Tagebücher 1914-1916: Difference between revisions

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Aus allen Sätzen folgt das Gegenteil von "p.~p", heißt das soviel, daß "p.~p" nichts sagt?-Nach meiner früheren Regel müßte die Kontradiktion ja mehr sagen als alle anderen Sätze.
Aus allen Sätzen folgt das Gegenteil von "p.~p", heißt das soviel, daß "p.~p" nichts sagt?-Nach meiner früheren Regel müßte die Kontradiktion ja mehr sagen als alle anderen Sätze.


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[[File:Illustrazione 11.6.15.png|380px|center|link=]]Wenn ein vielsagender Satz auch falsch ist, so sollte eben das interessant sein, daß er falsch ist''.'' Es ist befremdend, daß das Negativ eines vielsagenden Satzes gänzlich nichtssagend sein soll.


<references />
 
12. 6. 15.
 
Man könnte eigentlich bei jedem Satz fragen: Was hat es zu bedeuten, wenn er wahr ist'','' was hat es zu bedeuten, wenn er falsch ist''?''
 
Nun ist p.~p seiner Annahme nach immer nur falsch, und dies hat also nichts zu bedeuten; und wieviel es bedeutet, wenn er wahr ist, kann man ja gar nicht fragen.
 
 
13. 6. 15.
 
Wenn "p.~p" wahr sein KÖNNTE, so würde es allerdings ''sehr'' viel besagen. Aber ''die Annahme,'' daß es wahr ist, kommt eben bei ihm nicht in Betracht, da es seiner Annahme nach immer falsch ist.
 
Eigentümlich: Die Wörter "Wahr" und "Falsch" beziehen sich auf die Beziehung des Satzes zur Welt; daß diese Wörter in ihm selbst zur Darstellung verwendet werden können!
 
Wir sagten: Wenn  ein Satz  nur  von  p abhängig  ist, und  wenn er p bejaht, dann verneint  er  es nicht,  und  umgekehrt: ''Ist  dies  das Bild jener gegenseitigen Ausschließung von p und ~p?'' Der Tatsache, daß ~p ''das'' ist, was ''außerhalb'' p liegt?
 
''Es scheint doch so''! Der Satz "~p" ist in demselben Sinne das, was außerhalb "p" liegt. – (Vergiß auch nicht, daß das Bild sehr komplizierte Koordinaten zur Welt haben kann.)
 
Man könnte übrigens einfach sagen: "p.~p" sagt im eigentlichen Sinne des Wortes nichts. Weil im vornherein keine Möglichkeit gelassen ist, die er ''richtig'' darstellen kann.
 
Wenn, beiläufig gesprochen, "p folgt aus q" heißt, wenn q wahr ist, so muß p wahr sein, dann kann man überhaupt nicht sagen, daß irgend etwas aus "p.~p" folgt, da es die Hypothese, daß "p.~p" wahr sei, nicht gibt!!
 
 
14. 6. 15.
 
Wir sind uns also darüber klar geworden, daß Namen für die verschiedensten Formen stehen, und stehen dürfen, und daß nun erst die syntaktische Anwendung die darzustellende Form charakterisiert.
 
Was ist nun die syntaktische Anwendung von Namen einfacher Gegenstände?
 
Was ist mein Grundgedanke, wenn ich von den einfachen Gegen­ständen rede? Genügen nicht am Ende die 'zusammengesetzten Gegenstände' gerade den Anforderungen, die ich scheinbar an jene stelle? Gebe ich diesem Buch einen Namen "N" und rede  nun von  N, ist nicht das Verhältnis von N zu jenem 'zusammengesetzten Gegen­ stand', zu jenen Formen und Inhalten ''wesentlich'' dasselbe, welches ich nur zwischen Namen und einfachem Gegenstand dachte?
 
Denn wohlgemerkt: wenn auch der Name <nowiki>''</nowiki>N" bei weiterer Analyse verschwindet, so deutet er doch ''Ein Gemeinsames'' an.
 
Wie steht es aber mit der Bedeutung der Namen außerhalb des Satzzusammenhanges?
 
Man könnte aber die Frage auch so vorbringen: Es scheint, daß die Idee des EINFACHEN in der des Komplexen und in der Idee der Analyse bereits enthalten liegt, so zwar, daß wir ganz absehend von irgend­ welchen Beispielen einfacher Gegenstände oder von Sätzen, in welchen von solchen die Rede ist, zu dieser Idee kommen und die Existenz der einfachen Gegenstände als eine logische Notwendigkeit – a priori – einsehen.
 
Es hat also den Anschein, daß sich die Existenz der einfachen Gegenstände zu der der komplexen  so verhält,  wie der  Sinn  von zum Sinn von p: Der ''einfache'' Gegenstand sei im komplexen ''präjudiziert.''
 
 
15. 6. 15.
 
(Dies ist ja nicht zu verwechseln mit der ''Tatsache,'' daß der ''Bestandteil'' im Komplex präjudiziert ist.)
 
(Eine der schwersten Aufgaben des Philosophen ist es zu finden, wo ihn der Schuh druckt.)
 
Es ist ganz klar, daß ich tatsächlich dieser Uhr, wie sie hier vor mir liegt und geht, einen Namen zuordnen kann, und daß dieser Name außerhalb jedes Satzes Bedeutung haben wird  in  demselben Sinne des Wortes, wie ich es überhaupt jemals gemeint habe. Und ich empfinde, daß jener Name in einem Satze allen Anforderungen  an den 'Namen des einfachen Gegenstandes' entsprechen wird.
 
 
16. 6. 15.
 
Wir wollen jetzt einmal sehen, ob diese Uhr tatsächlich allen Bedingungen entspricht, um ein 'einfacher Gegenstand' zu sein! –
 
Die Frage ist eigentlich die: Muß ich, um die syntaktische Behandlungsweise eines Namens zu kennen, die Zusammensetzung seiner Bedeutung kennen? Wenn ja, so drückt sich die ganze Zusammensetzung auch schon in unanalysierten Sätzen aus… –
 
(Man versucht oft, zu große Gedankenklüfte zu überspringen und fällt dann mitten hinein.)
 
Das, was uns a priori gegeben scheint, ist der Begriff: ''Dieses''. – Identisch mit dem Begriff des ''Gegenstands.''
 
Auch Relationen und Eigenschaften etc. sind ''Gegenstände.''
 
Meine Schwierigkeit besteht doch darin: In allen mir vorkommenden Sätzen kommen Namen vor, welche aber bei weiterer Analyse wieder verschwinden müssen. Ich weiß, daß eine solche weitere Analyse möglich ist, bin aber nicht im Stande, sie vollständig durchzuführen. Trotzdem nun weiß ich allem Anscheine nach, daß, wenn die Analyse vollständig durchgeführt wäre, ihr Resultat ein Satz sein müßte, der wieder Namen, Relationen etc. enthielte. Kurz: es scheint, als wüßte ich auf diese Weise nur eine Form, von welcher ich kein einziges Beispiel kenne.
 
Ich sehe: die Analyse kann weitergeführt werden und kann mir nun sozusagen nicht vorstellen, daß sie zu etwas Anderem  führt  als  zu den mir bekannten Satzgattungen.
 
Wenn ich sage, diese Uhr ist glänzend und das, was ich mit "diese Uhr" meine, ändert seine Zusammensetzung im geringsten, so ändert sich damit nicht nur der Sinn des Satzes dem Inhalt nach, sondern die ''Aussage über diese Uhr'' ändert sofort ''auch'' ihren Sinn. Die ganze Form des Satzes ändert sich.
 
Das heißt, die syntaktische Verwendung der Namen charakterisiert vollständig die Form der  zusammengesetzten  Gegenstände, welche sie bezeichnen.
 
Jeder Satz, der einen Sinn hat, hat einen KOMPLETTEN  Sinn, und er ist ein Bild der Wirklichkeit, so daß, was in ihm noch nicht gesagt ist, einfach nicht zu seinem Sinn gehören kann.
 
Wenn der Satz "diese Uhr glänzt" einen Sinn hat, so muß es erklärbar sein, WIE DIESER Satz DIESEN Sinn hat.
 
Wenn ein Satz uns etwas sagt, so muß er, wie er da steht, ein Bild der Wirklichkeit sein und zwar ein vollständiges.-Es wird natürlich auch etwas geben, was er ''nicht'' sagt-aber ''was'' er sagt, sagt er vollständig, und es muß sich SCHARF begrenzen lassen.
 
Ein Satz mag also zwar ein unvollständiges Bild einer gewissen Tatsache sein, aber er ist IMMER ''ein vollständiges Bild. [Vgl.'' 5.156.]
 
Daraus schiene es nun, als ob in gewissem Sinne alle Namen ''echte Namen'' wären. Oder wie ich auch sagen könnte, als ob alle Gegenstände in gewissem Sinne einfache Gegenstände wären.
 
 
17. 6. 15.
Nehmen wir an, jeder räumliche Gegenstand bestehe aus unendlich vielen Punkten, dann ist es klar, daß ich diese nicht alle namentlich anführen kann, wenn ich von jenem Gegenstand spreche. Hier wäre also ein Fall, wo ich zur vollständigen Analyse im alten Sinne gar  nicht kommen ''kann;'' und vielleicht ist gerade dieser der gewöhnliche Fall.
 
Das ist doch klar, daß die Sätze, die die Menschheit ausschließlich benützt, daß diese, so wie sie stehen, einen Sinn haben werden und nicht erst auf eine zukünftige Analyse warten, um einen Sinn zu erhalten.
 
Nun scheint es aber doch eine legitime Frage:  sind-z.  B.-räumliche Gegenstände aus einfachen Teilen zusammengesetzt, kommt man bei ihrer Zerlegung auf Teile, die nicht mehr zerlegbar sind, oder ist dies nicht der Fall?
 
– Was für eine Art Frage ist aber dies? –
 
''Jst es,'' A PRIORI, ''klar, daß wir bei der Zerlegung auf einfache Bestandteile kommen müßten – liegt dies etwa schon im Begriff der Zerlegung'' –'','' oder ist eine Zerlegbarkeit ad infinitum möglich? – Oder am Ende gar ein Drittes?
 
Jene Frage ist eine logische, und die Zusammengesetztheit der räumlichen Gegenstände ist eine logische, denn zu sagen,  daß  ein Ding ein Teil eines anderen sei, ist immer eine Tautologie.
 
Wie aber, wenn ich etwa sagen wollte, daß EIN Bestandteil einer Tatsache eine bestimmte Eigenschaft habe? Dann müßte ich sie namentlich anführen und eine logische Summe verwenden.
 
Gegen eine unendliche Zerlegbarkeit scheint auch nichts zu sprechen.
 
''Und immer wieder'' drängt es sich uns auf, daß es etwas Einfaches, Unzerlegbares gibt, ein Element des Seins, kurz ein Ding.
 
Es geht zwar nicht gegen unser Gefühl, daß ''wir'' SÄTZE nicht soweit zerlegen können, um die Elemente namentlich anzuführen, aber wir fühlen, daß die WELT aus Elementen bestehen muß. Und es scheint, als sei das identisch  mit dem Satz,  die  Welt müße eben  sein,  was sie ist, sie müße bestimmt sein. Oder mit anderen Worten, was schwankt, sind unsere Bestimmungen, nicht die Welt. Es scheint, als hieße die Dinge leugnen soviel als zu sagen: Die Welt könne sozusagen unbestimmt sein in dem Sinne etwa, in welchem unser Wissen unsicher und unbestimmt ist.
 
Die Welt hat eine feste Struktur.
 
Ob nicht die Darstellung durch unzerlegbare Namen ''nur ein System'' ist?
 
Alles, was ich will, ist ja nur vollständige Zerlegtheit ''meines Sinnes''!! Mit anderen Worten, der Satz muß vollkommen artikuliert sein. Alles, was sein Sinn mit einem anderen Sinn gemeinsam hat, muß im Satz separat enthalten sein. Kommen Verallgemeinerungen vor, so müssen die Formen der  besonderen  Fälle ersichtlich sein. – Und es ist klar, daß diese Forderung berechtigt ist, sonst kann der Satz überhaupt kein Bild von ''irgend etwas'' sein. ''[Vgl.'' 3.251.]
 
Denn wenn im Satze Möglichkeiten ''offen gelassen werden,'' so muß ''eben das bestimmt'' sein: ''was'' offen gelassen wird. Die Verallgemeinerungen der Form – z. B. – müssen bestimmt sein.  Was ich nicht  weiß, das weiß ich nicht, aber der Satz muß mir zeigen, WAS ich weiß. Und ist dann nicht dies Bestimmte, zu dem ich kommen muß, gerade einfach in dem Sinn, der mir immer vorgeschwebt hat? Es ist sozusagen das Harte.
 
"Zusammengesetzte Gegenstände gibt es nicht", heißt dann also
 
für uns: Im Satz muß klar sein, wie der Gegenstand zusammengesetzt ist, soweit wir überhaupt von seiner Zusammengesetztheit reden können. – Der Sinn des Satzes muß im Satze in seine ''einfachen'' Bestandteile zerlegt erscheinen –. Und diese Teile sind dann wirklich unzerlegbar, denn weiter zerlegte wären eben nicht DIESE. Mit anderen Worten, der Satz läßt sich eben dann nicht mehr durch einen ersetzen, welcher mehr Bestandteile hat, sondern jeder, der mehr Bestandteile hat, hat auch nicht ''diesen'' Sinn.
 
Immer, wenn der Sinn des Satzes vollkommen in ihm selbst ausgedrückt ist, ist der Satz in seine einfachen Bestandteile zerlegt-eine weitere Zerlegung ist unmöglich, und eine  scheinbare  überflüssig­ und diese sind Gegenstände im ursprünglichen Sinne.
 
 
18. 6. 15.
 
Ist die Zusammengesetztheit eines Gegenstandes für den Sinn eines Satzes bestimmend, dann muß sie soweit im Satze abgebildet sein, als sie seinen Sinn bestimmt. Und soweit die  Zusammensetzung  für  ''diesen'' Sinn ''nicht'' bestimmend ist, soweit sind die Gegenstände dieses Satzes ''einfach.'' SIE ''können'' nicht weiter zerlegt werden. –
 
Die Forderung der einfachen Dinge ''ist'' die Forderung der Bestimmtheit des Sinnes. ''[Vgl.'' 3.23.]
 
Denn rede ich etwa von dieser Uhr und meine damit etwas Komplexes, und es kommt auf die Zusammensetzung nicht an, so wird im Satz eine Verallgemeinerung auftreten, und ihre Grundformen werden, ''soweit sie überhaupt gegeben sind,'' vollkommen bestimmt sein.
 
Wenn es einen endlichen Sinn gibt, und einen Satz, der diesen vollständig ausdrückt, dann gibt es auch Namen für einfache Gegenstände.
 
Wenn nun aber ein einfacher Name einen unendlich komplexen Gegenstand bezeichnet? Wir sagen zum Beispiel etwas von einem Fleck unseres Gesichtsbilds aus, etwa, daß er rechts von einer Linie liege, und wir nehmen an, daß jeder Fleck unseres Gesichtsbilds unendlich komplex ist. Sagen wir dann von einem Punkt in jenem Fleck, daß er rechts von der Linie liege, dann folgt dieser Satz aus dem früheren, und wenn unendlich viele  Punkte  in dem  Fleck  liegen, ''dann folgen unendlich viele Sätze verschiedenen Inhalts'' LOGISCH ''aus jenem ersten''! Und dies zeigt schon, daß er tatsächlich selbst unendlich komplex war. Nämlich nicht das Satzzeichen allein, wohl aber ''mit seiner syntaktischen Verwendung.''
 
Nun ist es aber natürlich ''sehr'' leicht möglich, daß in Wirklichkeit ''nicht'' unendlich viele verschiedene Sätze aus einem solchen Satz folgen, weil unser Gesichtsbild vielleicht – oder wahrscheinlich – nicht aus unendlich vielen Teilen besteht, sondern jener kontinuierliche Gesichtsraum erst eine nachträgliche Konstruktion ist –; und dann folgt eben nur eine endliche Zahl Sätze aus  dem bewußten,  und  er selbst ist in jedem Sinne ''endlich''.
 
Aber beeinträchtigt nun diese ''mögliche'' unendliche Zusammengesetztheit des Sinnes dessen Bestimmtheit?
 
Man könnte die Bestimmtheit auch so  fordern:  Wenn ein  Satz Sinn haben soll, so muß vorerst die syntaktische Verwendung jedes seiner Teile festgelegt sein. – Man kann z. B. nicht ''erst nachträglich draufkommen,'' daß ein Satz aus ihm folgt. Sondern z. B. welche Sätze aus einem Satz folgen, muß vollkommen feststehen, ehe dieser Satz einen Sinn haben kann!
 
Es scheint mir durchaus möglich, daß Flächen in unserem Gesichtsbild einfache Gegenstände sind, indem wir nämlich keinen einzigen Punkt dieser Fläche separat wahrnehmen; Gesichtsbilder von Sternen scheinen es sogar sicher zu sein. Wenn ich nämlich z.B. sage, diese Uhr liegt nicht in der Lade, so braucht daraus durchaus nicht LOGISCH FOLGEN, daß ein Rad, welches in der  Uhr  ist, nicht  in  der Lade liegt, denn ''ich wußte'' vielleicht ''gar nicht,'' daß das Rad in der Uhr war, habe daher auch nicht mit "diese Uhr" einen Komplex meinen können, in welchem das Rad vorkommt. Und es ist gewiß, daß ich –  beiläufig gesprochen – nicht alle Teile meines ''theoretischen'' Gesichtsbildes sehe. Wer weiß, ''ob'' ich unendlich viele Punkte sehe!
 
Nehmen wir nun an, wir sähen einen kreisförmigen Fleck: ist die Kreisform seine ''Eigenschaft?'' Gewiß nicht. Sie scheint eine strukturelle "Eigenschaft" zu sein. Und wenn ich bemerke, daß ein Fleck kreisrund ist, bemerke ich da nicht eine unendlich komplexe strukturelle Eigenschaft? Oder ich bemerke nur, daß der Fleck eine endliche Ausdehnung hat, und auch das schon scheint eine unendlich komplexe Struktur ''vorauszusetzen''.
 
Nicht: ein Satz folgt aus einem anderen, sondern die Wahrheit  des einen folgt aus der Wahrheit des anderen. (Darum ''folgt'' aus "Alle Menschen sind sterblich", "Wenn Sokrates ein Mensch ist, so ist er sterblich".)
 
Es kann aber wohl ein Satz von unendlich vielen Punkten handeln ohne in einem gewissen Sinne unendlich komplex zu sein.
 
 
19. 6. 15.
 
Wenn wir sehen, daß unser Gesichtsbild komplex ist, so sehen wir aber auch, daß es aus ''einfacheren'' Teilen besteht.
 
Wir können, ohne eine bestimmte Anwendung im Auge zu haben von Funktionen der und jener Art reden.
 
Es schwebt uns nämlich kein Beispiel vor, wenn wir Fx und alle anderen variablen Formzeichen benutzen.
 
Kurz: Wenn wir die Urbilder  nur  bei Namen anwenden  würden,  so wäre die Möglichkeit, daß wir die Existenz der Urbilder aus der Existenz ihrer einzelnen Fälle erkennen würden.  Nun aber wenden wir ''Variable'' an, das heißt, wir reden sozusagen von den Urbildern allein, ganz abgesehen von irgend welchen einzelnen Fällen.
 
Wir bilden das Ding, die Relation, die Eigenschaft vermittelst Variablen ab und zeigen so, daß wir diese Ideen nicht aus gewissen  uns vorkommenden Fällen ableiten, sondern sie irgendwie a priori besitzen.
 
Es fragt sich nämlich: Wenn die einzelnen  Formen  mir sozusagen in der Erfahrung gegeben sind, dann darf ich doch in der Logik von ihnen nicht Gebrauch machen, dann darf ich eigentlich kein  x  und kein φy schreiben. Aber das kann ich doch gar nicht vermeiden.
 
Beiläufig gefragt: handelt die Logik von gewissen Gattungen von Funktionen und dergleichen? Und wenn nicht,  was  bedeuten dann Fx, φz u.s.w. in der Logik?
 
''Dies müßen dann Zeichen allgemeinerer Bedeutung sein!''
 
Das Aufstellen einer Art logischen Inventars, wie ich mir das früher vorstellte, scheint es doch wohl nicht zu geben.
 
Die Bestandteile des Satzes müssen einfach sein = Der Satz muß vollkommen artikuliert sein. ''[Vgl.'' 3.251.]
 
Nun SCHEINT dies aber den Tatsachen zu widersprechen? –
 
In der Logik nämlich wollen wir scheinbar Idealbilder artikulierter Sätze vorführen. Aber wie ist das möglich?
 
Oder können wir einen Satz wie "die Uhr liegt auf dem Tisch" ohne weiteres nach den Regeln der Logik behandeln? Nein. Da sagen wir z. B., daß die Zeitangabe in dem Satze verschwiegen ist, daß er nur scheinbar ... etc. etc.
 
Also ehe wir ihn behandeln können, müssen wir ihn, wie es scheint, auf eine gewisse Art und Weise umgestalten.
 
Aber dies ist vielleicht nicht maßgebend, denn könnten wir nicht ebensogut unsere gewohnte ''logische'' Schreibweise dem speziellen Satz anpassen?
 
 
20. 6. 15.
 
Ja, darum handelt es sich: Könnten wir mit Recht  die  Logik, wie sie etwa in den "Principia Mathematica" steht, ohne weiteres auf die ''gebräuchlichen Sätze'' anwenden?
 
''Natürlich'' dürfen wir nicht außeracht lassen, was in unseren Sätzen durch Endungen, Vorsilben, Umlaute etc. etc. ''ausgedrückt'' ist.
 
''Aber wir wenden ja die Mathematik, und zwar mit bestem Erfolge, auf die gewöhnlichen Sätze, nämlich auf die der Physik, an''!!
 
Aber wie merkwürdig: in den bekannten Lehrsätzen der mathematischen Physik erscheinen weder Dinge noch Funktionen noch Relationen noch sonst logische Gegenstandsformen!! Statt der Dinge haben wir da Zahlen, und die Funktionen und Relationen sind durch­ weg rein mathematisch!!
 
Aber es ist doch Tatsache, daß diese Sätze auf die solide Wirklichkeit angewandt werden.
 
Die Variablen in jenen Lehrsätzen stehen durchaus nicht – wie man häufig sagt – für Längen, Gewichte, Zeiträume etc., sondern sie stehen einfach für Zahlen und weiter nichts.
 
Wenn ich nun aber die  Zahlen anwenden  will, dann  komme ich  zu den Relationen,  den Dingen etc.  etc. Ich sage z. B.: diese Länge  ist ''5'' Meter und spreche da von Relationen und Dingen, und zwar in dem ''ganz gewöhnlichen'' Sinne.
 
Wir kommen hier zur  Frage nach  der  Bedeutung der  Variablen  in den physikalischen Sätzen. Diese sind ja keine Tautologien.
 
Der physikalische Satz ohne Angabe seiner Anwendung ist offenbar sinnlos. Was hätte es für einen Sinn zu sagen: "k = m × p"?
 
Also handelt der vervollständigte physikalische Satz doch von den Dingen, Relationen u.s.w. (Was eigentlich zu erwarten war.)
 
Es liegt nun alles darin, daß ich die Zahlen auf die gewöhnlichen Dinge etc. anwende, was wieder nicht mehr sagt, als daß in unseren ganz gewöhnlichen Sätzen Zahlen vorkommen.
 
Die Schwierigkeit ist eigentlich die: daß, wenn wir auch einen ''ganz bestimmten'' Sinn ausdrücken wollen, die Möglichkeit besteht, daß wir dieses Ziel verfehlen. Es scheint also sozusagen, daß wir keine  Garantie haben, daß unser Satz wirklich ein Bild der Wirklichkeit ist.
 
Die Zerlegung der Körper in ''materielle Punkte,'' wie wir sie in der Physik haben, ist weiter nichts als die Analyse in ''einfache Bestandteile.''
 
Aber sollte es möglich sein, daß die von uns gewöhnlich gebrauchten Sätze gleichsam nur einen unvollkommenen Sinn haben (ganz abgesehen von ihrer Wahr- oder Falschheit) und die physikalischen Sätze sich sozusagen dem Stadium nähern, wo ein Satz wirklich einen vollkommenen Sinn hat??
 
Wenn ich sage "das Buch liegt auf dem Tisch", hat dies wirklich einen vollkommen klaren Sinn? (Eine HÖCHST bedeutungsvolle Frage!)
 
Der Sinn muß doch klar sein, denn ''etwas'' meinen wir doch mit dem Satz, und soviel als wir ''sicher'' meinen, muß doch klar sein.
 
Wenn der Satz "das Buch liegt auf dem Tisch" einen klaren Sinn hat, dann muß ich, was immer auch ''der Fall ist,'' sagen können, ob der Satz wahr oder falsch ist. Es  könnten aber sehr wohl ''Fälle'' eintreten, in welchen ich nicht ohne weiteres sagen könnte, ob das Buch noch "auf dem Tisch liegend" zu nennen ist. Also?
 
Ist also etwa der Fall der, daß ich zwar genau weiß was ich sagen will, aber dann im Ausdruck Fehler mache?
 
Oder kann diese Unsicherheit AUCH noch in den Satz eingeschlossen werden?
 
Aber es kann auch sein, daß der Satz "das Buch liegt auf dem Tisch" meinen  Sinn zwar  vollkommen   darstellt, daß  ich'' '' aber die  Worte z. B. "darauf-liegen:", hier in einer speziellen Bedeutung gebrauche: und es anderswo eine andere Bedeutung hat. Ich meine mit dem Verbum etwa die ganz spezielle Relation, die das Buch jetzt wirklich zu dem Tisch hat.
 
Sind also im Grunde die Sätze der Physik und die Sätze des gewöhnlichen Lebens gleich scharf, und besteht der Unterschied nur in der konsequenteren Anwendung der Zeichen in der Sprache der Wissenschaft??
 
Kann man davon reden oder nicht, daß ein Satz einen mehr oder weniger scharfen Sinn hat??
 
Es scheint klar, daß das, was wir MEINEN, immer "''scharf''" sein muß. Unser Aus ruck dessen, was wir meinen, kann wieder nur richtig oder falsch sein. Und nun können noch die Worte konsequent oder inkonsequent angewendet sein. Eine andere Möglichkeit scheint es nicht zu geben.
 
Wenn ich z. B. sage "der Tisch ist einen Meter lang", so ist es höchst fraglich, was ich damit meine. Aber ich meine wohl "der Abstand DIESER zwei Punkte ist ein Meter, und die Punkte gehören zum Tisch".
 
Wir sagten, die Mathematik würde ja schon mit Erfolg auf gewöhnliche Sätze angewandt, aber die Sätze der Physik handeln durchwegs von anderen Gegenständen als denen unserer gewöhnlichen Sprache! Müssen unsere Sätze ''so'' präpariert werden, um mathematisch behandelt werden zu könne ? Offenbar ja! Wenn Quantitäten in Frage kommen, so wurde z. B. ein Ausdruck wie "die Länge dieses Tisches" nicht genügen. Diese Länge müßte definiert werden, etwa als Abstand  zweier Flächen etc. etc.
 
Ja, die mathematischen  Wissenschaften  unterscheiden ''sich '' von den nicht mathematischen dadurch, daß jene  von Dingen  handeln, von welchen di gewöhnliche Sprache nicht  spricht,  während diese von den allgemein bekannten Dingen redet. –
 
 
21. 6. 15.
 
Unsere Schwierigkeit war doch die, daß wir immer von einfachen Gegenständen sprachen und nicht einen einzigen anzuführen wußten.
 
Wenn der Punkt im Raume nicht existiert dann existieren  auch seine Koordinaten nicht, und wenn die Koordinaten existieren dann existiert auch der Punkt.  So ist es in  der Logik.
 
Das einfache Zeichen ist ''wesentlich einfach.''
 
Es fungiert als einfacher Gegenstand. (Was heißt das?)
 
''Set Zusammensetzung'' wird vollkommen ''gleichgültig.'' Sie verschwindet uns aus den Augen.
 
Es scheint immer so, als ob es komplexe Gegenstände gäbe, die als einfache fungieren und dann auch ''wirklich'' einfache, wie die materiellen Punkte der Physik, etc.
 
Daß ein Name einen komplexen Gegenstand bezeichnet sieht man aus einer Unbestimmtheit in den Sätzen, in welchen er vorkommt die eben von der Allgemeinheit solcher Sätze herrührt. Wir ''wissen'', durch diesen Satz ist noch nicht alles bestimmt. Die Allgemeinheitsbezeichnung ''enthält'' ja ein Urbild. ''[Vgl.'' 3.24.]
 
Alle unsichtbaren Massen etc. etc. müssen unter die Allgemeinheitsbezeichnung kommen.
 
Wie ist das, wenn sich Sätze der Wahrheit nähern?
 
Aber die Logik, wie sie etwa in den <nowiki>''</nowiki>Principia Mathematica"  steht, läßt sich ganz gut auf unsere gewöhnlichen Sätze anwenden.  Z.B. aus "Alle Menschen sind sterblich" und "Sokrates ist ein Mensch" folgt nach dieser Logik "Sokrates ist sterblich", was offenbar  richtig ist, obwohl ich, ebenso offenbar, nicht weiß, welche Struktur das Ding Sokrates oder die Eigenschaft der Sterblichkeit hat. Diese fungieren eben hier als einfache Gegenstände.
 
Offenbar garantiert schon der Umstand, der es möglich macht, daß gewisse Formen durch eine Definition in einen Namen projiziert werden, dafür, daß dieser Name dann auch wie ein wirklicher behandelt werden kann.
 
Es ist jedem  Klarsehenden offenbar, daß ein Satz wie "Diese Uhr liegt auf dem Tisch" eine Menge Unbestimmtheit enthält, trotzdem seine Form äußerlich vollkommen klar und einfach erscheint. Wir ''sehen'' also, daß diese Einfachheit nur konstruiert ist.
 
 
22. 6. 15.
 
Es ist also auch ''dem'' UNBEFANGENEN ''Geist'' klar, daß der Sinn des Satzes "die Uhr liegt auf dem Tisch" komplizierter ist als der Satz selbst.
Die Abmachungen unserer Sprache sind außerordentlich kompliziert. Es wird enorm viel zu jedem Satz dazugedacht, was  nicht gesagt wird. (Diese Abmachungen sind ganz wie die "Conventions" Whiteheads. Sie sind wohl Definitionen mit ''einer gewissen Allgemeinheit der Form''.) [''Vgl.'' 4.002.]
 
Ich will nur die Vagheit der gewöhnlichen Sätze rechtfertigen, denn sie ''läßt'' sich rechtfertigen.
 
Es ist klar: ''Ich weiß,'' was ich mit dem vagen Satz ''meine.'' Nun versteht es aber ein Anderer nicht und sagt "ja aber wenn du das meinst, hättest du-das und das-dazu setzen müssen"; und nun  wird  es noch Einer nicht verstehen und den Satz noch ausführlicher verlangen. Ich werde dann antworten: Ja, DAS versteht sich ''doch von selbst.''
 
Sage ich jemandem "die Uhr liegt auf dem Tisch", und nun sagt er "ja aber wenn die Uhr so und so läge, würdest du da auch noch sagen, 'sie liegt auf dem Tisch'". Und ich würde unsicher. Das zeigt, daß ich nicht wußte, was ich mit dem "liegen" ''im Allgemeinen'' meinte. Wenn man mich so in die Enge triebe, um mir zu zeigen, daß ich nicht wisse, was ich meine, würde ich sagen: "''Ich weiß'', was ich meine; ich meine eben DAS" und würde dabei etwa auf den betreffenden Komplex mit dem Finger zeigen. Und in diesem Komplex habe ich nun tatsächlich die zwei Gegenstände in einer Relation. – Das heißt aber ''wirklich'' nur: Die Tatsache läßt sich IRGENDWIE auch durch diese Form abbilden.
 
Wenn ich dies nun tue und die Gegenstände mit ''Namen'' bezeichne werden  sie dadurch einfach?'
 
Aber doch ist dieser Satz ein Bild jenes Komplexes. Dieser Gegenstand ist für ''mich einfach''!
 
Nenne ich z.B. irgend einen Stab "A", eine Kugel "B", so kann ich von A sagen, es lehnt an der Wand, aber nicht von B. Hier macht sich die interne Natur von A und B bemerkbar.
 
Wenn ein  Name einen  Gegenstand  bezeichnet, so  steht  er damit in einer Beziehung zu , die ganz von der logischen Art des Gegenstandes bedingt ist und diese wieder charakterisiert.
 
Und das ist klar, daß der Gegenstand eine bestimmte logische Art haben muß, er ist so zusammengesetzt oder so einfach als er eben ist.
 
"Die Uhr ''sitzt'' auf dem Tisch" ist sinnlos!
 
Nur der zusammengesetzte Teil des Satzes kann wahr oder falsch sein.
 
Der Name faßt seine ganze komplexe Bedeutung in Eins zusammen.
 
 
15. 4. 16.
 
Nur was wir selbst konstruieren, können wir voraussehen! ''[S.'' 5.556.]
 
Aber wo bleibt da der Begriff des einfachen Gegenstandes? Dieser Begriff kommt hier überhaupt noch nicht in Betracht.
 
Wir müßten die einfachen Funktionen darum konstruieren können, weil wir jedem Zeichen eine Bedeutung geben können müssen.
 
Denn das einzige Zeichen, welches für seine Bedeutung bürgt, ist Funktion und Argument.
 
 
16. 4. 16.
 
''Jeder'' einfache Satz läßt sich auf die Form φx bringen.
 
Darum darf man aus dieser Form alle einfachen Sätze zusammen­ stellen.
 
Angenommen, mir wären ''alle'' einfachen Sätze gegeben:  Dann  läßt sich einfach fragen: welche Sätze kann ich aus ihnen bilden.  Und  das sind ''alle'' Sätze, und ''so'' sind sie ''begrenzt.'' [4.51.]
 
(p): p = aRx.xRy ... zRb
 
 
17. 4. 16.
 
Die obige Definition kann in ihrer Allgemeinheit nur eine Schriftzeichenregel sein, die mit dem Sinne der Zeichen nichts zu tun hat.
 
Aber kann es eine solche Regel geben?
 
Nur dann ist die Definition möglich, wenn sie selbst kein Satz ist. Dann kann ein Satz nicht von allen Sätzen handeln, wohl aber eine Definition.
 
 
23. 4. 16.
 
Die obige Definition handelt aber gar nicht von allen Sätzen, denn sie enthält wesentlich wirkliche Variable. Sie ist ganz analog einer Operation, als deren Basis auch ihr eigenes Resultat genommen werden kann.
 
26. 4. 16.
 
So und nur so ist das Fortschreiten von einer Type zur anderen möglich. ''[Vgl.'' 5.252]
 
Und man kann sagen, alle Typen stehen in Hierarchien.<references />