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526. Wer sich unter den und den Umständen so und so benimmt, von dem sagen wir, er sei traurig. (Auch vom Hunde.) Insofern kann man nicht sagen, das Benehmen sei die ''Ursache'' der Trauer; sie ist ihr Anzeichen. Sie die Wirkung der Trauer zu nennen, wäre auch nicht einwandfrei.—Sagt er es von sich (er sei traurig), so wird er im allgemeinen dafür als Grund nicht sein trauriges Gesicht u. dergl. angeben. Wie aber wäre es damit: "Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich traurig werde, sobald ich anfange, traurig dazusitzen, etc."? Das könnte zweierlei besagen. Erstens: "Sobald ich, etwa einer leichten Neigung folgend, es mir gestatte, mich so und so zu halten und zu benehmen, gerate ich in den Zustand, in diesem Benehmen verharren zu müssen." Es könnte ja sein, daß Zahnschmerzen durch Stöhnen ärger würden.—Zweitens aber könnte jener Satz eine Spekulation enthalten über die Ursache der menschlichen Trauer; des Inhalts, daß, wer imstande wäre auf irgend eine Weise gewisse Körperzustände hervorzurufen, den Menschen traurig machen würde. Hier ist aber die Schwierigkeit, daß wir einen Menschen, der unter allen Umständen traurig ''aussähe'' und sich ''benähme'', nicht traurig nennen würden. Ja, wenn wir einem solchen den Ausdruck "Ich bin traurig" beibrüchten, und er sagte das stets und ständig mit dem Ausdruck der Trauer, so hätten diese Worte, so wie die übrigen Zeichen, ihren normalen Sinn verloren.
526. Wer sich unter den und den Umständen so und so benimmt, von dem sagen wir, er sei traurig. (Auch vom Hunde.) Insofern kann man nicht sagen, das Benehmen sei die ''Ursache'' der Trauer; sie ist ihr Anzeichen. Sie die Wirkung der Trauer zu nennen, wäre auch nicht einwandfrei.—Sagt er es von sich (er sei traurig), so wird er im allgemeinen dafür als Grund nicht sein trauriges Gesicht u. dergl. angeben. Wie aber wäre es damit: "Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich traurig werde, sobald ich anfange, traurig dazusitzen, etc."? Das könnte zweierlei besagen. Erstens: "Sobald ich, etwa einer leichten Neigung folgend, es mir gestatte, mich so und so zu halten und zu benehmen, gerate ich in den Zustand, in diesem Benehmen verharren zu müssen." Es könnte ja sein, daß Zahnschmerzen durch Stöhnen ärger würden.—Zweitens aber könnte jener Satz eine Spekulation enthalten über die Ursache der menschlichen Trauer; des Inhalts, daß, wer imstande wäre auf irgend eine Weise gewisse Körperzustände hervorzurufen, den Menschen traurig machen würde. Hier ist aber die Schwierigkeit, daß wir einen Menschen, der unter allen Umständen traurig ''aussähe'' und sich ''benähme'', nicht traurig nennen würden. Ja, wenn wir einem solchen den Ausdruck "Ich bin traurig" beibrüchten, und er sagte das stets und ständig mit dem Ausdruck der Trauer, so hätten diese Worte, so wie die übrigen Zeichen, ihren normalen Sinn verloren.
527. Ist es nicht so, als wollte man sich einen Gesichtsausdruck vorstellen, der nicht allmählicher, schwer fabbarer Veränderungen fähig wäre, sondern, sagen wir nur fünf Stellungen hätte; bei einer Veränderung ginge die eine mit einem Ruck in die andere über. Wäre nun dies starre Lächeln z. B. wirklich ein Lächeln? Und warum nicht?—"Lächeln" nennen wir eine Miene in einem normalen Mienenspiel.—Ich könnte mich vielleicht nicht so dazu verhalten, wie zu einem Lächeln. Es würde mich z. B. nicht selber zum Lächeln bringen. "Kein Wunder" will man sagen, "daß wir diesen Begriff haben unter ''diesen'' Umständen."
528. Eine Hilfskonstruktion. Ein Stamm, den wir versklaven wollen. Die Regierung und die Wissenschaft geben aus, daß die Leute dieses Stammes keine Seelen haben; man könne sie also zu jedem beliebigen Zweck gebrauchen. Natürlich interessiert uns dennoch ihre Sprache; denn wir wollen ihnen ja z. B. Befehle geben und Berichte von ihnen erhalten. Auch wollen wir wissen, was sie unter einander reden, da dies mit ihrem übrigen Verhalten zusammenhängt. Aber auch, was bei ihnen unsern 'psychologischen Äußerungen' entspricht, muß uns interessieren; denn wir wollen sie arbeitsfähig erhalten; darum sind uns ihre Außerungen des Schmerzes, des Unwohlseins, der Niedergeschlagenheit, der Lebenslust etc, etc. von Wichtigkeit. Ja, wir haben auch gefunden, daß man diese Leute mit gutem Erfolg als Versuchsobjekte in physiologischen und psychologischen Laboratorien verwenden kann, da ihre Reaktionen—auch die Sprachreaktionen—ganz die der scelenbegabten Menschen sind. Man habe auch gefunden, daß man diesen Wesen durch eine Methode, die sehr ähnlich unserm 'Unterricht' ist, unsere Sprache statt der ihrigen beibringen kann.
529. Diese Wesen lernen nun z. B. rechnen, schriftlich oder mündlich rechnen. Wir bringen sie aber auf irgend eine Weise dahin, daß sie uns das Ergebnis einer Multiplikation sagen können, nachdem sie, ohne zu schreiben oder zu sprechen, sich eine Weile in 'nachdenkender' Haltung verhalten haben. Wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sie dies 'Kopfrechnen' lernen und die Erscheinungen, die es umgeben, so liegt das Bild nahe, der Prozeß des Rechnens sei gleichsam untergetaucht und gehe nun ''unter'' der Wasserfläche vor sich.
Wir müssen natürlich für verschiedene Zwecke einen Befehl haben der Art "Rechne dies im Kopf!"; eine Frage "Hast du es gerechnet?"; ja auch: "Wie weit bist du?"; eine Aussage des Automaten "Ich habe .... gerechnet"; etc. Kurz: alles, was ''wir'' unter uns über das Kopfrechnen sagen, hat auch Interesse für uns, wenn sie es sagen. Und was für Kopfrechnen gilt, gilt auch für alle anderen Formen des Denkens.——Äußert einer von uns die Meinung, diese Wesen ''müßten'' doch irgendeine Art von Seele haben, in der dies und jenes vor sich ginge, so lachen wir ihn aus.
530. Die Sklaven sagen auch: "Als ich das Wort 'Bank' hörte, bedeutete es für mich .....". Frage: Auf dem Hintergrund ''welcher'' Sprachtechnik sagen sie das? Denn darauf kommt alles an. Was hatten wir sie gelehrt, welche Benutzung des Wortes "bedeuten"? Und was, wenn überhaupt irgend etwas, entnehmen wir ihrer Äußerung? Denn wenn wir gar nichts mit ihr anfangen können, so könnte sie uns als Kuriosität interessieren.——Denken wir uns einen Stamm von Menschen, die keine Träume kennen, und die unsere Traumerzählungen hören. Einer von uns käme zu diesen nichtträumenden Leuten und lernte nach und nach, sich mit ihnen zu verständigen.—Vielleicht denkt man, sie würden nun das Wort "träumen" nie verstehen. Aber sie würden bald eine Verwendung dafür finden. Und ihre Ärzte könnten sich sehr wohl für das Phänomen interessieren und wichtige Schlüsse aus den Träumen des Fremden ziehen.——Auch kann man nicht sagen, daß für diese Leute das Verbum "träumen" nichts Anderes bedeuten könnte als: cinen Traum erzählen. Denn der Fremde würde ja beide Ausdrücke gebrauchen: "träumen" und "einen Traum erzählen", und die Leute jenes Stammes dürften nicht "ich träumte ..." mit "ich erzählte den Traum ....." verwechseln.
531. "Ich nehme an, es schwebe ihm ein Bild vor."—Könnte ich auch annehmen, es schwebe diesem Ofen ein Bild vor?—Und warum scheint dies unmöglich? Ist denn also die menschliche Gestalt dazu nötig?—
532. Der Schmerzbegriff ist charakterisiert durch seine bestimmte Funktion in unserm Leben.
533. Schmerz liegt so in unserm Leben drin, hat ''solche'' Zusammenhänge. (D. h.: nur was ''so'' im Leben drinliegt, ''solche'' Zusammenhänge hat, nennen wir "Schmerz".)
534. Nur inmitten gewisser normaler Lebensäußerungen gibt es eine Schmerzäußerung. Nur inmitten von noch viel weitgehender bestimmter Lebensäußerung den Ausdruck der Trauer oder der Zuneigung. U. s. f.
535. Wenn ich mir, und wenn ein Andrer sich einen Schmerz vorstellen kann, oder wir doch sagen, daß wir es können,—wie kann man herausfinden, ob wir ihn uns richtig vorstellen, und wie genau?
536. Ich mag wissen, daß er Schmerzen hat, aber ich weiß nie den genauen Grad seiner Schmerzen. Hier ist also etwas, was er weiß und die Schmerzäußerung mir nicht mitteilt. Etwas rein Privates.
Er weiß genau, wie stark seine Schmerzen sind? (Ist das nicht ähnlich, als sagte man, er wisse immer genau, wo er sich befinde? Nämlich hier.) Ist denn der Begriff des Grades mit den Schmerzen gegeben?
537. Du sagst, du pflegst den Stöhnenden, weil Erfahrung dich gelehrt hat, daß du selbst stöhnst, wenn du das und das fühlst. Aber da du ja doch keinen solchen Schluß ziehst, so können wir die Begründung durch Analogie weglassen.
538. Es hat auch keinen Sinn zu sagen: "Ich kümmere mich nicht um mein eigenes Stöhnen, weil ''ich weiß'', daß ich Schmerzen habe" oder "weil ich meine Schmerzen ''fühle''."
Wohl aber ist es wahr:—"Ich kümmere mich nicht um mein Stöhnen."
539. Ich schließe aus der Beobachtung seines Benchmens, daß er zum Arzt muß; aber ich ziehe diesen Schluß für mich ''nicht'' aus der Beobachtung meines Benehmens. Oder vielmehr: ich tue auch dies manchmal, aber ''nicht'' in analogen Fällen.
540. Es hilft hier, wenn man bedenkt, daß es ein primitives Verhalten ist, die schmerzende Stelle des Andern zu pflegen, zu behandlen, und nicht nur die eigene—also auf des Andern Schmerzbenchmen zu achten, wie auch, auf das eigene Schmerzbenchmen ''nicht'' zu achten.
541. Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens.