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57. Der Gedanke, daß uns erst das Finden zeigt, was wir gesucht, erst die Erfüllung des Wunsches, was wir gewünscht haben, heißt, den Vorgang so beurteilen, wie die Symptome der Erwartung oder des Suchens bei einem Andern. Ich sehe ihn unruhig in seinem Zimmer auf und ab gehen; da kommt jemand zur Tür herein, und er wird ruhig und gibt Zeichen der Befriedigung. Und nun sage ich "Er hat offenbar diesen Menschen erwartet".
57. Der Gedanke, daß uns erst das Finden zeigt, was wir gesucht, erst die Erfüllung des Wunsches, was wir gewünscht haben, heißt, den Vorgang so beurteilen, wie die Symptome der Erwartung oder des Suchens bei einem Andern. Ich sehe ihn unruhig in seinem Zimmer auf und ab gehen; da kommt jemand zur Tür herein, und er wird ruhig und gibt Zeichen der Befriedigung. Und nun sage ich "Er hat offenbar diesen Menschen erwartet".
58. Wir sagen, der Ausdruck der Erwartung 'beschreibe' die erwartete Tatsache und denken an sie, wie an einen Gegenstand oder Komplex, der als Erfüllung der Erwartung in die Erscheinung tritt.—Aber der Erwartete ist nicht die Erfüllung, sondern: daß er kommt.
Der Fehler ist tief in unserer Sprache verankert: Wir sagen "ich erwarte ihn" und "ich erwarte sein Kommen" und "ich erwarte, daß er kommt".
59. Es ist uns schwer, von dem Vergleich loszukommen: Der Mensch tritt ein—das Ereignis tritt ein. Als wäre das Ereignis schon vorgebildet vor der Tür der Wirklichkeit und würde nun in diese (wie in ein Zimmer) eintreten.
60. Die Realität ist keine Eigenschaft, die dem Erwarteten noch fehlt, und die nun hinzutritt, wenn die Erwartung eintritt.—Die Realität ist auch nicht wie das Tageslicht, das den Dingen erst Farbe gibt, wenn sie im Dunkeln schon gleichsam farblos vorhanden sind.
61. Man kann vom Träger eines Namens sagen, daß er nicht existiert; und das ist natürlich keine Tätigkeit, obwohl man es mit einer vergleichen könnte und sagen: er müsse doch dabei sein, wenn er nicht existiert. (Und das ist von einem Philosophen bestimmt schon einmal geschrieben worden.)
62. Das schattenhafte Antizipieren der Tatsache besteht darin, daß wir jetzt denken können, daß ''das'' eintreffen wird, was erst eintreffen ''wird''. Oder, wie es irreführenderweise heißt: daß wir jetzt ''das'' (oder an das) denken können, was erst eintreffen ''wird''.
63. Mancher wird vielleicht sagen wollen "Die Erwartung ist ein Gedanke." Das entspricht offenbar cinem Gebrauch des Wortes "erwarten”. Und wir wollen uns nur erinnern, daß der Vorgang des Gedankens ''sehr verschiedenerlei'' sein kann.
64. Ich pfeife, und jemand fragt mich, warum ich guter Dinge bin. Ich antworte, "Ich hoffe, N wird heute kommen."—Aber während ich pfiff, dachte ich nicht an ihn. Und doch wäre es falsch zu sagen: ich hätte aufgehört zu hoffen, als ich zu pfeifen anfing.
65. Wenn ich sage "Ich erwarte ....."—ist das die Feststellung: die Situation, meine Handlungen, Gedanken etc. scien die des Erwartens dieses Ereignisses; oder gehören die Worte "Ich erwarte .....” zum Vorgang des Erwartens ?
Unter gewissen Umständen werden diese Worte heißen (ersetzt werden können durch) "Ich glaube, das und das wird cintreten". Manchmal auch: "Mach dich darauf gefaßt, daß ....."
66. Die psychologischen—trivialen—Erörterungen über Erwartung, Assoziation u.s.w., lassen immer das eigentlich Merkwürdige aus, und man merkt ihnen an, daß sie herumreden, ohne den springenden Punkt zu berühren.
67. Eine Erwartung ist in einer Situation eingebettet, aus der sie entspringt. Die Erwartung einer Explosion kann z.B. aus einer Situation entspringen, in der eine Explosion ''zu erwarten ist''. Der sie erwartet, hatte zwei Leute flüstern hören: "Morgen um zehn Uhr wird die Lunte angebrannt". Dann denkt er: vielleicht will jemand hier ein Haus in die Luft sprengen. Gegen zehn Uhr wird er unruhig, fährt bei jedem Lärm zusammen, und endlich antwortet er auf die Frage, warum er nervös sei: "Ich erwarte ....". Diese Antwort wird z. B. sein Benehmen verständlich machen. Sie wird uns auch in den Stand setzen, uns seine Gedanken und Gefühle auszumalen.
68. Die Erfüllung der Erwartung besteht nicht darin, daß ein Drittes geschieht, das man, außer eben als "die Erfüllung dieser Erwartung" auch noch anders beschreiben könnte, also z. B. als ein Gefühl der Befriedigung oder der Freude oder wie immer. Die Erwartung, daß etwas der Fall sein wird, ist das Gleiche, wie die Erwartung der Erfüllung jener Erwartung. [''Randbemerkung:'' Erwartung dessen was nicht ist.]
69. Sokrates zu Theaitetos: "Und wer vorstellt, sollte nicht ''etwas'' vorstellen?"—Th.: "Notwendig".—Sok.: "Und wer etwas vorstellt, nichts Wirkliches?”—Th.: "So scheint es."
Setzen wir in diesem Argument statt des Wortes "vorstellen" etwa das Wort "töten", so gibt es eine Regel für den Gebrauch dieses Worts: es hat keinen Sinn zu sagen "Ich töte etwas, was nicht existiert". Ich kann mir einen Hirsch auf dieser Wiese vorstellen, der nicht da ist, aber keinen töten, der nicht da ist. Und "sich einen Hirsch auf dieser Wiese vorstellen", heißt: sich vorstellen, daß ein Hirsch da ist. Einen Hirsch töten aber heißt nicht: töten, daß etc. Wenn aber jemand sagt "Damit ich mir cinen Hirsch vorstellen kann, muß es ihn doch in einem gewissen Sinne geben"—so ist die Antwort: nein, es muß ihn dazu in keinem Sinne geben. Und wenn geantwortet würde: "Aber die braune Farbe z. B. muß es doch geben, damit ich sie mir vorstellen kann",—so ist zu sagen: "es gibt die braune Farbe", heißt überhaupt nichts; außer etwa, daß sie da oder dort als Färbung eines Gegenstands vorhanden ist; und das ist nicht nötig, damit ich mir einen braunen Hirsch vorstellen kann.
70. Etwas tun können, erscheint wie ein Schatten des wirklichen Tuns, gerade wie der Sinn des Satzes als Schatten einer Tatsache, oder das Verstehen des Befehls als Schatten seiner Ausführung, Im Befehl wirft die Tatsache gleichsam "ihren Schatten schon voraus". Dieser Schatten aber, was immer er wäre, ist nicht das Ereignis.
71. Vergleiche die Anwendungen von:
:"Ich habe seit gestern Schmerzen."
:"Ich habe ihn seit gestern erwartet."
:"Ich wußte seit gestern."
:"Ich kann seit gestern integrieren."
72. Der gemeinsame Unterschied aller Bewußtseinszustände von den Dispositionen scheint mir zu sein, daß man sich nicht durch Stichproben überzeugen kann, ob sie noch andauern.
73. Man muß manchen Satz öfter lesen, um ihn als Satz zu verstehen.
74. Ein Satz sei mir in einer Chiffer gegeben und auch ihr Schlüssel; dann ist mir natürlich in einer Beziehung alles zum Verständnis des Satzes gegeben. Und doch würde ich auf die Frage "Verstehst du diesen Satz?" antworten: Nein, noch nicht; ich muß ihn erst entziffern. Und erst, wenn ich ihn z. B. ins Deutsche übertragen hätte, würde ich sagen "Jetzt verstehe ich ihn".
Wenn man nun die Frage stellt "In welchem Moment der Übertragung ''verstehe'' ich nun den Satz?", würde man einen Einblick in das Wesen dessen erhalten, was wir "verstehen” nennen.
75. Ich kann auf den Verlauf meiner Schmerzen achten; aber nicht ebenso auf den meines Glaubens, meiner Übersetzung oder meines Wissens.