte 'innere' Spielhandlung sei mit einer Spielhandlung im gewöhnlichen Sinne nicht vergleichbar—der Andre sagt, sie ''sei'' mit einer solchen vergleichbar—der Dritte: sie sci vergleichbar nur mit einer Handlung, die im Geheimen geschieht, und die niemand kennt, als der Handelnde. | Welcher Art ist nun die innere Spielhandlung, worin besteht sie? Darin, daß er—der Spielregel gemäß—sich ..... vorstellt.—Könnte man aber nicht auch sagen: ''Wir wissen nicht'', welcher Art die innere Spielhandlung ist, die er der Regel gemäß ausführt; wir kennen nur ihre Äußerungen? Die innere Spielhandlung sei ein X, dessen Natur wir nicht kennen. Oder: Es gebe auch hier nur äußere Spielhandlungen: die Mitteilung der Spielregel und das, was man die 'Äußerung des innern Vorgangs' nennt.——Nun, kann man das Spiel nicht auf alle drei Arten beschreiben? Auch das mit dem 'unbekannten' X ist eine ganz mögliche Beschreibungsart. Der eine sagt, die sogenannte 'innere' Spielhandlung sei mit einer Spielhandlung im gewöhnlichen Sinne nicht vergleichbar—der Andre sagt, sie ''sei'' mit einer solchen vergleichbar—der Dritte: sie sci vergleichbar nur mit einer Handlung, die im Geheimen geschieht, und die niemand kennt, als der Handelnde. | ||
Line 1,854: | Line 1,854: | ||
Wichtig ist für uns, daß wir die ''Gefahren'' des Ausdrucks "innere Spielhandlung" sehen. Er ist gefährlich, weil er Verwirrung anrichtet. | Wichtig ist für uns, daß wir die ''Gefahren'' des Ausdrucks "innere Spielhandlung" sehen. Er ist gefährlich, weil er Verwirrung anrichtet. | ||
650. Erinnerung: "Ich sehe uns noch an jenem Tisch sitzen".—Aber habe ich wirklich das gleiche Gesichtsbild—oder eines von denen, welche ich damals hatte? Sehe ich auch gewiß den Tisch und meinen Freund vom gleichen Gesichtspunkt wie damals, also mich selbst nicht?——Mein Erinnerungsbild ist nicht Evidenz jener vergangenen Situation; wie eine Photographie es wäre, die, damals aufgenommen, mir jetzt bezeugt, daß es damals so war. Das Erinnerungsbild und die Erinnerungsworte stehen auf ''gleicher'' Stufe. | '''650'''. Erinnerung: "Ich sehe uns noch an jenem Tisch sitzen".—Aber habe ich wirklich das gleiche Gesichtsbild—oder eines von denen, welche ich damals hatte? Sehe ich auch gewiß den Tisch und meinen Freund vom gleichen Gesichtspunkt wie damals, also mich selbst nicht?——Mein Erinnerungsbild ist nicht Evidenz jener vergangenen Situation; wie eine Photographie es wäre, die, damals aufgenommen, mir jetzt bezeugt, daß es damals so war. Das Erinnerungsbild und die Erinnerungsworte stehen auf ''gleicher'' Stufe. | ||
651. Das Achselzucken, Kopfschütteln, Nicken u.s.f. nennen wir Zeichen vor allem darum, weil sie in dem Gebrauch unsrer ''Wortsprache'' eingebettet sind. | '''651'''. Das Achselzucken, Kopfschütteln, Nicken u.s.f. nennen wir Zeichen vor allem darum, weil sie in dem Gebrauch unsrer ''Wortsprache'' eingebettet sind. | ||
652. Wenn man es für selbstverständlich hält, daß der Mensch sich an seiner Phantasie vergnügt, so bedenke man, daß die Phantasie nicht einem gemalten Bild, einer Plastik oder einem Film entspricht, sondern einem komplexen Gebilde aus heterogenen Bestandteilen—Zeichen und Bildern. | '''652'''. Wenn man es für selbstverständlich hält, daß der Mensch sich an seiner Phantasie vergnügt, so bedenke man, daß die Phantasie nicht einem gemalten Bild, einer Plastik oder einem Film entspricht, sondern einem komplexen Gebilde aus heterogenen Bestandteilen—Zeichen und Bildern. | ||
653. Manche Menschen erinnern sich an ein musikalisches Thema in der Weise, daß das Notenbild vor ihnen auftaucht, und sie es herunterlesen. | '''653'''. Manche Menschen erinnern sich an ein musikalisches Thema in der Weise, daß das Notenbild vor ihnen auftaucht, und sie es herunterlesen. | ||
Es wäre denkbar, daß, was wir "Erinnern" bei einem Menschen nennen, darin bestünde, daß er sich im Geiste ein Buch nachschlagen sähe, und das, was er in diesem Buch liest, eben das Erinnerte wäre. (Wie ''reagiere'' ich auf eine Erinnerung?) | Es wäre denkbar, daß, was wir "Erinnern" bei einem Menschen nennen, darin bestünde, daß er sich im Geiste ein Buch nachschlagen sähe, und das, was er in diesem Buch liest, eben das Erinnerte wäre. (Wie ''reagiere'' ich auf eine Erinnerung?) | ||
654. Kann man ein Erinnerungserlebnis beschreiben?—Gewiß.—Aber kann man das Erinnerungshafte an diesem Erlebnis beschreiben? ''Was heißt das?'' (Das unbeschreibliche Aroma.) | '''654'''. Kann man ein Erinnerungserlebnis beschreiben?—Gewiß.—Aber kann man das Erinnerungshafte an diesem Erlebnis beschreiben? ''Was heißt das?'' (Das unbeschreibliche Aroma.) | ||
655. "Ein Bild (Vorstellungsbild, Erinnerungsbild) der Sehnsucht". Man denkt, man habe schon alles damit getan, daß man von einem 'Bild' redet; denn die Sehnsucht ist eben ein Bewußtseinsinhalt, und dessen Bild ist etwas, was ihm (sehr) ähnlich ist, wenn auch undeutlicher als das Original. | '''655'''. "Ein Bild (Vorstellungsbild, Erinnerungsbild) der Sehnsucht". Man denkt, man habe schon alles damit getan, daß man von einem 'Bild' redet; denn die Sehnsucht ist eben ein Bewußtseinsinhalt, und dessen Bild ist etwas, was ihm (sehr) ähnlich ist, wenn auch undeutlicher als das Original. | ||
Und man könnte ja wohl von einem, der die Sehnsucht auf dem Theater spielt, sagen, er erlebe oder habe ein Bild der Sehnsucht: nämlich nicht als Erklärung seines Handelns, sondern zu dessen Beschreibung. | Und man könnte ja wohl von einem, der die Sehnsucht auf dem Theater spielt, sagen, er erlebe oder habe ein Bild der Sehnsucht: nämlich nicht als Erklärung seines Handelns, sondern zu dessen Beschreibung. | ||
656. Sich eines Gedankens schämen. Schämt man sich dessen, daß man den und den Satz zu sich selbst in der Vorstellung gesprochen hat? | '''656'''. Sich eines Gedankens schämen. Schämt man sich dessen, daß man den und den Satz zu sich selbst in der Vorstellung gesprochen hat? | ||
Die Sprache hat eben eine vielfache Wurzel; sie hat Wurzeln, nicht ''eine'' Wurzel. [''Randbemerkung:'' ((Sich eines Gedankens, einer Absicht erinnern.)) ''Keim.''] | Die Sprache hat eben eine vielfache Wurzel; sie hat Wurzeln, nicht ''eine'' Wurzel. [''Randbemerkung:'' ((Sich eines Gedankens, einer Absicht erinnern.)) ''Keim.''] | ||
657. "Es schmeckt genau wie Zucker". Wie kommt es, daß ich dessen so sicher sein kann?—Und zwar auch, wenn es sich dann als falsch herausstellt. Und was erstaunt mich daran? Daß ich den Begriff Zucker in eine so ''feste'' Verbindung mit der Geschmacksempfindung bringe. Daß ich die Substanz Zucker direkt im Geschmack zu erkennen scheine. | '''657'''. "Es schmeckt genau wie Zucker". Wie kommt es, daß ich dessen so sicher sein kann?—Und zwar auch, wenn es sich dann als falsch herausstellt. Und was erstaunt mich daran? Daß ich den Begriff Zucker in eine so ''feste'' Verbindung mit der Geschmacksempfindung bringe. Daß ich die Substanz Zucker direkt im Geschmack zu erkennen scheine. | ||
Aber statt des Ausdrucks "Es schmeckt genau ...." könnte ich ja primitiver "Zuckerl" ausrufen. Und kann man denn sagen, bei dem Wort 'schwebe mir die Substanz Zucker vor'? Wie tut sie das? | Aber statt des Ausdrucks "Es schmeckt genau ...." könnte ich ja primitiver "Zuckerl" ausrufen. Und kann man denn sagen, bei dem Wort 'schwebe mir die Substanz Zucker vor'? Wie tut sie das? | ||
658. Kann ich sagen, dieser Geschmack brächte gebieterisch den Namen "Zucker" mit sich; oder aber das Bild eines Stücks Zucker? Keines von beiden scheint richtig. Ja, gebieterisch ist das Verlangen nach dem Begriff 'Zucker' allerdings und zwar ebenso, wie nach dem Begriff 'rot', wenn wir ihn zur Beschreibung des Gesehenen verwenden. | '''658'''. Kann ich sagen, dieser Geschmack brächte gebieterisch den Namen "Zucker" mit sich; oder aber das Bild eines Stücks Zucker? Keines von beiden scheint richtig. Ja, gebieterisch ist das Verlangen nach dem Begriff 'Zucker' allerdings und zwar ebenso, wie nach dem Begriff 'rot', wenn wir ihn zur Beschreibung des Gesehenen verwenden. | ||
659. Ich erinnere mich, daß Zucker so geschmeckt hat. Es kommt mir das Erlebnis zurück ins Bewußtsein. Aber freilich: wie weiß ich, daß es das frühere Erlebnis ist? Das Gedächtnis hilft mir da nicht mehr. Nein, diese Worte,—das Erlebnis komme zurück ....,—sind nur eine Umschreibung, keine Beschreibung des Erinnerns. | '''659'''. Ich erinnere mich, daß Zucker so geschmeckt hat. Es kommt mir das Erlebnis zurück ins Bewußtsein. Aber freilich: wie weiß ich, daß es das frühere Erlebnis ist? Das Gedächtnis hilft mir da nicht mehr. Nein, diese Worte,—das Erlebnis komme zurück ....,—sind nur eine Umschreibung, keine Beschreibung des Erinnerns. | ||
Aber wenn ich sage "Es schmeckt genau wie Zucker", so findet in einem wichtigen Sinne gar kein Erinnern statt. Ich ''begründe'' also mein Urteil oder meinen Ausruf ''nicht''. Wer mich fragt, "Was meinst du mit 'Zucker'?"—dem werde ich allerdings ein Stück Zucker zu zeigen trachten. Und wer fragt "Wie weißt du, daß Zucker so schmeckt", werde ich allerdings antworten "ich habe tausende Male Zucker gegessen"—aber das ist nicht eine Rechtfertigung, die ich mir selbst gebe. | Aber wenn ich sage "Es schmeckt genau wie Zucker", so findet in einem wichtigen Sinne gar kein Erinnern statt. Ich ''begründe'' also mein Urteil oder meinen Ausruf ''nicht''. Wer mich fragt, "Was meinst du mit 'Zucker'?"—dem werde ich allerdings ein Stück Zucker zu zeigen trachten. Und wer fragt "Wie weißt du, daß Zucker so schmeckt", werde ich allerdings antworten "ich habe tausende Male Zucker gegessen"—aber das ist nicht eine Rechtfertigung, die ich mir selbst gebe. | ||
660. "Es schmeckt wie Zucker.” Man erinnert sich genau und mit Sicherheit, wie Zucker schmeckt. Ich sage nicht "Ich glaube, so schmeckt Zucker". Welch merkwürdiges Phänomen! Eben das Phänomen des Gedächtnisses.—Aber ist es richtig, es ein merkwürdiges Phänomen zu nennen? | '''660'''. "Es schmeckt wie Zucker.” Man erinnert sich genau und mit Sicherheit, wie Zucker schmeckt. Ich sage nicht "Ich glaube, so schmeckt Zucker". Welch merkwürdiges Phänomen! Eben das Phänomen des Gedächtnisses.—Aber ist es richtig, es ein merkwürdiges Phänomen zu nennen? | ||
Es ist ja nichts weniger als merkwürdig. Jene Sicherheit ist ja nicht (um ein Haar) merkwürdiger, als es die Unsicherheit wäre. Was ist denn merkwürdig? Das, daß ich mit Sicherheit sage "Das schmeckt wie Zucker"? oder, daß es dann wirklich Zucker ist? Oder, daß andere dasselbe finden? | Es ist ja nichts weniger als merkwürdig. Jene Sicherheit ist ja nicht (um ein Haar) merkwürdiger, als es die Unsicherheit wäre. Was ist denn merkwürdig? Das, daß ich mit Sicherheit sage "Das schmeckt wie Zucker"? oder, daß es dann wirklich Zucker ist? Oder, daß andere dasselbe finden? | ||
Line 1,890: | Line 1,890: | ||
Wenn das sichere Erkennen des Zuckers merkwürdig ist, so wäre es also das Nichterkennen weniger. | Wenn das sichere Erkennen des Zuckers merkwürdig ist, so wäre es also das Nichterkennen weniger. | ||
661. "Welcher seltsame und furchtbare Laut. Ich werde ihn nie vergessen." Und warum sollte man das nicht vom Erinnern sagen können ("Welche seltsame .... Erfahrung ...."), wenn man zum ersten Mal in die Vergangenheit gesehen hat?— | '''661'''. "Welcher seltsame und furchtbare Laut. Ich werde ihn nie vergessen." Und warum sollte man das nicht vom Erinnern sagen können ("Welche seltsame .... Erfahrung ...."), wenn man zum ersten Mal in die Vergangenheit gesehen hat?— | ||
662. Erinnern: ein Sehen in die Vergangenheit. ''Träumen'' könnte man so nennen, wenn es uns Vergangenes vorführt. Nicht aber Erinnern; denn auch wenn es uns Szenen mit halluzinatorischer Klarheit zeigte, so lehrt es uns nun doch erst, daß dies das Vergangene sei. | '''662'''. Erinnern: ein Sehen in die Vergangenheit. ''Träumen'' könnte man so nennen, wenn es uns Vergangenes vorführt. Nicht aber Erinnern; denn auch wenn es uns Szenen mit halluzinatorischer Klarheit zeigte, so lehrt es uns nun doch erst, daß dies das Vergangene sei. | ||
663. Aber wenn uns nun das Gedächtnis die Vergangenheit zeigt, wie zeigt es uns, daß es die Vergangenheit ist? | '''663'''. Aber wenn uns nun das Gedächtnis die Vergangenheit zeigt, wie zeigt es uns, daß es die Vergangenheit ist? | ||
Es zeigt uns eben ''nicht'' die Vergangenheit. So wenig, wie unsere Sinne die Gegenwart. | Es zeigt uns eben ''nicht'' die Vergangenheit. So wenig, wie unsere Sinne die Gegenwart. | ||
664. Man kann auch nicht sagen, sie teile uns die Vergangenheit mit. Denn selbst, wäre das Gedächtnis eine hörbare Stimme, die zu uns spräche,—wie könnten wir sie verstehen? Sagt sie uns z. B. "Gestern war schönes Wetter", wie kann ich lernen, was "gestern" bedeutet? | '''664'''. Man kann auch nicht sagen, sie teile uns die Vergangenheit mit. Denn selbst, wäre das Gedächtnis eine hörbare Stimme, die zu uns spräche,—wie könnten wir sie verstehen? Sagt sie uns z. B. "Gestern war schönes Wetter", wie kann ich lernen, was "gestern" bedeutet? | ||
665. Ich führe mir selbst nur ''so'' etwas vor, wie ich es auch den Andern vorführe. | '''665'''. Ich führe mir selbst nur ''so'' etwas vor, wie ich es auch den Andern vorführe. | ||
666. Ich kann dem Andern mein gutes Gedächtnis vorführen, und auch mir selbst vorführen. Ich kann mich selbst ausfragen. (Vokabeln, Daten.) | '''666'''. Ich kann dem Andern mein gutes Gedächtnis vorführen, und auch mir selbst vorführen. Ich kann mich selbst ausfragen. (Vokabeln, Daten.) | ||
667. Aber wie führe ich mir das Erinnern vor? Nun, ich frage mich "Wie verbrachte ich den heutigen Morgen?" und antworte mir darauf.—Aber was habe ich mir nun eigentlich vorgeführt? War es das Erinnern? Nämlich, wie das ist, sich an etwas zu erinnern?—Hätte ich denn damit einem ''Andern'' das Erinnern vorgeführt? | '''667'''. Aber wie führe ich mir das Erinnern vor? Nun, ich frage mich "Wie verbrachte ich den heutigen Morgen?" und antworte mir darauf.—Aber was habe ich mir nun eigentlich vorgeführt? War es das Erinnern? Nämlich, wie das ist, sich an etwas zu erinnern?—Hätte ich denn damit einem ''Andern'' das Erinnern vorgeführt? | ||
668. Die Bedeutung eines Wortes vergessen—sich wieder an sie erinnern. Was für Vorgänge gibt es da? An was erinnert man sich, was fällt einem da ein, wenn man sich wieder daran erinnert, was das englische Wort "perhaps" bedeutet. | '''668'''. Die Bedeutung eines Wortes vergessen—sich wieder an sie erinnern. Was für Vorgänge gibt es da? An was erinnert man sich, was fällt einem da ein, wenn man sich wieder daran erinnert, was das englische Wort "perhaps" bedeutet. | ||
669. Wenn man mich fragt: "Weißt du das ABC?" und ich antworte mit "ja", so sage ich doch nicht, daß ich jetzt im Geist das ABC durchgehe, oder in einem besondern Gemütszustand bin, der irgendwie dem Hersagen des ABC äquivalent ist. | '''669'''. Wenn man mich fragt: "Weißt du das ABC?" und ich antworte mit "ja", so sage ich doch nicht, daß ich jetzt im Geist das ABC durchgehe, oder in einem besondern Gemütszustand bin, der irgendwie dem Hersagen des ABC äquivalent ist. | ||
670. Man kann doch einen Spiegel besitzen; besitzt man dann auch das Spiegelbild, das sich in ihm zeigt? | '''670'''. Man kann doch einen Spiegel besitzen; besitzt man dann auch das Spiegelbild, das sich in ihm zeigt? | ||
671. Etwas sagen, ist eine Tätigkeit, geneigt sein, etwas zu sagen, ein ''Zustand''. "Aber warum besteht der?"—Gib dir darüber Rechenschaft, wie der Ausdruck verwendet wird! | '''671'''. Etwas sagen, ist eine Tätigkeit, geneigt sein, etwas zu sagen, ein ''Zustand''. "Aber warum besteht der?"—Gib dir darüber Rechenschaft, wie der Ausdruck verwendet wird! | ||
672. "Solange die Temperatur des Stabes nicht unter ..... herabsinkt, kann man ihn schmieden.” Es hat also Sinn zu sagen: "ich kann ihn von 5 bis 6 Uhr schmieden". Oder: "Ich kann von 5 bis 6 Schach spielen", d. h., ich habe von 5 bis 6 Zeit.—"Solange mein Puls nicht unter .... herabsinkt, kann ich die Rechnung ausführen." Diese Rechnung braucht 1½ Minuten; wielange braucht es aber: sie ausführen ''können''? Und wenn du sie eine Stunde lang rechnen ''kannst'', fangst du da immer wieder von Frischem an? | '''672'''. "Solange die Temperatur des Stabes nicht unter ..... herabsinkt, kann man ihn schmieden.” Es hat also Sinn zu sagen: "ich kann ihn von 5 bis 6 Uhr schmieden". Oder: "Ich kann von 5 bis 6 Schach spielen", d. h., ich habe von 5 bis 6 Zeit.—"Solange mein Puls nicht unter .... herabsinkt, kann ich die Rechnung ausführen." Diese Rechnung braucht 1½ Minuten; wielange braucht es aber: sie ausführen ''können''? Und wenn du sie eine Stunde lang rechnen ''kannst'', fangst du da immer wieder von Frischem an? | ||
673. Die Aufmerksamkeit ist dynamisch, nicht statisch—möchte man sagen. Ich vergleiche das Aufmerken zuerst mit einem Hinstarren: das ist es aber nicht, was ich Aufmerksamkeit nenne; und will nun sagen, ich finde, man ''könne'' nicht statisch aufmerken. | '''673'''. Die Aufmerksamkeit ist dynamisch, nicht statisch—möchte man sagen. Ich vergleiche das Aufmerken zuerst mit einem Hinstarren: das ist es aber nicht, was ich Aufmerksamkeit nenne; und will nun sagen, ich finde, man ''könne'' nicht statisch aufmerken. | ||
674. Wenn ich in einem bestimmten Falle sage: die Aufmerksamkeit besteht in der Bereitschaft, jeder kleinsten Bewegung, die sich zeigen mag, zu folgen,—so siehst du schon, daß die Aufmerksamkeit nicht das starre Hinschauen ist, sondern ein Begriff anderer Art. | '''674'''. Wenn ich in einem bestimmten Falle sage: die Aufmerksamkeit besteht in der Bereitschaft, jeder kleinsten Bewegung, die sich zeigen mag, zu folgen,—so siehst du schon, daß die Aufmerksamkeit nicht das starre Hinschauen ist, sondern ein Begriff anderer Art. | ||
675. Zustände: 'Einen Berg ersteigen können', kann man einen Zustand meines Körpers nennen. Ich sage: "Ich kann hinaufsteigen—ich meine: ich bin stark genug dazu". Vergleiche damit diesen Zustand des Könnens: "Ja, ich kann dorthin gehen—ich meine: ich habe Zeit dazu." | '''675'''. Zustände: 'Einen Berg ersteigen können', kann man einen Zustand meines Körpers nennen. Ich sage: "Ich kann hinaufsteigen—ich meine: ich bin stark genug dazu". Vergleiche damit diesen Zustand des Könnens: "Ja, ich kann dorthin gehen—ich meine: ich habe Zeit dazu." | ||
676. Welche Rolle spielen falsche Sätze in einem Sprachspiel? Ich glaube, es gibt verschiedene Fälle. | '''676'''. Welche Rolle spielen falsche Sätze in einem Sprachspiel? Ich glaube, es gibt verschiedene Fälle. | ||
(1) Einer hat die Signallaternen an einer Straßenkreuzung zu beobachten, und einem Andern zu sagen, welche Farben sie zeigen. Er verspricht sich dabei und sagt die falsche Farbe. | (1) Einer hat die Signallaternen an einer Straßenkreuzung zu beobachten, und einem Andern zu sagen, welche Farben sie zeigen. Er verspricht sich dabei und sagt die falsche Farbe. | ||
Line 1,932: | Line 1,932: | ||
Man wird hier (nämlich) von einer Frage geplagt, die etwa so lautet: Gehört die Verifikation noch (mit) zum Sprachspiel? | Man wird hier (nämlich) von einer Frage geplagt, die etwa so lautet: Gehört die Verifikation noch (mit) zum Sprachspiel? | ||
677. Ich behaupte: "Wenn ''dies'' eintrifft, so wird ''das'' eintreffen. Habe ich darin Recht, so zahlst du mir einen Schilling, habe ich Unrecht, so zahle ich dir einen, bleibt es unentschieden, so zahlt keiner." Das könnte man auch so ausdrücken: Der Fall, in welchem die Prämisse ''nicht'' eintrifft, interessiert uns nicht, wir reden nicht von ihm. Oder auch: es ist uns hier nicht natürlich, die Wörter "ja" und "nein" so zu gebrauchen, wie in dem Fall (und solche Fälle gibt es), in welchem uns die materielle Implikation interessiert. Mit "Nein" wollen wir hier sagen "p und nicht q”, mit "Ja” nur “p und q”. Es gibt keinen Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der ''so'' lautet: Du gewinnst die Wette oder verlierst sie—ein Drittes gibt es nicht. | '''677'''. Ich behaupte: "Wenn ''dies'' eintrifft, so wird ''das'' eintreffen. Habe ich darin Recht, so zahlst du mir einen Schilling, habe ich Unrecht, so zahle ich dir einen, bleibt es unentschieden, so zahlt keiner." Das könnte man auch so ausdrücken: Der Fall, in welchem die Prämisse ''nicht'' eintrifft, interessiert uns nicht, wir reden nicht von ihm. Oder auch: es ist uns hier nicht natürlich, die Wörter "ja" und "nein" so zu gebrauchen, wie in dem Fall (und solche Fälle gibt es), in welchem uns die materielle Implikation interessiert. Mit "Nein" wollen wir hier sagen "p und nicht q”, mit "Ja” nur “p und q”. Es gibt keinen Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der ''so'' lautet: Du gewinnst die Wette oder verlierst sie—ein Drittes gibt es nicht. | ||
678. Einer wirft im Würfelspiel etwa 5, dann 4 und sagt "Hatte ich bloß statt der seine 4 geworfen, so hätte ich gewonnen"! Die Bedingtheit ist nicht physikalisch sondern nur mathematisch, denn man könnte antworten: "Hättest du zuerst 4 geworfen,—wer weiß, was du danach geworfen hättest!" | '''678'''. Einer wirft im Würfelspiel etwa 5, dann 4 und sagt "Hatte ich bloß statt der seine 4 geworfen, so hätte ich gewonnen"! Die Bedingtheit ist nicht physikalisch sondern nur mathematisch, denn man könnte antworten: "Hättest du zuerst 4 geworfen,—wer weiß, was du danach geworfen hättest!" | ||
679. Sagst du nun "Die Verwendung des Konjunktivs beruht auf dem Glauben an ein Naturgesetz"—so kann man entgegnen: "Sie ''beruht'' nicht auf diesem Glauben; sie und dieser Glaube stehen auf gleicher Stufe." (Ich hörte im Film einen Vater zu seiner Tochter sagen, er hätte eine Andre zur Frau nehmen sollen: "''Sie'' hätte deine Mutter sein sollen"! Warum ist das unrichtig?) | '''679'''. Sagst du nun "Die Verwendung des Konjunktivs beruht auf dem Glauben an ein Naturgesetz"—so kann man entgegnen: "Sie ''beruht'' nicht auf diesem Glauben; sie und dieser Glaube stehen auf gleicher Stufe." (Ich hörte im Film einen Vater zu seiner Tochter sagen, er hätte eine Andre zur Frau nehmen sollen: "''Sie'' hätte deine Mutter sein sollen"! Warum ist das unrichtig?) | ||
680. Das Schicksal steht im Gegensatz zum Naturgesetz. Das Naturgesetz will man ergründen und verwenden, das Schicksal nicht. | '''680'''. Das Schicksal steht im Gegensatz zum Naturgesetz. Das Naturgesetz will man ergründen und verwenden, das Schicksal nicht. | ||
681. "Wenn p eintrifft, so trifft q ein" könnte man eine bedingte Vorhersage nennen. D. h.: für den Fall nicht-p mache ich ''keine'' Vorhersage. Aber darum wird, was ich sage, durch "nicht- und nicht-q" auch nicht wahrgemacht. | '''681'''. "Wenn p eintrifft, so trifft q ein" könnte man eine bedingte Vorhersage nennen. D. h.: für den Fall nicht-p mache ich ''keine'' Vorhersage. Aber darum wird, was ich sage, durch "nicht- und nicht-q" auch nicht wahrgemacht. | ||
Oder auch ''so'': es gibt bedingte Vorhersagen, und "p impliziert q” ist ''keine'' solche. | Oder auch ''so'': es gibt bedingte Vorhersagen, und "p impliziert q” ist ''keine'' solche. | ||
682. Den Satz "Wenn p eintrifft, so trifft q ein", will ich "S" nennen.—"S oder nicht-S” ist eine Tautologie: aber ist es (auch) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten? Oder auch so: Wenn ich sagen will, daß die Vorhersage "S" richtig, falsch oder unentschieden sein kann, wird das durch den Satz ausgedrückt "nicht (S oder nicht-S)"? | '''682'''. Den Satz "Wenn p eintrifft, so trifft q ein", will ich "S" nennen.—"S oder nicht-S” ist eine Tautologie: aber ist es (auch) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten? Oder auch so: Wenn ich sagen will, daß die Vorhersage "S" richtig, falsch oder unentschieden sein kann, wird das durch den Satz ausgedrückt "nicht (S oder nicht-S)"? | ||
683. Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.") | '''683'''. Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.") | ||
684. Der wichtige Sinn des Fregeschen Behauptungszeichens wird vielleicht am besten dadurch gefaßt, daß wir sagen: es bezeichnet deutlich den ''Anfang des Satzes''.—Das ist ''wichtig'': denn unsere philosophischen Schwierigkeiten, das Wesen der 'Negation' und des 'Denkens' betreffend, hängen damit zusammen, daß ein Satz "<math>\vdash</math> nicht p", oder "<math>\vdash</math> ich glaube p" wohl den Satz "p" enthält, aber nicht "<math>\vdash</math>p". (Denn wenn ich jemanden sagen höre: "es regner", so weiß ich nicht, was er gesagt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den ''Anfang'' des Satzes gehört habe.) | '''684'''. Der wichtige Sinn des Fregeschen Behauptungszeichens wird vielleicht am besten dadurch gefaßt, daß wir sagen: es bezeichnet deutlich den ''Anfang des Satzes''.—Das ist ''wichtig'': denn unsere philosophischen Schwierigkeiten, das Wesen der 'Negation' und des 'Denkens' betreffend, hängen damit zusammen, daß ein Satz "<math>\vdash</math> nicht p", oder "<math>\vdash</math> ich glaube p" wohl den Satz "p" enthält, aber nicht "<math>\vdash</math>p". (Denn wenn ich jemanden sagen höre: "es regner", so weiß ich nicht, was er gesagt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den ''Anfang'' des Satzes gehört habe.) | ||
685. Ein Widerspruch verhindert mich, im Sprachspiel zur Tat zu kommen. | '''685'''. Ein Widerspruch verhindert mich, im Sprachspiel zur Tat zu kommen. | ||
686. Nehmen wir aber an, das Sprachspiel bestünde eben darin, mich fortwährend von einem Entschluß in den entgegengesetzten zu werfen! | '''686'''. Nehmen wir aber an, das Sprachspiel bestünde eben darin, mich fortwährend von einem Entschluß in den entgegengesetzten zu werfen! | ||
687. Der Widerspruch ist nicht als Katastrophe aufzufassen, sondern als eine Mauer, die uns anzeigt, daß wir hier nicht weiter können. | '''687'''. Der Widerspruch ist nicht als Katastrophe aufzufassen, sondern als eine Mauer, die uns anzeigt, daß wir hier nicht weiter können. | ||
688. Ich möchte nicht so sehr fragen "Was müssen wir tun, um einen Widerspruch zu vermeiden?", als "Was sollen wir tun, wenn wir zu einem Widerspruch gelangt sind?" | '''688'''. Ich möchte nicht so sehr fragen "Was müssen wir tun, um einen Widerspruch zu vermeiden?", als "Was sollen wir tun, wenn wir zu einem Widerspruch gelangt sind?" | ||
689. Warum ist ein Widerspruch mehr zu fürchten als eine Tautologie? | '''689'''. Warum ist ein Widerspruch mehr zu fürchten als eine Tautologie? | ||
690. Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!" | '''690'''. Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!" | ||
691 "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?” u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, che er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen. | '''691'''. "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?” u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, che er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen. | ||
692. Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit cinschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden. | '''692'''. Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit cinschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden. | ||
693. Das Raisonnement, das zu einem endlosen Regreß führt, ist nicht darum aufzugeben, 'weil wir so nie das Ziel erreichen können', sondern, weil es hier ein Ziel nicht gibt; so daß es gar keinen Sinn hat zu sagen "wir können es nicht erreichen". | '''693'''. Das Raisonnement, das zu einem endlosen Regreß führt, ist nicht darum aufzugeben, 'weil wir so nie das Ziel erreichen können', sondern, weil es hier ein Ziel nicht gibt; so daß es gar keinen Sinn hat zu sagen "wir können es nicht erreichen". | ||
Wir meinen leicht, wir müßten den Regreß ein paar Stufen weit durchlaufen und ihn dann sozusagen in Verzweiflung aufgeben. Während seine Ziellosigkeit (das Fehlen des Zieles im Kalkül) aus der Anfangsposition zu entnehmen ist. | Wir meinen leicht, wir müßten den Regreß ein paar Stufen weit durchlaufen und ihn dann sozusagen in Verzweiflung aufgeben. Während seine Ziellosigkeit (das Fehlen des Zieles im Kalkül) aus der Anfangsposition zu entnehmen ist. | ||
694. Eine Variante des Cantor'schen Diagonalbeweises: N = F(k, n) sei die Form der Gesetze für die Entwicklung von Dezimalbrüchen. N ist die n-te Dezimalstelle der k-ten Entwicklung. Das Gesetz der Diagonale ist dann: N = F (n, n) = Def. F'(n). | '''694'''. Eine Variante des Cantor'schen Diagonalbeweises: N = F(k, n) sei die Form der Gesetze für die Entwicklung von Dezimalbrüchen. N ist die n-te Dezimalstelle der k-ten Entwicklung. Das Gesetz der Diagonale ist dann: N = F (n, n) = Def. F'(n). | ||
Zu beweisen ist, daß F'(n) nicht eine der Regeln F (k, n) sein kann. Angenommen, es sei die 100ste. Dann lautet die Regel zur Bildung | Zu beweisen ist, daß F'(n) nicht eine der Regeln F (k, n) sein kann. Angenommen, es sei die 100ste. Dann lautet die Regel zur Bildung | ||
Line 1,982: | Line 1,982: | ||
Die Spielregel lautet "Tu das Gleiche, wie ....!"—und im besondern Fall wird sie nun "Tu das Gleiche, wie das, was du tust!" | Die Spielregel lautet "Tu das Gleiche, wie ....!"—und im besondern Fall wird sie nun "Tu das Gleiche, wie das, was du tust!" | ||
695. Das ''Verstehen'' der mathematischen Frage. Wie wissen wir, ob wir eine mathematische Frage verstehen? | '''695'''. Das ''Verstehen'' der mathematischen Frage. Wie wissen wir, ob wir eine mathematische Frage verstehen? | ||
Eine Frage—kann man sagen—ist ein Auftrag. Und einen Auftrag verstehen, heißt: wissen, was man zu tun hat. Ein Auftrag kann natürlich ganz vag sein—z. B., wenn ich sage: "Bring ihm etwas, was ihm gut tut!” Aber dies kann heißen: denk an ihn, seinen Zustand etc. in freundlicher Weise und dann bring ihm etwas, was deiner Gesinnung gegen ihn entspricht. | Eine Frage—kann man sagen—ist ein Auftrag. Und einen Auftrag verstehen, heißt: wissen, was man zu tun hat. Ein Auftrag kann natürlich ganz vag sein—z. B., wenn ich sage: "Bring ihm etwas, was ihm gut tut!” Aber dies kann heißen: denk an ihn, seinen Zustand etc. in freundlicher Weise und dann bring ihm etwas, was deiner Gesinnung gegen ihn entspricht. | ||
696. Die mathematische Frage ist eine Herausforderung. Und man könnte sagen: sie hat Sinn, wenn sie uns zu einer mathematischen Tätigkeit ansport. | '''696'''. Die mathematische Frage ist eine Herausforderung. Und man könnte sagen: sie hat Sinn, wenn sie uns zu einer mathematischen Tätigkeit ansport. | ||
697. Man könnte dann auch sagen, eine Frage in der Mathematik habe Sinn, wenn sie die mathematische Phantasie anregt. | '''697'''. Man könnte dann auch sagen, eine Frage in der Mathematik habe Sinn, wenn sie die mathematische Phantasie anregt. | ||
698. Übersetzen von einer Sprache in die andere, ist eine mathematische Aufgabe, und das Übersetzen eines lyrischen Gedichts z. B. in eine fremde Sprache ist ganz analog einem mathematischen ''Problem''. Denn man kann wohl das Problem stellen "Wie ist dieser Witz (z. B.) durch einen Witz in der andern Sprache zu übersetzen?", d. h. zu ersetzen; und das Problem kann auch gelöst sein; aber eine Methode, ein System zu seiner Lösung gab es nicht. | '''698'''. Übersetzen von einer Sprache in die andere, ist eine mathematische Aufgabe, und das Übersetzen eines lyrischen Gedichts z. B. in eine fremde Sprache ist ganz analog einem mathematischen ''Problem''. Denn man kann wohl das Problem stellen "Wie ist dieser Witz (z. B.) durch einen Witz in der andern Sprache zu übersetzen?", d. h. zu ersetzen; und das Problem kann auch gelöst sein; aber eine Methode, ein System zu seiner Lösung gab es nicht. | ||
699. Denk die Menschen, die mit 'äußerst komplizierten' Zahlzeichen rechnen. Diese stellen sich aber dar als Figuren, welche entstehen, wenn man unsere Zahlzeichen aufeinander schreibt. | '''699'''. Denk die Menschen, die mit 'äußerst komplizierten' Zahlzeichen rechnen. Diese stellen sich aber dar als Figuren, welche entstehen, wenn man unsere Zahlzeichen aufeinander schreibt. | ||
Sie schreiben z. B. ''π'' bis zur fünften Stelle so: [[File:Zettel 699.png|70px|link=]] Wer ihnen zusähe, fande es schwer zu erraten, ''was'' sie tun. Und sie könnten es vielleicht selbst nicht erklären. Es kann ja dieses Zahlzeichen, in etwas anderer Schrift geschrieben, seine Erscheinung (für uns) zur Unkenntlichkeit ändern. Und was die Leute täten, erschiene uns rein intuitiv. | Sie schreiben z. B. ''π'' bis zur fünften Stelle so: [[File:Zettel 699.png|70px|link=]] Wer ihnen zusähe, fande es schwer zu erraten, ''was'' sie tun. Und sie könnten es vielleicht selbst nicht erklären. Es kann ja dieses Zahlzeichen, in etwas anderer Schrift geschrieben, seine Erscheinung (für uns) zur Unkenntlichkeit ändern. Und was die Leute täten, erschiene uns rein intuitiv. | ||
700. Warum zählen wir? Hat es sich als praktisch erwiesen? Haben wir unsere Begriffe, z. B. die psychologischen, weil es sich als vorteilhaft erwiesen hat?—Und doch haben wir ''gewisse'' Begriffe eben deswegen, haben sie deswegen eingeführt. | '''700'''. Warum zählen wir? Hat es sich als praktisch erwiesen? Haben wir unsere Begriffe, z. B. die psychologischen, weil es sich als vorteilhaft erwiesen hat?—Und doch haben wir ''gewisse'' Begriffe eben deswegen, haben sie deswegen eingeführt. | ||
701. Übrigens tritt der Unterschied zwischen dem, was man Sätze der Mathematik nennt und Erfahrungssätzen zu Tage, wenn man bedenkt, ob es Sinn hat zu sagen: "ich wünschte, 2 × 2 wäre 5!" | '''701'''. Übrigens tritt der Unterschied zwischen dem, was man Sätze der Mathematik nennt und Erfahrungssätzen zu Tage, wenn man bedenkt, ob es Sinn hat zu sagen: "ich wünschte, 2 × 2 wäre 5!" | ||
702. Wenn man bedenkt, daß die Gleichung 2 + 2 = 4 ein Beweis des Satzes ist "es gibt gerade Zahlen", so sieht man, wie lose hier das Wort "Beweis" gebraucht ist. Aus der Gleichung 2 + 2 = 4 soll der Satz "es gibt gerade Zahlen" hervorgehen?!—Und was ist der Beweis der Existenz von Primzahlen?—Die Methode der Zerlegung in Primfaktoren. Aber in dieser Methode wird ja ''überhaupt nicht geredet'', auch nicht von 'Primzahlen'. | '''702'''. Wenn man bedenkt, daß die Gleichung 2 + 2 = 4 ein Beweis des Satzes ist "es gibt gerade Zahlen", so sieht man, wie lose hier das Wort "Beweis" gebraucht ist. Aus der Gleichung 2 + 2 = 4 soll der Satz "es gibt gerade Zahlen" hervorgehen?!—Und was ist der Beweis der Existenz von Primzahlen?—Die Methode der Zerlegung in Primfaktoren. Aber in dieser Methode wird ja ''überhaupt nicht geredet'', auch nicht von 'Primzahlen'. | ||
703. "Die Kinder müßten, um das Rechnen der Volksschule zu verstehen, bedeutende Philosophen sein; in Ermanglung dessen brauchen sie die Übung." | '''703'''. "Die Kinder müßten, um das Rechnen der Volksschule zu verstehen, bedeutende Philosophen sein; in Ermanglung dessen brauchen sie die Übung." | ||
704. Russell und Frege fassen den Begriff gleichsam als Eigenschaft eines Dings auf. Aber es ist sehr unnatürlich, die Worte "Mensch", "Baum", "Abhandlung", "Kreis" als Eigenschaften eines Substrats aufzufassen. | '''704'''. Russell und Frege fassen den Begriff gleichsam als Eigenschaft eines Dings auf. Aber es ist sehr unnatürlich, die Worte "Mensch", "Baum", "Abhandlung", "Kreis" als Eigenschaften eines Substrats aufzufassen. | ||
705. Die Dirichlet'sche Auffassung der Funktion ist nur dort möglich, wo sie nicht ein unendliches Gesetz durch eine Liste ausdrücken will, denn eine unendliche Liste gibt es nicht. | '''705'''. Die Dirichlet'sche Auffassung der Funktion ist nur dort möglich, wo sie nicht ein unendliches Gesetz durch eine Liste ausdrücken will, denn eine unendliche Liste gibt es nicht. | ||
706. Die Zahlen sind der Mathematik nicht fundamental. | '''706'''. Die Zahlen sind der Mathematik nicht fundamental. | ||
707. Der Begriff des 'Ordnens' der Rationalzahlen z. B. und der 'Unmöglichkeit', die Irrationalzahlen so zu ordnen. Vergleiche das mit dem, was man 'Ordnen' von Ziffern nennt. Gleichermaßen der Unterschied zwischen dem 'Zuordnen' einer Ziffer (oder Nuß) zu einer andern und dem 'Zuordnen' aller ganzen Zahlen zu den geraden Zahlen; etc.. Überall Begriffsverschiebungen. | '''707'''. Der Begriff des 'Ordnens' der Rationalzahlen z. B. und der 'Unmöglichkeit', die Irrationalzahlen so zu ordnen. Vergleiche das mit dem, was man 'Ordnen' von Ziffern nennt. Gleichermaßen der Unterschied zwischen dem 'Zuordnen' einer Ziffer (oder Nuß) zu einer andern und dem 'Zuordnen' aller ganzen Zahlen zu den geraden Zahlen; etc.. Überall Begriffsverschiebungen. | ||
708. Es gibt offenbar eine Methode, ein gerades Lineal anzufertigen. Diese Methode schließt ein Ideal ein, ich meine, ein Näherungsverfahren mit unbegrenzter ''Möglichkeit'', denn eben dieses Verfahren ''ist'' das Ideal. | '''708'''. Es gibt offenbar eine Methode, ein gerades Lineal anzufertigen. Diese Methode schließt ein Ideal ein, ich meine, ein Näherungsverfahren mit unbegrenzter ''Möglichkeit'', denn eben dieses Verfahren ''ist'' das Ideal. | ||
Oder vielmehr: Nur, wenn es ein Näherungsverfahren mit unbegrenzter Möglichkeit ist, kann (nicht muß) die Geometrie dieses Verfahrens die euklidische sein. | Oder vielmehr: Nur, wenn es ein Näherungsverfahren mit unbegrenzter Möglichkeit ist, kann (nicht muß) die Geometrie dieses Verfahrens die euklidische sein. | ||
709. Die Rechnung als Ornament zu betrachten, das ist auch Formalismus, aber einer guten Art. | '''709'''. Die Rechnung als Ornament zu betrachten, das ist auch Formalismus, aber einer guten Art. | ||
710. Man kann die Rechnung als Ornament betrachten. Eine Figur in der Ebene kann an eine andere passen oder nicht, mit anderen in verschiedener Weise zusammengefaßt werden. Wenn die Figur noch gefärbt ist, so gibt es dann noch ein Passen. (Die Farbe ist nur eine weitere Dimension.) | '''710'''. Man kann die Rechnung als Ornament betrachten. Eine Figur in der Ebene kann an eine andere passen oder nicht, mit anderen in verschiedener Weise zusammengefaßt werden. Wenn die Figur noch gefärbt ist, so gibt es dann noch ein Passen. (Die Farbe ist nur eine weitere Dimension.) | ||
711. Es gibt eine Betrachtungsweise der elektrischen Maschinen und Apparate (Dynamos, Radiostationen, etc, etc.), die sozusagen ohne vorgefaßtes Verständnis diese Gegenstände als eine Verteilung von Kupfer, Eisen, Gummi, etc. im Raum ansieht. Und diese Betrachtungsweise könnte zu manchem interessanten Resultat führen. Sie ist ganz analog der eines mathematischen Satzes als Ornament.—Es ist natürlich eine durchaus strenge und korrekte Auffassung; und das Charakteristische und Schwierige an ihr ist, daß sie den Gegenstand ohne jede vorgefaßte Idee betrachtet (sozusagen von einem Marsstandpunkt), oder vielleicht richtiger: die normale vorgefaßte Idee zerstört (durchkreuzt). | '''711'''. Es gibt eine Betrachtungsweise der elektrischen Maschinen und Apparate (Dynamos, Radiostationen, etc, etc.), die sozusagen ohne vorgefaßtes Verständnis diese Gegenstände als eine Verteilung von Kupfer, Eisen, Gummi, etc. im Raum ansieht. Und diese Betrachtungsweise könnte zu manchem interessanten Resultat führen. Sie ist ganz analog der eines mathematischen Satzes als Ornament.—Es ist natürlich eine durchaus strenge und korrekte Auffassung; und das Charakteristische und Schwierige an ihr ist, daß sie den Gegenstand ohne jede vorgefaßte Idee betrachtet (sozusagen von einem Marsstandpunkt), oder vielleicht richtiger: die normale vorgefaßte Idee zerstört (durchkreuzt). | ||
712. (Der Stil meiner Sätze ist außerordentlich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten Blick keiner sähe.) | '''712'''. (Der Stil meiner Sätze ist außerordentlich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten Blick keiner sähe.) | ||
713. "Leg es ''hier'' hin"—wobei ich mit dem Finger den Platz bezeichne—dies ist eine ''absolute'' Ortsangabe. Und wer sagt, der Raum sei absolut, möchte als Argument dafür vorbringen: "Es gibt doch einen ''Ort'': ''Hier''." [''Randbemerkung:'' ((Vielleicht zu den ersten Sprachspielen.))] | '''713'''. "Leg es ''hier'' hin"—wobei ich mit dem Finger den Platz bezeichne—dies ist eine ''absolute'' Ortsangabe. Und wer sagt, der Raum sei absolut, möchte als Argument dafür vorbringen: "Es gibt doch einen ''Ort'': ''Hier''." [''Randbemerkung:'' ((Vielleicht zu den ersten Sprachspielen.))] | ||
714. Man könnte sich eine Geisteskrankheit denken, in welcher Einer Namen nur in Anwesenheit ihrer Träger gebrauchen und verstehen kann. | '''714'''. Man könnte sich eine Geisteskrankheit denken, in welcher Einer Namen nur in Anwesenheit ihrer Träger gebrauchen und verstehen kann. | ||
715. Es könnte von Zeichen ein Gebrauch gemacht werden solcher Art, daß die Zeichen nutzlos würden (daß man sie viel leicht vernichtete), sobald der Träger aufhörte zu existieren. | '''715'''. Es könnte von Zeichen ein Gebrauch gemacht werden solcher Art, daß die Zeichen nutzlos würden (daß man sie viel leicht vernichtete), sobald der Träger aufhörte zu existieren. | ||
In diesem Sprachspiel hat sozusagen der Name den Gegenstand an einer Schnur; und hört der Gegenstand auf zu existieren, so kann man den Namen, der mit ihm zusammen gearbeitet hat, wegwerfen. (Das Wort "handle" für den Eigennamen.) | In diesem Sprachspiel hat sozusagen der Name den Gegenstand an einer Schnur; und hört der Gegenstand auf zu existieren, so kann man den Namen, der mit ihm zusammen gearbeitet hat, wegwerfen. (Das Wort "handle" für den Eigennamen.) | ||
716. Wie ist es mit den beiden Sätzen: "dieses Blatt ist rot" und "dieses Blatt hat die Farbe, die auf Deutsch 'rot' heißt"? Sagen beide ''dasselbe''? | '''716'''. Wie ist es mit den beiden Sätzen: "dieses Blatt ist rot" und "dieses Blatt hat die Farbe, die auf Deutsch 'rot' heißt"? Sagen beide ''dasselbe''? | ||
Hängt das nicht davon ab, was das Kriterium dafür ist, daß eine Farbe auf Deutsch 'rot' heißt? | Hängt das nicht davon ab, was das Kriterium dafür ist, daß eine Farbe auf Deutsch 'rot' heißt? | ||
717. "Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist."—Das ist eine grammatische Bemerkung. | '''717'''. "Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist."—Das ist eine grammatische Bemerkung. | ||
---- | ---- | ||
<references /> | <references /> |